The heart never lies - Teil 27

Autor: Jenny&Mary
veröffentlicht am: 22.07.2012


Mary:

Der Moment, in dem das frische Brautpaar Hand in Hand durch die große Flügeltür kam, war für mich einer der Schönsten des ganzen Tages.
Alle Freunde und Verwandte warteten schon hier in dem großen Saal, in dem jetzt die große Party stattfinden sollte. Das Büffet war aufgebaut, alle Kerzen angezündet und die Band bereit. Nur auf das Brautpaar warteten wir noch. Und dann öffnete sich auf einmal die Tür und zwei wunderschöne und strahlend glückliche Menschen traten in den Raum. Ich konnte schwören, ich hatte die beiden noch nie zuvor so glücklich gesehen wie in diesem Moment. Jennys Augen leuchteten heller als der Ring, den sie nun an ihrem Finger trug und der sie zu Mrs. Ackles machte. Eine kleine Freudenträne lief ihr übers Gesicht und sie schaute gerührt von einem zum anderen. Jensen dagegen hatte ein so breites Grinsen im Gesicht, dass es ihm fast bis zu den Ohren ging und auch seine Augen waren auffällig glänzend.
„Auf Jenny und Jensen!“, rief Laura und alle stimmten in ihr Klatschen ein. Die kleine Bella, die vor ihnen herging, warf mit Blumen wie wild um sich und es gab wirklich niemanden im Raum, der bei so viel Liebe und Freude nicht ein Lächeln im Gesicht oder eine Träne in den Augen hatte.
Naja, zu dem Zeitpunkt war Gabrielle aber auch gerade auf der Toilette.
„Oh mein Gott Mary…“, war alles, was Jenny angesichts so vieler Emotionen sagen konnte. Überglücklich umarmten wir uns und wimmerten wie kleine Kinder. Es war ein wirklich überwältigendes Gefühl zu wissen, dass das nicht irgendeine Hochzeit war, sondern die meiner besten Freundin. Das alles hier war so viel Arbeit gewesen, aber spätestens jetzt wurde mir klar, wie wert es das doch gewesen war. Die Hochzeit war perfekt. Und dabei hatte sie gerade erst angefangen!
Wie auf Bestellung setzte genau in dem Moment die Band ein- und die war etwas ganz Besonderes! Völlig perplex schaute Jenny auf die Bühne und dann zu ihrem Ehemann.
„THE SCRIPT?“ Und die Art wie sie das sagte, war beinahe hysterisch, als wäre sie ein Groupie oder ein Teenager. Es war so schön zu sehen, dass sie sich nicht allzu sehr verändert hatte.
„Die magst du doch, oder?“, fragte Jensen und zog seine Frau leidenschaftlich an sich. „Es sollte eine Überraschung sein.“ Und während die beiden sich küssten, ging ein gerührtes „Ooooooh“ durch den ganzen Raum.

Ein paar Minuten später saßen schon alle an ihren Tischen und erhoben ihre Gläser, um auf das Brautpaar anzustoßen. Dank Sitzplan saßen Jenny und Jensen natürlich am Kopf der Tafel, neben Jensen waren seine Eltern und neben Jenny ihre. Danach kamen traditionellerweise die Trauzeugen, also Ian und ich. Wir saßen neben Jennys Eltern.
„Darf ich?“, fragte Ian vorsichtig, Gentleman wie er war, und zog meinen Stuhl so zurück, dass ich mich setzen konnte. Ich antwortete nur mit einem kurzen „Danke.“ Und setzte mich dann, ohne ihn überhaupt angesehen zu haben. Zum Glück saß Rainer auch neben mir, also wendete ich mich ihm zu und konnte mich mit ihm unterhalten.
„Leute, darf ich mal um eure Aufmerksamkeit bitten?“ Jensens tiefe Stimme unterbrach das Stimmengewirr im Raum. Er hatte sich hingestellt und schaute uns alle ein wenig nervös an.
„Ich würd ganz gern was sagen…“ Und als alle Augen auf ihn gerichtet waren, wurde er sogar ein bisschen rot im Gesicht.
„Also… Ja. Dann bin ich jetzt wohl dran mit meiner Rede.
Also… Ich bin ja eigentlich nicht so der Kerl der seine Gefühle breit trampelt also… Ach egal.
Jenny, du bist wirklich der beste Mensch der mir jemals in meinem Leben begegnet ist. Ich weiß noch wie ich mich in dich verliebt habe, als du auf unserer Party betrunken auf meiner Bar getanzt hast. Du sahst so zerstört aus und trotzdem so niedlich.“ Peinlich berührt lachte Jenny und beachtete gar nicht den bösen Blick, den Gabrielle ihr zuwarf.
„Und ich bereue immer noch, dass ich dich damals verlassen habe. Das war, glaub ich, der größte Fehler meines Lebens, denn das waren sie schlimmsten zwei Monate. Es gab keine Sekunde, in der ich nicht an dich gedacht habe. Und Gott sei Dank hast du mir meinen Fehler auch verziehen. Ich weiß, dass wir uns noch nicht so lange kennen, aber ich weiß wie es mir ohne dich geht und deswegen möchte ich so was nie wieder in meinem Leben durchmachen. Du bist mein Leben“, sagte er und musste sich kurz räuspern, bevor er weiter sprach:
„Und ich liebe es so sehr, wenn du dich über mich aufregst oder wenn du mich beleidigst, weil ich genau weiß, dass du mir eh nicht länger als fünf Minuten böse sein kannst. Und du bist wirklich die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens zusammen sein will. Natürlich weiß ich auch, dass es sicher nicht einfach wird, weil ein paar Paparazzi uns das Leben bestimmt erschweren werden, aber du kannst dich sicher noch daran erinnern, was Ian und ich zu dir gesagt haben nach der Party. Und du warst fest davon entschlossen dich nicht von denen fertig machen zu lassen.“ Und nur zu zeigen, dass die beiden wirklich alles durchstehen konnten, nahm er ihre Hand und warf ihr einen so süßen Blick zu, dass ihr die Tränen in den Augen standen. Und Jensen war noch nicht fertig:
„Ich kann echt nicht in Worte fassen wie viel du mir bedeutest. Ich liebe dich in Momenten wenn du lachst aber ich liebe dich auch in Momenten wenn du weinst. Weil ich dann nichts mehr will als dich in den Arm nehmen und trösten. Ich liebe die Farbe deiner Augen und ich liebe deine kleine Stupsnase. Ich liebe wie du dich über meine Mutter aufregst und wenn du Witze machst. Und es gibt einfach nur diese drei Worte die ich immer wieder wiederholen kann und das für den Rest unseres Lebens.
Ich liebe dich.“
Und als die beiden sich leidenschaftlich küssten, waren für einen Moment lang alle so gerührt, dass niemand ein Wort heraus bringen konnte. Erst als Irene glücklich aufschrie und zu klatschen begann, war das Schweigen vorbei und alle stimmten überglücklich ein.

Danach musste ich erst mal aufs Klo flüchten. Der viele Sekt sorgte nicht nur dafür, dass mein Kopf hochrot wurde, sondern drückte mir auch noch auf die Blase. Zum Glück war die Toilette nicht weit entfernt.
Erleichtert riss ich die Tür auf, nur um dann direkt wieder einen Schritt zurück zu fallen.
„Oh mein Gott!“, schrie ich erschrocken auf und konnte nicht fassen, was sich da gerade abspielte.
Vor mir stand Dominik. Was auch immer dieser Idiot hier zu suchen hatte! Aber nicht das machte mich wütend, sondern die Tatsache, dass er nicht allein war! Halbnackt hing er auf dieser kleinen Schlampe Jane, SCHNEETWITTCHEN. Und die beiden hatten nichts Besseres zu tun, als es auf Jennys Hochzeit zu treiben ?!
„Das ist jetzt peinlich…“, begann Dominik und zog sich sein Hemd wieder an. Er sagte es nicht mal peinlich berührt, sondern mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht. Schneewittchen zog sich ihren Rock wieder herunter und das Top so hoch, dass man ihren BH nicht mehr sehen konnte. Ihr Ausschnitt bedeckte trotzdem nicht viel mehr als vorher.
„Ich glaube, ihr solltet jetzt besser gehen“, zischte ich und warf beiden einen bösen Blick zu. Und ich hatte gedacht, Gabrielle könnte die Hochzeit zerstören. Dabei war dieser Kerl noch viel schlimmer.
„Mary!“ Oh nein, bitte nicht. Das war Jennys Stimme direkt hinter mir. Ich konnte hören, wie ihre Absätze klapperten und wie sie immer näher kam. Scheiße aber auch.
Geistesgegenwärtig schmiss ich die Tür zur Toilette zu und stellte mich direkt davor. Erst da fiel mir auf, wie entsetzt ihr Gesichtsausdruck war.
„Ich glaub, ich muss kotzen!“, sagte sie und hielt sich dabei die Hand vor den Mund. „Geh doch mal auf Seite!“ Und bevor ich sie auch schon aufhalten konnte, riss sie die Tür auf und stand direkt vor Schneewittchen und Dominik.
„WAS ZUM…!“ Ihre Augen weiteten sich und ihr Mund formte sich zu einem großen O. Für einen Moment funkelte sie ihn so geschockt an, dass es aussah, als würde sie ihm direkt vor die Füße kotzen. Sogar Schneewittchens Mundwinkel gingen jetzt nach unten und ihr Gesicht erstarrte zu einem hässlichen Ausdruck.
Dann tat Jenny endlich, was schon lange überfällig war. Sie schlug Dominik, mitten ins Gesicht.
„Du bist ein Arsch!“, sagte sie und ihre Stimme klang dabei kühl und herablassend. Und dann deutete ich den Beiden, lieber zu verschwinden bevor es Tote gab.

Eine halbe Stunde später waren die Beiden verschwunden und Jenny hatte sich wieder einigermaßen beruhigt. Es ging sogar ihrem Magen etwas besser, also gingen wir bald zu den anderen zurück. Ablenkung war immer noch das Beste. Außerdem war das ihre Hochzeit, also sollte sie sich den Tag nicht von solchen Idioten verderben lassen.
Und dann wurde endlich das Büffet eröffnet. Es gab ALLES, von drei verschiedenen Suppen, über einen eigenen Tisch für die Hauptspeisen und eine riesige Auswahl an Desserts.
Ich aß viel- und zwar von allem- und unterhielt mich dabei blendend mit Rainer. Der hatte nämlich noch so einige Geschichten von der Asienreise auf Lager.
„… und dann haben Irene und ich zwei Monate in einem Kloster in Tibet verbracht. Der Buddhismus ist wirklich eine interessante Religion. Und so nah mit der Natur verbunden.“ In dem Moment drehte sich Irene um, sie hatte unser Gespräch wohl mit angehört. „Das waren zwei wunderbare Monate. Die tibetanischen Mönche leben zwar enthaltsam, aber sie haben uns erlaubt, in ihrem heiligen Garten Liebe zu machen.“
Oh Gott, ich konnte spüren, wie mir das Tiramisu wieder hochkam.
In der nächsten halben Stunde konnte ich mir noch eine Menge Geschichten anhören, in den meisten ging es entweder um unsere Mutter Natur, die Kraft von Heilpflanzen oder „sich lieben“, wie Irene es liebevoll nannte. Sie und Rainer schwärmten so viel davon, dass sie sich irgendwann ganz verträumt ansahen und er ihr schließlich sogar die Zunge in den Hals steckte. Am Tisch, beim Essen. Warum musste ich ausgerechnet hier sitzen?
Ich warf einen hilfesuchenden Blick auf die andere Seite, aber alles was ich dort fand, war Ian, der mich mit einem müden Blick anschaute, aber nichts sagte.
Okay, ich hatte eindeutig einen scheiß Platz.
„Wir eröffnen jetzt den Tanz!“, trällerte Jenny glücklich und zerrte Jensen auf die Tanzfläche. Der folgte ohne Widerrede und sah dabei gar nicht so unglücklich aus, wie ich erwartet hätte. Im Herzen war er eben doch ein Romantiker!
Und dazu ein Romantiker, der verdammt gut tanzen konnte! Wie ein Profi legte er den Arm um Jennys Hüfte und führte sie über die Tanzfläche, als hätte er nie im Leben etwas anderes gemacht. Auch Jenny konnte das großartig. Sie ließ sich überglücklich von Jensens starken Armen führen und ihr Kleid wehte dabei. Sie sollte keinen Gedanken mehr an diesen Idioten Dominik verschwenden, dachte ich. Sie hatte Jensen. Und das war alles, was sie brauchte.
Als die beiden den Tanz erst mal eröffnet hatten, wurde jeder angesteckt und rannte auf die Tanzfläche. Ich hatte die große Ehre, meinen ersten Tanz mit Rainer zu tanzen, das hatte ich ihm schon bei der Vorspeise versprochen. Irene schnappte sich daher Ian und ich fand das so lustig, dass ich erst gar nicht versuchte, mein Lachen zu unterdrücken. Ich konnte sogar hören, wie Irene ihn einen „sehr schönen Mann“ nannte. Seinen verzweifelten Gesichtsausdruck muss ich wohl nicht beschreiben.
Als das Lied zu Ende war, verbeugte Rainer sich tief vor mir und gab mir sogar einen Handkuss. Er war und blieb eben ein Gentleman der alten Schule. Danach wollte ich gerade zurück zu meinem Platz flüchten, als sich mir plötzlich jemand in den Weg stellte. Ian.
„Tanz mit mir“, sagte er und sah mir dabei auffordernd in die Augen. Ich versuchte nicht, seinem Blick auszuweichen, sondern schaute direkt zurück, in das tiefe Blau.
„Okay.“
Ich legte meine Arme um seine Schultern, denn das Lied, was jetzt angespielt wurde, war viel zu langsam für einen Walzer. Ich konnte seine rauen Hände an meiner Hüfte spüren, ein Gefühl, das mir auf einmal ganz fremd vorkam. Jetzt, wo wir uns so nah waren, beobachtete ich einen Moment lang sein Gesicht. Es war makellos, so wie immer. Die Bartstoppeln waren weg und seine Haare lagen locker, aber nicht so chaotisch wie sonst. Auch der schwarze Anzug stand ihm wirklich gut und nach außen hin wirkte er perfekt.
Aber ich sah, dass er alles andere als perfekt war. Dieses Funkeln in seinen Augen war wie erloschen und an dieser Stelle waren jetzt nur noch Müdigkeit und Gefühlskälte. Sein Blick, der mir sonst immer einen wohligen Schauer durch den Körper gejagt hatte, war nichtssagend und leer. Er berührte mich nicht mehr.
Zu allem Überfluss kam genau in diesem Moment der Fotograf und hielt uns grinsend fest. Wir versuchten beide, ein kleines Lächeln vorzutäuschen, aber das war eher schlecht als recht.
In dem Moment wurde mir klar, dass es so nicht weiter gehen konnte.
„Komm mit“, sagte ich zu Ian, nahm seinen Arm und zog ihn durch die Menge. Ich wusste nicht, wohin und was ich tun wollte. Ich wusste nur, dass wir nicht hier bleiben und das perfekte Paar spielen konnten.

Ich ignorierte die verwirrten Blicke der anderen Gäste und zog ihn quer über die Tanzfläche, am Büffet vorbei und den langen Gang entlang. Dort entdeckte ich Jenny und den Idioten Dominik, dem ich am liebsten auch noch eine geschlagen hätte. Aber die beiden schienen miteinander zu reden und dabei sah Jenny nicht unglücklich, sondern erleichtert aus, also wollte ich nicht stören. Ich ging an ihr vorbei und stieß die Tür auf, die nach draußen auf die Veranda führte.
Die plötzliche Dunkelheit nahm mir die Sicht, aber ich ging trotzdem mit schnellen Schritten weiter und stolperte dabei über eine Stufe.
„Fuck! Scheiße!“, rief ich, als ich vorne über fiel und fasste mir mit der Hand ans Schienbein. Blut, na super.
„Alles in Ordnung?“ Ians Stimme klang wirklich ein wenig besorgt. Er hatte sich neben mich gekniet und betrachtete mein Bein ebenfalls. Meine Wut konnte er damit nicht lindern.
„Nichts ist in Ordnung!“, erwiderte ich gereizt und konnte trotz Dunkelheit erkennen, wie sich sein Gesichtsausdruck änderte.
Unruhig stand ich auf, ging noch ein paar Schritte weiter, um ihm nicht so nah zu sein und versuchte dabei zu ignorieren, dass mein Bein höllisch wehtat.
Ich ging bis zum Ende der Veranda und blieb dort einen Moment lang stehen, um mich zu beruhigen. Es war dunkel, eine laue Sommernacht mit sternenklarem Himmel. Einzig der Wind unterbrach die Stille, die auf dem Rhein lag.
„Wenn du mir nicht sagen willst, was los ist, kann ich auch wieder rein gehen“, hörte ich Ians Stimme hinter mir und drehte mich langsam zu ihm um, ohne zu antworten. Da stand er, mit den Händen in den Hosentaschen, und sah dabei gleichermaßen perfekt und gleichgültig aus. Er war wirklich kein guter Schauspieler.
Wir schwiegen beide einen Moment und während ich noch sein Gesicht betrachtete, schien er gerade gehen zu wollen.
„Weißt du, warum ich nach Berlin gekommen bin?“, fragte ich schließlich ruhig.
„Weil du mich sehen wolltest?“ Ian schien dieses Gespräch ziemlich lästig zu sein, er schaute noch einmal hinter sich und balancierte sein Gewicht von einem Bein aufs andere.
„Nein“, antwortete ich schließlich, „weil ich wollte, dass du mit mir Schluss machst.“
Ian balancierte jetzt nicht mehr, er stand wie erstarrt da und betrachtete still mein Gesicht. Zwischen uns waren mindestens drei Meter, aber in Wirklichkeit war er viel weiter entfernt.
„Warum sollte ich Schluss machen?“, fragte er, klang dabei aber nicht verletzt, sondern einfach nur interessiert.
„Weil ich es nicht kann. Auch wenn ich es will.“

„Du willst Schluss machen?“ Ians Stimme klang verletzt, aber ich versuchte, das einfach zu überhören.
„Ja.“
Er sah mich an, als hätte er sich verhört und fing dann an, ruhelos auf und ab zu gehen.
„Darf ich denn wenigstens erfahren, warum?“, sagte er schließlich und sah mich aufgebracht an. Dass er auf einmal wieder so emotional war, hatte ich wirklich nicht erwartet. Das brachte mich ein wenig aus der Fassung, änderte aber nicht meine Gefühle.
„Ich kann das nicht mehr“, antwortete ich mit brüchiger Stimme und versuchte die Ruhe zu bewahren. Bisher hatte ich mich doch ganz gut geschlagen.
„Dieses ganze Ding mit der Fernbeziehung… Tut mir Leid, aber das funktioniert einfach nicht. Du meldest dich tagelang nicht und dann muss ich aus der Zeitung erfahren, wo du gerade bist und was du gerade machst.“
Ian schloss nur die Augen, als wollte er das alles gar nicht hören. Er atmete einmal tief durch und antwortete dann: „Aber bei Jenny und Jensen funktioniert es doch auch.“
„Ich bin aber nicht Jenny und du bist nicht Jensen“, erwiderte ich und war verzweifelt darüber, wie naiv er doch sein konnte.
„Aber wir können das ändern. Ich werde mich öfter melden.“
„Nein, das wirst du nicht. Und das weißt du genauso gut wie ich.“
Unglaublicherweise redeten wir immer noch vollkommen ruhig und sachlich miteinander, obwohl wir gerade dabei waren, unsere Beziehung zu beenden. Das wunderte mich nicht, ganz im Gegenteil. Ich hatte es sogar erwartet. So waren wir eben. Immer ruhig und vernünftig.
„Warum hast du das nicht direkt gesagt? Warum hast du nie gesagt, wie sehr du mich vermisst?“, fragte Ian und legte dabei ausnahmsweise mal nicht den Kopf schief. Er stand immer noch stocksteif ein paar Meter von mir entfernt und schaute mich Stirn runzelnd an.
Ich seufzte angestrengt auf und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Diese Frage hatte ich mir in letzter Zeit schon so oft gestellt. Vielleicht war es endlich Zeit, ehrlich zu mir und zu ihm zu sein.
„Ich hab die ganze Zeit gedacht, das hätte einen ganz einfachen Grund: ich hab gedacht, wir hätten uns einfach so sehr auseinander gelebt, dass ich dich gar nicht wirklich vermisst habe.“ Vorsichtig betrachtete ich sein Gesicht, aber es blieb unverändert.
„Aber jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt. In Wirklichkeit hatte ich immer Angst, du würdest mit mir Schluss machen, sobald du dich meldest.“
„Aber du willst doch, dass ich Schluss mache“, erwiderte er verwirrt und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt er war. Ich musste kurz schlucken, bevor ich weiter sprechen konnte. Ihn so zu sehen, war wirklich furchtbar.
„Ja, schon… Ich hab einfach keine Lust mehr auf diese Spielchen, ich will keine Fernbeziehung führen und ich will nicht deine Freundin sein, wenn du dich so wenig für mich interessierst… aber ich…“
Als wäre er aus seiner Starre erwacht, bewegte sich Ian auf einmal einen Schritt auf mich zu. Dann noch einen und noch einen, bis er mir auf einmal gefährlich nah war.
„Aber?“, fragte er mit leiser Stimme und kam noch ein bisschen näher, sodass ich automatisch einen Schritt zurückging. Mit dem Rücken stieß ich gegen etwas. Panisch drehte ich mich um und sah, dass es der wunderschöne Flügel war, auf dem bei der Trauung jemand gespielt hatte.
„Warum kannst du nicht Schluss machen?“, fragte Ian noch mal, aber seine Stimme war auf einmal überhaupt nicht mehr leise und gefasst. Auf einmal klang er gereizt und drängte mich so sehr gegen den Flügel, dass mich eine richtige Panik überkam.
Vergeblich versuchte ich, ihn von mir weg zu schieben und davon zu laufen, denn ich konnte fühlen, wie mein Körper zu brennen begann und wie die Tränen in mir aufstiegen. Warum konnte er mich nicht einfach gehen lassen?
„Warum?“ Ians Gesicht war auf einmal meinem gefährlich nah und ich konnte sehen, wie seine Augen vor Erregung funkelten.
„Mary, warum kannst du nicht Schluss machen? Sag es doch einfach!“
„Weil ich dich Liebe, verdammt!“

Und mit einem Mal verwandelte sich die ganze Wut, die wir aufeinander hatten, ins Gegensätzliche. Auf einmal genoss ich die Art, wie er meinen Körper gegen diesen Flügel drückte und wie beharrlich er mir in die Augen schaute.
Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, doch dieser Augenblick änderte alles.
Ohne auch nur einen Moment lang zu zögern, trafen sich unsere Lippen und wir begannen uns leidenschaftlich zu küssen, wie wir es noch nie zuvor getan hatten. Ich konnte spüren, wie sensibel meine Lippen darauf reagierten und wie sehr sich mein Körper danach gesehnt hatte. Es war ein Prickeln, mit dem er meine Lippen beschenkte. Sofort streckte ich ihm meinen Körper entgegen und schmiegte mich an seinen, er wiederum legte seine rauen Hände fordernd an meine Hüfte und zog mich an sich.
Wir brauchten keine Worte mehr, unsere Körper verständigten sich mehr als eindeutig. Gierig vergrub ich meine Hände in seinen Haaren und genoss, wie er meinen Hals küsste und dabei immer weiter abwärts ging. Der Schauer, der bei seiner Berührung durch meinen Körper jagte, war viel intensiver als alles, was ich je zuvor gespürt hatte.
Die Leidenschaft vernebelte meine Sinne und ich taumelte nach hinten, gegen den schweren Flügel. Den Aufprall nahm ich gar nicht wahr, genauso wenig wie mein Bein, das immer noch ein wenig blutete.
Ian und ich hörten für einen Moment an genau dieser Stelle auf und sahen uns in die Augen. Und da waren sie wieder, diese tiefblauen Augen, in die ich mich so sehr verliebt hatte. Als wäre er hungrig schaute er abwechselnd in meine Augen und auf meine Lippen, bevor er sie wieder küsste, dieses Mal noch stürmischer als vorher. Während wir uns küssten, zog ich im geschickt das Jackett aus und machte mich an seinem Hemd zu schaffen. Ich bekam noch nicht einmal die Knöpfe auf, meine Hände zitterten vor Erregung. Also riss ich es kurzerhand auf. Verführerisch grinste Ian mich dabei an, nur um mich danach wieder leidenschaftlich zu küssen. Seine Hände wanderten an meinem Körper herab und fanden Stellen, die nur ihm gehören sollten.
Überwältigt stöhnte ich auf und schlang, wie von einer fremden Kraft gesteuert, meine Beine um ihn, sodass er mich auf den Flügel heben konnte. Meine Hände wanderten über seinen muskulösen Oberkörper und ich konnte spüren, wie ich unter jeder seiner Berührungen zu zucken begann. Mein sowieso schon kurzes Kleid entblößte so gut wie alles und ich konnte nur froh sein, dass es dunkel war.
Die Leidenschaft, die uns erlöste, war das stärkste Gefühl, das ich jemals empfunden hatte.
Es war, als wäre ich zu neuem Leben erwacht und als hätte ich in diesem Augenblick zum allerersten Mal begriffen, was es hieß, zu leben.
Ich liebte Ian. Und er liebte mich.






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