Autor: Jenny&Mary
veröffentlicht am: 07.06.2012
Kapitel 10. - Complicated
Mary
Völlig orientierungslos und aus dem Schlaf gerissen fiel ich aus dem Bett und auf den harten Holzboden vom Schlafzimmer.
„Fuck!“, stieß ich verärgert hervor und verzog schmerzhaft das Gesicht. Dabei war ich gerade erst eingeschlafen! Wer kam denn um diese Uhrzeit vorbei, um Sturm zu klingeln? Es konnte doch gerade mal sechs oder halb sieben Uhr morgens sein!
Ich warf einen verpeilten Blick auf die Uhr und musste erst ein paar Mal blinzeln, bis ich erkannte, dass es schon elf Uhr war. Wie kaputt war ich eigentlich?!
In dem Moment klingelte es zum dritten Mal, sodass meine Mundwinkel augenblicklich nach unten gingen und ich schlecht gelaunt vom Boden aufstand. Wer auch immer das war, ich konnte nur hoffen, ich würde ihm gleich nichts tun.
Ein Blick in den Spiegel ließ meine Laune dann noch einmal sinken. Meine Haare standen in alle Richtungen ab und ich hätte mich gestern Abend wirklich abschminken sollen. Ich sah aus wie eine Leiche. Auf dem Weg zur Haustür klingelte es zum vierten Mal, sodass ich die Tür etwas zu wütend aufriss und meinem Gegenüber einen finsteren Blick zuwarf. Es war Jenny.
„Wie siehst du denn aus?“, fragte sie lachend und wartete gar nicht erst darauf, hereingebeten zu werden. Sie machte sich direkt auf meinem Sofa breit und hatte dabei so ein dickes Grinsen im Gesicht, dass ich doch ein bisschen neugierig wurde. Trotzdem war ich zu schlecht gelaunt, um direkt nachzufragen, warum sie hier war und was sie so zum Strahlen brachte.
Ich ließ mich neben sie auf die Couch fallen und fasste mir dabei mit der Hand an die Stirn. Diese verdammten Kopfschmerzen wurden immer schlimmer.
„Was ist denn mit dir passiert?“, fragte Jenny jetzt wirklich besorgt und musterte mich einmal von oben bis unten. „Ich hab dich doch nicht geweckt, der?“, fügte sie geschockt hinzu und sah mich dabei so mitfühlend an, dass ich ihr alles hätte verzeihen können.
„Schon okay…“, sagte ich daher und merkte, wie ich mich wieder beruhigte. Woher hatte sie auch wissen sollen, dass ich um elf Uhr noch im Bett lag? Das hätte ich mir sogar selbst nie zugetraut!
„Was ist denn?“, hakte sie noch einmal nach. Ich gab wohl kein besonders gutes Bild ab.
„Klassentreffen.“, antwortete ich kurz und knapp und das reichte uns beiden als Begründung. Da hatte wohl jemand gestern zu tief ins Sektglas geschaut…
„Kater?“
„Kater!“ Und während ich das sagte, ging ich in die Küche, um mir eine Kopfschmerztablette zu holen. Irgendwie musste ich den Tag nämlich überstehen. Als ich wieder zurückkam, fiel mir erst auf, wie schick Jenny heute aussah. Sie trug einen schwarzen engen Rock, eine weißes Top und darüber die durchsichtige schwarze Bluse, die ihr so gut stand. Dazu High Heels, perfekt geschminkt und leicht gewellte, offene Haare. Sie sah richtig hübsch aus. Und das, obwohl sie gestern auch auf dem Klassentreffen gewesen war.
„Wie kannst du nach der Nacht eigentlich so gut aussehen?“, fragte ich daher und war froh, dass ich meinen Humor wohl noch nicht ganz verloren hatte. Mir war natürlich klar, dass ihre gute Laune an der Nacht mit Jensen liegen musste. „Ich seh aus wie ‚ne Leiche und fühl mich auch so! Ansonsten alles wunderbar.“ Wir wussten beide, dass das eine Lüge war.
„Du fühlst dich scheiße wegen dem Klassentreffen und vermisst Ian.“
„Nein, ich…“
„Und du hast Kopfschmerzen.“
„Nur ein bisschen…“
„Und du bist schlecht drauf, weil du aus dem Bett gefallen bist.“
Verdammt, warum kannte Jenny mich eigentlich besser als ich selbst?
„Du hast ja Recht…“, begann ich seufzend und warf einen Blick auf mein Handy-Display. Keine neue Nachricht, kein entgangener Anruf. Mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt.
Aber bevor ich anfangen konnte, mich bei Jenny auszuheulen, fiel mir auf, dass ich ja noch gar nicht wusste, warum sie hier war. Und warum sie so aussah, als würde sie noch etwas wichtiges, etwas sehr wichtiges vor haben…
„Ich habe gleich einen Termin beim Konditor!“, verkündete sie und lächelte dabei so strahlend, dass ihr Verlobungsring beinahe blass dagegen aussah. Das lag nicht nur an ihrem Termin, sondern auch an der Nacht mit Jensen, da war ich mir ganz sicher.
„Das ist ja geil!“, sagte ich, ehrlich erfreut, und betrachtete das Bild vor Augen, auf dem hunderte von verschiedenen Torten und Süßigkeiten zu sehen waren. Jenny hatte so ein verdammtes Glück!
„Das heißt, Torten futtern bis ich die richtige gefunden habe!“, grinste Jenny, als hätte sie meine Gedanken gehört. „Und das macht bestimmt noch viel mehr Spaß, wenn du mitkommst!“
„Oooh…“, gerührt umarmte ich sie und konnte ein breites Grinsen nicht zurück halten. Auch wenn mein Kopf höllisch dröhnte, Torten essen war jetzt genau das Richtige! Ich ging also schnell duschen und versuchte mich halbwegs wieder herzurichten, was mir wirklich nicht leicht fiel. Jenny wartete in der Zwischenzeit auf der Couch und vergnügte sich mit Ians Flachbildfernseher. Ich konnte mir also Zeit lassen.
Frisch geduscht, geschminkt und ordentlich angezogen war ich eine knappe Stunde später fertig und freute mich wirklich schon auf den Tag mit Jenny. Er konnte nur besser werden als der gestrige, mit dem tollen Klassentreffen und den ganzen Leuten, die ich wirklich nicht wiedersehen wollte.
Als ich runter ins Wohnzimmer ging, konnte ich schon von weitem hören, dass Jenny sich eine dieser nervigen Klatsch-Sendungen anschaute, in denen über C-Promis berichtet und gelästert wurde. Früher hatte ich die schon mal gerne gesehen, immerhin ist es schön zu sehen, dass auch die Schönen und Reichen ihre Problemchen hatten. Da war ich aber auch noch nicht mit Ian zusammen gewesen. Seitdem mied ich solche Sendungen, weil die Gefahr einfach zu groß war, etwas über Ian oder am besten noch über mich zu sehen. Ich erwartete also nichts Gutes.
Vorsichtig schaute ich um die Ecke, zuerst auf den fetten Fernseher, auf dem zum Glück nur Jessica Simpson zu sehen war, und dann in Jennys Gesicht. Sie warf mir ein freudiges Grinsen zu und das kam nicht umsonst.
„Maary! Du bist so mies!“, lachte sie. Ich verstand nur Bahnhof und legte verwirrt meinen Kopf zur Seite. Eine Eigenschaft, die ich dummerweise von Ian übernommen hatte.
„Du hast mir gar nichts von Ians neuem Job erzählt! Aber ich freu mich!“ Mittlerweile stand sie vor mir und umarmte mich ausgiebig, nur um ihre Freunde noch einmal zu unterstreichen. What the fuck…?!
„Neuer Job?“, fragte ich so langsam, als wären wir beide schwer von Begriff. Was zum Teufel hatte ich denn jetzt schon wieder verpasst?!
„Die Rolle in The Damned mein ich! Das ist ein mega Deal! Seine größte Rolle bisher!“ Und nochmal umarmte Jenny mich feierlich. Mir war aber alles andere als zum Feiern zu Mute.
Ungläubig starrte ich auf den Bildschirm und versuchte die Kopfschmerzen und das komische Gefühl zu unterdrücken, das in mir entstand.
Genau in dem Moment verschwand Jessica Simpson und der nächste Beitrag begann.
„Und jetzt ein exklusives Interview mit Ian Somerhalder!“ Na wunderbar.
Ungläubig beobachtete ich, was sich da vor mir abspielte. Ian erschien im Bild, perfekt wie eh und je. Er trug eines seiner typischen Varvatos T-Shirts, die Lederjacke, die ihm so gut stand, einen grauen Schal und eine Wollmütze, mit der er einfach unglaublich gut aussah. Mittlerweile hatte er Bartstoppeln im Gesicht, was ihm außerordentlich gut stand. Unweigerlich merkte ich, wie mir ein wohliger Schauer über den Rücken lief. Das war jetzt wahrscheinlich das erste Mal seit zwei Monaten, dass ich ihn sah. Und dieser Anblick, den ich so sehr vermisst hatte, riss mir mal wieder den Boden unter den Füßen weg.
Doch als das Interview begann, wurde ich wieder ins Diesseits befördert.
„Dann erzähl und doch mal was über deine neue Rolle“, begann der Interviewer, sodass Ian sich kurz räusperte, bevor er zu sprechen begann.
„I’ve just signed the contract for that movie and now I really look forward to shooting it!“Seine Stimme zu hören war unglaublich berührend für mich und ließ mich für einen Moment fast glücklich lächeln. Hätte das, was er gerade sagte, mich nicht so sehr verärgert. Denn ich hörte davon jetzt zum allerersten Mal.
„Mary, warum machst du denn so ein Gesicht?!“ Jenny lachte, ich hatte ganz vergessen, dass sie neben mir stand. Völlig ratlos sah ich sie an und automatisch erstarrte ihr dickes Grinsen. Sie schien wohl langsam zu begreifen, was hier Sache war.
„Sag mir bloß nicht, das wusstest du nicht…“, begann sie vorsichtig.
„Ich hab seit Tagen nichts von Ian gehört. Warum auch? Welche Rolle er annimmt, ist ja nicht meine Sache.“ Und ob es das war, dachte ich. Immerhin würde diese Rolle bedeuten, dass wir uns wieder ein paar Monate nicht sehen konnten.
Aber es wurde noch besser.
„Und darf ich Sie etwas persönliches fragen?“, begann der Interviewer gespielt freundlich. „Wie bringen Sie diese vielen Angebote und Rollen mit ihrem Privatleben unter? Das stelle ich mich ja schon schwierig vor…“ Der Mann gefiel mir. Die Frage hätte von mir sein können!
„Oh, don’t worry about that…“, begann Ian selbstsicher und winkte grinsend ab.„My privacy is just as important to me as my work.But I think I can handle both.” Da war ich aber ganz anderer Meinung.
„Und wie lange werden Sie in Deutschland bleiben?“ Der Interviewer wusste ja gar nicht, wie perfekt seine Fragen jedes Mal kamen. Genau das war nämlich auch der nächste Gedanke, der mir durch den Kopf schwirrte. Es war ja gut zu wissen, dass mein Freund eine neue Rolle hatte und gerade ganz in der Nähe war. Und es war auch wirklich angenehm, das auf diese Art und Weise zu erfahren. Hätte Jenny nicht neben mir gestanden, wäre ich wahrscheinlich ausgerastet oder hätte angefangen zu heulen. Vermutlich sogar beides.
„I’ll do some promotional stuff in the next few days. And I go to those awards in Berlin next week.”
Gemeint war der Bambi. Na wunderbar. Er war also in Berlin, gut zu wissen.
Resigniert schaltete ich den Fernseher aus, obwohl das Interview noch nicht vorbei war.
„Nicht ausrasten…“, begann Jenny vorsichtig, weil sie genau wusste, wie emotional ich sein konnte. Aber nicht heute.
„Werd ich nicht, keine Sorge.“ Und nur um das zu unterstreichen, atmete ich einmal tief durch, nahm meine Tasche und öffnete die Haustür.
„Wollten wir nicht die perfekte Torte für dich aussuchen?“, erinnerte ich sie grinsend.
Nein, ich würde mich heute nicht aufregen. Aber ich wusste ganz genau, was zu tun war.
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