Autor: blue-haze
veröffentlicht am: 30.05.2014
18. Im Weg
Die erste Zeit war es nicht nur schwer, sondern auch seltsam. Kenan hält strickt Abstand und ich konzentriere mich auf Fluffy, wenn wir alleine sind um nicht verrückt zu werden.
Dad weiß wegen Kenan, was passiert ist und sieht mich immer wieder mit diesem Ich-wünschte-ich-könnte-was-für-dich-tun-Blick an.
Gut, unsere Vater-Tochter Beziehung hat sich dadurch sehr intensiviert. Plötzlich reden wir noch mehr miteinander als sonst. Aber ich weiß nicht, ob sich irgendjemand vorstellen kann wie es ist, einen Menschen, den man liebt, und der einen genauso liebt in der Nähe zu haben und doch seine Gefühle permanent unter Verschluss halten zu müssen.
Doch je länger es dauert, desto mehr stelle ich mir eine Frage: Ist es wirklich alles, was du willst, Kenan?
Wieso ist sein einziges Ziel im Leben, mich zu beschützen? Hat er denn keine Träume für SICH?
Und je mehr ich ihn beobachte, desto mehr wünsche ich ihm, dass er aufhört für mich zu leben und beginnt sein eigenes Leben zu finden. Ich begreife, warum ich ihn damals aus dem Weg geschubst habe. Ich will nicht, dass er sein Leben für mich aufgibt. Weder Physisch noch Psychisch. Ich habe ihn nicht gerettet, damit er sein restliches Leben mir widmet. Er lernt oft bis in die Nacht. Kann es wirklich sein, dass er das einfach so tut? Er könnte doch so viel mehr...
„Aki-Chan, deine Oma hat mich gebeten Nana etwas vorbei zu bringen.“
„Und ich soll das für dich erledigen, nicht wahr?“
Sein Dackelblick ist Antwort genug. Hab ich eine Wahl? Er ist mein Dad.
Tyler begleitet mich, allerdings ist ihm Nana noch unheimlicher als meinem Dad. Er wartet lieber draußen.
„Nana?“ Ich brauche sie nicht lange zu suchen. Wenn sie nicht in der Küche ist, ist sie in ihrem „Labor“ für... was auch immer.
„Was machst du da schon wieder?“ Es stinkt bestialisch.
„Akira“, die rauchige Stimme der alten Frau dringt durch den Rauch zu mir. „Meine Enkeltochter, was führt dich zu mir.“
„Oma.“
„Ah, meine letzte Zutat?“
„Keine Ahnung...“ Ich überreiche ihr eine Tüte. „Was wird das?“
„Ich probiere eine neue Formel aus.“
„Für...?“
Was sie mir nun erzählt, bringt mich auf eine Idee. Ich frage sie ob ich etwas davon haben kann und erzähle ihr, was ich vor habe.
Nana drückt mir ein blaues Fläschchen in die Hand. „Das ist eine schwere Entscheidung, mein Kind. Bist du sicher, dass du damit leben kannst?“
„Sicher? Nein... aber ich glaube, es ist das Richtige.“
Die Sonne geht unter, und lässt den Fluss schimmern wie Diamanten. Dad läuft neben mir her und ich werfe einige Bälle für Fluffy, die er mir schwanzwedelnd wieder bringt. „Du bist wirklich groß geworden,“ sage ich und kraule ihn hinterm Ohr.
Ich drehe den Ball zwischen meinen Fingern, denke kurz nach und werfe den Ball für Fluffy erneut. „Dad, … ich weiß, ich sollte dich das nicht fragen... wahrscheinlich wirst du es mir auch nicht beantworten...“
„Das kannst du erst wissen, wenn du fragst.“
Ich atme tief durch. „Gibt es etwas, das Kenan sich wünscht? Ich meine... hat er irgendeinen Traum in seinem Leben, den er für mich aufgegeben hat?“
Lange schweigt er und ich denke schon, dass er es mir nicht sagen wird, doch dann überrascht er mich.
„Er hat eine Bewerbung für ein Collage in New York geschrieben, die er nicht abschicken wird. Es geht um Sport und Soziale Arbeit...“
Ich bleibe stehen, den Blick auf den Fluss gerichtet. Fluffy bringt mir den Ball zurück und wartet darauf, dass ich ihn abnehme. Als er merkt, dass ich ihn nicht annehme, tippt er mit seiner Schnauze an meine Hand. Mechanisch nehme ich ihn und werfe ihn.
„Ja...“ antworte ich abwesend und gehe weiter.
Wenn ihr das Schicksal eines Menschen in eurer Hand hieltet...
wenn ihr wüsstet, dass ihr es in der Hand habt, wie sein Leben weiter geht und euch sicher wärt, dass ihr der Grund seid, warum dieser Mensch seine Träume nicht verwirklicht...
Wenn ihr sein Leben ändern könntet...
würdet ihr es tun?
Auch wenn es bedeutet, dass ihr aus dem Leben dieses Menschen verschwinden müsst...
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