Weirdly - Teil 14

Autor: blue-haze
veröffentlicht am: 30.05.2014


14. Gefühle

„Du hattest schon immer ein ziemlich gutes Einfühlungsvermögen.“ Dad schlürft seelenruhig seinen Tee, als hätte ich ihm gerade erzählt, dass beim Einkaufen etwas interessantes entdeckt habe.
„Ich will das nicht.“
„Beruhig dich. Das mit den Kopfschmerzen wird sich legen.“
„Um die Kopfschmerzen geht es mir nicht. Ich will nicht wissen, was andere denken.“
„Das wirst du auch nicht. Du siehst nur was sie fühlen.“
„Und wenn es mehr wird? Sogar das ist schon zu viel.“
„Also zu sehen was andere fühlen ist keine große Kunst. Das können viele Menschen, nur nicht so ausgeprägt, wie bei dir. Und was das Gedankenlesen angeht... ich denke nicht, dass es sich bei dir so weit ausprägen wird.“
„Denkst du?“
Er nickt. „Mach dir keine sorgen. Irgendwann wirst du es weitgehend so gut kontrollieren, dass du nur noch Gefühle unfreiwillig sehen wirst, die sich dir förmlich aufdrängen.“
„Wehe, wenn du mich anlügst. Warum grinst du so?“
„Ich bin nur so stolz auf dich.“
„Lass das.“
„Aber meine Tochter hat meine Gabe.“
„Ich sagte lass das.“
„Ich bin so stolz.“

Die nächsten Tage sind die Hölle. Ich habe Kopfschmerzen ohne Pause und sehe ständig die Gefühle anderer und das mittlerweile so, dass ich sie nicht zuordnen kann. Ich weiß nicht, wer gerade wütend auf mich ist, mich liebt oder wer auf wen neidisch, eifersüchtig, oder was auch immer ist.
Ich distanziere mich von allem und jedem und will am liebsten niemanden sehen.

Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor, als die Kopfschmerzen endlich nachlassen. Und tatsächlich, ich glaube es waren gut zwei Wochen. Als ich wieder in die Schule komme, fühle ich immer noch sehr viel. Aber es lässt sich immerhin unterscheiden. Argwohn, Zorn, Gleichgültigkeit – was für ein angenehmes Gefühl, Kathrine strahlt mir sehr viel Unsicherheit und Schuldgefühle entgegen.
Zunächst weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll, bis wir auf Sean treffen. Das Gefühl der Zuneigung bei beiden verstärkt sich, gleichzeitig aber auch das Schuldgefühl. Ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Vielleicht irre ich mich ja. Vielleicht sagen sie es mir ja selbst.
Aber nicht heute.

„Wieder Kopfschmerzen?“ Kenans Stimme holt mich zurück.
Besorgnis.
„Ah...nein... war nur abgelenkt. Also...“ Ich beginne ihm wieder die Interpretation des Pflichtbuchs zu erklären und versuche jetzt sehr Konzentriert die Wahrnehmung der Gefühle abzuschalten. Irgendwann muss es doch mal klappen.
Hör auf damit. Lass das. Keine Gefühle, alles nur Illusion...Na bitte! Endlich! Ich konzentriere mich immer mehr auf die Erklärung, bis schließlich seine Finger über meine Halsbeuge streichen.
„Vielleicht solltest du dich für heute ausruhen.“
Okay, denkt einmal an die schönste Stimme, die ihr je gehört habt. Und jetzt stellt euch vor, diese Stimme wäre direkt an eurem Ohr. Würdet ihr dann nicht auch dahinschmelzen wie ein Stück Butter?
Ich nicke mechanisch.
„Komm, wir gehen irgendwo einen Kaffee trinken. Ich lade dich ein“, ganz gentlemanlike zwinkert er mir zu und geht schon vor.
Benebelt von der Mischung aus seiner anziehenden Stimme und seinem Duft habe ich wirklich das Gefühl eine Droge genommen zu haben. Ich folge ihm wie ein williges Hündchen.
Es ist angenehmer, keine Gefühle mehr wahrzunehmen. Und mit ihm über Gott und die Welt zu reden ist einfach das schönste. Ich könnte ihm den ganzen Tag zuhören.
Als wir aus dem Café spazieren und ich am Ende der Straße Sean und Kathrine sehe, versuche ich mir über meine eigenen Gefühle klar zu werden. Ich will nicht, dass Kenan es sieht und gehe mit ihm in eine andere Richtung.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, was ich gerade selbst fühle.

Als wir uns im Wohnzimmer einen Film ansehen, bin ich endlich in der Lage ein bisschenabzuschalten. Es tut gut so zu lachen und Witze mit Kenan zu machen. Irgendwann habe ich schon das Bedürfnis nach seinen Gefühlen zu tasten. Aber ich verkneife es mir. Ob es okay ist, mich einfach an ihn zu lehnen? Ich tue es einfach. Sein Arm legt sich um meine Schulter und ich glaube ein Hauch Überraschung dringt zu mir durch.
„Hast du keine Angst mehr?“
„Vor dir?“ Ich denke an den Abend, als ich mich das erste Mal in seine Arme fallen lassen wollte. „Schon seit Jahren nicht.“
Seine Hand beginnt über meine Schulter zu streicheln. Geborgen in seiner Wärme, schließe ich die Augen und schlafe schließlich ein.
Ich träume vom Sterben... diesem süßen angenehmen Dämmerzustand und von Lippen, die die meinen Berühren.

Ich wache auf und stelle fest: Ich liege in meinem Bett. Ich muss gestern Abend eingeschlafen sein. In der Küche finde ich meinen Dad, Tyler und Ashley.
„Morgen, Prinzessin.“
„Dad, doch nicht vor den anderen.“
Ich sehe Tylers Grinsen. „Gut geschlafen Prinzessin?“
„Hey, so darf nur ich sie nennen.“
„Ach komm schon, Kiyoshi. Ist doch witzig“, lacht Ashley. „Wir geben euch beiden Codenamen. Du bist der King und Akira ist Prinzessin.“
„Ich lach mich tot“, brumme ich.
Und genauso geht es den ganzen Weg zur Schule weiter.
Meine Laune verschlechtert sich schlagartig, als Sean und Kathrine weiterhin so tun, als wäre nichts. Ich bin überrascht, wie wenig man davon merkt, ohne die Gefühle zu erfühlen. Ich probiere es sogar aus. Wie einen Schalter den ich umlege. Als ich es abschalte und Sean mich tatsächlich auch noch küssen will, weise ich ihn ab.
„Was hast du?“
„Nicht in Stimmung“, brumme ich.
Schalter an. Zorn und Erleichterung.
Schalter aus.
Mittlerweile bin ich mir über meine eigenen Gefühle im Klaren. Es ist mir egal, dass Sean mich betrügt, weil ich ihn nicht liebe.
All die Jahre habe ich Kenan vermisst... wäre er nicht gegangen, hätte ich gar nicht erst diese Beziehung mit Sean begonnen. Er ist nett. Aber er verdient es wirklich geliebt zu werden. Insofern habe ich nur seine Zeit vergeudet und wäre ihm eine Entschuldigung schuldig.
Aber andererseits verarschen die beiden mich und ich bestehe darauf, dass sie mir zumindest von sich aus sagen, was Sache ist.

Als ich Kenan zum Abendessen rufe, ist er noch immer am Lernen. „Du überarbeitest dich noch.“
„Ich habe bald Prüfung. Ich muss lernen.“
„Soll ich dir helfen?“
„Nach dem Essen. Ich habe einen Bärenhunger.“
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Kenan weiß, dass Dad seine Gedanken lesen kann. Die Stille am Esstisch ist jedoch verdächtig. Ich frage mich, ob er ihn gerade auskundschaftet. Oder weiß er längst etwas, das ihn nichts angeht?
Als ich fertig bin und die Stille zu drückend wird, räume ich ab und verabschiede mich mit den Worten: „Ich gehe duschen.“
Gerade in dem Moment, als ich die Treppe betrete, höre ich gedämpfte Stimmen.
Männer.
Fertig geduscht, sehe ich in der Küche nach, ob noch jemand da ist.
„Dein Dad ist zur Arbeit gefahren.“ Kenan steht an seinen Türrahmen gelehnt, als ob er schon eine ganze Weile wartet. „Ich dachte schon, du hättest mich vergessen.“
„Wenn ihr nicht dagesessen hättet, als wartet ihr nur darauf, dass ich den Raum verlasse, damit ihr unter euch sein könnt, hätten wir von mir aus gleich nach dem Essen lernen können.“
Verlegen kratzt er sich am Nacken. „Wir hatten noch etwas wichtiges zu bereden.“
„Hey sag mal“, frage ich, als wir wieder auf seinem Bett sitzen und lernen „was machst du, wenn du den Abschluss geschafft hast?“
„Ich weiß nicht...“
„Ich meine... willst du dein Leben lang Lifeguard sein?“
Durchdringend sehen seine grünen Augen mich an. „Ich will dich immer beschützen.“
Ich fühle wie ich rot werde und tue so, als wäre ich plötzlich ganz vertieft ins Buch. „Willst... willst du nicht irgendwann aufs College? Du könntest so viel tun... hattest du nicht einmal Träume... bevor du ...“ mein Schutzengel wurdest. Ich beende den Satz nicht, sondern nestle an meiner Kette herum.
„Vielleicht. Vielleicht gehe ich irgendwann aufs College. Aber im Moment bin ich froh, wenn ich überhaupt erst die Prüfung schaffe.“
„Dann sollten wir jetzt eindeutig etwas dafür machen.“
„Du hast doch abgelenkt.“
Ich haue ihm leicht mit dem Buch auf den Kopf und setze mich dichter neben ihn um ihm die Aufgabe zu erklären. Das geht eine ganze Weile gut, doch bald lässt die Konzentration doch nach. Während ich mir einen Text durchlese um ihn zu verstehen, fühle ich einen zarten Hauch in meinem Nacken. Still, wie um ein scheues Tier nicht zu verjagen, bewege ich mich nicht.
Dann liegen seine Lippen auf meinem Nacken und ich schließe die Augen. Wie flüssiges Feuer, pumpt mein Herz Blut durch meine Adern. „Du riechst so gut“, haucht er in mein Ohr. Ein scheues Lächeln umspielt meine Lippen, als ich mich traue zu ihm aufzusehen und seinen grünen Augen zu begegnen. Sanft streichelt seine Hand über meine Wange, die vermutlich ganz rot ist. Ich schmiege sie in seine Hand und kuschle mich an seine Brust, um ihm näher sein zu können. Sag es. Sag es.
Er schließt mich fest in seine Arme. Vielleicht müssen manche Dinge nicht ausgesprochen werden. Obwohl ich schon gerne gehört hätte, wie eben diese Worte durch seine Stimme klingen.
„Akira...“
„Hm?“
„Der Tod hat dich nicht geküsst.“
Wär\' ich nicht drauf gekommen. „Wer dann?“
Sanft hebt er mein Kinn an und legt seine Lippen auf meine. Ein Schauer nach dem anderen durchfährt mich. Ich lege meine Hand an seine Wange, an seinen Burstkorb... nie hätte ich gedacht, dass Nähe so schön sein kann. Ganz von selbst lasse ich mich in sein Kissen fallen und ziehe ihn mit mir herunter. Alles... von seinem Haar bis zu seiner Haut, seinen Muskeln...will ich fühlen. Leise tastet sich seine Hand an meinen Armen voran und bleibt schüchtern an meiner Taille liegen. Als ich mich näher an ihn schmiege und ihn liebevoll ansehe, sehe ich ein Strahlen in seinen Augen. Als könne er nicht fassen, dass es wahr ist.
So fühlt sich wahre Liebe an. Nur um zu wissen, dass meine Intuition stimmt, ertaste ich seine Gefühle. Ja, es stimmt. Wie eine Droge durchströmt mich seine Liebe. Doch etwas stimmt nicht.
„Kenan... ist alles in Ordnung?“
Zaghaft streicht seine Hand über mein Haar. „Was meinst du?“
Trauer... ich fühle Trauer... „Bist...bist du nicht glücklich?“
Ich schalte es ab. Es schmerzt zu sehr.
Doch ich halte seinen Blick fest.
Seine Finger streichen über meine Halsbeuge, wie ich es so sehr liebe.
„Gehörst du nicht einem anderen? Wie kann ich dann glücklich sein?“
Beschämt sehe ich weg. „Er hat mich betrogen.“
„Dann bist du nur bei mir, weil er dich verlassen hat...“ Enttäuscht richtet er sich auf.
„Nein!“ Schon sitze ich aufrecht und greife nach seiner Hand. „So ist es nicht.“
Es zerreißt mir das Herz, als er seine Hand wegzieht. „Bitte glaub mir.“ Die Tränen rollen ohne Vorwarnung über meine Wangen. „Könnte ich dich doch nur meine Gedanken lesen lassen, ich würde es tun, nur damit du weißt, dass es niemanden in meinem Herzen gibt, außer dir.“
„Wieso warst du dann mit ihm zusammen?“
„Das ist gemein. Du hast kein Recht mich so zu fragen!“ Verletzt wende ich mich ab. „Du warst weg und ich war egoistisch. Er war da, als ich wollte, dass du bei mir bist!“ Ich fühle mich schmutzig, obwohl ich Sean nie näher gekommen bin als bis zu einem Kuss. Dennoch weiß ich, es war schäbig und falsch. Ich wische die Tränen weg, obwohl immer wieder neue nach kommen.
Schließlich bleibt mir keine würdevollere Lösung als einfach zu gehen.







Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz