Gifted - Die Befreiung - Teil 23

Autor: Aven
veröffentlicht am: 20.08.2012


Hi ihr Lieben,
da bin ich wieder, samt neuem Teil. Hat etwas länger gedauert, weil er mich fast den letzten Nerv gekostet hätte! ;D Naja, ich hoffe deswegen umso mehr, dass er euch gefällt!
An dieser Stelle auch noch mal Danke für eure wudervollen Kommentare, ich kann euch gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber gefreut habe! :D
Also viel Spaß beim Lesen und wie immer bin ich gespannt, was ihr dazu sagt!
LG, Aven


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Ihre Arme fuhren noch im Halbschlaf über ein weiches Laken. Sie ertastete die Falten der samtenen Überdecke, aber ihre Finger suchten vergeblich nach der Wärme eines Körpers, der die Nacht über noch neben ihr gelegen und ihr diesen unvergleichlich tiefen Schlaf beschert hatte. Sie schlug die Augen auf und sah sich um. Das Zimmer war leer, doch hinter der Tür regte sich etwas. Schritte näherten sich und sie hörte Pareios Stimme, der zu irgendwem sagte: „Wir kommen gleich!“
Dann öffnete sich die große, weiß gestrichene Tür und das Objekt ihrer Sehnsucht schob sich ins Zimmer hinein. Seine Bewegungen waren zaghaft und die Augen hatte er auf die randvoll gefüllte Tasse in seiner rechten Hand gerichtet. Er balancierte sie vorsichtig, um keinen Tropfen zu verschütten. Am Bett angekommen stellte er den elegant geschwungenen Kaffeepot konzentriert auf dem Nachttisch ab und wandte sich ihr dann das erste Mal zu.
„Morgen Dornröschen! Zeit zum Aufstehen!“ Er setzte sich an die Bettkante und legte ihr eine Hand auf den Rücken, während sie sich auf die Seite rollte, um sich ihm zuzuwenden.
Er roch nach Seife und Rasierwasser, aber sein Dreitagebart sprießte aus Kinn und Wangen wie eh und je. Die Berührung weckte ihre Lebensgeister und sie schlang den Arm um seinen Nacken, damit sie ihn aufs Bett ziehen konnte, was er widerstandslos geschehen ließ. Ihre Lippen wirkten fast wie ausgetrocknet, vor dem Verlangen, mit seinen Küssen benetzt zu werden. Sie legte den Kopf in seine Halsbeuge und strich dann mit der Nase weiter hinauf zu seinem geschwungenen, sinnlichen Mund. Sie versank beinahe in der Weichheit seiner Haut, unter der sich die Härte seiner Muskulatur versteckte. Bereits zitternd fanden sich ihre Lippen und vereinten sich in einer andächtigen, langsamen Bewegung. Ihre Körper reagierten auf den Kontakt und drängten sich näher an einander, als Aurelia, entzündet von all den Emotionen die in ihr aufstiegen, ihre Hand zu seinem Po wandern ließ. Sie kniff spielerisch zu und strich den Rand des Gürtels nach, weiter nach vorn, über den Hüftknochen, den Unterbauch…

„Bap, bap, bap!“ machte Pareios und packte ihr Handgelenk, zog es nach oben und presste es gegen seine Brust. „Das hatten wir doch gestern schon!“ sagte er tadelnd, wobei er die Mundwinkel zu einem wissenden Lächeln verzog. Ein Anflug eines Schuldbewusstseins durchzuckte sie, aber die anderen Gedanken in ihrem Kopf überlagerten sie immer noch.
„Naja, ich dachte, es wäre einen neuen Versuch wert…“ sagte sie, weil sie es sich nicht verkneifen konnte, es war ihr aber nicht möglich ihn dabei anzuschauen. Sie fühlte sich unsinnigerweise beschämt von ihrem eigenen Verlangen, wo doch zu erwarten war, dass sie wieder kalte Füße bekommen würde.
Er lachte jetzt stumm, sodass das Bett vibrierte. „Das ist es auf jeden Fall, Liebste! Aber du glaubst doch nicht, dass ich so leicht zu haben bin!“ Die unverhohlene Herausforderung schwang in seinen Worten und kitzelte Aurelia in der Magengrube. Nachdem sie jedoch nicht reagierte, aufgrund seiner Intervention, die sie verunsichert hatte, sagte er schließlich sanft, aber doch frech: „Irgendwann wirst du dir ganz sicher sein. Und dann wirst du mich darum anbetteln!“ Er beugte seinen Kopf vor ihr Gesicht, damit sie sein unverschämtes Grinsen sehen konnte und stahl sich ein kurzes Küsschen.
„Komm schon, Schlafmütze. Wenn du noch duschen willst musst du dich beeilen.“ Er schwang die Beine aus dem Bett und stand auf. Auch Aurelia wühlte sich seufzend aus den Decken, wobei sie wehmütig an das Gefühl seiner Hände auf sich dachte. Sie schalt sich ihrer eigenen Unbeherrschtheit, die ihr wie immer die Tour vermasselt hatte. Insgeheim hoffte sie, dass er recht behalten würde, da die Sehnsucht nach ihm tief in ihrem Leib brannte.
Sie stand auf und ging ins Bad. Dabei fühlte sie, wie seine Blicke auf ihr lagen und ihr folgten, bis sie die Tür hinter sich anlehnte und in der Dusche verschwand. Da traute er sich allerdings nicht hinein.


Der Abschied war wortkarg verlaufen. Lediglich ihre Gastgeber hatten sie überschwänglich und freundlich geherzt und ihnen viel Glück gewünscht. Velvet hielt ihren Sohn weinend in den Armen und nahm ihm mehrmals das Versprechen ab, dass er auf sich aufpassen und in einem Stück zurückkehren würde. Dieser wirkte leicht genervt, ließ die Prozedur aber klaglos über sich ergehen.
Die Teammitglieder empfanden es falsch, sich an dieser Stelle richtig Lebewohl zu sagen, dies hätte zu sehr impliziert, dass sie sich wirklich nie wieder sehen würden, obwohl diese Möglichkeit realistischer Weise in Betracht gezogen werden musste. Über der ganzen Gruppe hing die gleiche merkwürdige Stimmung, wie gestern im Auto. Sie hatten sich schon öfter getrennt, um in Zweier- oder Dreierteams zu operieren, aber noch nie waren sie einer so ungewissen und gefährlichen Zukunft entgegen gefahren. Leider nicht ganz ungewiss, aber die Aussichten waren verdammt schlecht. Wie Russisch Roulette, nur dass bei ihrem Spielchen alle Kammern bis auf eine geladen waren.
Sie verteilten sich in zwei dunkle Fahrzeuge, beides Kombis, die auf Evrills Firma, eine Investmentberatung, zugelassen waren und fuhren stumm die Auffahrt des Anwesens, ihrem sicheren Hafen, hinunter. Aurelia drehte sich um und ließ das Gebäude, das ihr an nur einem einzigen Tag wie ein zu Hause geworden war nicht aus den Augen, bis sie abbogen, und es sich ihrem Sichtfeld entzog.
Wehmütig ließ sie sich in ihren Sitz fallen und harrte nun ihrem Schicksal entgegen. Denn es war ihr eigenes, das sie da erwartete, dessen war sie sich nun ganz sicher. Seitdem sich die Steine mit ihrer Bestimmung verbunden hatten, hatte sich so vieles verändert, sie hatte sich verändert. Nicht nur ein bisschen, sondern markerschütternd. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass diese beiden Begebenheiten mit einander zu tun hatten und ihr blieb schlichtweg nichts anderes übrig, als diesem dunklen verschlungenen Pfad weiter zu folgen, bis er sich ihr endlich offenbarte. Ob sie mit genau diesen Entscheidungen ihr Schicksal, das sie in ihrer Vision ereilen würde, besiegelte? Sie wusste es nicht. Vielleicht war es unausweichlich.

Viktor hatte am Abend zuvor noch im Bunker angerufen und mit Markus gesprochen. Er hatte ihm erklärt, dass sie nach der Rettungsaktion bei einem alten Bekannten untergekommen seinen und er, Row und Aiden samt des Materials zurückkommen würden, während Aurelia und Pareios einer anderen Spur nachgehen würden, die sie in den Daten gefunden hatten. Von Evrill erwähnte er nichts. Markus war beeindruckt, dass sie trotz der Entführung an die Daten herangekommen waren. Er war so fixiert auf diese Informationen, dass er nicht genau nachfragte, sondern sie nur anhielt, schnellstmöglich loszufahren. Noch schien er nichts davon zu ahnen, dass sein Einsatzteam sich verselbstständigt hatte.

Aurelia saß auf der Rückbank, während Evrill ihren Wagen lenkte und Pareios in den Beifahrersitz versunken war. Er hielt die Karten über den Knien, ein Navi wollten sie nicht benutzen, und gab dem anderen Elevender Anweisungen, wann er abbiegen musste. Wenigstens wurde Aurelia nicht von sorgenvollen Vorahnungen geplagt, wie Vorgestern, als sie der mattschwarz lackierten Limousine der Hegedunen gefolgt waren. In Gegenteil, ihre Stimmung war neutral bis erwartungsvoll und sie überlegte hin und her, was sie in Paris erwarten würde. Viktor hatte ihnen noch eine Karte mitgegeben, die sie kurz vor ihrem Abschied eilig in ihre Tasche gestopft hatte. Jetzt zog sie das Gepäckstück aus dem Kofferraum neben sich auf den Rücksitz. Mit einem Zip öffnete sie den Reißverschluss und kramte blind in dem Chaos an frischen und gebrauchten Kleidungsstücken, sowie Teilen ihrer Ausrüstung nach dem großen gefalteten Stück Papier, auf dem das Straßennetz von Paris abgebildet war. Nach einigen Sekunden fiel etwas Winziges, Federleichtes in ihre Hand. Verwirrt zog sie sie heraus, um das Rätsel zu lüften, was für ein ihr unbekannter Gegenstand sich da in ihre Handflächen bohrte, während sie die Finger darum geschlossen hatte.
Auf dem matt elfenbeinfarbenen Handteller lag das kleine, blaue Kreuz, das sie im Computerraum im Labor in Moabit entdeckt hatte. Sie hatte es wirklich völlig vergessen!
Es musste aus der Hosentasche der Jeans gefallen sein, während sie das Gepäckstück durchwühlt hatte. Es war ihr damals nur in die Augen gefallen, weil es überhaupt nicht zur Einrichtung des technischen Raumes gepasst hatte, was bei näherem Überlegen bedeutete, dass es wohl irgendjemand darin verloren hatte. Sie betrachtete das Kreuz jetzt genauer. Das indigoblaue Glas war an einer Seite geschliffen, an der anderen Seite wies es eine glatte Fläche auf. Der Schliff lief in der Mitte der vier Arme des Kreuzes spitz zu und brach das Licht in verschiedenen Regenbogentönen. Die kleinen Farbflecke tanzten im Rhythmus des dahin rasenden Autos auf ihrer Haut. Obwohl es weder ein Loch noch eine Öse aufwies, wirkte es, als ob es zu einem Schmuckstück gehörte und Aurelia reimte sich zusammen, dass es sich vielleicht von der Halskette einer Mitarbeiterin gelöst haben könnte. Es war ein hübscher Gegenstand, also folgte sie dem Impuls es wieder in ihre Hosentasche zu stecken. Sie war nie abergläubisch gewesen, aber in diesem Moment hatte sie das Gefühl, sie konnte einen Talisman gebrauchen. Und dieser hatte sich ja schon bewehrt, schließlich war bei ihrem Einbruch im Labor und der anschließenden Befreiungsaktion wie durch ein Wunder alles gut gegangen.

Ein Gespräch im Vorderteil des Wagens lenkte sie ab. Evrill und Pareios unterhielten sich über Evrills Arbeit und wie er an seine Kontakte gekommen war.
„Meine Mutter wollte nicht, dass ich ins direkte Schussfeld komme, aber wirtschaftliche Unternehmungen hat sie mir nicht verboten.“ er schmunzelte amüsiert. „Ich habe vor ein paar Jahren eine Investmentfirma gegründet. Und wie das so in Finanzkreisen ist, die bösesten Gangster, sind die, die mit Anzug und Krawatte herum laufen. Ab einer gewissen Summe an Geld kommen die Hegedunen ins Spiel, so ist das nun Mal. Und Erfolg spricht sich herum! Könnte natürlich auch mit meinem grandiosen Aussehen zu tun haben!“ scherzte er weiter. „Auf jeden Fall ist es üblich, in diesen Kreisen Geschäfte mit strömenden Partys zu beschließen, Nutten, Koks, alles nur Spielzeug für diese Leute. Unter ihnen gibt es eine Menge kranker Schweine und Sadisten. Wenn die hegedunischen Banker gefeiert haben, gab es manchmal… sagen wir ‚Kollateralschäden‘! Auf so einer Party, bei der ich auch eingeladen war, hat einer den Kopf verloren und eine widerspenstige Prostituierte mit ‘nem Buttermesser abgestochen. Das war mein erster Zusammenstoß mit den Bundesbehörden. Ich habe ihnen einen Mörder geliefert und hinter den Hegedunen aufgeräumt. Keine Sorge! Der, der dafür in den Knast gewandert ist, hatte es auch verdient! Nicht nur unter den Hegedunen gibt es widerliche Dreckskerle.“ Evrills Blick verklärte sich kurz, während er sich dieser, offensichtlich befriedigenden Erinnerung hingab. „Seither habe ich einige… Freunde auf beiden Seiten. Außerdem hat sich meine Diskretion schnell herum gesprochen, was weitere Aufträge nach sich zog.“ Er grinste breit, nachdem er dieses Geheimnis enthüllt hatte. Er hob den Zeigefinger vor die Lippen. „Aber pssst, sagt‘s nicht Mom!“ witzelte er und zwinkerte dabei verwegen.
Aurelia traute ihren Ohren nicht. Der Grünschnabel entpuppte sich gerade als kaltschnäuziger Spion. Und was für einer, nicht mal sie hatte etwas geahnt! Er hatte die Rolle des unerfahrenen Jungspunds allzu überzeugend gespielt, das ganze Theater mit seiner Mutter durchgezogen, oh Mann, davon konnten sie sich eine Scheibe abschneiden!
„Arbeitest du allein?“ erkundigte sich Pareios, nun ebenfalls völlig gefesselt und geplättet von den Worten ihres Fahrers. „Nein. Ich habe ein paar Leute gefunden, die ähnliche Interessen verfolgen wie ich. Ein paar sind Elevender, ein paar sind Menschen.“
„Du hast Menschen eingeweiht?“ fragte Aurelia gelinde überrascht. Die Hegedunen und die Legion arbeiteten schon immer mit Menschen zusammen, aber wenn es sich vermeiden ließ, ließ man sie weitestgehend uninformiert, erzählte ihnen irgendwelchen Quatsch darüber, was genau sie eigentlich taten. Die meisten Menschen wollten es sowieso nicht glauben, selbst wenn sie mit der Nase drauf gestoßen wurden. Selbst wenn sie mit eigenen Augen gesehen hatten, dass es Elevender gab und diese ein gigantisches Mächteringen um die Herrschaft über die ganze Menschheit veranstalteten, wollten sie es nicht wahrhaben. Es lag einfach in ihrer Natur, dass sie alles, was sie kannten, was ihnen vertraut war, bis aufs Blut verteidigten, auch wenn es für sie selbst eine schleichende Seuche war. Sie belogen sich selbst und verleugneten beinahe freiwillig auch öffentlich, was sie gesehen hatten. Der Gruppenzwang unter den Menschen war so stark, dass sie lieber behaupteten das Feuer nicht zu sehen, wenn alle anderen es nicht sehen konnten, obwohl sie alle mittendrin standen und schon verbrannten. Die Menschen, die mit den Hegedunen, zum Beispiel als deren Wachen, oder mit der Legion zusammenarbeiteten, hatten alle ihre ureigenen Gründe zu schweigen. Für die Einen war es eine großzügige Bezahlung, oder die Hoffnung auf mehr Macht und Einfluss, für die anderen, wie Amander, war es Überzeugung. Für ihren Vater war es Liebe gewesen.

Evrill wurde jetzt ernster. „Sie sind wirklich vertrauenswürdig. Sie lassen sich nicht von Angst regieren und stellen sich der Wahrheit. Bisher habe ich es geschafft, dass sie mir vertrauen, sie nehmen uns nicht als Bedrohung war, die Hegedunen dafür schon! Sie können unterscheiden! Urteile nicht voreilig, bis du alle relevanten Fakten kennst! Es sind wirklich bemerkenswerte Individuen. Sie haben ihre eigene Organisation gegründet, nennt sich ‚Venusorden‘.“
Aurelia und Pareios tauschten maßlos erstaunte Blicke durch den Rückspiegel aus. „‘Venusorden‘? Was soll denn das sein?“ sprach Pareios die Frage aus, die ihnen beiden auf den Zungen brannte.
„Diese Gruppierung kennt die Geheimnisse der Elevender und die Machtstrukturen, die die Hegedunen installiert haben. Sie versuchen, die Menschen aufzuwecken und im Untergrund Widerstand zu organisieren.“ erklärte der nun geheimnisvoll wirkende Aristokrat weiter. Pareios und Aurelia waren skeptisch. Sie hatten beide schon erlebt, dass es immer wieder kleine Grüppchen von Freigeistern gegeben hatte, die über den Tellerrand hinausgeschaut hatten, aber Menschen waren sterblich und wenn sie den Planeten verließen, nahmen sie auch ihr Wissen und ihre Überzeugung mit sich. Bisher war noch nichts geschehen, das die Bevölkerung wie einen Flächenbrand in genügend hoher Zahl überzeugt hatte, aufzustehen. „Aber es sind nur wenige und wie gesagt, es sind Menschen. Ich denke, ohne unsere Unterstützung haben sie wenig Chancen.“ Evrill fuhr sich durch das Haar und konzentrierte sich kurz auf die Straße, da sie an einem Autobahndreieck angekommen waren. Er wechselte mehrmals elegant die Spur, ohne die Geschwindigkeit von etwa 200 Kilometern pro Stunde zu reduzieren, und schlängelte sich nur um Haaresbreite zwischen den anderen, wesentlich langsameren Autos hindurch.
„Ein paar meiner Freunde und ich versorgen sie mit Informationen und schützen ihre Stützpunkte so gut wir können. Bis jetzt sind es so wenige, dass das nicht sonderlich schwer ist, aber wenn ihre Zahl weiter anwächst, brauchen wir mächtigere Verbündete. Vor ein paar Wochen habe ich versucht, unauffällig Kontakte zum Rat zu organisieren. Mein Vater weiß nichts davon, weil er vor meiner Mutter nichts verheimlichen kann.“ Er lächelte leicht, als ob er diesen Umstand zwar bedauerte, aber doch um die tiefe Verbundenheit zwischen seinen Eltern dankbar war.
Aurelia schwirrte der Kopf von diesen überraschenden Informationen. Ein großer Trumpf der Hegedunen war, dass sie die Menschen in einer Art Matrix hielten, die ihnen eine heile Welt vorgaukelte. Wissende Individuen waren eine Gefahr für ihre Machenschaften. Aurelia konnte sich noch lebhaft erinnern, was es für einen Menschen bedeutete, aus einem solchen Traum, der ein ganzes Weltbild beinhaltete, aufzuwachen. Es war nicht nur verstörend, es zog einem den Boden unter den Füßen weg und man fühlte sich augenblicklich verloren, machtlos gegenüber der allesumfassenden Herrschaft der Hegedunen. Irgendwo sammelte sich in ihr Respekt für diese mutigen Menschen, die sich trotzdem zusammengefunden hatten und gegen diese alles kontrollierenden Kräfte vorgingen. Es war nicht nur mutig, es war ein Kamikaze-Vorhaben, was die Verzweiflung deutlich machte, in der sie stecken mussten.

Dass Evrill den Rat kontaktiert hatte versetzte sie zusätzlich in Aufregung.
„Mit wem hast du gesprochen? Vom Rat meine ich.“ erkundigte sie sich und konnte dabei nicht verhindern, dass die Worte hastig stolpernd über ihre Lippen schlüpften. Evrills Augen fixierten sie im Rückspiegel.
„Es war nicht Markus.“ entgegnete er schnell. „Sonst hätte ich es gestern schon erwähnt!“ Seine Miene war standhaft, aber doch entschuldigend. „Vor ein paar Jahren hatte ich ein kleines Têt-á-têt mit Xandra, Chronos‘ Tochter. Ich habe mich an sie gewandt und sie hat mir versprochen, sich umzuhören und vorzufühlen, wie die Stimmung im Rat für solche Aktionen ist. Bisher hat sie sich noch nicht gemeldet, aber ich glaube nicht, dass sie mich übers Ohr hauen will!“ Seine Stimme ließ einen zweideutigen Unterton verlauten und legte die Vermutung nahe, dass das kleine Stelldichein nicht das einzige war, das ihn mit Xandra verband.
Verdammt noch mal, Evrill war wie eine kleine Wundertüte voller Überraschungen!
Chronos war das älteste noch lebende Ratsmitglied. Er war schon seit Jahrhunderten im Amt, länger als Aurelia oder ihre anderen Kameraden überhaupt auf der Erde waren. Augenblicklich wunderte sie sich, dass diese ganzen Informationen noch nicht zu ihnen durchgedrungen waren. Vielleicht waren die Ratsmitglieder skeptisch, noch mehr Menschen einzuweihen? Vielleicht sorgten sie sich, dass, falls noch mehr von ihnen aufwachen würden, sich der grenzenlose Zorn der Masse auch gegen die Elevender der Legion richten würde, die beinahe seit Jahrtausenden gegen die Hegedunen kämpften. Denn die große Zahl der Menschen war das einzige, das eine wirkungsvolle Waffe gegen ihre Herrscher darstellte. Aurelia wurde von einer merkwürdigen Unruhe gepackt. Die Möglichkeit dieses unerwarteten Bündnisses trieb ihr den Schweiß in die Handflächen. Endlich nach so vielen Jahrhunderten, zeigten sich Ansätze echten Widerstandes unter dem Heer von Arbeitern, über das sie gewacht hatten, wie ein Hirte über eine Horde Schafe und doch nur das Nötigste hatten ausrichten können. Ihre Gliedmaßen kribbelten vor freudiger Erwartung, als sie sich vorstellte, dass das Ganze nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein könnte. Schon Schiller hatte einst geschrieben: „Die Großen hören auf zu herrschen, wenn die Kleinen aufhören zu kriechen.“
Vielleicht war endlich die Zeit gekommen, sich zu erheben, sie alle zusammen? Aber auf diese Frage gab es keine Antwort. Noch nicht.

So langsam wurde ihr die Tragweite des Gehörten bewusst und umso ätzender wurde das Misstrauen darüber, dass keiner von ihnen auch nur im Entferntesten über dies Vorgänge im Bilde gewesen war. Es juckte sie in den Fingern, Viktor anzurufen und ihm Bescheid zu geben, war sich aber nicht sicher, ob dieses Wissen in seinen Händen eine gute Waffe, oder ein schwaches Glied in der Kette bedeuten würde, zumal er bald Markus gegenüber treten würde. Auch Pareios musste das aufgegangen sein, denn er lehnte sich jetzt hochinteressiert zu ihrem neuen Teamkollegen herüber.
„Dir ist doch klar, wie wichtig diese Informationen sind?“
„Durchaus, deshalb hielt ich es für richtig, damit nicht zu hausieren. Aus eigener Erfahrung kann ich euch gar nicht deutlich genug machen, dass es gar nicht so schwer ist, als Spitzel an geheime Informationen ranzukommen. Ich sah keinen Zusammenhang und außerdem habt ihr mir gestern eingeschärft, dass es besser wäre, wenn das andere Team nicht zu viel weiß!“ Er zuckte resignierend mit den Schultern. „Glaubt ihr, das Ganze hängt irgendwie mit den Steinen zusammen?“
Aurelia und Pareios tauschten wieder einen Blick, es fühlte sich so alt vertraut an, sich wie ein festverbundenes Zweiergespann zu verhalten. Sie las in den weit aufgerissenen Augen dieselbe Verwirrung die sie empfand. „Keine Ahnung!“ gab sie schließlich zu. „Aber ich nehme an, dass zu diesem Zeitpunkt unserer Ermittlungen alles möglich sein könnte.“ Wie das alles zusammen passen sollte, war ihr im Moment allerdings völlig schleierhaft.
Hatte Xandra ihren Vater informiert, oder hatte sie sich nur unauffällig umgehört? Wussten die anderen Ratsmitglieder oder Markus davon? Wo waren sie überhaupt alle?
„Wenn du mit Xandra in Kontakt stehst, dann hast du vielleicht eine Idee, wo sich Chronos aufhält?“
„Soweit ich weiß, lebt er immer noch im Stützpunkt bei Kaliningrad. Aber ich werde Xandra fragen, wenn sie anruft. Sie ist leider sehr schwer zu erreichen, ist ständig auf der Jagd für die Legion.“ antwortete ihr Evrill. Er kaute sich auf den Lippen herum, offensichtlich war er besorgt, dass sie sich so lange nicht gemeldet hatte.
„Wie viele Menschen sind es eigentlich ungefähr?“ wollte Pareios jetzt wissen. Aurelia konnte sein Hirn förmlich rattern sehen, während er alles überdachte, was Evrill ihnen verraten hatte.
„Der Stützpunkt, in dem ich ein und aus gehe beherbergt etwa 300, aber es gibt noch ein paar weitere Unterschlupfe, genaue Zahlen hab‘ ich nicht. Ursprünglich dachte ich, das mit dem Rat wäre eine gute Idee, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher, nachdem was ihr gestern berichtet habt.“ zweifelte Evrill jetzt und Aurelia konnte ihm ansehen, dass er im Kopf schon alle Horrorszenarien durchspielte, die ihm in den Sinn kamen.
„Wart’s ab, wir wissen nichts sicher. Lass uns erst mal sehen, was als nächstes passiert. Eins nach dem anderen.“ insistierte Pareios ruhig und legte seinem Sitznachbarn die Hand auf die Schulter. „Egal was es ist, wir kriegen das hin. Jetzt kümmern wir uns um die Steine, dann kommt der Rest.“
Wieder ein Mal war Aurelia froh über Pareios positives Wesen, er war einfach genau das, was sie brauchte! Bevor sie sich versah, hatte sie sich schon vorgelehnt und ihm einen Kuss in den Nacken gedrückt. Er wandte sich nicht um, aber sie konnte sein seliges Lächeln im Seitenspiegel beobachten. Er gab ihr das Gefühl zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, und auch in ihr wuchs die Hoffnung auf ein glückliches Ende ihrer Mission. Sie klammerte sich daran fest, entschlossen nicht los zu lassen, denn jetzt hatte sie schlichtweg zu viel zu verlieren!







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