Gifted - Die Befreiung - Teil 22

Autor: Aven
veröffentlicht am: 16.08.2012


Hey Leute,
der nächste Teil ist wieder etwas länger und obwohl er vielleicht nicht so aufregend ist, stecken viele Infos für die Geschichte drin. Also ich hoffe ihr habt trotzdem Spaß dabei. Allen immer wieder Danke, dafür, dass ihr mitlest und kommentiert :D, ich freue mich immer über eure Meinung! ;D
LG und bis bald,
Aven

PS: An dieser Stelle muss ich mich Mal für die vielen Rechtschreibfehler entschuldigen! Ich lese die Texte öfter noch Mal, bevor ich sie hochlade, aber anscheinend kenn\' ich dann die Wörter schon auswendig und lese lauter Kram, der da gar nicht steht! Oh Mann ;D


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Kapitel 5


Im Endeffekt fiel kein Einwand, und niemand hatte einen besseren Plan parat. Alle fühlten sie sich im Chaos der Geschehnisse verloren und waren bereit nach jedem Strohhalm zu greifen, der auch nur einen Funken Hoffnung versprach. Ezekiel schwor, ihnen alles, was er besaß zur Verfügung zu stellen und weitere Kontakte zu aktivieren, um sich fortwährend nach der Bedeutung der Steine, oder sonst irgendwas Nützlichem umzuhören. Nachdem er ihnen auch mehrere Fahrzeuge zugesichert hatte, erhob sich sein Sohn.
„Wenn ihr somit nur zu zweit seid, wenn ihr euch mit Juliens Bekanntem trefft, werde ich mich euch anschließen!“ sagte er fest entschlossen, den Blick dabei auf seine Eltern geheftet. „Es wird langsam Zeit, aktiv zu werden! Ich habe mich lange genug zurückgehalten!“
Seine Mutter schlug die Hände auf den Mund, während stummes Entsetzen ihre schönen Augen weitete. Dies wich jedoch sofort der Durchsetzungskraft des löwenähnlichen Mutterinstinkts. Sie hatte es sogar geschafft, ihren Mann, ein angesehenes Ratsmitglied aus diesen ganzen Kriegen innerhalb der Elevenderrasse herauszuholen, da würde sie ganz sicher nicht bei ihrem Sohn die Segel streichen. „Das tust du nicht!“ sagte sie in einem so bestimmenden Ton, den Aurelia dieser kleinen, weiblichen Frau gar nicht zugetraut hatte. Er verriet Dominanz, die aus der Sorge um die Familienmitglieder erwachsen war und ließ keinen Zweifel, wer hier in diesem Haus die Hosen anhatte. Sie war noch nicht einmal aufgestanden, sondern lehnte sich mit unnachgiebiger Miene betont gelassen in das Leder des breiten Stuhls zurück.
Doch dann machte sie einen Fehler. „Sei nicht so dumm! Diese ganzen Kämpfe werden dich den Kopf kosten, ohne dass du der Sache nützlich sein würdest, so wie du es hier, im Hintergrund mit deinen Kontakten und deiner Bildung sein könntest!“ Es war eigentlich eine kluge Aussage, die sie nach anfänglicher Heftigkeit mit einem Kompliment an seine Stärken ausklingen ließ. Der Sohn, der jedoch darauf brannte, sich zu beweisen, wollte hier garantiert nicht vor all diesen Kriegern in die Schublade des sittsamen Gelehrten gesteckt werden, der sich die Hände nicht dreckig machen wollte.
Damit hatte sie ihn in die genau entgegengesetzte Richtung getrieben, als sie beabsichtigt hatte. Er verschränkte die Arme und senkte den Blick störrisch vor der Frau, die ihn geboren und ihn liebevoll großgezogen hatte und sagte dann ohne Schärfe aber deutlich. „Bei allem Respekt Mutter! Ich liebe dich, aber das ist nicht deine Entscheidung!“ Er drehte sich um und verließ den Raum. Er war zur Höflichkeit erzogen worden und die Etikette gebot, innerfamiliäre Differenzen nicht vor Gästen auszutragen. Evrill hatte mit seiner Entscheidung, in den Kampf zu ziehen und der gleichmütigen und milden Reaktion auf seine Mutter, sofort ein gewisses Ansehen innerhalb des Teams erlangt.
Seine Mutter jedoch war außerstande ruhig zu bleiben. Sie lehnte sich über den Tisch hinweg zu Aurelia hinüber und keuchte anklagend: „Ich hab euch hier in mein Haus gelassen, euch Hilfe angeboten und so dankt ihr es mir? Ihr nehmt mir meinen Sohn?“ Ihre Stimme wurde immer schriller, bis sie mit einem verzweifelten Laut abbrach. Ezekiel legte ihr von hinten die Hände auf die Schultern.
„Liebling, wenn du ihn liebst, musst du ihn freilassen! Er ist erwachsen, du hast ihn zu einem guten Mann erzogen, mehr kannst du nicht mehr für ihn tun.“ sagte er mit samtenem Baritonrollen. Seine Linke wanderte unter dem dicken Vorhang ihrer Haare seitlich an ihren Hals und strich diesen beruhigend auf und ab. Die Berührung hatte etwas zutiefst Liebvolles an sich und wirkte genauso, wie sie beabsichtigt war, genau wie bei jedem vorherbestimmten Elevenderpärchen. Velvet entspannte sich sogleich und legte den Kopf in den Nacken, um ein intimes Gespräch mit ihren Blicken, mehr war nicht nötig, mit ihrem Gatten zu führen.
„Es tut mir Leid!“ sagte sie schließlich höflich wieder an Aurelia gewandt. „Ich hatte mich nicht ganz im Griff. Ich hoffe, ihr könnt mir mein ungebührendes Verhalten nachsehen.“ Velvet stand langsam auf, um ebenfalls den Raum zu verlassen. Sie hatte nicht auf eine Reaktion der Anwesenden gewartet, von denen sowieso keiner einen Mucks von sich gegeben hätte. Sie hatten sich alle während des Wortwechsels bemüht, unsichtbar zu wirken und die Blicke unbeteiligt im Raum herum schwirren zu lassen.

„Ich nehme an, du gibst Acht auf meinen Jungen, Aurelia!“ sagte der Hausherr in die Stille, die auf die Flucht seiner Frau folgte. „Viktor hat mir viel von dir und deiner Gabe erzählt! Du bist zwar unkonventionell, aber treffsicher, also sorg dafür, dass mein Fleisch und Blut nicht unter die Räder kommt, in Ordnung?“ Es war mehr eine freundliche Bitte, aber hätte er die Macht dazu besessen, seinen Sohn mit schierer Willenskraft zu beschützen, so hätte er es getan, das vermittelte die Intensität seines Tonfalls. So musste er jedoch mir Aurelia Vorlieb nehmen.
Obwohl sie sich fühlte, als hätte man ihr eine neue Bürde auferlegt, brachte irgendetwas in ihr sie dazu, die Teilhabe Evrills an ihrer Mission nicht zurückzuweisen. Sie konnte es eigentlich überhaupt nicht gebrauchen, dass ein weiteres Leben in ihren Händen lag, aber etwas sagte ihr, dass dieses Leben vielleicht doch mehr von Bedeutung war, als es im Moment schien. Außerdem hätte sie sich selbst nicht abhalten lassen, wenn sie, so wie er, eine Entscheidung getroffen hätte. Sie seufzte zustimmend und brummte: „Meinet wegen.“ Sie fühlte sich dem Hausherren verpflichtet, der ihnen so selbstlos sein Heim geöffnet und ihnen jede Unterstützung zugesichert hatte, am Schluss sogar seinen Erben.
„Keine Sorge!“ mischte sich wieder Pareios ein. „Ich kenne Aurelia schon sehr lange und sie macht keine Fehler!“ Ihr Kopf schnellte zu ihm herum. Ihr kleines Spiel war für sie schon völlig in Vergessenheit geraten, bei all den Vorkommnissen der letzten Tage. „Dein Wort in Gottes Ohren!“ betete sie stumm und beklommen.
„Ezekiel, ich muss dich Leider um einen weiteren Gefallen bitten!“ Es tat ihr wirklich Leid, so viel von ihm zu verlangen, aber für ihre Bitte war er die beste Anlaufstelle. Er legte den Kopf schief, neugierig, wonach sie fragen würde. „Könntest du dich unauffällig nach den anderen Ratsmitgliedern erkundigen? Ich habe kaum Kontakte in die verschiedenen Stützpunkte der Legion, du dagegen…“
„Das wird sich machen lassen!“ stimmte er zu. „Ein paar meiner alten Kollegen sind noch im Amt, da wäre ein Anruf in alter Verbundenheit und ein netter Plausch doch mal wieder angebracht, meint ihr nicht?“
Sie beschlossen, alle weiteren Vorgehensweisen getrennt zu besprechen. Da Viktor, Aiden und Row zu Markus zurückkehren würden und sie somit in Reichweite seiner durchdringenden Gabe kamen, war es besser, wenn sie nicht mehr wussten und auch nicht mehr planten, als unbedingt nötig. So würden sie wenigsten nicht darüber lügen und damit ihre Intentionen preisgeben müssen. Sie vereinbarten, den Kontakt zwischen den beiden Gruppen ihres Teams auf ein Minimum zu reduzieren.
Der Nachmittag verging, während sie Pläne schmiedeten. Aurelia und Pareios hatten den großen, rustikalen Scharm besitzenden Salon verlassen und sich auf die Suche nach Evrill gemacht, der jetzt Teil der Mission sein würde und mit dem sie nun offen über ihre Pläne sprechen mussten.

Sie fanden ihn in der Küche zusammen mit Velvet, die gerade ein unheimlich gut duftendes Abendessen zubereitete. Sie stand vor riesigen Töpfen und Pfannen, während sie Berge an Gemüse und andere Ingredienzien, mit erprobten Händen in die Behälter verfrachtete. Der Herd war in eine Kochinsel in Mitten der riesigen Küche eingelassen, an der auch Evrill saß und Zwiebeln kleinschnitt. Auf der anderen Seite des Raumes saß ein weißhaariges Mädchen auf einem der zahlreichen Stühle um den Esstisch im Glaserker, sie konnte nicht älter als zehn Jahre sein. Die weichen Wellen fielen ihr bis tief in den Rücken, die Konsistenz ihres Haarschopfes hatte sie von der Mutter geerbt, genauso, wie die zierliche, winzige Figur. Sie war von elfengleicher Gestalt, mit cremefarbener, gläsern wirkender Haut. Die silbrigen Augen des Vaters, die in ihrem Gesicht ruhten, waren interessiert auf die beiden Gäste gerichtet, die nun den wohlig warmen Raum, dessen Luft geschwängert vom Dampf kochenden Wassers war, betraten. Im Arm hielt sie ein dickes Kaninchen, dessen Gewicht viel zu schwer für die zarten Glieder zu sein schien. Das Mädchen lächelte, als sie Aurelias Blicken begegnete und strich dem Tier gemächlich übers seidig glänzende, rotbräunliche Fell. Aurelia erfreute sich an dem unschuldigen und friedlichen Anblick des Elevenderkindes in dieser Idylle und fragte sich belustigt, welche Mischungen aus Ezekiel und Velvet wohl in ihren anderen sechs Kindern steckten. Sie konnte ihren Geist nicht davon abhalten, sich zu fragen, wie wohl ihre eigenen Kinder eines Tages aussehen würden.
„Oh, hallo ihr Lieben!“ sagte Velvet fröhlich und bat sie mit einem Wink näher zu kommen. „Habt ihr Hunger? Bestimmt seid ihr hungrig! Das ist übrigens meine jüngste Tochter Lisanne.“ sprudelte sie weiter in freundlichem, unverbindlichem Ton, während sie einen monströsen Metalltopf von der Herdflamme nahm und den Inhalt, einen riesigen Haufen Nudeln, überm Ausguss in ein Sieb schüttete. Aurelia nahm ihr diese mütterliche Art sofort ab und freute sich, dass sie das Kriegsbeil anscheinend begraben hatte. Pareios und sie grüßten höflich, dann bat sie vorsichtig: „Eigentlich wollten wir mit dir sprechen, Evrill.“ Er verstand und erhob sich von seinem Stuhl. Seine Mutter blickte ihm nach, jetzt mehr traurig als wütend und Aurelia konnte ihre Angst jetzt nachfühlen. Diese Zusammengehörigkeit in der Familie bestach mit ihrer Integrität und in diesem Moment dachte sie, dass auch wenn sie sich manchmal in den Haaren hatten, sie froh sein konnten, einen solchen Verbund zu besitzen. Mit Menschen, denen man wichtig war und denen man am Herzen lag, die einem auch umgekehrt alles bedeuteten. Ihr Wunsch nach so einem Gefühl wurde mit jeder Minute, die sie hier war stärker!

Evrill führte sie in sein Arbeitszimmer, das vor moderner Technik nur so strotzte und bot ihnen an, auf der breiten Ledercouch Platz zu nehmen. „Kannst du uns eine portable IT-Ausrüstung besorgen?“ fragte sie noch während sie den Raum mit dem geschäftsmäßigen Teppichboden durchschritt. Er lehnte sich lässig an den massiven dunklen Schreibtisch und lächelte selbstsicher. „Das dürfte kein Problem werden!“ Er stützte einen Arm auf den Tisch, mit dem anderen wies er in die hintere Ecke, wo bereits eine Menge Equipment befand, fein säuberlich in passende Transporttaschen verstaut. „Ich habe übrigens bereits die Adresse recherchiert, die Julien von dem Café durchgegeben hat. War nicht schwer zu finden, ist ne recht berühmte Tanzbar.“ Er grinste jetzt überaus zufrieden und sie durchschaute die mühsam ruhig gehaltene Oberfläche seines Gebarens, unter dem der erwachte Feuereifer und der Stolz über seine Fertigkeiten hervorschauten. Pareios schien hocherfreut. „Wunderbar! Wer hätte gedacht, was in dir steckt, Ev!“
„Schon gut, meine Mutter hat Recht, meine Bildung ist mein größter Vorzug.“ insistierte er. „Aber wenigstens weiß ich das zu Nutzen!“ Seine ungetrübt belustigte Miene offenbarte seinen jungendlichen Leichtsinn, trotz seiner überzeugenden Intelligenz. Ob er wusste, in welcher Welt er sich bewegte, wenn er solche Kontakte knüpfte und sich jetzt auch noch ihrer Truppe anschloss? Wusste er von den Gefahren?
„Hast du ein bisschen Erfahrung mit Kampfübungen?“ erkundigte sie sich vorsichtig, wobei sie seine Statur musterte.
„Mein Vater wäre nicht mein Vater, wenn er nicht der Auffassung gewesen wäre, dass es für uns alle, mich und meine Geschwister, unerlässlich war, uns zur Wehrhaftigkeit zu erziehen!“ sein diplomatisch aristokratischer Ton verriet nicht, was er genau damit meinte, aber vermittelte eine stoische Verlässlichkeit. Ezekiel war also klar gewesen, dass seine Kinder, falls sie seinen Geist geerbt hatten, irgendwann aus ihrem sicheren Käfig ausbrechen und der Erziehung Taten folgen lassen würden. Sie bewunderte die Komplexität der Bande innerhalb dieser Familie und konnte nicht umhin, sich für einen kurzen Moment der Vorstellung hinzugegeben, wie es wäre, ein Teil einer solchen zu sein. Ihre eigene Familie war wesentlich kleiner und schwächer gewesen und vor langer Zeit im tosenden Orkan der Hegedunen versunken. Auch ihre Eltern waren genau wie Velvet entschlossen gewesen, ihre Kinder aus den Schlachten ihrer Rasse herauszuhalten. Sie verheimlichten jedoch jegliche Informationen über die Elevenderwelt und ließen Aurelia glauben, sie wäre ein Mensch, genau wie ihre einzige Schwester. Der krasse Gegensatz leuchtete nun umso deutlicher, als Aurelia klar wurde, dass die Kinder Ezekiels durch seine kluge und vorbreitende Erziehung wussten, auf welcher Seite sie stehen wollten. Aurelia selbst hatte da weniger Erfolg gehabt.
„Ich will nicht unhöflich sein,…“ begann Pareios nun. „…, aber würdest du uns verraten, welche Gabe du hast? Nur, damit wir uns darauf einstellen können, wenn wir unterwegs sind!“
Evrill hob entschuldigend die Schultern. „Ich fürchte, es ist keine gute Angriffswaffe, aber es hat mir ein paar spitzenmäßige Kontakte beim CIA eingebracht, hab da ‘ne Weile gearbeitet. Ich kann die letzten Gedanken der Toten sehen.“ Aurelia hob erstaunt die Brauen. Von einer solchen Gabe hatte sie noch nie gehört, obwohl sie schon viele davon am eigenen Leib zu spüren bekommen hatte. Manche Gaben kamen häufiger vor, andere waren rarer gestreut und einige wenige gab es nur ein einziges Mal. „Und wie machst du das?“fragte sie daraufhin in echtem Interesse. „Durch Berührung. Dann sehe ich Bilder von dem, was die Person in den letzten Sekunden ihres Lebens gedacht hat. Manchmal sind eben auch die Gesichter der Mörder dabei.“ gab er mit einem Schulterzucken zurück, als wolle er sagen dass es nicht der Rede wert war.
Sie klärten Evrill mit knappen Worten darüber auf, dass es wichtig war, den Informationsfluss möglichst gering zu halten, da jeder, der etwas wusste, eine Sicherheitslücke für Markus, den menschlichen Lügendetektor, war. Er versprach, die Warnung ernst zu nehmen und räusperte sich dann vielsagend. „Da wäre übrigens noch was, was euch vielleicht interessieren dürfte. Die anderen wahrscheinlich auch. Ich bin eben von einem Kontakt aus Berlin per Email benachrichtigt worden. Kommt, und seht es euch an, es müsste gleich los gehen.“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und winkte ihnen, ihm zu folgen.

Dann kehrten sie zurück in die Küche, wo sich schon ein Teil der Familie und der Rest ihres Teams eingefunden hatten. Drei weitere Sprösslinge saßen um den großen runden Tisch und unterhielten sich angeregt mit Aiden und Viktor, während Row, entsprechend ihrer hilfsbereiten Art, wie selbstverständlich durch die Küche wandelte und Teller und Besteck hervorzauberte. Sie gehörte schon fast zum Inventar, wie sie zielstrebig nach den Schubladen langte. Auch ihr war deutlich anzusehen, wie sie in dieser heimeligen Atmosphäre, die dieser Ort ausstrahlte, aufging. Wer konnte es ihr verdenken? Selbst Aurelia ging es so.
Zwei von Ezekiels Kindern, ein Mann und eine Frau, sie saßen auf der ovalen Bank, wirkten bereits erwachsen und die Frau hielt den kleinen Jungen Elia zwischen den Armen in ihrem Schoß. Seine rosigen Wangen verrieten die Aufregung angesichts der vielen fremden Menschen. Alle waren sie Patchwork-Stücke aus ihren Eltern, es war erstaunlich.
Evrill ging zielstrebig auf die Wand zu, die gegenüber dem Erker lag. Dort befand sich ein großes Sideboard, aus dem jetzt, nach einem Knopfdruck, ein großer Plasmabildschirm herausfuhr.
„Mom, hast du was dagegen, wenn wir uns kurz die Nachrichten ansehen?“ erkundigte er sich nun liebenswürdig und seine Mutter wandte sich überrascht zu ihm um. „Wir haben Gäste, Evrill!“ stellte sie nur streng fest, was wohl einem deutlichen Nein gleichkommen sollte. Aber Evrill zuckte nur ungerührt mit den Schultern. „Eben deswegen!“
Jetzt mischte sich die junge Frau auf der Sitzbank ein: „Los Ev, mach die Kiste an, mich interessiert es auch!“ Sie wartete ab, bis sie den missmutigen Blick ihrer Mutter kassiert hatte, dann zwinkerte sie ihrem großen Bruder mit einem ihrer silbernen Augen zu. Ihr Kopf neigte sich dabei anmutig zur Seite, wobei der seidige kastanienbraune Haarschopf ihr auf eine Schulter fiel und den grazilen Hals entblößte. Sie war sehr groß und besaß lange schlanke Glieder. Insgesamt wirkte sie wie eine schmale Ausgabe einer Amazone und ihr Kommentar ließ auch ähnliche Charakterzüge erahnen. Evrill grinste ebenfalls hinter dem Rücken seiner Mutter und ließ dann den Bildschirm aufflackern. Die Teammitglieder verfolgten die Darbietung amüsiert, versuchten dabei aber möglichst unbeteiligt zu wirken. Höflichkeitshalber taten sie, als ob sie weghörten.
Sie hatten genau zum richtigen Zeitpunkt eingeschaltet. Der Nachrichtensprecher kündigte gerade die abendliche Zusammenfassung der internationalen Geschehnisse des vergangenen Tages an. Hinter ihm wurden zuerst verschiedene Bilder aus Kriegsgebieten eingeblendet und der Moderator gab einige Bombardements bekannt, die am frühen morgen im nahen Osten stattgefunden hatten. Dann wurde ein kleiner Film eingespielt, rechts oben im Bild stand das Wort ‚Berlin‘. Es war eine Hubschrauberaufnahme von einem Gefängnisgebäude. Der rechte Teil brannte, aber von der Rückseite stiegen lediglich noch ein paar Rauchwolken aus den schwelenden Brandstellen. Die Feuerwehr, heutzutage waren es vollautomatische Löschzüge, die nur einen Mann benötigten, um bedient zu werden, war angerückt. Die Wasserstrahlen waren auf den Eingangsbereich konzentriert. Um das Gebäude herum und auch jenseits der Außenmauern herrschte ein heilloses Durcheinander. Hunderte von Menschen rannten wild umher, während sie von allen Seiten von der Polizei eingekreist wurden. Der Moderator kommentierte die Szene: „Berlin. In den frühen Morgenstunden wurde ein Gefängnis im Stadtteil Schöneberg Opfer eines Anschlags. Offenbar war dies Teil eines Ausbruchsversuchs eines Insassen, dessen Identität allerdings noch nicht geklärt werden konnte, Experten bringen den Brandangriff jedoch mit der Maffia in Verbindung. Die Zahl der Verletzten in noch unbekannt. Die Polizei ermahnt die Bevölkerung Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben, bis sich die Lage in der ehemaligen Hauptstadt wieder entspannt hat. Die Beamten durchkämmen immer noch die Straßen nach entflohenen Häftlingen. Bitte lassen sie den Fernseher oder das Radio für weitere Neuigkeiten eingeschaltet. Tel Aviv….“ Alle blieben während des Berichts stumm. Dann sahen sie sich betreten an. Sie waren belustigt über die Erklärung, die den Menschen im Fernsehen über ihren Einbruch gegeben wurde, trotzdem empfanden sie Mitleid für alle Toten und Verletzten, die es in dieser Nacht gegeben hatte, egal wie sehr sie es auch verdient haben mochten.
„Ach kommt schon!“ rief Evrill. „Das war verdammt gute Arbeit, jetzt kriegt euch mal wieder ein!“ Die Stimmung entkrampfte sich ein wenig und Aiden grinste sogar ein bisschen selbstzufrieden. „Tja, wenn wir was machen, dann machen wir es richtig, stimmt‘s Aurelia?“ Aurelia konnte nichts erwidern, sie war zu gefangen von dem nächsten Bericht, der über den Bildschirm gesendet wurde. Darin hieß es, dass laut Zeugenberichten, eine amerikanische Drohne in der Nähe von Bukarest vom Himmel gestürzt war, bevor jedoch jemand die Wrackteile erreichen konnte, hatten sie sich in Luft aufgelöst. Aurelia fand eigentlich, dass es gar nicht so ungewöhnlich war, dass eine Drohne sich nach dem Abschuss selbst zerstörte, um nicht dem Feind in Hände zu fallen. Aber dass es noch nicht mal verkohlte Überreste gab, verwunderte sie doch. Auch die anderen wirkten aufmerksam.
„Meint ihr, die Legion hat was damit zu tun?“ warf Row in die Runde. Eher ratlos zuckte Viktor mit den Schultern. „Wenn wir es gewesen wären… Warum und wozu?“ Das Gefühl, dass in dieser Nachricht mehr steckte, als auf den ersten Blick zu erkennen war, ließ Aurelia einfach nicht los. „Wer auch immer es war, muss technologisch gut ausgerüstet gewesen sein, solche Dinger sind auf dem neusten Stand, die kann man nicht einfach so runter holen!“ Und er musste schnell gewesen sein! „Steck es einfach in unsere Sammlung mysteriöser Vorkommnisse, vielleicht finden wir ja in den nächsten Tagen mehr Antworten.“ brummte sie unzufrieden und setzte sich dann an den Tisch, an dem Velvet gerade das Abendessen anrichtete.
Diese unterbrach das nachdenkliche Gespräch ihrer Gäste, indem sie alle zu Tisch bat.
„So setzt euch, Schluss mit diesen ganzen schlechten Neuigkeiten, jetzt wird gegessen.“
„Jawohl, Mam!“ Evrill salutierte wie vor einem Offizier, was ihm wieder ein paar Lacher einbrachte und vertrieb das Unwohlsein, das im Raum lag. Bald waren alle Familienmitglieder dazu gestoßen und wurden dem Team vorgestellt, dadurch wechselten sie zu weniger bedrückenden Gesprächsthemen und kurz darauf erwärmte ihnen die köstliche Mahlzeit die Mägen und die Herzen. Sie sprachen über Gott und die Welt,
während das Abendessen friedlich und heiter verlief. Aurelia musste sich zusammenreißen, um unter all dieser herzerwärmenden Normalität ihr Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Aber das Fernsehprogramm hatte dafür gesorgt, dass es sich hartnäckig in ihrem Hinterkopf festkrallte. Die Familienmitglieder scherzten mit den Gästen, unterhielten sich und die Stunden vergingen wie im Flug. Es war einer dieser Abende, bei dem man schon, während er passierte wusste, dass man ihn nie vergessen würde. Er war so abstrus schön, dass er nur die Ruhe vor dem Sturm markieren konnte!



Sie beschlossen am nächsten Tag früh aufzubrechen und Aurelia war schon hinter Pareios die Treppe hinauf gestiegen, als Viktor sie am Handgelenk zurück hielt. „Hast du mal ne Minute?“ Der Satz entsprach einer Frage, aber der Ton klang eher nach einer unnachgiebigen Anordnung. Sie gab Pareios ein Zeichen, schon mal vor zu gehen und folgte dann seinem Bruder in sein Zimmer.
„Ich muss mich, glaube ich, bei dir entschuldigen.“ sagte er mit dem Rücken zu ihr gewandt, nachdem er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, er beließ jedoch die Hand auf der Klinke. „Mein Verhalten war absolut unprofessionell, bitte verzeih!“ er sah sie immer noch nicht an und wollte bereits die Tür wieder öffnen und sie hinaus komplementieren. Doch Aurelia in ihrer neuen Selbstsicherheit ließ sich das nicht gefallen. Sie trat mit einem Fuß vor die Tür, um sie zu stoppen, dann drückte sie sie mit der Hüfte wieder zu und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen. „Viktor, mir ist durchaus klar, dass es zwischen uns nie wieder werden kann wie früher,...“ „Das ist auch besser so!“ stieß er zwischen zusammengebissen Zähnen hervor, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen. Wut ballte sich in ihrem Bauch zusammen, jedoch wollte sie ihm nicht die Genugtuung geben, sie auf die Palme gebracht zu haben. In steinerne Selbstbeherrschung fuhr sie fort, als hätte er sie nie unterbrochen: „…, aber können wir uns nicht wie normale Menschen verhalten?“ All das, was in den letzten Tagen und Wochen zwischen ihnen zu Bruch gegangen war ging ihr durch den Kopf, sie sah all ihre Zweifel, die sie jetzt an ihm hatte, aber es war doch nichts gegen die Jahrhunderte, die sie Seite an Seite gekämpft hatten. Er war ihr engster Freund gewesen, hatte es mit ihr ausgehalten, da konnte sie doch auch jetzt seine neue Seite ertragen.
„Wir kennen uns schon so lange, deine Freundschaft bedeutet mir viel, Viktor, auch wenn ich nicht verstehe, was in dir vorgeht!“
Jetzt fuhr sein Kopf erschrocken zu ihr herum, sein kurzes Haar hing ihm in die gerunzelte Stirn, unter der jetzt das wild wabernde Grau seiner Augen in sie eindrang. Erstaunen über ihre aufrichtige, persönliche Aussage flutete sein Gesicht. Noch nie hatte sie so offen ihre Gefühle für ihn ausgesprochen und er traute seinen Ohren nicht. „Jetzt kannst du so etwas sagen? Nach all der Zeit kannst du Mal Klartext reden? Und du glaubst, damit wird alles von Zauberhand wieder wie früher? Willst du mich verarschen?“ Sie zuckte vor der Härte seiner Worte zurück. Wie weit musste sich Viktor in seinem Gefühlschaos ihr gegenüber verstrickt haben, bevor er Meredia getroffen hatte, wenn die sorgsam verborgene Wunde jetzt immer noch klaffte? Sie hatten sich nahe gestanden, auf einander Acht gegeben und waren doch immer durch Mauern getrennt gewesen – Mauern, die Aurelia selbst um sich herum aufgebaut hatte. Mauern, die Pareios nun zum Einsturz gebracht hatte. In ihrem tiefsten Innern wusste sie, dass sie sich selbst in diese Situation manövriert hatte, aber dass Viktor für sie Gefühle entwickelt hatte, hatte sie nie bewusst forciert. „Es tut mir Leid, Mann!“ sagte sie ehrlich betroffen. „Ich hab‘s einfach nicht begriffen, jetzt ist irgendwie alles anders. Und du bist auch nicht fehlerfrei mein Lieber, das haben wir ja gestern gesehen! Soll ich dir das jetzt auch ewig vorhalten?“
Das saß.
Er sagte nichts, während er zum Bett wanderte, sich an den Rand setzte, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht in die Handflächen gebettet. Er machte sich selbst die größten Vorwürfe, erkannte Aurelia und biss sich auf die Lippen. Die Folterung seines Bruders, kam seiner eigenen gleich. Eine schöne Freundin war sie, auch noch Salz in seine Wunde zu streuen, dachte sie, wobei ein Teil von ihr, der ihm immer noch grollte, zufrieden über seine innerliche Pein war.
Sie ließ sich neben ihm auf das weiche Laken nieder und legte ihm den Arm um die Schultern. So viel Trost hatte sie ihm in fast 300 Jahren nicht zu kommen lassen! Ja, sie hatte sich verändert, definitiv! Er lugte zwischen seinen Fingern hervor und betrachtete sie nachdenklich.
„Das wird schon. Mit der Zeit.“ murmelte er nach einigen Sekunden ganz in Gedanken versunken, dann blieb er still, als warte er darauf, dass sie endlich ging.
„Warum hast du’s mir nie gesagt?“ Sie traute sich fast nicht, danach zu fragen, aber jetzt war es auch schon egal. Viktor zuckte mit den Schultern. Er wich ihrem Blick aus, als er antwortete: „Weil du bist, wie du bist. Du wolltest nie dasselbe, wie ich wollte.“
Ihr war klar, dass dieser kleine Sieg alles war, was sie im Moment von ihm erwarten konnte. Sie drückte noch einmal seinen Arm, dann wollte sie das Zimmer verlassen. Im Türrahmen erreichte sie sein letzten Satz für diesen Abend: „Wenigsten kriegt Pareios jetzt diese neue Seite von dir!“ Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er diese Ehre keinem anderen gegönnt hätte.






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