Voiceless - Teil 15

Autor: emeliemia
veröffentlicht am: 08.08.2014


Schlaftrunken blinzelt er mich an, bis er nach zwei Sekunden begreift, was los ist.
»Hey. Tut mir Leid, ich bin eingeschlafen. Wie geht es dir? Wie geht es deinem Fuß? Bist du schon lange wach?«
Ich weiß nicht was ich antworten soll, geschweige denn wie ich antworten soll, weil er mir Erstens, so viele Fragen gestellt hat und Zweitens ich noch immer ein mulmiges Gefühl habe. Ich kann den Block nirgendwo sehen, bestimmt liegt der bei Sam Zuhause, also beschließe ich einfach mit den Schultern zu zucken.
Warum ist er hier? Gestern schien es, als wollte er mich nicht mehr sehen. Hat er seine Meinung geändert oder habe ich etwas missverstanden?
Er fährt mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Sein Blick ist voller Mitleid, etwas, was ich extrem an Personen verabscheue. Ich hasse Mitleid. Das kann ich überhaupt nicht gebrauchen.
»Ich bin seit ungefähr Elf Uhr hier. Du hast fast den ganzen Tag geschlafen.«, erzählt Sam. Anschließend berichtet er mir, was sich alles ereignet hat und der mitleidige Blick verschwindet: »Eric war hier. Er hat dich gefunden und den Krankenwagen gerufen. Der Arzt, der dich behandelt heißt Dr. Magnus und ist echt nett. Wir haben Dr. Hawn Bescheid gesagt, du bist in guten Händen bei Dr. Magnus. Und das Essen in der Cafeteria hab ich gratis bekommen. Aber geschmeckt hat es trotzdem nicht.«
Es muss eine Gabe sein, seinen Mitmenschen ein Lächeln aufs Gesicht zaubern zu können, egal wie schlecht die Situation gerade aussieht. Sam ist einfach er selbst und seine fröhliche Art ist total ansteckend. Mir fällt es immer leichter zu lächeln. Sam lächelt ebenfalls, was mich dazu bringt etwas stärker zu lächeln. Wegen ihn toben die Schmetterlinge in meinem Bauch anstatt sanft zu flattern.
Von außen betrachtet müssen wir bestimmt wie Idioten aussehen, die nichts Besseres zu tun haben als sich dumm und dämlich zu grinsen.
»Summer, ich muss dir was sagen.«, sagt er urplötzlich und sehr ernst. In meinem Bauch explodieren die Schmetterlinge und Hoffnung macht sich in mir breit. Hoffnung auf drei bestimme Worte.
»Ich mache mir unglaublich viele Sorgen um dich. Ich weiß, wir kennen uns erst seit ein paar Tagen, aber... Ich weiß auch nicht, wie ich das beschreiben soll. Wenn ich dich sehe, dann überkommt mich das Gefühl, dich vor Alles und Jedem zu beschützen und das ist unmöglich. Dr. Magnus hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen. Und das werde ich auch tun, egal ob du es willst oder nicht. Du bedeutest mir etwas. Ziemlich viel, um ehrlich zu sein. Und du musst nichts darauf antworten, ich möchte fürs Erste nichts wissen. Ich habe Dr. Magnus mein Wort gegeben.«
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich sprachlos. Wirklich sprachlos. Sonst hatte ich immer eine Antwort in meinem Kopf parat aber jetzt ist alles wie leergefegt.
Ich bedeute ihm etwas, waren seine Worte. Schon jetzt ist mir klar, dass dieser Augenblick, dieser Satz für immer in meinem Kopf bleiben wird. Wie lange ist es her, dass jemand so etwas zu mir gesagt hat?
»Ich hole was zu trinken, okay? Bin gleich wieder da.«, meint er und steht vom Stuhl auf. Und da übernimmt eine völlig fremde Macht die Kontrolle über meinen Körper. Ich richte mich auf, umklammere Sams Hand, ziehe seinen Oberkörper an meinen und schlinge meine Arme um ihn.
»Oh.«, macht er überrascht, erwidert meine Umarmung dann aber. Ich spüre wie er seinen Kopf an meinen Hals drückt und tief einatmet. »Du riechst gut.«, murmelt er, während seine freie Hand sanft über meinen Rücken fährt. Allein dieser Satz ist der Auslöser dafür, dass meine Knie wieder weich wie Butter werden. Meine Organe fahren Achterbahn.
Als wir uns voneinander losmachen, habe ich wieder die Kontrolle über meinen Körper und ich merke, wie meine Wangen sich röten. Sam lächelt und es ist genau jenes Lächeln, welches den Raum erhellt und mein Herz zum dahin schmelzen bringt. Worte sind nicht nötig, ich denke, er hat meine Geste sehr gut verstanden.
»Ich werde dir Wasser holen.«, sagt er und verlässt mit beschwingten Schritten den Raum.


- Sam -

Ich kann es noch gar nicht so richtig glauben, was Summer da eben getan hat. Sie hat zum ersten Mal aus freiem Willen Körperkontakt zu jemandem gesucht.
Noch ein weiterer Schritt weg von ihrem Mutismus. Ich habe wie schon so oft den Wunsch bis an die Decke zu springen, wenn sie einen Fortschritt gemacht hat.
Auf dem Flur begegne ich zwischen den vielen Pflegern und Schwestern Dr. Magnus und ich kann nicht anders als ihn breit anzustrahlen.
»Ah, sie ist also wach.«, sagt er und seine Mundwinkel zucken kurz nach oben. Ich nicke bekräftigend.
»Ich hole ihr gerade etwas Wasser. Sie verhält sich genauso wie sonst.«
»In Ordnung, das ist gut. Ich werde eine Schwester schicken, damit sie die Maschinen abstellt.«
»Danke Doc.«
Dr. Magnus nickt und dann ist er auch schon zwischen den anderen Pflegern, Ärzten und Schwestern verschwunden.

Zurück bei Summer fühle ich mich immer noch glückselig und wie berauscht. Ihr Duft unterscheidet sich vollkommen von dem, der anderen Mädchen, die ich kenne. Er zieht mich an wie eine Motte vom Licht magisch angezogen wird.
»Hier.«, ich reiche ihr das Glas und sie lächelt kurz, als Dankeschön. Unsere Hände berühren sich dabei und ich will am liebsten das Glas einfach fallen lassen und sie wieder an mich ziehen, so wie sie vorhin.
Scheiße, je mehr Zeit ich mit ihr verbringe, je mehr sie mit mir kommuniziert, je mehr Dinge sie sich traut zu tun, desto heftiger will ich sie. Wie lange soll das noch so weitergehen? Bis ich mich irgendwann nicht mehr beherrschen kann?
Sie trinkt das Glas in einem Zug leer, dann stellt sie es neben sich auf die Decke.
»Warte, ich räume das weg.«, murmele ich und greife danach. Wieder berühren sich unsere Hände und dieses Mal muss ich mich wirklich zusammen reißen. Ein kaum wahrnehmbares Zittern durchläuft meinen Körper und ich beiße die Zähne fest aufeinander. Ich stelle das Glas weg. Immer noch unter einer riesigen Spannung denke ich mir Sam, du musst irgendetwas unternehmen, sonst wirst du noch irre.
Also greife ich nach ihrer Hand und fahre wieder mit meinem Daumen über ihren Handrücken.
Eine Weile ist es still.
»Dr. Magnus schickt eine Schwester, die gleich kommen müsste. Damit sie dich von diesen Maschinen befreit, verstehst du?«, sage ich schließlich, nicht um irgendetwas zu sagen sondern um mich abzulenken. Ihre Hand zu halten hat eine beruhigende Wirkung und ich entspanne mich nach und nach.
Summer nickt und schaut dann nach draußen. Ihr Blick hat etwas Sehnsüchtiges an sich. Ich sehe ebenfalls aus dem Fenster. Man hat eine schöne Aussicht auf den Park des Krankenhauses von hier. Überall blühen Blumen, der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Es ist keine einzige Wolke zu sehen. Im Park gehen einige Patienten spazieren und geben dem gesamten Bild eine friedvolle und süße Note.
Das Öffnen der Tür lässt uns beide zusammen fahren. Herein kommt die Schwester.
»So Summer, dann befreien wir dich mal von - Ach, wie süß.«, meint sie fröhlich, als sie unsere ineinander verschlungenen Hände sieht. Summer verzieht keine Miene als die ganzen Kabel und Pflaster von ihr entfernt werden. Nur der Tropf bleibt.
»Wir behalten dich für eine Nacht hier, nur zur Beobachtung. Morgen früh um halb 10 kannst du entlassen werden, wenn alles so schön bleibt.«, mit einem ermunternden Lächeln verlässt die Schwester wieder den Raum.
»Schade, ich dachte, dass du noch heute nach Hause kannst.«, murmele ich. Unsere Hände sind immer noch ineinander verwoben.
Sie zuckt mit den Schultern und blickt erneut nach draußen. Die Sonne erleuchtet ihr Profil. Es sieht so schön aus, dass es weh tut. Summer wird nicht einfach von den Sonnenstrahlen angeleuchtet, sie umspielen sie zart, tauchen diesen wunderschönen Menschen in ein warmes Licht, welches ihr einen noch mehr den Hauch eines Engels verleiht. In diesen Augenblick bin ich sehr dankbar, dass Gott oder das Schicksal oder was auch immer diese übernatürliche Macht ist mich auf Summer hat treffen lassen. Ich muss an unsere allererste Begegnung im Brunnen denken. Sie war mir kurz vorher aufgefallen, so verloren wie sie in der Menge da stand. Schon da hatte ich gespürt, dass sie anders war. Sie war völlig in Gedanken versunken, als das Pferd auf sie zu galoppiert kam. Ihren verwunderten und dann erschrockenen Blick werde ich nie vergessen, er hat sich wie heißes Eisen in mein Gedächtnis eingebrannt.
Ihre Finger malen Kreise auf meinem Handteller und es kitzelt ein bisschen. Ich fühle mich überglücklich. Dass sie mich berührt, meine Hand hält, ist mehr als was ich erwartet habe.

Als ich das nächste Mal auf die Uhr schaue, ist es fast sechs. Die Besuchszeit geht bis 18 Uhr, was bedeutet, dass wir nur noch wenige Minuten haben, bevor ich gehen muss.
»Guck mal, es ist fast Sechs. Ich muss gleich gehen. Die Besuchszeit ist fast vorbei.«, sage ich leise. Ihre schönen, sanften Augen blicken mich an und sie drückt meine Hand einmal kurz. »Ich bin morgen da, um dich abzuholen, okay? Versprochen. Und dann machen wir was Schönes zusammen.«
Sie nickt und schenkt mir eines ihrer atemberaubenden Lächeln.


- Summer -

»Schlaf gut.«, Sam fährt ein letztes Mal mit seinem Daumen über meinen Handrücken. Dann erhebt er sich von seinem Stuhl und geht.
Ohne ihn kommt mir der Raum leer und dunkler vor. Es verstreichen einige Minuten, ohne dass ich irgendetwas mache. Mein Magen knurrt und ich frage mich ob jemand mir das Essen bringt oder ob ich in die Cafeteria muss. Woraufhin sich automatisch die nächste Frage in meinem Kopf bildet. Darf ich überhaupt aufstehen? Ich lasse mich mit einem tonlosen Stöhnen und Augen verschließen ins Kissen sinken. Wenige Augenblicke später klopft es und herein kommt die Schwester, die mich von den Maschinen befreit hat. Sie schiebt einen metallenen Wagen vor sich her, voll beladen mit Brot, Getränken und Aufschnitt. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen.
»Hallo Summer.«, sagt sie freundlich und ich versuche ebenso freundlich zu blicken. »Such dir aus, was du haben möchtest. Wenn du noch mehr willst, dann kannst du diesen Knopf hier drücken.«, sie deutet auf eine über mir hängende Fernbedienung. Ich nicke, um ihr zu zeigen, dass ich verstanden habe. Sie reicht mir einen Teller und ich nehme mir gleich drei Brotscheiben mit Käse und Wurst. Die Schwester grinst leicht und stellt mir ein Glas Wasser auf den kleinen Tisch neben mir. Ich blicke sie dankbar an. Dann fällt mein Blick auf den Tropf und ich muss wieder an meine Frage denken. Aber noch bevor ich überlegen kann, auf welche Art und Weise ich fragen kann, hat die Schwester mich bereits durchschaut.
»Wenn du aufstehen und spazieren gehen möchtest, dann kannst du einfach den Tropf neben dir herschieben.«
Ich nicke und versuche zu Lächeln. Ich glaube Dr. Hawn wäre sehr stolz auf mich, wenn er sehen würde, dass ich mit einem wildfremden Menschen kommuniziere und das macht mich irgendwie auch ein wenig stolz auf mich selbst. Es fühlt sich gut an.
»So, dann wünsche ich dir einen guten Appetit und eine gute Nacht. Bis morgen, Summer!«
Ich hebe die Hand zum Abschied und die Schwester verschwindet lächelnd aus dem Raum.
Die drei Brote habe ich in weniger als fünf Minuten aufgegessen. Eigentlich habe ich danach beschlossen ein wenig Fern zu sehen, aber seltsamerweise bin ich gleich nach dem Essen eingeschlafen.

Als ich das nächste Mal die Augen öffne und auf die Uhr blicke, ist es Sieben Uhr morgens. Es ist zwar schon hell, aber der Himmel ist grau, bedeckt von vielen dicken Wolken. Es sieht nach Regen aus.
Freude überkommt mich, bei dem Gedanken daran, dass Sam mich abholen wird. Ein warmer Schauer läuft mir den Rücken hinunter. Und ich schlafe wieder ein.
Zwei Stunden später werde ich von einer Schwester geweckt. Es ist nicht dieselbe von gestern und sie blickt auch nicht so freundlich drein wie die Andere.
»Du müsstest dich jetzt ein bisschen beeilen, in einer halben Stunde solltest du draußen sein.«, sagt sie mit mürrischem Unterton und entfernt mir den Tropf. Ich verziehe das Gesicht, weil sie mir dabei weh tut. Die Schwester ignoriert das und verschwindet dann aus dem Zimmer. Ich stehe auf, ganz langsam, damit sich meine Umgebung nicht dreht. Im kleinen Bad finde ich eine Zahnbürste und die dazugehörige Zahncreme. Ich putze mir die Zähne, schaue nach ob irgendwas von mir im Zimmer herumliegt und verlasse dann den Raum. Im Flur versuche ich mir zwischen den unzähligen Ärzten und Schwestern einen Weg durch zu bahnen. Doch mit einem Mal hält mich ein junger Arzt am Arm fest.
»Hey Summer. Wo willst du hin?«, fragt er gut gelaunt. Ich starre ihn an. Woher kennt er meinen Namen?
»Oh, entschuldige. Du weißt gar nicht wer ich bin. Mein Name ist Dr. Magnus und du warst bei mir in Behandlung.«, er reicht mir die Hand. Ich bin immer noch argwöhnisch, lege aber dennoch meine Hand in seine und schüttele sie.
»Also, wo willst du hin?«, wiederholt er seine Frage.
Ich deute nach unten, dann fällt mein Blick auf ein Notausgang-Schild und ich deute auch auf dieses.
»Ist es schon halb zehn?«, fragt Dr. Magnus erstaunt, blickt auf seine Uhr und fügt hinzu: »Oh, Ja. Die Zeit verging aber schnell. Dann wünsche ich dir noch schöne Tage mit Samuel.«
Er wirft mir ein kleines Lächeln zu, während ich rot anlaufe. Ist das so offensichtlich, dass ich mehr für Sam übrig habe, als nur Freundschaft? Und er irgendetwas dazwischen für mich empfindet?
Dr. Magnus verschwindet und ich stehe allein da. Mich kurz schüttelnd, gehe ich zu den Treppen.
Im Erdgeschoss ist eine große Eingangshalle, wo viele Personen um her eilen. Ich sehe ein Mädchen mit schneeweißen Gesicht, das sich mit verzerrter Miene den Bauch hält und von ihren Eltern halb gestützt, halb getragen wird. Ich sehe hustende, alte Menschen.
Aber keinen Sam.
Es ist Viertel nach Neun. [i]Die fünfzehn Minuten kann ich auch warten[/i{, denke ich mir und will mich gerade auf einen freien Stuhl an der Wand setzen, da taucht Eric in meinem Blickfeld auf. Was macht er denn hier?





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