Voiceless - Teil 3

Autor: Emiliemia
veröffentlicht am: 11.10.2013


Vielen Dank für die Kommentare! :) Hier ist der dritte Teil, viel Spaß damit!
Feedback ist wie immer erwünscht. :)


Während Tante Lauren überprüft, ob alles was ich brauche im Haus da ist, sehe ich mich oben um. Es gibt insgesamt zwei Zimmer in dieser Etage, ein Schlafzimmer und ein Badezimmer. Als ich das Schlafzimmer betrete, bete ich, dass es kein Doppelbett sein mag. Und ich habe Glück. Ich kann nämlich nicht in einem Doppelbett schlafen und der Grund dafür ist, dass ich Angst habe wegen der Größe darin zu verschwinden. Bescheuert, aber so ist es nun mal.
Ich stelle meine Reisetasche ab, gehe zum Fenster und öffne es. Von hier, habe ich Ausblick auf meinen zukünftigen Garten. Das Haus ist ein klein wenig außerhalb des Ortes und umgeben von Bäumen, doch das stört mich nicht. Ich bin sowieso eher ein Land– anstatt ein Stadtmensch. Am Ende entdecke ich ein kleines Tor und dahinter einen kleinen Weg, der direkt ins Dorf führt. Ich atme tief ein und schließe dabei die Augen. Die Sonne knallt nur so auf die Erde herab und die Luft ist heiß und staubig. Was mich aber nicht daran hindert, erneut tief einzuatmen. Als ich die Augen wieder öffne, weiß ich, dass es mir hier gefallen wird.
»Summer!«, kommt es von unten. »Ich gehe einkaufen! Du bleibst hier im Haus und gehst nirgendwo hin, verstanden?«
Eigentlich muss sie doch wissen, dass ich auf jede ihrer Regeln und Verbote pfeife, denke ich und runzle die Stirn. Ich höre die Tür ins Schloss fallen, dann wie Tante Lauren mit dem Auto wegfährt und ziehe meine Schuhe aus. Erst dann gehe ich die Treppe hinunter, raus in den Garten zum Tor.

Das sanfte Rascheln der Bäume und das Stapfen meiner nackten Füße, ist alles was man hört und es klingt wie ein geheimnisvolles Wispern. Schon seit ich denken kann, bin ich immer barfuß gelaufen. Mum und Dad hat das überhaupt nicht gestört, im Gegensatz zu Tante Lauren. Sie zwingt mich Schuhe anzuziehen, Schuhe, die drücken, Schuhe, die für meine Füße wie ein Gefängnis sind. Ich kann nicht ich sein, wenn ich Schuhe anhabe. Ich bin Summer und Summer muss barfuß sein, um zu existieren.
Um mich herum ist alles grün und bunt. Die Luft ist gefüllt mit Gerüchen von verschiedensten Blumen und ich habe das Gefühl ein bisschen high zu sein. Als ich unten ankomme, befinde ich mich am Rande eines Marktes. Obwohl es ein kleiner Ort ist, ist es hier doch ganz schön voll. Ich lehne mich gegen eine Wand im Schatten und beobachte das Geschehen. Tante Lauren habe ich tief in die hinterste Ecke meines Bewusstseins verdrängt.
Im Weg war es still gewesen, doch hier ist es laut. Jeder versucht den Anderen zu übertönen, damit man seine Ware kauft. Anscheinend kann man hier alles kriegen, fährt es mir durch den Kopf, als ich mir die Stände ansehe. Ich entdecke Obst und Gemüse und ein paar Stände weiter, Klamotten und Antiquitäten und weiterer Krimskrams. Mum hätte bei diesem Markt leuchtende Augen bekommen und Dad hätte darüber gelacht.
Meine Kehle schnürt sich zu und es bildet sich ein dicker, fetter Kloß in meinem Hals. Mit den Händen stoße ich mich stärker als gedacht von der Wand weg, stolpere in die Menge hinein und lasse mich von dem Strom mitreißen.
Denk nicht an sie.
Denk jetzt bloß nicht an sie.
Ich komme an einer kleinen Wasserfontäne vorbei und beschließe mich einfach auf den Rand zu setzen.
Hör auf.
Denk nicht an sie.
Ich zwinge mich tief Ein und Aus zu atmen und konzentriere mich auf das leise Plätschern hinter mir. Keine Ahnung, wie lange ich so da sitze, den Kopf gebeugt, die Augen geschlossen. Die Geräusche des Marktes sind zu einer Art monotonem Brummen geworden. Ich versuche mich abzulenken und frage mich, ob Tante Lauren schon wieder zurück ist und ob sie schon gemerkt hat, dass ich – mal wieder – eine ihrer Regeln nicht beachtet habe.

»Aaah!«, ein gellender Schrei durchbricht das monotone Brummen und holt mich wieder zurück. Es ist ein Mädchen, auf einem Pferd, das garantiert nicht hierher gehört.
Ein wenig zu spät merke ich, dass es direkt auf mich zu galoppiert. Ich starre es an, unfähig mich zu bewegen. Mein Gehirn schreit, ich soll zusehen, dass ich meinen Hintern von hier weg kriege, doch mein Körper gehorcht mir nicht, egal wie sehr ich mich abmühe.
Aus den Augenwinkeln erkenne ich wie ein Schemen, eine Gestalt, auf mich zustürzt und im nächsten Moment werde ich unsanft nach hinten gedrängt und falle.
Das Wasser ist eiskalt und ruck zuck ist meine Kleidung völlig durchweicht. Vor mir – oder besser gesagt – über mir, steht ein keuchender Junge, dessen nasse, schwarze Haare an seinem Gesicht kleben.
»Alles okay?«
Nein, ich bin klitschnass. Er auch, aber schließlich hat er uns beide ja ins Wasser befördert.
Er reicht mir die Hand und sagt: »Ich bin Sam.«
Ich sage nichts. Ich mache keine Anstalten seine Hand zu schütteln. Verwirrt sieht er mich an.
Eine Menschentraube hat sich um uns herum gebildet murmelt leise: »Sie steht unter Schock.« und: »Das arme Mädchen.« oder: »Ich kenne sie nicht. Wahrscheinlich eine Touristin.«
»Ist wirklich alles in Ordnung?«
Ich blicke zur Seite und merke, dass das Mädchen weg ist. Halt, Nein, dort hinten ist sie. Sie weint. Neben ihr steht eine Frau in Reitstiefeln, die vergeblich versucht sie zu beruhigen.
Gleich wird Sam verächtlich den Kopf schütteln, sich abwenden und gehen. Doch er bleibt. Und ich entdecke keine Verachtung oder sonst was in der Richtung, in seinen braunen Augen. Nur Sorge. Und ein klein wenig Neugier.
Und plötzlich steht Tante Lauren neben uns. Sie ist vollkommen aufgelöst, aus ihrer Hochsteckfrisur haben sich etliche Strähnen gelöst, die nun kreuz und quer in ihrem Gesicht hängen und atmet schwer, als hätte sie einen neunstündigen Marathonlauf hinter sich. Kaum ist sie aufgetaucht, zerstreut die Menge sich. Als würde Tante Lauren einen ansteckenden Virus in sich tragen.
»Mein Gott, Summer!«, sie presst mich fest an sich und erdrückt mich fast. Warum kann es ihr nicht einfach egal sein, was mit mir ist, wo ich bin und was ich mache? »Da bist du ja!«
Dann lässt sie mich los und zischt mich wütend an: »Was habe ich dir gesagt? Du solltest in der Wohnung bleiben! Ansonsten fahren wir gleich wieder nach Hause!«
Ich sehe sie nicht an, während sie mit mir spricht, sondern konzentriere mich auf die Pflastersteine. Rot, grau, rot, braun, grün-grau.
Ich kann es kaum erwarten bis sie endlich weg ist.
Dann fällt mir ein, dass Sam ja immer noch neben uns steht und werfe ihm einen kurzen Seitenblick zu. Er sieht Tante Lauren unentwegt an und wirkt vielmehr amüsiert, anstatt genervt.
»Summer, sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«, Tante Lauren schnippt mit den Fingern vor meinem Gesicht herum. Ich sehe sie an. Dann sehe ich wieder weg und Tante Lauren hält sich stöhnend die Stirn.
»Summer war keine Sekunde in Gefahr, falls es Sie beruhigt, Ma'am.«, sagt Sam plötzlich, packt den Saum seines T-Shirts und wringt das Wasser raus. »Sie saß hier und hat sich die Gegend angesehen, da hat mich jemand von hinten angerempelt und ich bin in sie hinein gestolpert. Dadurch sind wir dann ins Wasser gefallen.«
Er bringt die Lüge so unschuldig und perfekt rüber, dass sogar ich sie beinahe geglaubt hätte.
Tante Lauren sieht Sam scharf an, doch der zuckt nicht ein einziges Mal unter ihrem Blick zusammen.
»Und du bist?«, fragt sie in herablassenden Ton.
»Samuel Corey. Für die Meisten einfach nur Sam.«, er wirft mir einen freundlichen Blick zu und mit einem Mal wird mir ganz anders zumute. Mein Herzschlag beschleunigt sich. Ich merke wie mir das Blut in die Wangen schießt und blicke hastig weg. Was geschieht hier? Was macht er da mit mir?
Verwirrt sehe ich erneut zu ihm hin. Sein Blick ruht immer noch auf mir und ich blicke rasch wieder weg.
»Hrmpf.«, macht Tante Lauren, entspannt sich aber. Dann sagt sie: »Wir müssen jetzt los.«
»Ich verstehe, Ma'am.«, erwidert Sam höflich, doch seine Stimme hat einen kühlen Unterton angenommen.
Sie hat es schon wieder getan, denke ich wütend. Sie hat schon wieder einen Menschen vergrault.
Sam wendet sich an mich: »Ich muss dann auch mal los. Tschüss Summer. Ich hoffe, wir sehen uns mal wieder.«
Und da geschieht es. Meine Hand zuckt nach oben, die Finger gespreizt. Nur ein klein wenig, doch er hat es gesehen. Ich sehe noch, wie Sam lächelt und mir läuft ein warmer, angenehmer Schauer über den Rücken.
Dann werde ich von Tante Lauren fortgezogen, die von alledem nichts mitgekriegt hat. Und das soll sie auch nicht





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