Voiceless - Teil 5

Autor: Emiliemia
veröffentlicht am: 03.12.2013


Weiter geht's :) Viel Spaß beim lesen und tut mir Leid, dass es wieder so lange gedauert hat :/ Feedback ist wie immer erwünscht :)


Ich träume wirre Dinge. Immer wieder wird die Szene mit Mom und dem Bild vor meinem inneren Augen abgespielt. Es ist schrecklich. Denn auf dem Bild ist nicht eine Naturlandschaft mit einem kleinem Dorf ganz am weit am Horizont zu sehen, sondern die toten, leblosen Gesichter meiner Eltern.

Ich schwache schweißgebadet und keuchend auf. Schon wieder versagt. Ich schaffe es einfach nicht von diesen Träumen wegzukommen. Ich rolle mich zusammen, mache mich ganz klein und wische die Tränen weg, die sich in meinen Augenwinkeln angesammelt haben.
Was mache ich hier eigentlich? Wieso tue ich mir das an?
Ich leide nur. Jeder Tag ist ein einziges, großes Leiden.
Ein greller Lichtblitz mit darauffolgendem, lauten Grollen lässt mich heftig zusammenfahren und im nächsten Augenblick prasselt der Regen lautstark auf das Fenster. Es gewittert. Ich kuschele mich tiefer in meine Decke hinein und lausche den Geräuschen. Gewitter haben eine beruhigende Wirkung auf mich. Ich liebe Gewitter. Vor allem Nachts.
Irgendwann schlafe ich wieder ein und als ich am nächsten Morgen aufstehe und hinunter ins Wohnzimmer gehe, ist der ganze Holzfußboden nass. Mein Blick fällt auf die offene Terrassentür und ich könnte mich selbst ohrfeigen.
»Guten Morgen, Summer!«, ertönt eine gut gelaunte Stimme hinter mir und ich fahre erschrocken herum. Es ist Eric, der mich freundlich anblickt. Jedoch verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht, als er das Desaster hinter mir entdeckt.
»Ach du meine Güte! Es hat hier rein geregnet!«
Ach was, denke ich, fühle mich doch aber ein wenig schuldig, weil ich nicht daran gedacht habe, die Tür zu schließen.
»Hast du die Terrassentür offen gelassen?«, fragt er.
Auch wenn ich ihm antworten wollte, was ich nicht will, ich kann es nicht. Egal, wie sehr ich mich anstrenge. Egal, wie sehr ich es will. Irgendetwas blockiert das bei mir.
»Hm.«, macht er und greift zum Telefon. »Ich werde jetzt ein paar Arbeiter anrufen, damit sie den Boden auswechseln können. Keine Sorge, das hier ist mein Ferienhaus.«


- Sam -

Das Erste, was ich an diesem Morgen höre, ist das nervtötende Klingeln des Telefons. Halb verschlafen greife ich danach und halte es an mein Ohr.
»Ja?«
»Hey Sam. Bill ist krank und wir bräuchten Ersatz. Bei einem der Ferienhäuser, oben am Wald, muss der Boden ausgewechselt werden. Der ist total feucht, weil es letzte Nacht rein geregnet hat.«, erklingt Hugos Stimme am anderen Ende der Leitung.
Ich seufze innerlich und wette, dass Bill blau macht. »Ja, ich komme. Bin in zehn Minuten da.«, und lege auf.
Das ist der Nachteil, wenn man mit jedem Dorfbewohner eine gute Beziehung pflegt. Man wird immer um einen Gefallen gebeten.
Sieh es positiv, Sam, immerhin verdienst du ein paar Mäuse, sage ich mir, als ich aufstehe, mich anziehe und in die Küche schlurfe, um mir einen Kaffee zu machen. Und durch die körperliche Arbeit wird dein Körper fit gehalten, sodass du nicht so dünn und schlaksig bist.
Hugo hat mich praktisch mit erzogen und ist so etwas wie mein Ersatzvater geworden. Von ihm habe ich die Dinge gelernt, die nur von Mann zu Mann weitergegeben werden.
Die Ferienhäuser am Waldrand kann man durch den kleinen, schmalen Pfad erreichen. Jedes Mal, wenn ich dort langgehe, fühle ich mich wie im Dschungel und heute, mit der hohen Feuchtigkeit, die das Gewitter mit sich gebracht hat, wirkt das alles noch echter.
»Sam! Da bist du ja!«, Hugo begrüßt mich mit einem freundlichen Lächeln. »Es ist der Fußboden von Eric, den wir auswechseln müssen. Der ist total hin. Das Mädchen, was hier zur Miete ist, hat wohl vergessen die Tür von der Terrasse zu schließen.«
Ich horche auf. Ein Mädchen? Vielleicht Summer? Aus dem Augenwinkel erkenne ich einen Schemen in einem weißen Kleid, doch als ich genauer hinsehen will, macht Hugo mir einen Strich durch die Rechnung, indem er mich beiseite zieht.
»Sam, du musst wissen, dass das Mädchen nicht spricht. Sie leidet an Mutismus. Es bringt also nichts, wenn du ihr Fragen stellst.«, raunt er mit ernstem Blick. »Sie ist hier, weil das ein Teil ihrer Therapie ist. Eric sagt, dass der Arzt will, dass sie für eine bestimmte Zeit alleine lebt, ohne jemanden zu haben, der ihr hilft. Sie soll versuchen, auf irgendeine Art und Weise Kontakt mit den Menschen aufzunehmen. Nur damit du Bescheid weißt und es nicht zu Peinlichkeiten kommt.«
Ich nicke und schaffe es gerade noch mir das Grinsen zu verkneifen. Danke, Schicksal!


- Summer -

Ich hätte mit jedem anderen gerechnet, aber nicht mit ihm, nicht mit Samuel. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass er als Bodenauswechseldings arbeitet. Vielleicht ist er auch einfach nur ein Ersatz für jemanden.
Als er eintritt und mich entdeckt, lächelt er und nickt mir zu.
»Hallo Summer.«, sagt er und seine Stimme klingt ganz weich und angenehm. Er scheint Bescheid zu wissen. Eric muss es wohl allen Arbeitern erzählt haben. Einerseits bin ich ihm dafür dankbar, dass er es getan hat. So bleibt mir nämlich dieses nervige Geglotze erspart. Aber andererseits ist es eine private Angelegenheit und wenn Eric, dass jedem Heini verrät, der hier vorbei kommt … Nein. Das will ich nicht. Ich hasse es, wenn die Leute so umsichtig und behutsam mit mir umgehen, als wäre ich zerbrechlich, nur weil ich nicht rede. Ich bin nicht zerbrechlich. Ich will normal behandelt werden. So wie Dr. Hawn es tut.
»Ihr kennt euch?«, fragt Eric überrascht und Sam nickt.
»Wir hatten gestern einen – äh – kleinen Zusammenstoß.«, Sam grinst mir unauffällig zu und ich merke, wie mir die Röte ins Gesicht schießt.
»So so.«, macht Eric und ich sehe, wie etwas ganz kurz in seinen Augen aufblitzt. »Ich muss kurz etwas mit Dr. Hawn besprechen!«, sagt er mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht und verschwindet. Sam und ich stehen allein im Flur und schweigen uns an. Beziehungsweise, er schweigt mich an, denn ich rede ja sowieso nicht.
»Das war gestern ganz schön knapp.«, meint er schließlich und steckt seine Hände in die Hosentaschen.
Ich weiß, denke ich, ich bin nicht blöd.
»Ich wette, du willst nicht, dass dich alle anderen so behutsam behandeln, als wärst du aus Zucker.«, seine Stimme ist sanft, doch sein Blick ist stechend, herausfordernd. Er hat noch nicht einmal fünf Minuten gebraucht, um herauszufinden was du denkst, Summer, schießt es mir durch den Kopf, als ich seinem Blick Stand halte. Kann er Gedanken lesen?
Sam tritt ganz nah an mich heran, sodass ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüre. Jetzt wird auch sein Blick sanft und mein Herz schlägt augenblicklich ein paar Takte höher.
»Ich weiß, wie du dich fühlst.«, sagt er leise. »Ich – «
»Sam?«, tönt es aus dem Wohnzimmer und wir zucken beide zusammen. »Wo steckst du? Jetzt komm, ich habe dich nicht umsonst hergeholt!«
Er tritt zurück und ich bemerke, dass ich die ganze Zeit die Luft angehalten habe.
»Man sieht sich.«, er schenkt mir wieder ein kurzes Lächeln und geht davon.
Ich hole ein wenig zitternd Luft und lehne mich gegen die Wand. Was war das denn gerade eben? Ein Annäherungsversuch? Führt Sam irgendetwas im Schilde?

Ich brauche dringend frische Luft zum Nachdenken. Also beschließe ich, dass ich wieder den kleinen Pfad entlang laufen werde. Unbemerkt schlüpfe ich zur Tür hinaus und schleiche mich an der Hecke entlang zum Gartentor.
Das Rascheln der Bäume klingt anders als gestern, nicht mehr so geheimnisvoll sondern eher fröhlich. Als ob sie glücklich wären, dass ich hier wieder entlang gehe.
Ich genieße den kleinen Marsch hinunter. Diese Gegend hier lässt mich beinahe wie Zuhause fühlen.
Zuhause.
Prompt ist das gute Gefühl weg und ich sehe Mums und Dads lachende Gesichter vor meinen Augen, wie sie sich umarmen, wie sie sich einen Kuss geben. Ich schlucke die aufsteigenden Tränen hinunter.
Denk nicht an sie.
Meine Kehle schnürt sich zu und das Atmen fällt mir schwer. Irgendetwas drückt auf meinen Brustkorb.
Denk nicht an sie.
Ich zwinge mich tief Ein und Aus zu atmen. Der Weg wirkt auf einmal sehr schmal und engt mich ein. Ich will meine Schritte beschleunigen, doch ich je mehr ich es versuche, desto langsamer komme ich voran. Meine Sicht verschwimmt und irgendwann kann ich nichts mehr erkennen. Und noch dazu dieser Schmerz im Brustkorb.
Ich falle auf die Knie und rolle mich zu einer Kugel zusammen. Atme, höre ich Dr. Hawns Stimme in meinem Kopf. Atme.
Ich rieche die Erde und spüre das weiche Gras an meiner Wange. Sehen kann ich noch immer nicht. Die Geräusche um mich herum werden dumpf und verschmelzen zu einem monotonem Ganzen. Das Einzige, was ich hören kann, ist mein Herzschlag. Bum bum. Bum bum.
Und dann hört er plötzlich auf. Ich höre nichts mehr. Ich spüre nur noch wie ich in die Luft gehoben werde, bevor mein Bewusstsein mich dann endgültig verlässt.

»Sie hat einen Schock erlitten. Woher der kam, kann ich auch nicht sagen.«, die Stimme klingt tief und wie aus weiter Ferne. Ich kenne sie irgendwoher.
»Sollte nicht jemand Dr. Hawn davon unterrichten?«, diese Stimme ist ein wenig höher und auch sie kenne ich. Nur woher?
Ich schaffe es die Lider ein wenig anzuheben und sehe nichts weiter als eine weiße Decke. Dann taucht ein Kopf mit schwarzen Haaren auf, aber das Gesicht ist verschwommen.
»Sie ist wach.«
Noch mehr Köpfe erscheinen und so langsam verbessert sich meine Sicht. Ich entdecke Eric. Und die ganzen Arbeiter.
Und Sam. Natürlich.
In meiner Kehle ist es staubtrocken und heiß. Ich fühle mich so schlapp und ausgelaugt, als wäre ich tagelang ohne Wasser durch die Wüste geirrt.
»Macht euch wieder an die Arbeit, Jungs, wir sind zu viele um sie herum.«, sagt Eric und ich bin ihm dankbar dafür. Mir ist nach Heulen zumute. Schon wieder ein Anfall.
Alle wenden sich ab, bis auf Sam. Eric runzelt die Stirn, sagt aber nichts. Beide mustern mich und ich sehe an ihnen vorbei auf die Blumenvase, die nur mit Wasser gefüllt ist.
»Sie hat Durst.«, sagt Sam. Eric sieht ihn fragend an: »Woher weißt du das?«
Ja, das interessiert mich auch brennend, denke ich.
»Sie hat eben auf die Blumenvase geguckt. Und ich glaube kaum, dass sie die nicht vorhandenen Blumen so toll findet.«
Eric guckt ziemlich baff. Dann rafft er sich zusammen und eilt kopfschüttelnd in die Küche. Ich bin fasziniert. Er hat es schon wieder geschafft herauszufinden was ich will.
»Du hast eine ziemlich gute Beobachtungsgabe, Sam.«, sagt Eric anerkennend, als er wiederkommt und drückt mir das Glas Wasser in die Hand. »Komm, wir müssen ihr auf helfen.«
Ich will das Glas gerade an meine Lippen führen, als ich mich anders entscheide und Eric, der gerade seinen Arm um mich gelegt hat, das Glas über den Kopf schütte. Erschrocken weicht er zurück und ich schaffe es, mich alleine aufzusetzen.
»He! Was sollte das denn jetzt?!«
»Sie kann das alleine, Eric. Das will sie dir damit sagen. Guckst du ihr überhaupt ins Gesicht oder in die Augen, wenn du mit ihr sprichst?«, mischt Sam sich ein. »Man kann ihre Gedanken wunderbar in ihrem Gesicht lesen.«
Verärgert wischt Eric sich das Wasser von der Stirn. Sam nimmt mir das Glas ab und hält es ihm freundschaftlich hin. »Jetzt kannst du ihr ein neues holen.« Der murrt irgendetwas unverständliches, bevor er wieder in der Küche verschwindet.
Sam schüttelt den Kopf. »Den muss man ja noch erziehen.«, er wirft mir einen schelmischen Blick zu und ich merke, wie sich etwas in meinem Inneren löst und nach oben will. Ich will lachen. Zum ersten Mal seit dem Unfall, habe ich das Bedürfnis zu lachen. Doch alles was ich hinkriege, ist ein leichtes Hochziehen meiner Mundwinkel. Es fühlt sich anstrengend und gleichzeitig so gut an.
Sam sieht es und er strahlt. Und gleich habe ich das Gefühl, dass der Raum ein wenig heller wird.
»Wow. Du hast ein schönes Lächeln.«
Prompt werde ich rot, doch Sam grinst nur noch mehr. Ich glaube, er ist richtig stolz auf sich.
Was ist das für ein Junge? So einem Menschen bin ich noch nie begegnet! Er muss so etwas wie ein Heiliger sein, von Gott gesegnet.
»Hier, Summer.«, Eric drückt mir erneut ein Glas Wasser in die Hand, welches ich in einem Zug hinunterstürze. Er beugt sich zu Sam und murmelt: »Ich muss dich mal kurz sprechen. In der Küche.« Und zu mir sagt er: »Wir sind gleich wieder da. Rühr' dich nicht vom Fleck.«





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