Voiceless - Teil 2

Autor: Emiliemia
veröffentlicht am: 09.10.2013


So hier ist Teil 2 :)
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Viel Spaß beim Lesen!

Dr. Hawn und Tante Lauren haben sich eine regelrechte Schlacht geliefert. Natürlich war es vorherzusehen, dass Tante Lauren partout dagegen ist. Erst, als Dr. Hawn ihr klar machen konnte, dass das Teil der Therapie ist, die er sich für mich überlegt hat, stimmt sie widerstrebend zu.
Ich bin ihm unendlich dankbar, dass er mich von Tante Lauren befreit. Zum ersten Mal seit vier Monaten, verspüre ich so etwas wie Freude, wenn auch nur ein kleines bisschen, aber immerhin.
Den Namen des Ortes habe ich gleich wieder vergessen, doch das kümmert mich nicht. Es fühlt sich so schön an, so vertraut an, nicht zu wissen, wo man hingeht.
Losgehen soll es in zwei Tagen. Ich muss diese grauen, herzlosen Augen nur noch 48 Stunden lang ertragen.
Diese zwei Wochen sind wie eine kleine Lampe, auf dem dunklen Weg des Tunnels, zum Licht
Ich packe meine Sachen, nehme alle Dinge mit, die mir wichtig sind, das heißt, mein Lieblingsbuch und meinen Stoffbären, den meine Eltern mir zur Geburt gegeben haben. Tante Lauren versucht mit ständig irgendwelche Anweisungen zu geben, versucht zu erklären wie dies funktioniert, wie das funktioniert, doch ich höre ihr nicht zu. Dr. Hawn hat gesagt, ich soll alles alleine machen, alles alleine entdecken. Es fällt ihr schwer das zu akzeptieren.
Tante Lauren ist ein Kontrollmensch. Sie ist schon immer einer gewesen. Dad hat früher alles getan, was sie von ihm verlangt hat, er hat sie aus einem unerklärlichem Grund abgöttisch geliebt. Bis er Mum kennengelernt hat. Mum hat ihm die Augen geöffnet, ihn befreit. Mit Mum konnte Dad zum ersten Mal leben, so richtig leben. Und als ich dann auf die Welt kam, sah ich Tante Lauren und den Rest von Dads Familie so gut wie nie. Mum wollte nicht, dass ich auch nur ein wenig von der negativen Energie dieser Familie etwas abbekomme.
Wenn sie wüsste, dass ich jetzt bei Tante Lauren wohne...
Ich habe ein Foto von uns Dreien auf meinem Nachttisch stehen, doch ich habe es so hingelegt, dass ich das Bild nicht sehen kann. Ich habe noch nicht die Kraft es anzuschauen.
»Summer! Hast du alles fertig?«, Tante Lauren steht im beigen Mantel (es ist Mitte Sommer!) und Autoschlüsseln in der Hand im Türrahmen. Wie gerne würde ich sie an fauchen, dass sie zuerst anklopfen soll. Doch ich kann es nicht. Und außerdem – ich gebe mir garantiert keine Mühe für jemanden wie Tante Lauren. Eigentlich will ich mit dem Zug fahren, doch sie besteht wie immer darauf mich hinzufahren. Ihr Blick fällt auf meine fertig gepackte Reisetasche, die auf meinem Bett liegt.
»Gut.«, sagt sie. »Dann können wir ja los.«
Ich schultere die Tasche auf eine Schulter und einen Augenblick lang habe ich den Gedanken, dass ich einfach eine Panikattacke im Auto schieben könnte. Vielleicht würden wir dann mit dem Zug fahren. Doch schon im nächsten Moment erscheint mir das zu absurd und unlogisch. Das wäre meine erste Panikattacke im Auto und davor war ich schon damit gefahren, ohne jegliche Probleme.
Dann würde ich die drei Stunden Fahrt noch mit ihr aushalten müssen.

Während der Fahrt tue ich so, als ob ich schlafe, damit sie bloß nicht auf die Idee kommt, mir Moralpredigten zu halten, so wie sie es immer tut. Aus dem Radio tönt wieder ein scheußliches klassisches Stück. Meine Ohren schmerzen und ich sehne mich nach den Beatles oder Presley, alles Hauptsache kein Klassik. Meinetwegen könnte es auch diese Talkshows geben, wo der Moderator nur hirnloses Gequatsche von sich gibt, Hauptsache nur kein Klassik.
Mum hat immer gesagt, Klassik ist steif und kalt. Auch diese neumodische Techno-Scheiße ist nichts anderes als leere Töne, ohne Hintergedanken. Die einzig wahre, warme Musik ist die, die mit Herz geschrieben ist, wo der Text einen innerlich ganz tief berührt, wo man mit seiner Seele singt. Wie die Beatles eben.
Meine Mutter hat so viel gewusst. Ich staune jedes Mal über ihr unendlich großes Wissen, über ihre Art über sich und die Welt zu denken. Mum war eine Abenteurerin mit Herz und Seele, Dad und ich ihre loyalen Gefährten. Wir haben nie nach ihrer Pfeife getanzt, das hat sie nie gewollt, wir haben immer gemeinsam entschieden, wenn wir etwas unternehmen wollten.
Der Gedanke an meine Mutter treibt mir die Tränen in die Augen, obwohl sie geschlossen sind. Reiß dich zusammen, befehle ich mir selbst. In einem hat Tante Lauren – und das gebe ich wirklich nur ungern zu – Recht gehabt. Ich darf der Vergangenheit nicht nachhängen. Ich muss nach vorne schauen.

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn als ich meine Augen wieder öffne, fährt Tante Lauren gerade eine Kieselauffahrt hoch. Die kleinen Steine knirschen unter den Reifen. Außerdem steht noch ein weiteres Auto da. Ein grünes. Und daneben ein braunhaariger Mann mit freundlichem Gesicht. Das muss die Person sein, die jeden Tag nach mir sehen soll, fährt es mir durch den Kopf. Dann fällt mein Blick auf das Haus. Es ist klein, mit weißen, rissigen Außenwänden, einem kirschenrotem Dach und braunen Fensterläden, mit dunkelblauen Blumentöpfen, aus denen wilde Blumen wuchern. Wenn ich es mit einem Wort beschreiben müsste, dann würde meine Wahl auf niedlich fallen, denn das ist es – niedlich.
»Hallo, Mrs. Hampton. Hallo Summer!«, beinahe hüpfend kommt der junge Mann, der nicht älter sein kann als Mitte zwanzig, auf uns zu. Er trägt eine blaue Mappe unter dem Arm und erinnert mich irgendwie an einen hyperaktiven Jack-Russell. »Ich bin Eric, derjenige, der jeden Tag bei dir vorbeischauen wird.«, sagt er an mich gewandt. Tante Lauren mustert ihn argwöhnisch und ich sehe ihr an, dass es ihr überhaupt nicht gefällt, dass Dr. Hawn einen Mann als Betreuer für mich engagiert hat.
»Ich habe alle wichtigen Informationen über Summer von Dr. Hawn bekommen.«, er klopft auf die Mappe. »Hier sind die Schlüssel für das Haus.«, er drückt mir einen lang geformten Schlüssel aus Eisen mit einem grinsenden Smiley als Schlüsselanhänger in die Hand. »Wollen Sie es allein besichtigen oder darf ich Ihnen eine Führung anbieten?«, sein Lächeln ist immer noch sehr freundlich, doch als Tante Lauren mit einem kühlen: »Nein danke, wir kommen allein zurecht.«, antwortet, verrutscht es ein bisschen.
»Wie Sie wünschen.«, seine Stimme hat einen resignierten Unterton bekommen. »Bis morgen, Summer!«
Und schon ist er in sein grünes Auto eingestiegen und verschwunden. Das ist typisch für Tante Lauren. Anscheinend kann sie nicht anders, als Leute zu vergraulen und ihnen den Tag zu vermiesen.
Ich schultere meine Reisetasche und stapfe zielstrebig auf die dunkle Haustür zu.
Bald hast du es geschafft, bald bist du am Ziel, denke ich. Vor dir liegen zwei Wochen ohne sie.





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