New story - Teil 11

Autor: blue-haze
veröffentlicht am: 23.08.2013


Kapitel 11

Will

„Chris...“ Meine Stimme bröckelt. „Was machst du hier?“ Ob er mich gehört hat? Ich habe den Eindruck, der Regen verschluckt meine Worte, ehe sie zu ihm gelangen.
„Ich... wollte... nur...“ Er wirkt so weit entfernt. Seine Gedanken scheinen an einem völlig anderen Ort zu sein. Ich gehe auf ihn zu. „Was ist los mit dir?“ Erst jetzt sehe ich, dass ihm Tränen aus den Augen rinnen. Es ist nicht der Regen. Irgendwo auf seinen Wangen, verschmelzen sie mit den Tropfen, die auf ihn herab prasseln. Ich fühle mich verwirrt. Warum weint er? Ich nehme sein Gesicht in meine Hände und zwinge ihn mich anzusehen. Doch er wendet sich von mir ab und geht. „Chris? Chris! Warte!“ Er beginnt zu rennen. Zu schnell. Ich kann ihn nicht einholen. Wozu auch? Als wären wir Freunde die über ihre Gefühle reden. Ich wende mich zu Wills Grab um. „Er ist so anders als du.“ Aber warum vergleiche ich die beiden auch?
„Du schon wieder. Was hast du hier verloren?“ Eine Stimme die einen Schauer über meinen Rücken jagt.
„Habe ich dir nicht gesagt, du sollst dich vom Grab meines Sohnes fern halten? Du unglückseliges Kind?“
Ich antworte nicht. Wills Eltern mochten mich noch nie. In ihren Augen war ich schon immer ein Dorn. Jemand der ihrem Sohn nicht gerecht wurde. Als ich auch noch die geworden bin, die die letzten Atemzüge ihres Sohnes statt ihrer erlebt hat, hat der Tropfen das Fass zum überlaufen gebracht. Ich gehe ohne etwas zu entgegnen. Will würde keinen Streit zwischen uns wollen.

Das geliebte Lachen erklingt in meinem Ohr. So real als wäre er wieder direkt neben mir. Ich finde mich wieder an einem Sommertag und atme die frische Luft ein. „Ist das dein ernst, Willow? Von all diesen Blumen suchst du dir gerade die in der Farbe aus, die du am meisten hasst?“ Williams Lachen erfüllt an diesem Tag mein Herz und bringt es zum flattern wie den Flügelschlag eines Kolibris. „Bei Blumen ist das was anderes“, sage ich und knie mich vor die Blume, die ich ihm gezeigt habe. „Blumen sind das einzige, das Pink sein darf“, erkläre ich und hebe mein Gesicht zu ihm in einem warmen Lächeln. „Wenn du das sagst.“ Er beugt sich zu mir vor und raubt mir mit einem zarten Kuss meine Sinne. Im nächsten Moment, fühle ich etwas in meinem Haar und sehe, dass die Gerbera auf die ich vorhin gewiesen habe nicht mehr neben mir blüht sondern ganz offensichtlich in meinem Haar steckt. Zwinkernd bezeichnet er mich als seine Blume und schreitet aus dem Feld. Ich weiß noch, wie ich ganz perplex hinter ihm her sehe.

Ein Klingeln weckt mich aus meinen Gedanken, als ich am See sitze. Blinzelnd wische ich mir die Tränen vom Gesicht. „Chris“, zeigt mir mein Display an. Ich nehme den Anruf entgegen. „Hallo?“
„Will?“
Eindeutig nicht Chris.
„Ähm...ja.“
„Ist Chris bei dir?“
„Nein“, gebe ich gedehnt zurück. Wer zum Henker ist dran?
„Verdammt. Er ist völlig aufgelöst zu Hause angekommen und ist wieder abgehauen ohne sein Handy mit zu nehmen.“
„Jason, bist du es?“
„Ja.“
„Sag das doch gleich“, brumme ich. „Er ist mir heute zum Friedhof gefolgt und ist plötzlich weggerannt. Er wirkte ziemlich verstört.“
„Verammt... weißt du wo er sein könnte?“
„Nein. Woher auch?“
„Ich weiß nicht.“ Er klingt sehr verzweifelt.
„Was ist mit seinen Freunden aus der Gemeinde?“
„Die haben ihn alle auch nicht gesehen.“
„Warum machst du dir solche Sorgen?“
„Das letzte Mal, dass ich ihn so gesehen habe, ist zwei Jahre her.“ Eine lange Pause entsteht. „Will. Bitte hilf mir ihn zu finden. Ich habe dir geholfen. Hilf meinem Bruder.“
„Es ist nicht so, dass wir Freunde sind. Ich habe nicht ansatzweise eine Ahnung wo er sein könnte. Ich werde sehen, was ich machen kann.“ Aber wenn der Vollpfosten nicht einmal sein Handy dabei hat, gestaltet sich die Sache nicht gerade einfacher.

Ich suche den Park ab. Als die Suche dort erfolglos bleibt, fahre ich zu den Plätzen, an denen ich mit ihm gewesen bin. Sogar zum Gemeindehaus fahre ich, doch ich finde ihn nicht. Verärgert setzte ich mich und rufe Jason an. „Ich habe keine Ahnung wo er ist.“
„Bitte. Such weiter.“ Ich verdrehe die Augen. „Wo denn?“
„Lass dir was einfallen.“ Er klingt noch verzweifelter als zuvor. Wortlos lege ich auf und denke nach.
Vor zwei Jahren hat er sich das letzte Mal so verhalten. Vor zwei Jahren... Ungefähr vor zwei Jahren, hat er sich so radikal verändert. Mit geschlossenen Augen, lasse ich mir alles durch den Kopf gehen, was ich über ihn weiß. Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, die ich aufreiße, als hätte mich jemand gebissen. Ich springe auf und nehme den letzten Bus zum Stadtrand.
An den Parkplätzen, dort wo wir unsere Kämpfe austragen, steige ich aus und gehe zu der immer leeren Fläche, die kein Mensch mehr zu betreten wagt.
Die Erinnerungen übermannen mich. Dort an der Stelle, wo ich vor zwei Jahren neben einem leblosen, blutüberströmten, vom Regen bedeckten, Körper kauerte, sitzt in genau der selben Position ein Junge, einzig beleuchtet vom fahlen Mondschein. Es ist weder der Chris, den ich kennengelernt habe, noch der Chris, den ich bis vor zwei Jahren auf dem Schulflur gesehen habe. Es ist ein am Boden zerstörter Chris.

Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Warum ist er hier? Was hat er mit Wills Tod zu tun?






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