Autor: Spatzl
veröffentlicht am: 05.07.2012
Ich hoffe, euch gefällts;)
12. Nervenflattern, Wichteln & rote Rosen
Der Wecker klingelte schließlich unbarmherzig und zum ersten Mal in meinem Leben startete ich nicht fit wie ein Turnschuh in den Tag. Am liebsten würde ich mir wieder die Bettdecke über den Kopf ziehen, mich krank melden und vor der Aufführung drücken.
„Verdammter Mist, warum muss ich auch nur auf die Schnappsidee kommen und Schauspielerin werden wollten“, fluchte ich vor mich hin, während ich mich aus dem kuschelig warmen Bett quälte.
In der Schule sah man mir meinen Zustand wohl auch an, denn Nath und Jonas fragten mich, mit welchem, Fuß ich denn aufgestanden sei.
„Mit dem linken natürlich!“, murrte ich unter Kapuzenshirt hervor.
„Lass mich heute Abend bitte nicht im Stich“, ertönte plötzlich eine wohlbekannte Stimme hinter mir.
„Werde ich sicher nicht, Brian!“, entgegnete ich freundlich. Was war nur mit ihm los? Er klang schon wieder so ungewohnt belegt und kurz angebunden. Was war nur los?
Mittlerweile war ich mir sicher, dass ich irgendwie verflucht und auf Ewigkeit mit diesem Kerl auf irgendeine Art und Weise verbunden war, denn ihn so zu sehen, machte mich krank. Der Schmerz nahm meinen ganzen Körper ein und breitete sich bis in das tiefste Tief meiner Seele aus. Noch sehr viel länger hielt ich das nicht aus, Brian verletzte mich, obwohl er gerade nicht einmal etwas Böses tat!!! Sein Schmerz war mein Schmerz, was auch immer es war, das ihm im Moment so zu schaffen machte. Wenn ich dem Glauben schenkte, was ich fühlte, dann war es auf jeden Fall keine kleine Last, die er zurzeit mit sich rum zu tragen schien!!! Es fühlte sich wahrhaftig an, als würde es einen erdrücken und Stück für Stück von innen heraus auffressen! Ein furchtbares Gefühl!
Vielleicht wäre es das Beste, Brian einfach reinen Wein über meine Gefühle einzuschenken, dann wäre die Sache zwischen uns ein für alle mal geklärt! Das war mein großer Vorsatz, sobald die Aufführung vorbei war!!!
Kürz bevor ich mich dann am Nachmittag auf den Weg machte, fiel mir ein, dass ich noch immer kein Geschenk für Brian hatte.
„Verdammter Mist“ Ich steckte meine Hände tief in die Hosentaschen und sah mich panisch in meinem Zimmer um. Plötzlich fühlte ich ein zusammengefaltetes Papier zwischen meinen Fingern: Das Gedicht…
Hastig faltete ich es auseinander und hatte plötzlich des Rätsels Lösung in den Fingern. Das Geständnis würde ich Brian in Form des Gedichts machen. Von einem spontanen Wahn gepackt, schrieb ich den Text in verschnörkelter Handschrift auf ein schönes Papier und verpackte es zusammen mit einer Schachtel Pralinen.
Oh Gott, was tat ich hier nur?!?
Aber es half alles nichts, irgendwann musste es raus und nach der Aufführung hielt ich für den passenden Zeitpunkt. Darüber ob ich letztendlich wirklich das Päckchen an Brian übergab, war ich mir noch nicht so sicher. Wahrscheinlich bekam ich im letzten Augenblick dann doch kalte Füße und kniff!
In der Aula wartete Anja schon ungeduldig auf ihre ganzen Schäfchen.
„Na endlich, Sam. Jetzt fehlt nur noch Brian! Wo bleibt dieser verdammte Junge nur?“ Sie lief umher wie ein aufgescheuchtes Huhn und brachte in ihrer Aufregung alle aus dem Konzept.
Hoffentlich kam Brian überhaupt! Diesen Gedankten behielt ich allerdings für mich, denn ich wollte Anja nicht noch weiter aufregen.
Dieses Mal sollte ich mit meiner Befürchtung allerdings nicht Recht behalten, denn kurze Zeit später steckte Brian seinen bemützten Kopf durch den Vorhang.
„Hey Leute, alles klar?“
„Quatsch nicht lange rum, sondern komm endlich!“ Anja packte ihn energisch am Ärmel seiner Jacke und zog ihn zur Maske. „Ihr anderen kommt gefälligst auch mir. Wir haben nicht ewig Zeit!!!“
Als wir dann alle perfekt gestylt wieder zusammentrafen, hatte sich Anja noch immer nicht beruhigt. Ganz im Gegenteil, sie war noch aufgeregter wie zuvor.
„Mensch Anja“, platze Kathi nun der Kragen, „wir werden das schon schaukeln“-„Beruhige dich doch mal ein bisschen“, fügten Jessie und Jana hinzu.
„Ihr habt ja recht“ Aufseufzend ließ sie sich in einen Stuhl fallen und atmete tief durch.
„Mach es uns einfach nach und chill ein bisschen rum, bevor es richtig zur Sache geht“, grinste Luke, der ganz entspannt auf dem Boden saß und sich nicht aus der Ruhe bringen ließ.
Wie konnten die Jungs das nur so locker sehen? Ich war in so einem Augenblick alles andere als entspannt drauf. Mir ging es eher wie Anja.
Nach der Maske huschten schließlich alle in die Umkleide und schmissen sich in ihre ersten Kostüme.
„Mensch Sam, du siehst wunderschön aus!“, bewunderte Sarah mein Kleid. Es war aus tiefrotem Samt mit goldenen Stickmustern und vielen Perlen verziert. Meine langen Haare waren zu leichten Locken frisiert worden und fielen mir in sanften Wellen über die Schultern. Ich war rundum zufrieden mit meinem Aussehen.
Schließlich versammelten sich alle in dem Raum, von dem aus schließlich in ein paar Minuten die Bühne betreten werden sollte. Hier hielt Anja ihre letzte Predigt: „Also Leute, die Bühne ist aufgebaut, ihr seid umgezogen und fertig geschminkt und könnt hoffentlich alle euren Text! Wenn nicht, werden dem- oder derjenigen die Hosenträger stramm gezogen, sofern er oder sie welche trägt. Viel Glück euch allen. Ich weiß, dass ihr es könnt!“
„So und nun zu euch, meine Lieben“ Sie nahm Brian und mich zur Seite. „Reißt euch einfach zusammen und spielt wie ihr noch nie in eurem Leben gespielt habt! Warum trägst du eigentlich diese komische Kopfbedeckung?“ Sie nickte in Richtung von Brians Kopf. Er hatte es tatsächlich nicht lassen können, sich passend zu seinem Kostüm eine Mütze, Hut, oder was auch immer das Ding auf seinem Kopf darstellen sollte, zu organisieren.
Damit war es mir nicht einmal bei der Hauptaufführung vergönnt, ihn ohne Mütze zu sehen. Schade…
Mit diesen paar Worten ließ Anja uns einfach stehen, als wollte sie uns Zeit geben, eventuelle Probleme, die der bevorstehenden Aufführung im Wege sein könnten, zu beseitigen. Doch dafür reichte die Zeit nicht aus. Was auch immer in den letzten paar Tagen mit Brian los war, ließe sich sicherlich nicht innerhalb von ein paar Minuten in Worte fassen. Wahrscheinlich würde er es mir sowieso nicht erzählen! Also sprach ich ihn erst gar nicht darauf oder auf irgendetwas anderes hin an. Einen kurzen Augenblick lang lag eine fühlbare Spannung zwischen Brian und mir in der Luft, doch dann wandte er sich resigniert ab.
Traumatisiert blickte ich ihm nach, wie er im nächsten Raum verschwand. Zerknirscht musste ich zugeben, dass dieses komische Teil auf seinem Kopf seiner Schönheit keinen Abbruch tat und ausgezeichnet zu seinem mittelalterlichen Kostüm passte.
Kopfschüttelnd folgte ich ihm hinter die Bühne und erhielt gleich darauf die Anweisung, mein Wichtelgeschenk zu holen und auf den darauf vorbereiteten Tisch zu legen. Also flitzte ich hastig in die Umkleidekabine und fischte das Päckchen aus meiner Tasche.
Ursprünglich hatte ich vorgehabt, es Brian nach der Aufführung persönlich zu geben, aber so musste er wohl oder übel herumrätseln von wem es wohl war, denn ich hatte weder eine Unterschrift, noch meinen Namen unter das Gedicht gesetzt.
Unschlüssig stand ich nun vor dem Tisch. Sollte ich es wagen?
Bevor ich auch nur über die Folgen meines Handelns nachgrübeln konnte, hatte meine Hand das Geschenk schon unbemerkt auf den Tisch gelegt.
Schließlich gab Anja diesen zum Sturm frei und alle fielen über die Geschenke her.
Etwas im Hintergrund gehalten beobachtete ich, wie Brian das seine gefunden hatte und sich zum Auspacken in eine Ecke verzog. Ich wollte ihn dabei beobachten, doch auf einmal schob sich Franzi ins Bild und verdeckte mir die Sicht.
Verdammt!
Verzweifelt versuchte ich, auch nur einen kleinen Blick auf Brian zu erhaschen, aber keine Chance. Franzi stand da wie ein Fels und machte auch keinerlei Anstalten sich zu bewegen. Als sie sich dann endlich offensichtlich glücklich mit ihrem Wichtelpäckchen den andern Mädchen anschloss, war Brian wie vom Erdboden verschwunden und auch von den anderen Jungs war keiner mehr zu sehen.
Ich seufzte tief: Passiert war passiert und nun ließe sich auch nichts mehr rückgängig machen. Schließlich machte ich mich auf den Weg um mir mein eigenes Geschenk abzuholen. Mittlerweile war es das letzte Päckchen, das mutterseelenallein auf dem großen Tisch lag. Eilig riss ich das Geschenkpapier herunter und staunte nicht schlecht, als ich den Inhalt schließlich in der Hand hatte.
Es war ein antikes Schriftstück, Buch konnte man kaum dazu sagen, eher ein gebundenes Skript aus starren Pergamentblättern, die völlig abgegriffen und schon halb kaputt waren. Doch trotzdem ließen sich die in geschwungener Handschrift geschriebenen Buchstaben des Titels deutlich erkennen:
Shakespeare’s Romeo and Juliet
Langsam blätterte ich das starre Deckblatt um und hielt den Atem an:
The Most Excellent and Lamentable Tragedy of Romeo and Juliet (1597)
Der Originaltitel des Werks! Das Erscheinungsjahr!
„Nein“, stieß ich ungläubig aus, „Das kann nicht wahr sein! Das glaube ich jetzt nicht!!“ Ich schüttelte immer und immer wieder verwundert den Kopf.
Denn wenn der Gedanke, der mir gerade in den Sinn kam, sich als richtig erwies, dann hielt ich gerade eben in diesem Augenblick nichts anderes als eine der original von Shakespeare in Handschrift verfassten Urfassungen von Romeo and Juliet aus dem Jahre 1597, dem Erscheinungsjahr der Tragödie, in meinen zittrigen Händen.
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