Take me anywhere - Teil 24

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 18.01.2012


Ich hörte die Klingel durch die laute Musik und das brabbelnde Stimmegewirr der vielen Leute, von denen ich selbst nur ungefähr die Hälfte kannte, kaum. Ich drängelte mich an einem kleinen Grüppchen von Studenten vorbei, die mir allesamt unbekannt waren. Wahrscheinlich waren sie Freunde von Fabi oder Leon oder Moritz. Vielleicht auch von Helena. Ich hatte keine Ahnung. Eigentlich wollte ich nur im kleinen Kreis feiern und habe auch nur mit 10-15 Leuten gerechnet. Doch kleine Partys gab es im Wortschatz von Fabi und Moritz nicht. Also wurden kurzerhand aus den zehn Leuten, knapp 40.
„Ja?!“ brüllte ich in die Sprechanlage.
„Mila, ich bin’s“
Ich brauchte eine Weile um zu erkennen wer „Ich bin’s“ ist.
„Lukas“ fügte er hinzu, als er begriff, dass ich ihn nicht erkannt hatte.
„Ah – klar! Komm rauf“ Dann drückte ich auf den Türsummer und hörte wie die Haustür geöffnet wurde.
Ich öffnete auch die Wohnungstür und blieb am Türrahmen angelehnt stehen, als Moritz von hinten sein Kinn auf meine Schulter stütze und mir leise ins Ohr flüsterte: „Auf wen wartest du?“
Bevor ich antworten konnte, hörte ich die schrille Stimme von Karo hinter mir. Immer wenn sie betrunken war, wurde ihre Stimme um mindestens eine Oktave höher.
„Moritz, wo bleibst du denn?!“ Sie umklammerte seinen Arm und zog ihn penetrant mit sich. „Du wolltest mir…“ Der Rest wurde von dem Lärm und der Musik verschluckt. Ich sah nur noch, wie Moritz mir einen entschuldigenden Blick über die Schulter zuwarf und dann in der Küche verschwand.
Ich starrte ihm eine ganze Weile hinterher – völlig perplex, völlig verletzt und auch völlig wütend auf mich selbst. Ich selber hatte Karo schließlich den Freifahrtschein für Moritz gegeben und ich wusste nur zu gut, wie Karo war und dass sie nichts ernst nahm.
„Hast du gerade einen Geist gesehen?“
Erschrocken wirbelte ich herum und blickte in Lukas’ lächelndes Gesicht. Ich kicherte nervös, fuhr mir durch die von Helena geglättete Haare und schüttelte mit dem Kopf: „Nein, ich dachte nur, jemand hätte mich gerufen“ log ich schnell, stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte meine Lippen auf Lukas’ Wange. „Wie geht’s dir? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen“
Fabis Worte schwirrten mir unaufhörlich im Kopf herum: Nimm’ Lukas, solange er noch auf dich wartet.
Und neben diesen Worten hatte ich die ganze Zeit das Bild von Karo und Moritz in meinem Kopf und im Moment könnte ich anfangen zu weinen. Doch ich riss mich zusammen.
Lukas schob mich von sich und musterte mich auffällig, bevor er einen anerkennenden Pfiff ausstieß: „Wow, du siehst echt toll aus!“
Ich errötete und meine Hand flog sofort wieder zu meinen Haare: „Findest du?“ Eigentlich war das eine dumme Frage, denn ich wusste, dass ich heute toll aussah. Helena hatte eine Stunde an meinen Haaren herumgebastelt und Doro hatte beinahe eine halbe Stunde für mein Make Up gebraucht. Und am Ende fühlte ich mich wie eine Puppe – von allen herumgezerrt und herumgeschubst.
„Ja, finde ich“ Er trat ein und schloss die Wohnungstür hinter sich, dann deutete er auf mein Haar: „Wo sind die Locken hin?“
„Sind dem Glätteisen zum Opfer gefallen“ Ich lächelte und zwinkerte Lukas zu, welcher anerkennend nickte: „Steht dir“ Moritz ist die Veränderung meiner Haare nicht aufgefallen.
Lukas zog seinen Mantel aus und hänge sie an die völlig mit Jacken überfüllte Garderobe. Dann zog er ein kleines Schächtelchen aus der Jackentasche und reichte es mir: „Alles Gute zum Geburtstag, Mila“
Im ersten Moment rutschte mir das Herz in die Hose. Doch dann erkannte ich, dass das Schächtelchen für einen Ring zu groß war. Es war mit dunkelblauem Samt überzogen und schon daran konnte ich erkennen, dass es ein teures Geschenk war. Ich klappte die Schachtel auf und entdeckte eine silberne Kette mit einem Anhänger in Form einer kleinen Blume, deren Blütenblätter die zarte Farbe von Rosa hatten. Ich riss die Augen auf und begann automatisch zu lächeln. „Danke. Sie ist wirklich…sehr schön“
Er grinste triumphierend, nahm mein Kinn zwischen seine Finger und küsste mich zart auf die Lippen – und eigentlich war es gar kein richtiger Kuss, sondern vielmehr nur ein Hauch.
Ich versuchte irgendetwas zu spüren, doch ich empfand gar nichts. Ich wich ein Stückchen zurück und tätschelte Lukas Arm. „Danke. Das ist wirklich das schönste Geschenk, das ich bekommen habe“ Dies war nicht ganz die Wahrheit. Gelogen war es aber auch nicht. Ich hatte keine Rangliste meiner Geschenke.
Die WG – alle bis auf Moritz – hatten zusammengelegt und mir einen eigenen Squash-Schläger plus Bälle gekauft. Von einer guten Marke und ich wusste, dass er nicht ganz billig war. Von meinen Freundinnen aus Teenagertagen habe ich einen Presentkorb mit 20 verschiedenen Kleinigkeiten bekommen, von denen mindestens die Hälfte versaut und obszön war. Von den anderen Leuten, die ich eingeladen hatte (die meisten davon kannte ich erst seit Kurzem aus der Uni) bekam ich zum größten Teil Alkohol oder gar nichts. Doch das war mir auch egal. Ich verlangte keine Geschenke, dennoch traf es mich, dass Moritz mir nichts geschenkt hatte. Nicht einmal eine Karte hatte er für nötig gehalten!
Doch ich wollte nicht länger darüber nachdenken und verdrängte den Gedanken an Moritz schnell. „Lass uns zu den anderen gehen“ rief ich Lukas durch den Lärm zu und umfasste sein Handgelenk und zog ihn in die Küche, wo Doro und Klara mit Leon, Anna und Fabi um die Roulettescheibe saßen, jeder ein Glas Tequila vor sich; und sofort fühlte ich mich in die 10. Klasse zurückgesetzt. Das Bild kam mir bekannt vor. Sogar Karo auf den Knien eines Jungen war nichts Neues. Nur, dass es diesmal ein Mann war, der mir verdammt wichtig war.
Als Fabi Lukas sah, sprang er sofort auf und reichte ihm das Tequilaglas: „Cool, dass du da bist! Trink einen mit. Du hast was aufzuholen. Ich glaube, ich bin voll“ Er lachte und klopfte Lukas gegen die Brust und ich konnte ein kichern nicht unterdrücken – Fabi war einfach zu süß, wenn er betrunken war.
Doch ich wurde wieder ernst, als ich einen Blick auf mir spürte. Ich schaute zu Moritz, welcher mich mit einem Blick musterte, den ich nicht deuten konnte. Seine Augen wanderten beinahe schamlos über meinen Körper, bis sie schließlich an meinen Lippen hängen blieben und er mir erst dann in die Augen sah. Er zwinkerte mir zu und fuhr sich mit der Hand, die nicht auf Karos Bein lag durch die Haare, bevor er zu Lukas schaute und sich dann komplett abwandte.
Und in diesem Moment hatte ich einfach nur das Bedürfnis, ihm zu sagen, dass ich mich in ihn verliebt habe. Aber ich schwieg und beantwortete brav die Fragen, die ein paar mir unbekannte Freunde von Fabi und Lukas stellten.

Schwankend sammelte ich um 05.00 Uhr morgens die leeren Bierflaschen ein, während Helena, Leon, Anna und Lukas mir halfen. Doro und Klara lagen beide angetrunken und friedlich sabbernd in meinem Bett und Fabi war vor zwei Stunden mit einer Dame namens Lucie verschwunden. Jeder konnte sich denken, was sie trieben, doch vorstellen wollte ich es mir nicht.
„Wo ist eigentlich Moritz?! Er sollte uns helfen“ beschwerte sich Helena, als sie den Aschenbecher in den Mülleimer entleerte und die Fenster aufriss, damit die Rauchschwaden nach draußen ziehen konnten.
„Ihr kennt ihn doch!“ murrte Leon, doch ich schüttelte mit dem Kopf und legte mir die Hand an die Stirn: „Ihr könnt ihn nicht immer mit der Begründung ‚Ihr kennt ihn doch!’ entschuldigen! Er ist ein Arsch!“ Den Tränen nahe ließ ich mich auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht zwischen den Händen. Getrieben vom Alkohol und der beinahe unerträglichen Müdigkeit redete ich weiter: „Er ist ein verdammtes, mieses Arschloch, der einfach nicht checkt, was ich für ihn empfinde“ Ich spürte, wie mir die Tränen heiß über die Wangen liefen. Ich spürte, wie sich Helena vor mich hockte und mich fest in den Arm nahm und ich spürte die Blicke von Anna und Leon auf mir. Doch am schlimmsten spürte ich den Blick von Lukas.
Meine Hand flog reflexartig zu der Kette um meinen Hals, die er mir geschenkt hatte. Ich ließ auch die andere Hand sinken und wischte mir die Tränen von den Wangen, bevor ich ihn anschaute.
„Mila…“ setzte Leon an, doch ich brachte ihn mit einer abweisenden Geste zum Schweigen. „Bitte! Sag’ einfach nichts. Ich weiß nicht, was gerade mit mir los ist. Vergesst es einfach“
Lukas setzte zur Antwort an, doch ich unterbrach ihn: „Und Moritz hat jetzt verdammt noch mal zu helfen!“ Ich drängelte mich an Lukas vorbei und stürmte zu Moritz’ Zimmertür und noch während ich die Türklinke in der Hand hatte, wurde mir bewusst, dass ich auch Karo nirgends gesehen hatte. Doch die Erkenntnis kam zu spät. Ich stieß die Tür auf und blieb sofort wie erstarrt stehen…






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