Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 06.12.2011
Ich wurde vom Zuschlagen der Haustür sofort wach und schreckte noch leicht verschlafen vom Sofa hoch.
Eigentlich hatte ich versucht wach zu bleiben, doch nachdem ich eine gefühlte Ewigkeit auf dem Sofa gewartet hatte, übermannte mich die Müdigkeit und ich schlief ein.
Verschlafen rieb ich mir die Augen, während ich wieder in meine Schuhe kroch und schließlich mit einem schwermütigen Stöhnen aufstand, Kara sanft beiseite schob und in den Flur tappte.
Wie ein verlorenes Kind stand Moritz im Flur, seine Jacke in der einen Hand, die Autoschlüssel in der anderen. Es zeriss mir das Herz, ihn so sehen zu müssen. Sein Haar fiel ihm zersaust in die Augen, unter denen dunkle Schatten zu sehen war. Seine Kleidung war zerknittert.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und in diesem Moment bedurfte es auch nicht viele Worte. Ich wusste auch so, dass Konrad Freisleben gestorben war.
Also flüsterte ich nur leise Moritz’ Namen und erst jetzt schaute er mich endlich an. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte; Tränen? Wut? Trauer? Doch sein Blick spiegelt nichts von dem wieder. Sein Gesicht wirkte eher wie völlig versteinert – völlig ausdruckslos.
„Oh, Moritz!“ flüsterte ich erneut, ging auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Anfänglich wirkte er unbeholfen und überrascht, doch dann fing er sich wieder und erwiderte die Umarmung. Ich legte meine Wange an seine Brust und musste die Tränen, die sich in mir aufgestaut hatten, herunterschlucken. Ich konnte und wollte jetzt nicht weinen. Moritz hat gerade seinen Vater verloren – ich musste doch für ihn stark bleiben, oder?
Sein Herz schlug regelmäßig unter seiner Brust und diese Regelmäßigkeit gab auch mir etwas Beruhigendes und beinahe Hypnotisches.
Ich weiß nicht, wie lange wir so dastanden. Ich löste mich vorsichtig von ihm und schaute ihn besorgt an: „Brauchst du irgendetwas? Kaffee? Tee?“
Er schüttelte mit dem Kopf, schob mich achtlos beiseite und murmelte: „Alkohol“
Bevor er für mich komplett außer Reichweite war, bekam ich seinen Arm zu fassen und hielt ihn energisch zurück: „Ich glaube nicht, dass das jetzt gut ist“
Wütend drehte er sich zu mir um und riss sich aus meinem Griff los: „Es ist mir im Moment scheißegal, was du gut findest!“
Erschrocken wich ich einen Schritt von ihm zurück und zögerte, dann nickte ich und deutete auf den Schrank über der Spüle in der Küche: „Da drin habe ich eine Flasche Rum gefunden“ Meine Stimme war resigniert und vielleicht auch ein wenig beleidigt.
Moritz nickte mir nur kurz zu, dann verschwand er in die Küche. Nach anfänglichem Zögern folgte ich ihm doch. „Moritz, es tut mir Leid, dass…“ Ich brach ab. Ich wusste wieder einmal nicht, was ich sagen sollte.
„Dass was?!“ Mit einem Saftglas voll purem Rum drehte er sich zu mir um. „Dass mein Vater tot ist?! Dass wir nie ein gutes Verhältnis hatten?! Dass ich so gut wie keine Familie mehr habe?! Was davon tut dir denn bitte Leid? Du hast nichts damit zu tun. Rein gar nichts“ Wieder brüllte er mich an. Das zweite mal innerhalb von zehn Minuten.
Ich wusste, wann ich Leute in Ruhe lassen sollte, auch ohne, dass man es mir so deutlich zeigte. Doch Moritz hielt dies anscheinend für nötig.
Ich hob kapitulierend die Hände und trat einen Schritt zurück: „Ich lasse dich wohl besser allein“
Er trank den letzten Schluck aus seinem Glas und schüttelte hastig mit dem Kopf: „Nein, Mila. Nein…“ Er fuhr sich verzweifelt durch die Haare. „Bitte… Es tut mir Leid. Es ist nur…“ Er suchte hilflos nach den richtigen Worten, doch anscheinend fand er sie nicht.
„Ich weiß, dass es hart ist“
Er nickte nur und schenkte sich Rum nach.
„Und ich weiß auch, dass das Verhältnis zu deinem Vater nicht gerade das Beste war. Nicht umsonst kannst du Kafkas Briefe an den Vater so gut nachvollziehen“
Er schaute auf und lachte gequält.
„Aber ich glaube, dass er dich sehr geliebt hat. Er hat die letzten paar Tage mit dir genossen“
Er setzte das Glas ab und blickte mich lange schweigend an, dann sagte er: „Danke, Mila. Danke, dass du da bist“ An seiner Aussprache merkte man, dass der Alkohol, von dem er viel zu schnell, viel zu viel getrunken hatte, seine Wirkung zeigte. Dennoch leerte er nun auch sein drittes Glas. Ich wollte ihm gerne sagen, dass ich denke, dass er genug getrunken hatte; doch ich wollte nicht riskieren, ein drittes Mal angeschnauzt zu werden. Also hielt ich die Klappe.
„Ist schon in Ordnung. Ich… ich tue das gerne“
„Wegen heute morgen…“ setzte er schließlich an, doch ich brachte ihm mit energischem Kopfschütteln zu Schweigen: „Halt bitte die Klappe. Ich glaube nicht, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um darüber zu reden“
„Gibt es den überhaupt?“
„Ich glaube nicht“
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