Take me anywhere - Teil 20

Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 24.11.2011


„Warum hast du meinem Vater gesagt, dass du meine Freundin bist?“
Wir saßen zusammen auf dem Sofa. Es war bestimmt schon nach zwölf Uhr und der Fernseher flimmerte leise vor sich hin.
Vor drei Stunden hatten wir Moritz’ Vater wieder ins Krankenhaus gebracht. Sichtliche erfreut aber auch geschafft, sank er ins Bett und noch bevor wir den Raum wieder verließen, war er eingeschlafen.
Moritz Hand ruhte warm auf meinem Knie, als ich in überrascht anschaute.
Ich spürte, wie ich knallrot anlief und wendete den Blick ab: „Oh Gott, ich habe gehofft, du sprichst mich nicht darauf an“
Ich stand hastig auf, nahm die leere Tasse und mein leeres Glas an mich und ging mit schnellen Schritten in die Küche. Ich rannte gerne weg, wenn es unangenehm wurde. Doch Moritz lief mir hinterher – meine Flucht missglückte also.
Ich stellte gerade das Geschirr in die Spüle, als er meinen Oberarm zu packen bekam und mich zu sich herumdrehte: „Renn’ nicht weg, wenn dir eine Situation unangenehm wird!“
Ich lachte leise und schüttelte mit dem Kopf: „Ich renne doch nicht weg!“ erwiderte ich und meine Stimme klang so, als wäre es völlig abwegig, was Moritz dachte.
„Doch du rennst weg! Genau wie du heute am Strand weggelaufen bist!“ widersprach Moritz mir energisch.
Ich senkte den Kopf, schaute ihn dann aber wieder mit funkelnden Augen an: „Lass mich bitte los!“
Moritz nickte nur und schwieg eine Weile, meinen Arm ließ er dabei nicht los, bis er schließlich tief einatmete und fragte: „Warum hast du meinem Vater gesagt, du wärst meine Freundin?“ Er ließ nicht locker.
Weil ich mir wünsche, dass es so wäre?
Das konnte ich unmöglich sagen, also zögerte ich und überlegte mir eine Antwort. Mein Blick flog unruhig durch den Raum und schließlich seufzte ich: „Ich habe einfach gemerkt, dass er mit deiner freiheitsliebenden Art nicht zufrieden ist; dass er sich für dich wünschen, dass du eine feste Beziehung hast. Warum sollten wir ihm nicht in den Glauben lassen, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist?“ Meine Stimme wurde immer leiser, bis sie fast nur noch ein Flüstern war.
„Es ist aber gelogen, und das weißt du auch“ Jetzt senkte auch er die Stimme und sah mir einfach nur in die Augen. Und so gerne ich mich von diesem Blick abgewendet hätte, ich konnte es nicht. Stattdessen zuckte ich nur mit den Schultern: „Spielt das denn noch eine Rolle?“ Und in diesem Moment wusste ich selber nicht, was denn nun noch eine Rolle spielte. Dass ich Moritz’ Vater belogen hatte? Dass er bald sterben würde? Dass Moritz ein Idiot war? Dass ich mich Hals über Kopf in ihn verliebt hatte? Ich konnte es nicht sagen. In diesem Moment gab es nur ihn für mich. Sein eindringlicher Blick, das geheimnisvolle Glitzern in den Augen und bevor der Zauber des Moments vergehen konnte, nahm ich sein Gesicht in meine Hände, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Der Kuss dauerte kein fünf Sekunden, als ich mich plötzlich wieder besann und erschrocken zurückwich: „Oh Gott, das tut mir Leid. Ich meine, ich…“
„Mila!“
„Nein, ich meine…“
„Du kannst wirklich nicht in den richtigen Moment den Mund halten“
Und bevor ich wieder etwas sagen konnte, lagen seine Lippen erneut auf meinen. Und als ich die Augen schloss, geschah es plötzlich: Ich vergaß all die Vernunft. Die kleine, leise Stimme in meinem Kopf, die mich dauernd vor Moritz warnte, war verstummt. Stattdessen war dort nur noch die Verwirrtheit, die Lust und das Chaos, das sein Kuss, seine Berührungen – ja einfach seine Existenz - in mir auslöste.
Und dann ließ ich es einfach geschehen.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es schon hell. Die Sonne schien durch die weißen Leinenvorhänge und erst nach mehrmaligem Blinzeln und kurzem Gähnen wurde mir bewusst, dass es nicht das Bett im Gästezimmer war, in dem ich lag. Normalerweise würde ich in Panik ausbrechen und ich war auch kurz davor, doch ich besann mich rechtzeitig. Ich atmete mehrmals tief durch und befreite mich vorsichtig aus Moritz’ Umarmung, um ihn nicht zu wecken. Leise seufzend richtete ich mich auf und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare. Und plötzlich war sie wieder da, die Stimme der Vernunft, die gestern so herrlich geschwiegen hatte. Wie um meine zermürbenden Gedanken zu vertreiben, schüttelte ich mit dem Kopf und beschloss mich abzulenken, indem ich mir Moritz’ Jugendzimmer genauer anschaute. Und das was ich sah, enttäuschte mich. Es war nicht sonderlich aussagekräftig. Ein paar Pokale, die er bei diversen Fußballturnieren gewonnen hatte, standen auf dem Regal. Auf dem Schreibtisch lagen Bücher, allerdings kein einziges Schulbuch. Stattdessen türmten sich dort Klassiker von Tolstoi, Steinbeck und Dickens.
Die Pinnwand, die über dem Schreibtisch an der Wand hing, war vollgestopft mit sämtlichen Zetteln, ein paar Bildern und anderen undefinierbaren Kram.
So wie das Zimmer aussah, hatte es Moritz’ Vater nach dem Auszug seines Sohnes nicht noch einmal betreten. Es wirkte völlig unberührt, unverändert. So als würde Konrad versuchen, Moritz’ Auszug, der schon vor ein paar Jahren stattgefunden hatte, immer noch zu verdrängen.
Erneut strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und angelte mir meinen BH und mein Sweatshirt vom Boden und zog mich hastig an, bevor ich die Beine aus dem Bett warf und aufstand.
Habe ich tatsächlich mit Moritz geschlafen? Ich erinnerte mich gut an letzte Nacht, da ich völlig nüchtern war. Diese Ausrede galt also nicht.
Ich musste ehrlich sein: Ja, ich habe vollkommen geistesgegenwärtig mit Moritz geschlafen! Ich war mir meiner Tat im vollen Ausmaß bewusst. Und oh Gott, war er gut! Bei diesem Gedanken musste ich schmunzeln und errötete leicht. Natürlich fehlte mir die große Vergleichsspanne, da ich vor Moritz nur mit einem anderen Jungen geschlafen hatte: Daniel – doch im Vergleich zu dem, war Moritz mit Abstand besser. Wieder schoss mir die Röte ins Gesicht und verdrängte schnell diese Gedanken, während ich noch meinen Slip anzog und meine restlichen Sachen nur unachtsam zusammenpackte und leise das Zimmer verließ.
Ich musste einen klaren Gedanken fassen, und das konnte ich am besten unter der Dusche.

Als ich nach einer langen ausgiebigen Dusche und immer noch nassen Haare die Küche betrat, war Moritz schon wach. In Gedanken versunken stand er am Fenster, mit einer Tasse Kaffee in der Hand und starrte hinaus. Kara saß schwanzwedelnd neben ihm und winselte ab und zu leise – ein Zeichen dafür, dass sie wollte, dass jemand mit ihr Gassi geht.
„Du bist wach“ sagte ich leise und goss mir ebenfalls Kaffee in eine Tasse ein. Die Packung Milch im Kühlschrank war leer. „Warum stellst du eine leere Packung Milch in den Kühlschrank?“
„Das warst du. Ich trinke keine Milch“
„Oh“ Ich schaute ihn schuldbewusst an und er lachte über meine Reaktion, danach schwiegen wir beide und es entstand diese unangenehme und peinlich betretene Stille, vor der ich Angst hatte.
Dann räusperten wir uns beide gleichzeitig und lachten kurz – immer noch voller Hemmungen.
„Du zuerst“ meinte Moritz knapp.
In Abwehrhaltung trat ich einen Schritt zurück: „Oh nein! Es wäre besser, wenn du bei solchen Gesprächen den ersten Schritt machst. Ich glaube, darin hast du mehr Erfahrung als ich“
Er lächelte spöttisch und nickte: „Okay, wir haben also miteinander geschlafen“ Er zuckte beiläufig mit den Schultern.
Unmerklich zuckte ich zusammen und fragte leise: „Und das war’s jetzt also?“
„Ja… Na ja… Es war gut – wirklich, Mila! Sehr gut! Du bist… einfach klasse!“
„Ah….“ Ich zog diesen Laut unnötig in die Länge und kniff skeptisch die Brauen zusammen. Ich wusste, dass das was er sagte und dass, was er noch sagen wollte, mir nicht gut tat; mir nur weh tat.
„Nein, Mila. Versteh’ mich nicht falsch, bitte. Nur, es läuft immer so… Ich schlafe mit ihr, ohne, dass das daraus etwas wird“ Etwas unruhig tappte er von einem Fuß auf den anderen. „Ich weiß nicht, ob das zwischen uns etwas Be…“
Ich ließ ihn nicht ausreden. Ich wollte nicht hören, was er noch zu sagen hatte; wollte nicht hören, dass ich nichts Besonderes bin.
Ich lachte bitter auf: „Schön, deine Einstellung zu kennen“ Ich spürte wie meine Augen sich mit Tränen füllten und knallte die Kaffeetasse auf den Tisch, sodass die Hälfte über den Rand schwappte und verließ stürmisch den Raum, bevor Moritz meine Tränen sehen konnte.
„Mila!“ rief er mir hinterher, doch ich blieb nicht stehen.
„Verdammt, Mila!“ Ich hörte seine Schritte, doch blieb er abrupt stehen, als sein Handy klingelte. Und irgendetwas in mir – irgendein Gefühl - brachte mich dazu auf der Treppenstufe stehen zu bleiben und mich umzudrehen.
Moritz stand am Fußende der Treppe, hielt sich das Handy ans Ohr und hörte mit konzentrierter Miene auf das, was die Person am anderen Ende der Leitung ihm erzählte. Schließlich nicke er, legte auf und presste die Lippen fest zusammen. Und ohne Vorwarnung schleuderte er das Telefon gegen die Wand. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare und warf mir nur einen kurzen Blick zu, bevor er zur Haustür stürmte, sich nur noch schnell im Vorbeigehen seine Jacke vom Haken riss und die Tür mit einem lauten Knall hinter ihm ins Schloss fiel.
Genervt stöhnte ich auf und rannte die Treppe hinunter: „Moritz, bleib stehen!“ Doch als ich die Tür aufriss, stand das Auto schon lange nicht mehr in der Auffahrt.
Ich schloss die Augen und atmete mehrmals tief durch, bevor ich mich auf den Treppenabsatz vor der Haustür fallen ließ. „Verdammt“ flüsterte ich leise.
Ich wusste, dass irgendetwas Schlimmes mit seinem Vater passiert sein musste.






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