Autor: Kathrin
veröffentlicht am: 11.11.2011
Das ganze Haus roch noch nach dem angebrannten Chili con Carne, das gekocht hatte, als es schon längst nach zehn Uhr war und Moritz und ich stillschweigend im Wohnzimmer des Hauses saßen. Er, mit einem Buch in der Hand auf einem Antik aussehenden Ohrensessel und ich zusammen mit Kara auf dem Sofa. Karas schwerer Kopf lag auf meinem Oberschenkel, während ich mit der Fernbedingung durch die Programme des alten Fernsehers zappte. Ich glaube, Moritz’ Vater gehörte zu den wenigen Leuten, die keinen Flatscreen hatten. Seufzend ließ ich schließlich O.C, California drauf – mit siebzehn war dies meine Lieblingsserie gewesen, doch mit fast zwanzig merkte ich, dass ich langsam zu alt dafür wurde. Zu alt – eigentlich lächerlich. Ich war ja noch nicht einmal zwanzig. Dennoch schaltete ich seufzend weiter, machte den Fernseher aber nur Sekunden später komplett aus und sagte dann direkt: „Wir sollten etwas mit deinem Vater unternehmen“
Moritz hob den Kopf von seinem Buch und zog fragend die Brauen nach oben: „Bitte?“
„Ich finde, wir sollten einen Ausflug mit deinem Vater machen. Ein letztes unvergessliches Erlebnis. Lass uns ans Meer fahren oder so. Oder in irgendeinen Freizeitpark. Oder vielleicht ins Kino.“
Er zögerte lange und schaute mich nur fragend und vielleicht auch ein bisschen skeptisch an. Und sein Blick brachte mich dazu, hastig weiter zu reden: „Du kannst natürlich auch etwas mit ihm allein unternehmen. Das war nicht so gemeint, dass ich unbedingt mit muss… Vielleicht…“
Er unterbrach mich: „Mila…“
Doch ich redete gleich weiter: „Nein, ich mein das ernst. Mach was mit deinem Vater. Ich bleib hier und mach mir mit Kara einen schönen Tag!“ Normalerweise redete ich nicht wie ein Wasserfall, doch irgendetwas trieb mich im Moment dazu, ohne Punkt und Komma zu plappern.
„Mila, halt einfach kurz mal die Klappe, okay?“
Ich schluckte die nächstes Worte hinunter, die mir schon auf der Zunge lagen und nickte. „Okay“ flüsterte ich.
„Ich finde die Idee gut“ Er griff nach der Tasse Kaffee, die vor ihm auf dem Couchtisch stand. „Und glaube, dass mein Vater will, dass du mitkommst“
„Meinst du?“
Er lachte leise und nickte: „Mein Vater schafft es für gewöhnlich nicht, länger als fünf Minuten mit einer fremden Person zu reden. Und wie lange hat er dir von St. Petersburg vorgeschwärmt?“
„Lange genug, würde ich sagen“ Ich musste grinsen. „Es kommt mir fast so vor, als wäre ich persönlich dort gewesen. Ich kann dir die genaue Wegbeschreibung vom Bahnhof zum Zarenpalast erklären“
„Beeindruckend“ erwiderte er zynisch.
Spielerisch schlug ich ihm auf dem Oberschenkel: „Es ist doch gut, dass er sich für etwas so begeistern kann!“
„Russland war schon immer seine Leidenschaft“
„Ich glaube, er kann mich nur leiden, weil meine Familie aus Russland kommt“
„Mehr kennt er von dir noch nicht. Und wenn du noch Russisch sprechen würdest, würde er dich lieben“ Noch immer war die Ironie in seiner Stimme zu hören, doch dann wurde er wieder ernst: „Ich finde deine Idee gut. Lass uns morgen mit meinem Vater ans Meer fahren – ein letztes Mal“
„Wir fahren ans Meer!“ verkündete ich Moritz’ Vater freudig, noch bevor ich wirklich das Krankenhauszimmer betreten hatte.
„Wir fahren – was?! Ich glaube, du bist verrückt geworden, Mädchen. Die Schwester wird dich einen Kopf kürzer machen“ Konrad schaute mich überrascht an, dennoch sah ich, dass er mich nicht so richtig ernst nahm.
Doch das was ich sagte, meinte ich voll und ganz ernst.
Regine Treu war das kleinste Problem gewesen. Sie war ganz hingerissen von Moritz’ Idee (welche eigentlich meine war), dabei war es nicht die Idee, von der sie begeistert war, sondern von Moritz an sich.
Mehr Überredungskünste bedurfte es bei dem Arzt von Konrad Freisleben; Risikofaktoren, instabiler Gesundheitszustand, et cetera! Also mogelte ich mich kurzerhand ein paar Jahre älter und gab an, Assistenzärztin zu sein und zu wissen, was im Notfall zu tun war. Dass dem nicht ganz so war, musste ja keiner wissen.
„Mit Frau Treu ist alles abgeklärt“
„Und der Arzt?! Du bist wirklich verrückt. Wo hat mein Junge dich nur kennen gelernt. Alle anderen, die er vor dir hergebracht hatte, waren geistlose und langweilige Püppchen. Und dann bringt er dich mit. Und du scheinst nur Flausen im Kopf zu haben! Ist eine Russin, spricht die Sprache aber nicht. Entführt mich ans Meer…“ Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte mit dem Kopf, stand aber trotzdem auf und tapste zum Schrank, um sich ein paar Klamotten herauszuholen.
„Der Arzt ist auch einverstanden“
Er drehte sich über die Schulter zu mir um und grinste: „Ich will nicht wissen, wie du das geschafft hast“
„Auf völlig legalem Wege“ Ich hob abwehrend die Hände und lächelte.
„Ich glaube, du bist mal die Richtige für meinen Moritz. Du bist doch seine Freundin, oder?“ Konrads Blick ruhte hoffnungsvoll auf mir und ich brachte es nicht übers Herz, ihn zu enttäuschen. Allerdings war das nur ein Grund, weshalb ich log. Der andere Grund war der, dass ich mir wünschte, dass es so wäre.
Also nickte ich und antworte: „Ja, ich bin seine Freundin“
Er lächelte und seine Miene wurde sanft, doch er besann sich recht schnell wieder und schaute mich fragend an: „Wo ist mein Junge eigentlich?“
„Er wartet mit Kara im Auto“
Plötzlich wurde Konrads Blick wieder selig und sanft und er seufzte leise: „Hach, Kara – meine alte Lady“ Dann trottete er ins Bad, um sich umzuziehen. Es war eine gute Idee, dass ich Moritz noch überreden konnte, den alten Golden Retriever mitzunehmen.
Alle vier Fensterscheiben des Autos waren voll heruntergekurbelt. Die Sonnenstrahlen fielen warm ins Auto und der frische Wind ließ meine Haare verwehen. Ich saß auf dem Beifahrersitz neben Moritz, während es sich Konrad und Kara auf der Rücksitzbank bequem gemacht hatte. Kara streckte den Kopf zum Fenster heraus und ihre Ohren flatterten im Fahrtwind. Immer mal wieder, warf ich Konrad und Kara einen Blick durch den Rückspiegel zu. Meistens traf Konrads Blick den meinen und Kara bellte hin und wieder, doch allgemein herrschte Schweigen im Auto. Allerdings war es kein unangenehmes Schweigen, sondern die Art von Stille, die gut tat. Es war einer dieser Momente, in denen man sich auch ohne Worte verstand; in denen man sich auch ohne Worte nah war.
Wortlos, reichte mir Moritz plötzlich sein Handy und ich musste nur einen kurzen Blick drauf werfen, um zu wissen, welche SMS er mir zeigte.
Ich habe deinem Vater gesagt, ich wäre deine Freundin. Keine Ahnung, warum. Hat sich dummerweise so ergeben. Ich wollte dich nur warnen. xoxo, mila ;)
Ich schloss die Augen, stöhnte leise auf und gab Moritz sein Handy zurück. Er schaute mich nach wie vor fragend an, doch er schwieg, bis er wieder einen Blick auf die Straße warf, sich dann aber erneut zu mir umdrehte und mich flüchtig auf die Lippen küsste. „Soll ja auch glaubhaft wirken“ flüsterte er mir in Ohr und sein warmer Atem streifte meine Haut. Schnell wich ich zurück und knurrte: „Schau auf die Straße. Ich will keinen Unfall haben“
Noch kurz funkelte er mich spöttisch an, dann wandte er den Blick von mir ab.
„Es ist schon komisch“ kam es plötzlich von der Rücksitzbank.
Mit fragender Miene drehte ich mich über die Schulter zu Konrad um: „Was?“
„Dass ich so nah am Meer wohne und doch so lange nicht mehr dort war“ Er seufzte leise und strich Kara über den Kopf, deren Schlappohren immer noch im Wind flatterten.
„Die Umstände…“ setzte ich an, doch Konrad unterbrach mich hastig. „Ich weiß, ich weiß. Dennoch, ich liebe das Meer“
„Das kann ich gut nachvollziehen“ Ich lächelte ihn aufmunternd an. „Ich war auch lange nicht mehr am Meer. Das letzte Mal war ich ein kleines Kind“
„Was ich eigentlich sagen wollte…“ Konrad räusperte sich unbehaglich und zögerte eine ganze Weile, bevor er weiter sprach: „… was ich eigentlich sagen wollte, war Danke“
Gerührt flüsterte ich ein „Bitte“ und drehte mich wieder um, als ich sah, welchen Blick Moritz seinen Vater durch den Rückspiegel zuwarf. Überraschung,
Verblüffung aber auch Freude war darin zu lesen. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, bevor er wieder ernst wurde und auf die Straße schaute.
Und an Hand von dem wie Moritz reagiert hatte, konnte ich sehen, dass er überrascht von dem Dank seines Vaters war.
Anscheinend bedankte Konrad sich nicht oft, und das was ich bis jetzt von ihm kennen gelernt hatte, passte dazu nur zu gut.
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