The Life Shot - Teil 15

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 20.07.2012


|Vierzehn|
- Nachdenken

Beim Volleyballtraining treffe ich erneut auf Vanessa, die mich mit einem strahlenden Lächeln empfängt.
„Sidney!“, ruft sie freudig und drückt mich in ihre Arme.
Ein wenig irritiert lasse ich es über mich ergehen, habe aber keine Zeit ihre Umarmung zu erwidern, denn schon ein paar Sekunden später lässt sie mich wieder los.
Mit ihren Händen hält sie meine Schultern fest und betrachtet mich eingehend. Ich kann sehen - nein: schon beinahe spüren - wie sie hinter ihrem freudigen Lächeln etwas versteckt.
Ihre Augen schweifen einmal kurz über meinen Körper und obwohl ihr Lächeln stätig bleibt, kann sie ihren kritischen Blick nicht verleugnen.
Als sie mir wieder in die Augen schaut, hellt sich ihre Miene auf.
„Hast du Lust auf das Training heute?“, fragt sie scheinbar beiläufig und lässt mich los.
Ich zucke nur mit den Achseln und beobachte, wie sie in ihrer Schultasche nach Unterlagen sucht.
Kurz flackert der Gedanke in mir auf, dass Vanessa mir vielleicht den anonymen Brief geschrieben haben könnte. Aber das ist schwachsinnig.
„Hier“, sagt sie und drückt mir zwei Zettel in die Hand. „Für dich“
Fragend hebe ich die Augenbrauen. „Was ist das?“
Sie lächelt schief und wieder taucht dieser seltsame Ausdruck in ihren Augen auf, der ihre fröhliche Attitüde trübt.
Sie zweifelt an mir.
Doch noch hält sie ihre Skepsis zurück.
„Ich möchte, dass der Homecoming-Ball für dich und meinen Cousin perfekt wird“, erzählt sie.
Verblüfft blinzele ich sie an.
Daher weht also der Wind!
Ich schaue mir die Papiere genauer an und stelle fest, dass Vanessa mir eine Liste von »Likes« und »Dislikes« ihres Cousins gemacht hat.
Dazu sind noch vielerlei - für mich - uninteressante Informationen aufgeschrieben worden, zum Beispiel seine Lieblingsfarbe oder welche Musik er gerne hört.
Irritiert runzele ich die Stirn. „Ähm, ich glaube nicht, dass–“
„Es wird dir sicherlich helfen“, unterbricht sie mich und diesmal kann ich eindeutig erkennen, dass ihr Lächeln falsch und unsicher ist. „Du kannst ihn nach Dingen fragen, die er gerne mag, so dass ihr in ein Gespräch kommt. Und du kannst so tun, als würdest du dieselben Dinge mögen wie er“
„Ich soll mich verstellen? Und lügen?“, frage ich perplex.
„Wenn du die Liste genau studierst und vielleicht ein paar Sachen im Internet nachschaust, dann wird der Ball mit Sicherheit gut verlaufen“
„Aber…“, beginne ich verzweifelt und werfe noch einmal einen Blick auf die Papiere. „Das ist doch gar nicht nötig“
„Jonah ist schüchtern, er braucht immer einen kleinen Anstupser“, erklärt Vanessa und wirkt ein wenig verärgert.
Ich ziehe die Augenbrauen zusammen, erwidere jedoch nichts.
Mein Mannschaftskapitän zwingt mich also tatsächlich, meine Persönlichkeit in Gegenwart von Jonah zu verändern.
Seufzend verstaue ich die Blätter in meine Tasche.
„Es ist mir wichtig, Sidney“, fährt Vanessa fort und setzt eine ernste Miene auf. „Mein Cousin ist nicht wirklich beliebt, aber ich möchte, dass er den Homecoming auf keinen Fall verpasst. Er wird oft von seinen Freunden falsch behandelt, weil er eben sehr verschlossen ist und das gefällt mir nicht“
Sie verschränkt die Arme vor ihrer Brust und beißt sich auf die Unterlippe.
„Kann ich mich auf dich verlassen?“, fragt sie.
Habe ich denn überhaupt eine Wahl?
Was bleibt mir anderes übrig, als zuzustimmen?
„Ja, natürlich“, lautet also meine Antwort.
Vanessa strahlt und drückt mich noch einmal in ihre Arme.
Schließlich ziehen wir uns in der Umkleidekabine um.



**
Nach der Schule gehe ich alleine nach Hause.
Und zwar zu Fuß.
Das Haus von Großmutter Harriet ist nicht weit entfernt, so dass ich mir einen kleinen Umweg an dem Hafen genehmige. - Aber diesmal ohne irgendwelche bösen Absichten.
In der großen Mittagspause kurz vorm Training war ich in der Bücherei und habe an den Computern ein wenig über die Elemente recherchiert. Im Internet findet man schließlich zu jedem Thema irgendwelche Treffer, die hilfreich sein können.
Kurzerhand druckte ich ein paar Seiten, die zu seltsamen, mysteriösen Websites gehören, aus und heftete sie in eine spezielle Mappe.
Seufzend lasse ich mich auf eine der vielen Bänke nieder und breite meine Unterlagen darauf aus. Ich streiche mir eine Strähne hinter das Ohr und lese mir neugierig das erworbene Wissen aus dem Internet durch.
» … ein ganz eigener Fall ist, wie bereits erwähnt, das Element Geist. Gemeint ist damit der Verstand des Menschen oder auch seine Seele - es ist schwierig, dieses Element genau zu definieren. Gedanken und Erinnerungen gehören genauso dazu wie Gefühle«
Ich presse die Lippen zusammen und ziehe die Augenbrauen zusammen. Als ich mit angestrengter Miene weiterlese, stolpere ich über ein paar Sätze, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen.
»Eingriffe in den Geist anderer Menschen besitzen oft verheerende Folgen und sind daher - außer in Ausnahmefällen - strengstens untersagt. Die meisten Menschen, in deren Geist eingegriffen wurde, verändern sich auf eine eigenartige Weise: Sie werden oft verrückt, leiden unter Halluzinationen oder erscheinen plötzlich wie seelenlose Puppen«
Unwillkürlich muss ich an den Mann denken, in dessen Kopf ich absichtlich eingedrungen bin. Habe ich vielleicht das Leben eines unschuldigen Menschen zerstört?
Entsetzt halte ich mir die Hand vor den Mund.
Wie gefährlich ist diese besondere Fähigkeit, die ich besitze?
Kann ich sie kontrollieren?
Ein Entschluss steht fest: Ich muss die Bücher meiner Mutter finden.
Wenn ich durch den gebundenen Zirkel meine Kräfte besser kontrollieren kann, werde ich vielleicht auch keinen weiteren Schaden mehr errichten können.
Aber im Moment…?
Ein Schatten, der plötzlich auf mich fällt, reißt mich aus meinen Gedanken.
Verwirrt schaue ich von meinen Unterlagen auf, die zerstreut auf der Bank liegen und runzele die Stirn.
Als ich Nik vor mir stehen sehe, klappe ich mit zusammengepressten Lippen den Ordner zu und starre ihn an.
„Ich habe das Gefühl, du verfolgst mich“, sage ich schließlich.
Er hebt die Augenbrauen. „Wie kommst du darauf?“
„Immer wenn ich am Hafen bin, tauchst du auf“, erkläre ich und lächele unsicher.
Ein eigenartiges Gefühl macht sich in mir breit, als Nik mich mit einem kleinen Schmunzeln bedenkt. Es ist irgendwie eine Mischung aus Erleichterung und…Zuneigung?
Mein Herz macht einen kleinen Satz, als er sich zu mir auf die Bank setzt.
Ich frage mich, wieso ich auf einmal wie ein junger Teenager reagiere, der seinen Schwarm anhimmelt und–
Ich stoppe mich selbst.
Mahnend beiße ich mir auf die Unterlippe.
„Vielleicht bin ich auch einfach nur gerne in deiner Nähe“, erwidert Nik und schaut mich an. Sein Blick ist intensiv.
Verblüfft blinzele ich ein paarmal mit meinen Augen.
Erst dann begreife ich, was hier eigentlich gespielt wird.
Es ist alles nur ein Traum.
Mal wieder.
Nik hebt seine Hand und streicht mit dem Daumen über meine Wange, bis zu meinen Lippen.
Ich schließe seufzend die Augen und bedauere auf einmal, dass alles nur einer meiner seltsamen…Visionen ist.
Ob Nik wohl gerade dasselbe träumt?
Als ich meine Augen wieder öffne, schüttelt er lächelnd den Kopf.
„Was machst du nur mit mir, Sidney?“, fragt er leise und beugt sich zu mir.
Ich halte den Atem an.
Ein gewaltiger Schauer erfasst mich, als sich unsere Lippen kurz berühren. Hauchzart.
Nik stößt einen Seufzer aus und umfasst mit seinen Händen mein Gesicht.
„Du weißt es, oder?“, fragt er auf einmal.
Irritiert hebe ich die Augenbrauen. „Was meinst du?“
„Es ist alles nur ein Traum“, erzählt er. „Warum holst du mich immer wieder in deine Träume?“
Mit großen Augen starre ich ihn an.
Mein Herz pumpt aufgeregt gegen meine Brust, denn ein großes Durcheinander herrscht in meinem Kopf.
Nik befindet sich bewusst in meinem Unterbewusstsein!
Wie kann das passieren?
„Ich…ich weiß es nicht“, antworte ich leise und senke den Blick.
Nik seufzt erneut und lässt mich los.
Scheinbar gekränkt wendet er seinen Kopf ab.
„Du hast also gelogen. Gestern“, stellt er fest und verschränkt die Arme vor seiner Brust.
Ich presse die Lippen zusammen.
„Wieso?“, fragt er und sein Kopf schnellt wieder zu mir rum.
Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder.
Würde er mich denn verstehen?
Kann ich mir überhaupt sicher sein, dass Nik sich noch an alles erinnern wird, sobald wir wieder aufwachen?
In was für einer merkwürdigen Situation befinden wir uns überhaupt? Und warum ist er immer in meinen Träumen?
„Ich hatte Angst“, erwidere ich schließlich und starre auf meine Hände.
„Wovor?“, höre ich seine Stimme.
Ich presse die Lippen zusammen.
Ein seltsames Zittern erfasst mich auf einmal und Tränen bilden sich in meinen Augen.
„Wovor?“, wiederholt er und zieht fragend die Augenbrauen zusammen.
Ich atme zittrig ein. „Vor der Wahrheit, Nik“


**
Mit einem Ruck gelange ich wieder in die Gegenwart zurück.
Verwirrt schaue ich mich um und stelle fest, dass ich mich im Krankenzimmer der Schule befinde.
Mein Herz rast in einem gewaltigen Tempo gegen meine Brust, so dass es schon beinahe wehtut. Ich fasse mir an die Stirn und unterdrücke ein Stöhnen.
„Du bist wieder wach“, höre ich eine mir bekannte Stimme.
Vorsichtig werfe ich einen Blick zu meiner Rechten, wo ich sogleich in die besorgte Miene von Vanessa starre.
Ich verziehe das Gesicht, als mich eine heftige Migräne packt.
„Was ist passiert?“, frage ich und nehme dankbar das Glas Wasser in die Hand, welches mir der Kapitän meiner Volleyballmannschaft hinhält.
„Du bist plötzlich beim Training umgekippt“, erzählt sie und zieht sorgenvoll die Augenbrauen zusammen. „Dein Kreislauf hat anscheinend nicht mehr mitgemacht“
Ich versuche mich zu erinnern, doch in meinem Kopf befindet sich eine große Lücke. Krampfhaft versuche ich die Geschehnisse zu sortieren.
Was habe ich alles vor dem Volleyballtraining gemacht?
Ich habe einen Spiegel zerstört, ich bin mit Kyle zur Schule gefahren, habe mir in der Bibliothek Dinge zum Thema Elemente ausgedruckt und durchgelesen und von Vanessa Papiere in die Hand gedrückt bekommen, weil sie will, dass der Homecoming-Abend mit Jonah perfekt wird.
Und Nik und Noah Sears haben heute Geburtstag.
Aber ich bin nie alleine zum Hafen gegangen und ich habe auch nie Nik dort getroffen.
Zumindest nicht im reellen Leben.
Ich setze mich auf und seufze entmutigt.
„Soll ich dir neues Wasser holen?“, fragt Vanessa.
Ich habe noch nicht einmal bemerkt, dass ich mein Glas ausgetrunken habe.
Dankbar nicke ihr zu.
Das Mädchen verschwindet und ich genieße für einen kurzen Moment die Stille.
Doch mir soll keine Ruhe vergönnt sein.
Der Vorhang, welcher das Krankenzimmer trennt, wird erneut zur Seite geschoben und im ersten Moment wundere ich mich, warum Vanessa schon wieder da ist.
Als ich meinen Blick aber auf die Person hefte, welche mich mit einer undurchdringlichen Miene anstarrt, setzt mein Herz für einen Schlag aus.
„Nik?“, frage ich verwundert und räuspere mich.
Für einen kurzen Moment dreht sich alles bei mir, weil ich mir unsicher bin, ob ich mich nun in der Realität oder im Traumland befinde.
Mit ein paar kurzen Schritten ist er bei mir und hält mich an den Schultern fest.
„Das darf nicht noch einmal passieren. Diese Träume…“, ertönt seine gepresste Stimme. Er unterbricht sich selbst.
Ich runzele die Stirn. „Aber ich kann doch gar nichts dafür“
„Es muss irgendeinen Weg geben“, erwidert er und schluckt hart.
Ich schaue auf und starre in seine braunen Augen, in denen sich so viel wiederspiegelt: Skepsis, Missverstehen, Besorgnis, Angst - alles auf einmal.
„Nik…“, flüstere ich und seufze.
Er schüttelt den Kopf und entfernt sich ein Stück von mir.
Ich kann sehen, wie es in seinem Kopf rattert. Nachdenklich schaut er mich an, ehe er hilflos die Hände hochhebt.
„Diese ganze Sache mit den Träumen…das ist doch alles…ich meine…Träume zeigen doch die tiefsten Wünsche eines jenen Menschen und…ich…“, faselt er irgendwelche zusammenhangslosen Sätze und reibt sich die Stirn.
Nach kurzer Denkzeit schüttelt er schließlich entschlossen den Kopf.
„Zieh mich da nicht mit rein“, fordert er auf. Seine Stimme klingt plötzlich kalt.
Er wendet sich von mir ab und marschiert auf den Vorhang zu.
Ich seufze. „Nik…“
Der Blondschopf dreht sich zu mir um, scheinbar ungeduldig.
Ich lächele unsicher. „Alles Gute zum Geburtstag“






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