The Life Shot - Teil 2

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 25.04.2012


So, hier kommt der nächste Teil mit einer unerwarteten Wendung :) Ab hier beginnt die eigentliche Geschichte, ich hoffe sie gefällt euch!
Und vielen lieben Dank für die Kommentare! :-*

|Eins|
- Neustart

›Juli‹

Prüfend werfe ich einen Blick auf das Display der Videokamera, ehe ich auf »Play« drücke und ein Lächeln aufsetze. Der Bildschirm der Kamera ist zu mir gedreht, so dass ich mich selbst sehen kann.
„Hallo, liebes Videotagebuch. Ich kann gar nicht fassen, dass ich die Idee von Carmen tatsächlich in die Tat umsetze und all meine Erlebnisse auf dieser Kamera festhalten werde“, beginne ich und schüttele über mich selbst den Kopf.
Mit einem Seufzen drehe ich meinen Kopf zur Seite, wo ich all die Umzugskisten sehen kann, welche sich im neuen Wohnzimmer türmen.
„Mein Vater hat mir vor drei Monaten seine geniale Idee mitgeteilt: Wir werden nach Amerika auswandern“, fahre ich fort und runzele die Stirn. „Ja, meine erste Reaktion war pures Entsetzen und Sprachlosigkeit“
Ich erinnere mich, wie ich bei Papas Verkündung die Gabel auf den Teller fallen gelassen habe.
›Das ist ein Witz‹, habe ich gesagt und ihn fassungslos angestarrt.
Doch mein Vater schaute mich nur gelassen an und antwortete: ›Ich meine es ernst, Sidney. Wir könnten in derselben Stadt wohnen, wo auch meine Mutter - deine Oma - lebt. Sie wird sich freuen, dich endlich mal öfter zu sehen; sie bekommt dich ja kaum zu Gesicht‹
Nachdenklich biss ich mir auf die Unterlippe.
Der Grund für Dad’s plötzlichen Umzugsvorschlag war sein Beruf. In Amerika könnte er bei einer tollen Firma arbeiten, die unglaublichsten Landschaften fotografieren und obendrein noch in der Nähe seiner Mutter leben.
Ich gebe zu, dass auch ich vorher hin und wieder von Amerika geschwärmt habe. Wer nicht?
Die USA war schon immer ein Traum von mir gewesen, unerreichbar und mit so viel Abenteuer verbunden! Schon allein der Gedanke daran sorgte für aufgeregtes Herzklopfen.
Ein Leben in den Vereinigten Staaten? - Davon konnte ich bisher nur träumen!
„Aber muss ich sagen, dass ich auch von dem Gedanken fasziniert war, in Amerika zu leben. Ich meine: Wie oft hat man schon die Möglichkeit sich ein Leben in der USA aufzubauen?“, sage ich und betrachte kurz mein Gesicht in dem Bildschirm. „Allerdings gibt es da jedoch auch noch ein kleines Problem - das Loslassen. Ich musste Freunde aufgeben, mein altes Leben hinter mir lassen, nur um mit meinem Vater hier neuanzufangen“
Ich betrachte meine Umgebung. Das Wohnzimmer ist recht groß und besitzt schöne warme Farben, welche beruhigend auf mich wirken. Zurzeit befinden sich in jedem Raum noch eine Menge Umzugskisten, die Papa und ich auspacken dürfen. Bisher gefällt mir das Haus sehr gut.
Genau wie all die anderen amerikanischen Behausungen besteht es aus weißem Holz und einer kleinen Veranda mit einem hübschen Garten, den ich jetzt schon liebe.
An den Fenstern sind die typischen Fensterläden zu sehen, welche gut zu den ebenfalls dunkelblauen Dachziegeln passen. Es ist ein bescheidenes Heim, nicht besonders groß, aber mit ausreichend Platz.
„Der Umzug war Chaos pur“, berichte ich weiter und stoße bedächtig die Luft aus. „Die Möbel von Schottland nach Amerika zu transportieren ist wohl eines der schwierigen Dinge im Leben. Aber Dad und ich haben es geschafft. Und ich bin wirklich unglaublich erleichtert, dass alles heile angekommen ist“
Mit diesen Worten werfe ich einen vielsagenden Blick auf den alten Wohnzimmerschrank, dessen Glasscheiben nicht einen Kratzer besitzen.
„Ich bin gespannt, wie mein Leben hier in Maryland sein wird. Im Moment kämpfe ich noch mit der Angst, vor zu großem Heimweh und der Befürchtung, ein Außenseiter zu werden. Das Leben auf der High School stelle ich mir anders vor, zumal ich keine Uniform tragen muss. Ich bin mir sicher, dass es nicht einfach sein wird, aber dennoch blicke ich mit Zuversicht in die Zukunft“
Mit einem Lächeln schalte ich die Kamera aus und seufze.
„Das hast du sehr schön gesagt“, höre ich die amüsierte Stimme meines Vaters.
Erschrocken drehe ich mich zu ihm um und werfe meinem Dad einen vorwurfsvollen Blick zu.
„Das ist privat“, kläre ich ihn auf. „Ein Videotagebuch“
„Keine Sorge, ich habe nur das Ende von deinen Worten mitgehört“, meint er beschwichtigend und hebt die Hände hoch. Dann hebt er interessiert die Augenbrauen. „Ein Videotagebuch von deinem neuen Leben in Amerika? Das hört sich vielversprechend an“
Ich zucke mit den Schultern. „Es war Carmens Idee“
Bei dem Namen meiner besten Freundin stocke ich kurz. Wieder überkommt mich einer der Momente, wo ich erst realisieren muss, dass ich mit Carmen nur noch per Telefon und sozialen Netzwerken Kontakt halten kann. Vielleicht kommt auch hin und wieder ein Besuch dabei raus, das wird aber eher selten sein.
Mein Vater hat mir drei Monate Zeit gegeben, um mich an den neuen Gedanken zu gewöhnen und mich von meinem alten Leben zu verabschieden. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass es nicht Zeit genug war.
„Ist alles in Ordnung?“, fragt Dad auf einmal besorgt.
Ich setze ein Lächeln auf. „Alles okay. Ich bin nur erschöpft und brauche dringend eine Dusche“, erwidere ich.
Gesagt, getan.

Mit einem verboten kurzen Bademantel, der mir gerade Mal bis zu den Knien geht, husche ich in mein neues Zimmer, welches in einem sandfarbenen Ton angestrichen wurde.
Die Möbel stehen schon an ihren richtigen Plätzen, nur die Kisten müssen noch ausgepackt werden. Im Moment wirkt meine neue Privatzone sehr charakterlos und kalt, aber ich bin mir sicher, dass sich das bald ändern wird.
Mit einem seltsamen Kribbeln im Bauch öffne ich meinen Kleiderschrank, den ich schon eingeräumt habe. Hastig suche ich mir meine Schlafkleidung raus - bestehend aus Boxershorts und Top -, bevor ich den Schrank schließe und mich kurz in den eingebauten Spiegeln betrachte.
Gerade, als ich in die Shorts schlüpfen will, bemerke ich auf einmal eine Gestalt, die im Spiegel hinter mir zu sehen ist.
Erschrocken drehe ich mich um und kann somit direkt aus meinem Fenster in das Nachbarfenster blicken, wo eine Person steht, die mich erwartungsvoll anschaut. Empört schnappe ich nach Luft - was fällt diesem Jungen ein, mich zu beobachten?! - und trete an das Fenster heran. Ich nehme die Gardinen in die Hände und lege den Kopf schief. Mit einem süffisanten Lächeln schaue ich meinen Gegenüber an, der leicht schmunzelt, bevor ich mit einem Ruck die Gardinen zuziehe.
Perverser Typ! - Nutzt die Chance aus, ein Nachbarmädchen im Bademantel zu beobachten! Dabei ist er kaum älter als ich!
Kopfschüttelnd ziehe ich meine Schlafsachen an und lege mich in mein Bett. Die erste Nacht in Amerika steht mir bevor. Und ich bin seltsamerweise hellwach.
Wahrscheinlich bin ich dem altbekannten Jetlag verfallen - meine innere Uhr muss sich erst mal an die neuen Verhaltensweisen gewöhnen.
Seufzend schnappe ich mir meinen iPod und versuche mich in die Traumwelt zu begeben.

Am nächsten Morgen frühstücken Papa und ich bei meiner Großmutter Harriet. Und ich muss sagen: Sie kann wirklich großartige »Pancakes« braten. Für dieses Frühstück lohnt es sich am Morgen aufzustehen, stelle ich schwärmerisch fest. Eifrig esse ich einen Pfannkuchen nach dem anderen, bis ich glaube, mein Bauch platzt gleich. Es tut auf eine gewisse Art und Weise gut, sich so ausgefüllt zu fühlen.
„Möchtest du noch einen?“, fragt Großmutter Harriet mit einem neckischen Zwinkern und deutet auf die Pfanne.
Ich stöhne. „Bloß nicht!“
Harriet lacht ihr herzhaftes Lachen, wobei viele kleine Fältchen sich um ihre braunen Augen bilden, welche meine Oma sympathisch wirken lässt.
Mit einem beinahe erstaunten »Puuh« betrachte ich den leeren Teller vor mir und lehne mich in den Stuhl zurück.
„Ich glaube, ich habe mich noch nie so satt gefühlt“, meine ich und berühre meinen Bauch.
„Ich hoffe, deine Beine werden dein Gewicht noch tragen können!“, scherzt Harriet und wirft das Geschirrhandtuch über die Spüle. „Du musst dich beeilen, Sidney“
Verwundert hebe ich die Augenbrauen. „Wieso? Haben wir heute noch irgendetwas vor?“, frage ich und schaue meinen Vater an, der stumm seinen nächsten »Pancake« isst.
Großmutter Harriet klärt mich auf. „Heute beginnt das Hafenfest“, erklärt sie und wirft Dad einen tadelnden Blick zu, als dieser sich eine gehörige Portion Apfelmus auf seinen goldenen Pfannkuchen schmiert. „Und um 11:30 Uhr gibt es immer eine kleine Parade. Vor allem für die Touristen ist dies ein beschauliches Spektakel“
„Bezeichnest du mich gerade als Tourist?“, hake ich lachend nach.
Meine Oma verdreht lächelnd die Augen. „Natürlich nicht. Obwohl St. Michaelis noch sehr fremd für dich ist, bist du jetzt einer von knapp 1.200 Bürgern“
Ich weiß, dass meine neue Heimatstadt ziemlich klein ist, aber dafür einer der schönsten Orte Marylands. Viele Touristen besichtigen die Stadt, fahren mit dem Schiff nach Annapolis oder betrachten die interessanten Artefakte im
»Chesapeake Bay Maritime Museum«. Zudem gibt es hier ungeheuer viele Restaurants und Souvenirläden; die kleine Hafenstadt ist wirklich eine Attraktion.

Bevor Papa, Großmutter Harriet und ich das Hafenfest besuchen, packe ich noch schnell meine Videokamera ein, die ich im März zu meinem 17. Geburtstag bekommen habe.
Während wir die Straße zu den Fischerbooten entlanggehen, drücke ich auf »Play« und berichte von unserem Vorhaben.
„Es ist Samstag - mein erster offizieller Tag in Amerika - und heute findet ein Hafenfest statt. Ich kann schon den Geruch von Fisch und Meer wahrnehmen, der Hafen scheint also nicht mehr allzu weit entfernt zu sein“, rate ich und werfe einen skeptischen Blick gen Himmel, wo schnatternde Möwen ihre Runden ziehen.
Ich hasse diese Tiere, zumal sie einen immer das Essen wegnehmen und wir Menschen ständig ihrem Kot ausgeliefert sind.
Ein Schauer des Ekelns erfasst mich und schnell versuche ich den Gedanken zu verwerfen. Ich richte meine Kamera auf Großmutter Harriet, welche ein wenig verträumt die Geschäfte betrachtet.
„Oma?“
Abrupt dreht sie ihren Kopf in meine Richtung. „Hm?“
„Was kannst du uns über St. Michaelis sagen?“
Warum ich auf einmal in der ersten Person Plural spreche, ist mir schleierhaft.
Harriet lächelt. „St. Michaelis ist eine kleine, hübsche Stadt am Meer und mir schon sehr vertraut“
Überrascht hebe ich die Augenbrauen. „Wie lange wohnst du denn schon hier?“
„Ach, fast mein ganzes Leben lang. Zumindest kommt es mir so vor“, meint sie und macht eine wegwerfende Handbewegung. „Es war die Heimatstadt von Henry, also bin ich schon früh mit ihm hierhergezogen. Er wollte unbedingt wieder in St. Michaelis leben, nachdem wir uns in New York kennengelernt haben“
Henry ist mein Opa, der vor elf Jahren an Krebs gestorben ist. Ich kann mich nicht sehr gut an ihn erinnern; gesehen habe ich ihn nur sehr selten, zumal er sich oft im Krankenhaus befand und Papa und ich sowieso in Schottland lebten.
„Thomas ist hier aufgewachsen und hat in dieser Stadt auch deine Mutter kennengelernt. Als die beiden nach Schottland gezogen sind, war ich mir sicher, dass dein Vater eines Tages wieder zurück kommen wird“
Und Großmutter Harriet hat Recht behalten.
„Henry hat mich mit dem Zauber dieser Stadt angesteckt“, fährt sie in Gedanken versunken fort. „Am Anfang mag der Fischgeruch vielleicht abstoßend wirken und der kühle Wind lästig, aber mit der Zeit lernt man diese Dinge zu lieben“
Ich werfe einen fragenden Blick zu Papa, der seine Mutter ebenso stirnrunzelnd anschaut wie ich. Dann zuckt er mit den Schultern und schaut sich wieder um.
Mit einem Seufzen lasse ich meine Kamera durch die Straße schwenken, Passanten kommen uns entgegen oder schlagen denselben Weg ein wie wir. Auf einmal weht uns von Weitem leise Musik entgegen, ich werfe dem Rest meiner Familie einen neugierigen Blick zu.
„Ist das die–“
„Parade“, unterbricht Dad mich und nickt mir zu. „Ja, wir scheinen nicht mehr weit entfernt zu sein“
Ich fühle mich plötzlich wie ein kleines, aufgekratztes Kind, welches zum ersten Mal einen Jahrmarkt oder Ähnliches besucht. Mit klopfendem Herzen beschleunige ich meine Schritte.
Wir biegen in eine kleine Seitenstraße ein, welche nur so vor Geschäften, Restaurants und Hotels trotzt. Am Ende der Straße kann ich die bekannte Promenade erkennen und das dahinterliegende Meer. Ich zoome mit meiner Kamera näher an das glitzernde Wasser heran, welches in der warmen Sonne verschwörerisch funkelt.
Schaulustige Menschen haben sich links und rechts an der Promenade versammelt und strecken ihre Köpfe in die Richtung aus der die Parade kommt. Wir gesellen uns zu ihnen und ich stelle mich auf Zehenspitzen, um besser sehen zu können. Die Musik wird lauter, Flöten, Trommeln und Trompeten spielen im Einklang eine lebhafte Melodie.
„Erwarte nicht zu viel“, raunt mein Vater mir zu, als ich mich ein wenig nach vorne drängele. „Die Parade ist eher langweilig. Nahezu die halbe Stadt ist daran beteiligt“
Ich runzele die Stirn. „Aber die vielen Leute hier…“
„…sind fast alle ausschließlich Touristen“, vollendet er meinen Satz und hebt die Augenbrauen.
„Ist das etwa alles nur eine Show, um sie zu beeindrucken?“, frage ich ein wenig verärgert.
Papa lacht auf. „Nein, es hat tatsächlich etwas Traditionelles“
Ich rümpfe die Nase und richte meine Kamera auf die sich nähernde Parade. Ein Junge in einem Gaukler-Kostüm führt den Marsch an, in seiner Hand ein Schild, welches das Wappen der Grafschaft von St. Michaelis zeigt: Talbot.
Hinter ihm kommt eine Kutsche zum Vorschein, in denen sich zwei Insassen befinden.
„Das sind der Bürgermeister und der Gouverneur“, erklärt Dad.
Ich nicke nur und betrachte die Musiker, welche nach der Droschke auftauchen. Allesamt stecken sie in grün-weißen Uniformen und spielen eine fröhliche Musik. Nach den Musikern erscheinen Männer in Matrosen-Kleidung, die stolz mit der Parade marschieren. Ob kleine Junioren, männliche Teenager oder alte Rentner, alle marschieren sie mit. Wieder kommt eine Musiker-Truppe zum Vorschein, danach Frauen und junge Mädchen, die gut gelaunt den Zuschauern zu winken und hin und wieder einen Spruch im Chor aufsagen.
Zu guter Letzt sind da noch zwei Reiter, die sich auf weißen Rössern befinden und wieder die Flagge der Grafschaft Talbot präsentieren.
Die Parade ist zu Ende.
Ich drücke auf »Stop«.
Und auf einmal sehe ich den Nachbarsjungen - der perverse Beobachter - auf der anderen Seite der Promenade mir gegenüber stehen.
Meine gute Laune bekommt einen kräftigen Dämpfer.
Ich seufze und ignoriere ihn vollkommen, während ich meine Kamera in meine Tasche verstaue. Als ich doch einen kurzen Blick zu meinem Nachbar werfe, schleicht sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen.
Hastig wende ich mich von ihm ab.







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