The Life Shot - Teil 10

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 27.05.2012


Uii, vielen lieben Dank für die Kommentare! :) Die spornen mich immer wieder an :-*
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|Neun|
- Gewissensbisse

Ich beiße mir auf die Unterlippe und drücke auf »Play«.
Das rote Lämpchen der Kamera leuchtet mir entgegen, als ich mich vor die Linse setze und eine theatralische Stille aufbaue.
Schließlich fange ich an zu reden.
„Ich bin das Element Geist“, sage ich. Es ist komisch, diese Wörter laut auszusprechen. „Ich besitze Fähigkeiten, die mir selbst Angst einjagen, habe einen unschuldigen Mann verletzt, vielleicht sogar getötet, bin eine miserable Lügnerin und - zu allem Überfluss - hat Nik Sears mich geküsst“
Ein Seufzen entweicht meinen Lippen.
„Zusammenfassung: Mein Leben hat sich gehörig auf den Kopf gestellt“
Ich bin völlig durcheinander.
Alle sagen, Nik sei bösartig. Ich selbst kann dem irgendwie nicht zustimmen.
Alle sagen, Noah sei toll. Nik empfindet für seinen Bruder nur Hass. Und ich weiß nicht, was ich denken soll.
Großartig, Sidney. Du befindest dich wieder in einer glanzvollen Situation.
„Ich weiß nicht, ob ich wütend auf Nik sein soll. Er hat mich zwar ohne Erlaubnis geküsst, aber es war ja nicht so, dass ich wirklich abgeneigt war oder er mich gewaltsam dazu gezwungen hat. Es war sogar sehr…schön gewesen“, gestehe ich mir ein.
Allein der Gedanke an den Kuss lässt mein Herz wieder unkontrolliert rasen und die Röte in meinem Gesicht aufsteigen.
Ich erinnere mich, wie ich - nachdem ich Amy so grob abgewürgt habe - Gewissensbisse bekam und sich eine peinliche Stille zwischen Nik und mir ausgebreitet hat.
Die Bilder der Erinnerung werden wieder lebendig.

~~
„Ich bin dafür, dass du jetzt mit dem Reden an der Reihe bist“, unterbricht Nik die Stille zwischen uns schließlich.
Ich schlucke hart und traue mich nicht, ihn anzuschauen. „Nun, ähm…“, ich räuspere mich. „Was willst du wissen?“
„Erzähl mir etwas von deinem Leben in Schottland“, fordert er mich sanft auf.
„Das ist eher uninteressant“, wehre ich ab.
„Glaub ich dir nicht“
Ich seufze. „Nun, meine Eltern sind nach Schottland gezogen, etwa fünf Jahre vor meiner Geburt“
Nik öffnet den Mund zu einer Frage, doch hastig rede ich weiter.
„Meine Großmutter Harriet, väterlicherseits, hat mir erzählt, dass die Eltern meiner Mutter bei einem Autounfall gestorben sind, weshalb Linda mit meinem Vater nach Schottland gezogen ist. Scheinbar wollten sie ein neues Leben in einem neuen Land aufbauen. Fern von Amerika“
Ich mache eine kurze Pause und überlege kurz.
„Ich denke, dass sie nach Schottland gezogen sind, weil dort mein Onkel Alfie wohnt. Aber ich bin mir nicht sicher. Dad erzählt nicht viel von meiner Mutter, ich glaube, er möchte nicht so gerne an sie erinnert werden. Nach meiner Geburt ist sie einfach abgehauen, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt“
„Du hast sie nie kennengelernt?“, fragt Nik verwundert.
Ich schüttele den Kopf. „Nein. Ich bin alleine von meinem Vater aufgezogen worden. Wir haben viele Städte in Groß Britannien erkundet, die letzte Stadt war Poole gewesen, wo mein Onkel wohnt“ Bei dieser Erinnerung seufze ich. „In Schottland habe ich nicht viele Freunde gehabt, nur Carmen. Ich bin kein wirklicher kontaktfreudiger Mensch, halte gerne Abstand. Mein Leben war eher…schlicht“
„Das muss ein krasser Kontrast sein, im Gegensatz zu deinem jetzigen Leben in St. Michaelis“, bemerkt Nik und nippt an seiner Cola, die er sich noch bestellt hat.
Schließlich muss er noch Auto fahren, wofür Whiskey eher ungeeignet ist.
Ich seufze.
„Ja, das ist wirklich ziemlich viel auf einmal“, gebe ich zu und massiere meine Schläfen. Alkohol am helllichten Tag? - Nicht gut.
„Weiß dein Vater von deiner…Begabung?“, hakt Nik nach.
„Ich weiß es nicht, aber es ist eher unwahrscheinlich. Er hat mir nie davon erzählt“
Der Blondschopf nickt nachdenklich.
Eine Frage schleicht sich in meinen Kopf, so dass ich mich zu ihm drehe.
„Wie hat Noah das mit dem Feuer-Element herausgefunden? Haben eure Eltern ihm das erklärt? Hat er es durch Zufall erfahren?“, frage ich stirnrunzelnd.
Nik’s Lippen verziehen sich zu einem spöttischen Lächeln. „Wir waren Kinder, Sidney. Neugierig, experimentierfreudig. Naiv. Mein Bruder und ich haben bei Onkel Mikel in der Scheune übernachtet, wir fanden es furchtbar aufregend. Doch wie es zwischen Geschwistern nun mal ist, haben wir uns angefangen zu streiten. Dabei muss mein Bruder so wütend gewesen sein, dass er auf einmal ein Feuer bei den Strohbällen entfacht hat. Wie genau, konnte er nicht erklären. Es war das erste Mal, dass er seine Fähigkeiten benutzt hat“, erzählt Nik und nimmt wieder gedankenverloren einen Schluck von seiner Cola.
Interessiert höre ich ihm zu.
„Es ist nichts Schlimmes passiert. Zum Glück ist Onkel Mikel rechtzeitig zu uns gestoßen und hat das Feuer gelöscht. Wir durften uns eine gehörige Strafpredigt anhören“ Bei diesem Gedanken lächelt Nik. Doch sofort wird er wieder ernst. „Da haben unsere Eltern beschlossen, uns die Wahrheit zu offenbaren“
„Warum haben sie euch nicht früher davon erzählt?“, frage ich leise.
„Sie hatten Angst“, erwidert Nik und schaut mich auf einmal eindringlich an. „Ein Element zu sein, trägt eine große Herausforderung mit sich. Es ist eine Begabung, aber gleichzeitig auch ein Fluch. Ziemlich paradox, oder? Sie wollten uns so lange wie möglich eine unbeschwerte Kindheit verschaffen“
Ich presse die Lippen fest zusammen.
„Mein Bruder hatte zuerst Angst vor diesem Erbgut“, fährt Nik seufzend fort und lehnt sich zurück. „Aber schnell, hat er es sich zum Vorteil gemacht“
„Wie hat er herausgefunden, dass die anderen auch Element-Träger sind?“, frage ich irritiert.
Nik seufzt. „Bei einem Schulausflug an der Junior High hat er beobachtet, wie Leona heimlich Wurzeln aufschlugen ließ, damit andere darüber stolperten. Zuerst war er ziemlich verblüfft gewesen, aber schnell hat er erkannt, dass auch Leona außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt. Sie begannen, sich anzufreunden“
Er macht eine kurze Pause.
„Mit der Freundschaft zu Leona begann der Dominoeffekt“, erzählt er schließlich weiter. „Noah lernte Amy kennen und deshalb auch gleichzeitig Kyle. Die vier haben viel Zeit miteinander investiert, sich zusammengetan und an ihren Geheimnissen rumgefeilt“
„Wie haben die anderen von ihren…von dem Elementkreis erfahren?“
„Leona wurde von ihrem Vater von klein an damit großgezogen. Sie lernte, es zu akzeptieren“
„Leona’s Mutter…Rosalie… sie starb, als Leona noch ein Baby war“, erinnere ich mich laut.
Der Blondschopf nickt. „Rosalie war eine Element-Trägerin gewesen, Leona hat es von ihr geerbt“
„Wie konnte sie dann mit diesen Fähigkeiten aufwachsen?“, hake ich verwirrt nach.
„Es gibt Bücher, Tagebucheinträge, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Jedes Element besitzt einen Haufen dieser Bücher, um seine Fähigkeiten zu perfektionieren. Zusammen mit ihrem Vater hat Leona geübt, auch wenn er nichts von dem ganzen Kram verstand“
Es gibt Bücher?
Dann müsste meine Mutter doch auch welche gehabt haben, oder? Vielleicht war sie ja so gütig und hat meinem Vater ein paar hinterlassen, bevor sie verschwand…
„W-woher weißt du das alles?“, frage ich, überfordert mit den ganzen Informationen.
Nik lächelt schwach. „Als Bruder und ehemaliger bester Freund bekommt man viel mit. Diese ganze Geheimnistuerei der Vier war mir zu verdächtig. Ich habe hin und wieder mal hinterher geschnüffelt, bevor ich herausfand, dass die vier Witzbolde alle unter einer Decke steckten und den Elementkreis bildeten. Nur noch du fehltest“
„Was bewirkt der vollendete Elementkreis?“
Er zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“
„Leona hat von Macht gesprochen, als sie mir ihr Geheimnis offenbart haben“
„Das kann gut möglich sein“
„Aber was denn für eine Macht?“, frage ich und massierte wieder meine Schläfen. Diesmal wegen Kopfschmerzen.
„Da bin ich überfragt“, murmelt Nik und nippt wieder an seiner Cola.

~~
Es klopft an meiner Zimmertür und hastig schalte ich meine Kamera aus.
Fahrig glätte ich mir schnell meine Haare und hoffe, dass die Röte aus meinem Gesicht gewichen ist.
„Herein“
Mein Vater steckt seinen Kopf in mein Zimmer und mustert mich prüfend. Seine grünen Augen schweifen zu meiner Videokamera und ich kann ein leichtes Heben seiner Mundwinkel erkennen.
„Hi Dad“, begrüße ich ihn seufzend und schlage meine Bettdecke zur Seite.
„Geht es dir wieder besser?“, fragt er besorgt.
Ich nicke. „Ja, die Kopfschmerzen sind weg“
Erleichtert stößt er die Luft aus und setzt sich zu mir auf die Bettkante. In seinem Gesicht spiegelt sich liebevoller Kummer wieder.
Er räuspert sich.
„Also kannst du morgen zur Schule?“, fragt er.
Ich nicke und unterdrücke ein Gähnen. Es ist schon spät abends, immer noch Montag, immer noch der Tag an dem Nik mich geküsst hat.
Es ist viel passiert.
„Weißt du, ich habe das Gefühl, dass du dich ein wenig zurückgezogen hast“, beginnt Papa und nestelt an meiner Decke rum. „Ich weiß nicht, wie du in der Schule und mit deinen Freunden zurechtkommst, aber wenn du Probleme hast, dann kannst du jederzeit zu mir kommen“
Ich lächele. „Dad, das weiß ich doch“
„Ich wollte dich nur noch mal daran erinnern“, meint er und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, Sidney“
„Gute Nacht“, erwidere ich und hoffe, dass mein Lächeln tröstlich wirkt.
Denn auf einmal plagen mich wieder Gewissensbisse.

**
Ein grelles Leuchten weckt mich.
Schlaftrunken reibe ich mir die Augen und drehe mich auf die andere Seite, von wo das flackernde Licht stammt. Ich seufze und frage mich träge, was für ein heller Schein mich bloß um diese mitternächtliche Uhrzeit weckt, als plötzlich ein bissiger Geruch meine Nase erfüllt - und sofort schlägt mein Herz Alarm.
Keuchend setze ich mich in meinem Bett auf und drehe meinen Kopf abrupt in die verdächtige Richtung. Gleichzeitig stockt mir der Atem.
Gleißendes Feuer frisst gierig meine blauen Gardinen auf und lässt mich erschrocken aufschreien. Es sind jene Gardinen, welche ich vor dem Fenster zugezogen habe, das mir einen Ausblick in Noah’s Zimmer bietet.
Hastig springe ich aus dem Bett und starre in die lodernden Flammen. Panik überrollt mich, hindert mich daran, klar zu denken. Lähmt mich.
Meine Zimmertür wird mit einem Ruck aufgerissen und Papa kommt zum Vorschein. Seine Augen weiten sich vor Entsetzen.
„Sidney!“, brüllt er.
Seine angsterfüllte und zugleich herrische Stimme zittert. Grob packt mein Vater mich am Arm und zerrt mich aus meinem Zimmer. Ich stolpere ihm hinterher, bin immer noch durcheinander.
Wie konnte das passieren?
Ich presse die Lippen aufeinander und versuche mich auf meine Schritte zu konzentrieren. Eigentlich weiß ich die Antwort doch schon.
Es gibt nur eine Möglichkeit.
Dad stößt die Haustür auf und frische, kalte Luft empfängt uns willkommen. Gierig atme ich den Sauerstoff ein, keuche und huste. Mein Herz verkrampft sich schmerzvoll. Und das nicht nur wegen des Luftmangels.
Ein Feuerwehrauto kommt uns schon entgegen, die Sirenen hallen laut und deutlich über die Dächer der Nachbarschaft. Zwei Polizeiautos folgen mit Blaulicht dem roten Auto.
Schützend legt Papa mir einen Arm um die Schulter und zieht mich fest an sich, starrt das Haus an. Bis jetzt kann man nur Flammen auf der Seite meines Zimmers sehen. Vielleicht wird der Schaden nicht sehr groß werden…
Ich schüttele fassungslos den Kopf. Nachbarn betreten die Straße, beäugen neugierig und ungläubig unser Haus, werden von der Polizei aufgehalten.
Ein Officer nimmt uns bei Seite und stellt Fragen.
Während mein Vater gehorsam antwortet, lasse ich meinen Blick suchend durch die Gegend schweifen. Und finde schließlich die Augen von Noah, dessen Gesichtsausdruck von Entsetzen und Zweifeln gezeugt ist.
Die ganze Familie Sears steht vor ihrem Haus. Ich kann sehen, wie sich die Eltern leise unterhalten und dabei undefinierbare Blicke zu Noah werfen.
Er schaut mich an. Und ringt mit sich.
Mein Blick schweift weiter zu Nik, der mit kühler Distanz das Szenario beobachtet. Seine Miene ist seltsam verschlossen.
Sein linkes Auge besitzt einen auffälligen Schatten. Als ich die Augen zusammenkneife und genauer hinschaue, fällt mir auf, dass… Nik hat ein Veilchen! Ein blaues Auge!
Scharf ziehe ich die Luft ein und schaue wieder zu Noah, der nun die Hände zu Fäusten geballt hat und wegschaut. Seine Haltung ist beinahe abwehrend.
Erkennen macht sich in mir breit.
- Und die Gewissenbisse häufen sich.
„Sidney?“
Die Stimme meines Vaters holt mich wieder aus den Gedanken. Überrascht wirbele ich zu ihm und dem Officer herum, der mich eindringlich anschaut.
Ich schlucke hart.
„Haben Sie das Feuer ausgelöst?“, fragt der Polizist streng.
Mechanisch schüttele ich den Kopf.
„Wie konnte das dann passieren?“
Gute Frage.
In meinem Hirn macht sich schon eine Erklärung bereit, die ich aber nicht aussprechen kann. Aus Prinzip.
»Ich kann Ihnen die Antwort leider nicht sagen. Wissen Sie, dass ist alles sehr kompliziert, da gibt es diesen Elementkreis und ich - das Unglück in Person - gehöre natürlich dazu. Ich besitze eine Gabe, die es eigentlich nicht geben dürfte. Ich weiß von Dingen, die es ebenso wenig geben dürfte. Tja, und dann sind da noch die Zwillinge - Nik und Noah - beide auf ihre Art und Weise seltsam. Nik hat mich heute, also ja eigentlich gestern, geküsst, damit er seinen Bruder eifersüchtig machen kann. Und das hat natürlich wunderbar geklappt. Ich weiß nicht, wie Nik seinen Bruder davon überzeugen konnte, dass er mich geküsst hat, aber anscheinend war er erfolgreich. Er durfte sich ein blaues Auge einfangen und ich wurde ebenfalls Opfer von Noah’s Zorn und Eifersucht. Er ist derjenige, der meine Gardine abgefackelt hat - ob Ausversehen oder mit Absicht weiß ich nicht - und er ist derjenige, der mich scheinbar liebt. Warum, ist mir schleierhaft, zumal wir uns gerade erst seit knapp ein paar Wochen kennen. Ach, das ist übrigens der Typ, der dahinten steht und mir diese reumütigen aber auch tötenden Blicke zuwirft.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe.
Na, großartig.
„Ich weiß nicht, wie das passiert ist“, sage ich schließlich und weiche dem forschen Blick des Polizisten aus. „Ich bin von den Flammen aufgewacht und konnte gar nicht fassen, dass meine Gardine brennt“
Er nickt - aber nicht, ohne mir vorher einen misstrauischen Blick zuzuwerfen - und notiert sich etwas in sein kleines Notizblöckchen.
Ich seufze und schaue wieder zu Noah.
Er scheint immer noch mit sich zu ringen. Anscheinend kann er sich nicht entscheiden, ob er sauer auf mich sein oder Scham empfinden soll.
Ich jedenfalls habe mich noch nie so elendig gefühlt.






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