Atemzeit.. - Teil 16

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 20.08.2012


„Die werden hier nicht so schnell abhauen,“ flüsterte Raziel und schaute zu Michael, als wolle er sich erkundigen, wie der Plan aussehen wird. Einen Moment lang war er in Gedanken versunken.
„Wir sollten sie nacheinander ausschalten,“ werfe ich- ohne Zögern ein und merke, wie Michael mich anschließend ansieht, als hätte er sich gerade verhört. Seine borstigen Augenbrauen hoben sich und seine Stirn lag in unwohlen Falten.
Wahrscheinlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich zur Abwechslung, die Initiative ergreife, denke ich und zucke mit den Achseln. Er gab keine Antwort. Ich stöhnte. Mittlerweile war es dunkel und ausser den Fackeln, die die Gefangenen rund um den Sprungpunkt aufgestellt hatten, konnte man kaum etwas erkennen.
„Vorsicht Zadkiel!“ Flüsterte ich unruhig, als ich sah, wie sich ein Gefangener gefährlich näherte. Er war etwas kleiner, als die anderen und schlürfte genau in Zadkiel´s Richtung, der sich hockend hinter einem Baum versteckte. Michael und Raziel schauten angespannt auf die schemenhafte Gestalt am Waldrand, die immer näher kam. Auch Caprice sah jetzt nervös aus. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie sah mich an, als wüsste sie genau, was in mir vorging. Ich lächelte verschwommen.

„Nein Zadkiel! Nicht!“ Mahnte Michael drohend. Zuspät. Zadkiel hatte nicht lange gefackelt. Er war aus seinem Versteck hervorgesprungen, griff nach dem Kopf des Gefangenen, der erschrocken und überrascht zugleich aussah und schwang sich auf dessen buckelige Schultern. Es ging alles unglaublich schnell und leise, dass nicht einmal die anderen Gefangenen etwas von dem Übergriff bemerkten. Beinahe lässig, brach er der Kreatur, mit einer schwungvollen Bewegung das Genick. Es hörte sich an, wie das Brechen eines morschem Stockes und ließ mich zusammen schauern. Dann kletterte er von der leblosen Gestalt und stolperte zurück in den sicheren Schatten des Waldes.
„Einer weniger.“ Die übliche Gelassenheit in seiner Stimme stieß nicht bei jedem auf Anklang. Michael war das Lachen längst vergangen. „Das war leichtsinnig von dir Zadkiel.“ Konterte er schroff und versuchte seine Stimme zu dämpfen. „Ich kann die Risiken selbst einschätzen! Versuche nicht mich zu belehren, Michael!“ Erwiderte er hartnäckig und bohrte seinen Blick in Michael´s stahlblaue Augen. Seine Stimme klang auch dabei- süffisant.
„Nun gut. Es ist ja noch mal gut gegangen.“ Gab Michael mit zusammengebissenen Zähnen zu. Man konnte erkennen, dass er sich Mühe geben musste, seine Einsicht zu überspielen.

„Der Weg ist einigermaßen frei.“ Piepste Raziel und lugte noch einmal und um sicher zu gehen, durch die Blätter eines schönen Silveerbaumes, der die Farbe von geschmolzenem Glas hatte. Als er weitersprach, war seine Miene angespannt. „Falls ihr nicht vorhabt hier Wurzeln zu schlagen, schlage ich vor, dass wir uns jetzt mit einer Entscheidung beeilen.“ Er hatte recht. Die ganze Mitte war praktisch frei und zugänglich. Die Gefangenen waren ein ganzes Stück von dem Energiepunkt entfernt und durchsuchten gerade den Waldrand, in westlicher Richtung, der sich zu allen Seiten säumte.
„Okay, hört zu! Wenn wir schnell sind können wir uns transportieren, ehe sie bei uns angelangen.“ Entgegnete Michael, wartend auf Zustimmung. Ich runzelte die Stirn. Mir war klar, dass wir nur diese eine Chance hatten. Eine bessere Gelegenheit würde sich nicht kampflos erbieten, dachte ich und stimmte kopfnickend zu. Auch die anderen nickten entschlossen.
„Alles klar! Dann auf mein Zeichen.“ Sagte er wieder ernsthaft und stand auf. Ich erhob mich ebenfalls. Caprice lächelte, als sie an mir vorbei und zu Michael schlich, der sie zu sich gerufen hatte. Mein Herz überschlug sich bei ihrem Anblick. Sie war so zierlich grazil. Zadkiel vergewisserte sich, ob die Gefangenen immer noch weit genug weg entfernt waren und erinnerte daran, dass wir zügig, aber unsichtbar bleiben müssen.
Es konnte losgehen. Ich trat aus dem sicheren Wald und stolperte hinter Zadkiel her, der angespannt den Kopf zu mir umdrehte. Man konnte ihre rasselnden, knurrenden Atemgeräusche in der Luft hören. Michael und Caprice gingen voran. Sie waren schon fast in der Mitte angekommen. Die langen Holzfackeln ragten, in kreisförmiger Anordnung, um den Energiepunkt. Ich schaute ihnen nach, bis sie schließlich im schimmernden Zeitwirbel verschwanden. Ich seufzte erleichtert, während ich weiter hinter Zadkiel herlief. „Verdammt! LAUFT!“ Schrie Raziel plötzlich aus voller Kehle. Ich drehte mich um und konnte sehen, wie die Gefangenen plötzlich lospeitschten. Sie müssen das Licht gesehen haben!? Etwas, das wir nicht bedacht hatten. Verdammt! Ihre Schritte erschütterten die Erde, die zu vibrieren, zu pochen begann. Ein grelles Licht blendete mich und dann konnte ich auch Raziel im Zeitwirbel verschwinden sehen. Mir war heiß und mein Herz raste. Etwas in mir bäumte sich. Fast schmerzlich durchzuckte mich eine glühende Hitze. Zadkiel´s dumpfe Schritte waren genau vor mir. Ich sah ihn nicht an, um zu wissen, dass auch er es geschafft hatte. Doch, als ich ihn dann ansah, konnte ich die Verwirrung in seinem Ausdruck sehen. Denn ich war stehen geblieben. Es war, als würde jemand meinen Körper lenken. Die Gefangenen waren beinahe bei mir angelangt. Ich hörte ihre Schritte und ihre zornigen Laute hinter mir. Doch irgendetwas, tief in mir, sagte, dass ich nicht vor ihnen weglaufen muss. Also, tat ich es nicht. „WAS TUST DU DENN SEITH!? BIST DU WAHNSINNIG!? Vielleicht, dachte ich. Meine Augen schweifte abwechselnd zu Zadkiel, dessen Blick mich eindringlich und prüfend durchbohrte, als wolle er sich vergewissern, ob ich noch ganz bei Trost bin und auf meine Hände, die plötzlich in einem rubinrot leuchteten. „Du kannst sie besiegen,“ flüsterte die kehlige Stimme in meinem Kopf. Ich lächle zögerlich, drehe mich, wie von selbst, auf dem Absatz um und sehe die Gefangenen, die ungläubig vor mir stehen bleiben. Unwissend, ob sie angreifen, oder verschwinden sollen, schauen sie sich Achselzuckend an. Ich lasse ihnen keine Wahl. Hebe meine Hände, die von einem intensiven rot durchströmt werden und lasse die Gewalt des Feuers, dass aus meinen Handflächen lodert, durch ihre erbärmlichen Körper fließen. Ich lenke die Flammen, die mir gehören, höre ihre schmerzverzerrten Schreie, die wie eine Sinfonie in meinen Ohren klingen und stoppe erst, als sie in fetzen vor meinen Füßen liegend zu Staub zerfallen, bis sie nur noch Leere sind, die im Schlund verschwindet.

Meine Augen sind geweitet. Meine Arme hängen leblos von meinem Körper. Sie fühlen sich schwer an, brennen- ohne sichtbare Flammen. Zadkiel zieht mich weg von diesem Ort. Ich fühle mich, wie betäubt. Er zerrt an meinem Körper, bringt mich zu dem Sprungpunkt und hört nicht auf mich anzustarren, mit diesem Blick. Dann öffnet er den Zeitwirbel. Einen für beide. Der Himmel über mir ist orange, als ich die Augen aufschlage. Das Fuchslos. Wir hatten es geschafft. Ich hatte es geschafft. Wie? Zadkiel half mir auf die Beine. Er lächelte und ich hoffte, dass er mir meine Erleichterung darüber anmerkte.






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