Wenn 2 Herzschläge ganz besonders klingen, dann nur, weil sie im selben Rythmus swingen :) - Teil 9

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 15.03.2012


Schweigen.
Ich hatte alles gesagt und erzählt, was ich loswerden musste. Nun hatte ich einen dicken Kloß im Hals und einen leicht tränenverschleierten Blick. Normalerweise vermied ich es dieses Kapitel meines Lebens mir so gründlich in Erinnerung zu rufen. Ich hasste mein früheres Ich. Und ich hasste das beklemmende Gefühl, dass mit der Rückblende einher ging. Der Gedanke, was tatsächlich passiert war, war für mich manchmal noch immer unbegreiflich. Ab und zu stürzte ich in einen reißenden Fluss aus Bildern und Gefühlen der damaligen Ereignisse. Dann musste ich erschrocken feststellen, dass das wirklich meine Geschichte war und ich einmal als ein ganz anderer Mensch gelebt hatte. Ich kämpfte gegen den Strom der verstörenden Emotionen und verschaffte mir pö a pö meine alte nüchterne Distanz. Es war passiert und es war nicht zu ändern. Ich war jung und dumm, jetzt war ich älter und vernünftig. Es war passiert!
Vielleicht war es Schicksal, vielleicht aber nur Zufall, egal wie, beide waren grausam.
Doch ich hatte es endlich geschafft, mich damit abzufinden: Lexie würde nie zurück kommen! Die Zeit heilt alle Wunden, auch wenn eine tiefe Narbe zurück bleibt.
Erik hatte mich während meines schrecklichen Berichts in den Arm genommen und streichelte jetzt fast apathisch meine Hand. Ich sah zu Kim, auch sie hatte Tränen in den Augen. Luca sah sehr betroffen aus, ein Ausdruck, der irgendwie nicht zu ihm passte. Er ergriff auch als erster das Wort:
„Krasse Story!“ Er schüttelte nur ungläubig den Kopf. Kim riss mich aus Eriks Arm.
„Oh Süße. Das ist ja so furchtbar. Es tut mir so Leid!“ Sie schniefte wie ein Walross. Mir war der Trost unangenehm. Immer, wenn ich die Tränen nur noch schwer zurück halten konnte und mich ausgerechnet dann jemand trösten wollte, brach alles aus mir raus. Doch ich riss mich zusammen.
„Ist ja schon gut. Ist lange her und ich hab damit abgeschlossen. Immerhin war ich ja auch 3 Jahre in Therapie.“ Der letzte Satz sollte scherzhaft rüber kommen, ein müder Versuch etwas Schlimmes banal klingen zu lassen. „Macht euch bitte nicht fertig deswegen. Ich wollte nur, dass ihr es wisst und ich hoffe, ihr seht mich jetzt nicht mit anderen Augen.“ Und das war wirklich meine größte Angst. Ich hatte die Geschichte nicht erzählt um Mitleid zu erregen. Das hatte ich in erster Linie sowieso nicht verdient und außerdem hatte ich mit dem Tod meiner besten Freundin abgeschlossen. Ich wollte, dass meine neuen Freunde in meinem Leben mich endlich richtig kannten, mit allen Fehlern, Schatten und Schwächen.
„Du warst also drogenabhängig! 'Maya der Drogenjunkie'...na das hätte ich nicht erwartet!“ Luca mal wieder. Kim boxte ihm verärgert in die Seite.
„Red nicht so! Sie hat einen geliebten Menschen verloren! Das ist schrecklich!“
Er rieb sich empört die Rippen und verteidigte sich aufgebracht:
„Ich wollte nur die Stimmung retten und außerdem hat sie doch gesagt, sie hats überwunden. Werd doch nicht immer gleich gewalttätig du zänkisches Weib!“
„Zänkisches Weib?? Und du... du bist ein ungehobelter und unhöflicher Klotz, der mit Gefühlen spielt, als wären sie Ping Pong- Bälle!“ Sie war wirklich außer sich und hielt schon wieder die Faust zum Schlag bereit. Kim war leicht auf brausend und mich amüsierte der kleine Zwist zwischen den beiden. Luca hielt lachend und verteidigend die Hände hoch.
„Ey! Gewalt ist keine Lösung! Du gehörst echt in ne Selbsthilfegruppe mit deinen Wutanfällen.“
„Und du solltest mal deinen ungesunden Sexualtrieb unter Kontrolle bringen...du...du...LUSTMOLCH!“
Ich prustete los. Kim kicherte selbst über ihre Unbeholfenheit und Luca hielt sich den Bauch vor lachen. Ich drehte mich zu Erik um, wollte sehen, wie er ebenfalls über diese dumme Auseinandersetzung lachte, doch er blickte nur in sich gekehrt ins Leere.
Ich stupste ihn zaghaft an. Er sah sofort zu mir und in seine Augen lag ein nachdenklicher Ausdruck. Auf der Stelle bekam ich leichte Panik. Er hatte sich nicht einmal zu meiner Geschichte geäußert. Hatte ich ihn verschreckt? Sah er die Sache mit den Drogen vielleicht nicht so locker? Ohne das ich es verstand, wurde mir bewusst, dass mir seine Meinung am wichtigsten war. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er irgendwie immer perfekt war und ich mich neben ihm oftmals unvollkommen fühlte.
„Was ist?“ fragte ich ihn leise.
„Ich denke über deine Geschichte nach.“ Er sah ernst aus, aber nicht böse.
„Und?“ Ich lächelte ihn schüchtern und erwartungsvoll zu gleich an.
„Dass deine Freundin auf diese Art gestorben ist, tut mir sehr Leid.“ Dass sie gestorben war, war natürlich kein Schock mehr für ihn, das hatte ich ihm ja schon erzählt. Er redete weiter:
„Ich finde, dass dieser Tom äußerst unverantwortlich gehandelt hat.“ Ein Satz in typischer Erik-Manier, etwas pikiert und vorwurfsvoll. Mir versetzte diese Aussage einen Stich. Tom nur im geringsten an zu zweifeln war mir mehr als fremd und ich war sofort in Verteidigungsposition.
„Warum? Wie meinst du das??!“
„Naja...er hat dich und seine kleine Schwester zum Drogenkonsum verführt. Er war euer Vorbild und er war älter. Das ist unentschuldbar!“ Ich sah ihn schockiert an. Mir tat es förmlich weh, dass ausgerechnet er so über Tom sprach. Kim und Luca, die die ganze Zeit noch im Hintergrund gezankt hatten, unterbrachen ihren Streit und sahen verwundert zu uns. Ich konnte nicht glauben, was Erik da sagte.
„Er war SIEBZEHN!! Verdammt! Er war genau so noch ein Kind!“
„Mit 17 ist man kaum noch ein Kind. Er hätte euch da nicht mit rein ziehen dürfen. In diesem Alter muss man schon so viel Verantwortungsgefühl besitzen!“ Er war ja auch der Heilige unter uns, dachte ich. Ich war stinksauer.
„In diesem Alter!?“ äffte ich ihn nach und fuhr sarkastisch fort „Was hast du denn mit Siebzehn gemacht? Heimlich deinen ersten Porno runter geladen?“ Ich spuckte dir Worte förmlich aus. Er konterte schlagfertig
„Nein, das war mit Dreizehn.“ und grinste dabei selbstgefällig. Ich sah ihn wütend an, im Hintergrund murmelte Luca so etwas wie „Spätzünder“, doch aus dem Augenwinkel sah ich, wie Kim ihm sofort ihre Hand vor den Mund schlug. Ich war verletzt. Jedes schlechte Wort über Tom war wie ein Stich in mein Herz. Er war doch mein Held. Ihn jetzt anzukreiden und zu verurteilen fand ich mehr als unfair. Zermürbt kaute ich auf meiner Unterlippe. Erik seufzte müde.
„Keine Angst, du brauchst deinen Tom nicht so heroisch zu verteidigen. Eigentlich wollte ich damit nur sagen, dass, wenn jemand Schuld an dem Tod des Mädchens hatte, es wohl eher ihr eigener Bruder war, als die gleichaltrige und ebenso naive Freundin.“ Ich sah in verwirrt an. Schuld? Wovon sprach er zum Teufel und worauf wollte er hinaus?
„Ich kann dir nicht folgen Erik.“ Er verzog etwas die Augenbrauen.
„Es ist wohl doch offensichtlich, dass du dir noch immer Vorwürfe machst. Das solltest du nicht. Mehr wollte ich damit nicht sagen.“ Er sah mich liebevoll an und streichelte wieder unbeholfen meinen Arm. Ich bekam eine leichte Gänsehaut von der Berührung. Erik hatte wirklich eine verschrobene Art Mitgefühl zu zeigen. Ich schüttelte verständnislos mit dem Kopf.
„Wieso kannst du dich nicht einfach mal wie ein normaler Mensch ausdrücken?“
„Weil ich eben mehr als normal bin. Und dabei drücke ich mich für dich als Durchschnittsmensch schon recht simpel aus.“ Sein arrogantes Grinsen hätte mir fast die Zornesröte ins Gesicht getrieben, doch ich konnte ihm nie böse sein, wenn er so selbstgefällig daher redete. Es verlieh ihm eine lässige Coolness, die ihn mir jedes Mal sympathisch machte, obwohl das Gesagte so gar nicht charmant war. Ich schüttelte wieder einfach nur mit dem Kopf und unterdrückte ein Gähnen. Ich sah auf die große Wanduhr neben meinem Nachtschrank, es war bereits halb Drei. Kim verstand meinen Blick und setzte sich auf.
„Wir machen uns jetzt am besten los. Ich finde es toll, dass du uns alles erzählt hast. Endlich! Es war längst überfällig.“ Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. Wir gingen gemeinsam zur Tür.
„Ja, du glaubst nicht was wir schon für wilde Vermutungen über deine geheimnisvolle Vergangenheit angestellt haben. Franzi hat mal behauptet, du hättest vielleicht-“ Kim schlug Luca mit voller Wucht gegen den Hinterkopf. Dieser duckte sich in letzter Sekunde und wich so ihrem Schlag um Haaresbreite aus.
„Eyyy!“ rief er empört. Doch Kim brachte ihm mit einem Blick zum Schweigen, dann umarmte sie mich zum Abschied. Luca klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und blinzelte sein anzügliches 'Ich-bin-unwiderstehlich'-Zwinkern. Ich verdrehte lachend die Augen, dann nahm mich Erik unerwartet fest in seine Arme. Wir hatten uns schon oft umarmt, doch dieses Mal nahm ich es viel bewusster wahr. Er drückte mich leicht an sich und ich spürte seine muskulösen Arme um meinen Schultern. Er war ein gutes Stück größer als ich, so dass ich mit meiner Nase direkt an der Stelle zwischen Halsende und Schlüsselbeinknochen an seinem duftenden Hemd hing. Er legte seinen Kopf kurz auf meinen und murmelte „Wir reden morgen nochmal in Ruhe.“ Irgendetwas, ich konnte es nicht mal im Ansatz deuten, löste diese Umarmung in mir aus. Ich erschrak über diesen Zustand und sagte nur unfreundlich:
„Ich muss morgen arbeiten.“ Meine Worte klangen gepresst. Ich fühlte mich ungewohnt wohl in seiner Umarmung und fragte mich gleichzeitig, was mit Erik los war. So viel Nähe lies er sonst nie zu. Am Anfang war es ihm sogar immer unangenehm gewesen, wenn ich ihm die Hand zur Begrüßung reichen wollte und jetzt presste er mich an sich. Ich verstand die Welt nicht mehr. Zu allem Überfluss drückte er dann seine Lippen auf meinen Scheitel, nur ganz kurz und total unüberlegt. Dann lies er mich los und sah mir nochmal tief in die Augen und murmelte etwas Unverständliches zum Abschied. Kim und Luca waren schon im Treppenhaus verschwunden.
Ich stand leicht verdattert in meiner Tür und sah Erik hinterher, wie er federleicht und beschwingt die Treppen runter hüpfte. Er musste noch immer stark angetrunken sein. Die Stelle an die er seine Lippen gedrückt hatte kribbelte und ich rieb mir verärgert über den Kopf.
Ohne weiter über dieses neuartige Verhalten nachzudenken fiel ich halb tot in mein Bett. Erik hatte mein Kopfkissen im Rücken gehabt und während ich ihn eigentlich aus meinen verwirrten Gedanken verbannen wollte hatte ich stattdessen schon wieder seinen Geruch in der Nase . Es roch so gut, so sauber und leicht männlich, doch ich fand den Umstand seinen Geruch zu mögen fiel zu intim und versuchte die Tatsache aus meinen Kopf zu verdrängen. Allerdings war ich auch viel zu müde um mir ein anderes Kissen zu nehmen und so schlief ich ein. Mit dem Gedanken, dass es doch so vieles gab, worüber ich noch vor dem Einschlafen nachdenken müsste und dass dieses Kissen einfach himmlisch roch.


Sonntag Morgen wurde ich durch ein leichtes Schnurren an meinem Ohr geweckt. Ich blinzelte verstohlen unter meiner Decke hervor und sah prompt in die kullerrunden gelben Augen von Diego. Ich seufzte und streichelte ihm seinen süßen Kopf. Entgegen meiner Erwartung hatte ich eine traumlose Nacht gehabt.
Ich drehte mich auf den Rücken und genoss die gemütliche Atmosphäre in meinem Schlafzimmer. Die Sonne stand nach meiner Einschätzung schon hoch am Himmel, doch durch mein Rollo konnte ich das nicht eindeutig sagen. Ich fühlte mich gut ausgeschlafen, es war sicher schon Nachmittag. Ich hatte an diesem Abend Schicht im Copa. Ich hasste die Sonntagsschicht und überlegte schon, ob ich irgendwie absagen könnte. Doch für so etwas hatte ich zu viel Pflichtgefühl, also raffte ich mich auf und schlenderte verschlafen in das Badezimmer, wie immer erst einmal ab unter die Dusche. Nach einer gefühlten halben Stunde war ich fertig, machte mich zurecht und bereitete mir ein mehr als üppiges Frühstück zu. Ich war förmlich aus gehungert und verschlang 3 Brötchen mit Marmelade, 2 Äpfel und ein Joghurt. Es war bereits kurz nach Zwei. Um fünf musste ich an der Arbeit sein. Ich vertrieb mir die restliche Zeit auf dem sonnigen Balkon und dachte nochmal in aller Ruhe über die Ereignisse der letzten Tage nach.
Alles überschlug sich irgendwie, sowohl die mysteriösen und bedrohlichen Vorfälle als auch meine eigene Gefühlswelt. Tom war wieder viel zu präsent und doch trotzdem unerreichbar. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich mit ihm telefoniert hatte. Dummerweise hatte er mit unterdrückter Nummer angerufen, so dass ich nicht mal seine Nummer hatte. Ich hätte mich ohrfeigen können. Ich war am Telefon so aufgeregt gewesen, dass ich nicht mal daran gedacht hatte, ihn nach seiner Nummer zu fragen. Jetzt musste ich warten, bis er sich wieder meldete. Nein, ich sollte nicht darauf warten. Ich sollte hoffen, dass er sich nie wieder melden würde. Das wäre in zweierlei Hinsicht besser: Einmal, das dann auch keine neue „Sache“ passiert war und natürlich, dass ich mich nicht nochmal von seiner Stimme einlullen lassen konnte. Ich war viel zu labil in dieser Hinsicht. Eigentlich war es unfassbar, was dieser Kerl anrichten konnte.
Und was war da eigentlich mit Erik? Ich hatte mich wirklich kurzzeitig irgendwie zu ihm hingezogen gefühlt. Das war echt gruselig. Mal im Ernst, ERIK?! Der sarkastische Bücherwurm, der mich meistens wie ein dummes Kleinkind behandelte. Ich konnte nur noch mit dem Kopf schütteln. Ich war eindeutig schwer traumatisiert. Aber auch er hatte sich merkwürdig verhalten. Gut, das war mir nicht neu. Er hatte viele Macken und vielleicht hatte er einfach nur Mitleid mit mir und war deswegen netter als sonst. Und um ehrlich zu sein wollte ich mir absolut keine Gedanken über Erik machen. Er war ein guter Freund, mehr nicht. Ich schob das hübsche Gesicht mit der großen Brille und den Bernsteinaugen in ein Schubfach meiner Gedanken und beschriftete dieses dick und fett mit: KUMPEL.
Dann dachte ich an die Sache mit dem Hacker. Das war mir ein absolutes Rätsel. Wieso musste auf einmal jemand die ganze Geschichte wieder aufrollen und mir und Tom das Leben schwer machen. Klar, es war bis jetzt noch nichts dramatisches passiert, doch ich fühlte mich bedroht. Allein schon die Tatsache, dass jemand sich so viel Mühe gab nur um uns an Lexie zu erinnern. Er war ja auch erfolgreich mit seiner Methode und im Grunde konnte ich ihm fast dafür danken, dachte ich sarkastisch. So hatte ich wenigstens endlich meinen Freunden davon erzählt. Die ganze Geschichte noch einmal durchzuleben in dem ich sie so haargenau erzählt hatte, zerrte an meinen Nerven. Doch im Grunde war ich froh, dass sie es relativ locker aufgenommen hatten. Besonders Erik...er wollte sich heute noch einmal mit mir unterhalten, hatte er gesagt. Ich musste ihm unbedingt noch erzählen, dass auch Tom diese SMS bekommen und den Computerangriff hatte. Ich war gespannt, was er dazu sagen würde. Er war so clever, vielleicht – Ich brach den Gedanken ab, ich dachte ja schon wieder an Erik. Verärgert sah ich auf mein Handy.
Es war an der Zeit sich langsam für die Arbeit fertig zu machen. Ich schleppte mich lustlos in das Schlafzimmer, zog meine übliche Dienstkleidung, ein orangefarbenes Jägermeister-T-Shirt und eine eng anliegende schwarze Jeans an und dachte verärgert, dass es viel zu heiß für diese Bekleidung war. Ich schwitzte schon in diesem Moment. Dann ging ich in das Badezimmer und betrachtete kritisch mein Spiegelbild. Die paar Stunden auf dem Balkon hatten mein Gesicht gebräunt, das war gut. Nicht gut waren die Augenringe. Ich überschminkte sie verärgert, trug Mascara, Eyeliner und Kajal auf und band mir meine langen Haare zu einem lockeren Dutt. Normalerweise trug ich sie fast ausschließlich offen, doch bei dieser Wärme war das unerträglich.
Dann schlüpfte ich ein Paar bequemer Ballerinas, winkte den Katern zum Abschied und machte mich unmotiviert auf den Weg zum Copa.
In der Bar war nicht viel los. Kein Wunder zum Sonntag und bei diesem wunderbaren Wetter. Ich schwatzte mit ein paar Stammgästen, servierte Cocktails und Bier, ging ab und an eine Rauchen – eine ganz normale Schicht zum Ende des Wochenendes. In Gedanken war ich schon wieder bei dem morgigen Tag, da musste ich zu meiner richtigen Arbeit und es nervte mich, dass ich nur so wenig Schlaf zwischen den zwei Arbeiten hatte. Manchmal fragte ich mich, warum ich mir das überhaupt an tat, doch das zusätzliche Geld und die damit einhergehende finanzielle Freiheit waren es Wert. Außerdem liebte ich ja die Arbeit hinter dem Tresen – normalerweise. Zur Zeit war ich nur etwas abgelenkt, redete ich mir ein. Der mysteriösen Hacker, Toms absolut verwirrender und gleichzeitig so wundervoller Anruf, das befreiende und doch so beklemmende Gefühl meine schreckliche Vergangenheit noch einmal komplett erzählt und damit wieder durchlebt zu haben. Erik strich ich rigoros von der Verwirrungsliste, da war ja nichts Besonderes, dachte ich halbherzig und sah großzügig über die Tatsache hinweg, dass ich überhaupt an ihn gedacht hatte.
In meine Gedanken vertieft stand ich hinter der Spüle und polierte verträumt Gläser. Irgendwann bemerkte ich erschrocken, dass mich ein Kunde schon dreimal angesprochen hatte. Ich sah ihn verwirrt an.
„Wie bitte?“ Er schüttelte verständnislos mit dem Kopf.
„Ich hätte gern eine Whisky-Cola, wenn du dann mal mit Träumen fertig bist!“
„Ok, kleinen Moment.“ Ich drehte mich etwas beschämt um, schnappte mir ein Glas und goss etwas Whisky ein. Sofort schoss mir durch den Kopf, dass das Getränk exakt die Farbe von Eriks Augen hatte. Das konnte doch nicht wahr sein! Verfolgte mich dieser Mensch jetzt schon bei den banalsten Tätigkeiten? Wütend über mich selbst stellte ich die Flasche mit voller Wucht zurück an ihren Platz, goss Cola ein und stellte das Glas zornig vor diesen Typen.
„4,60 Euro, bitte.“ Ich knirschte mehr, als das ich sprach. Manchmal war ich nicht besonders gut als Servicekraft geeignet. Ich konnte so unfreundlich sein.
Der Mann sah mich noch empörter an, schüttelte wieder mit dem Kopf und gab mir auf den Cent genau die geforderte Summe. Bei der Bedienung hätte ich wahrscheinlich auch kein Trinkgeld gegeben.
Ich sah mich in der Bar um, es herrschte fast gähnende Leere. Automatisch flog mein Blick zur Uhr, es war dreiviertel Zwölf. Ich gähnte unverhohlen und rieb mir die schmerzenden Schultern. Meine Chefin Ramona, eine Workaholic, saß mit einen paar Stammgästen an einem Tisch und unterhielt sich angeregt. Ich entschied, dass sich der Abend hier noch ewig in die Länge ziehen würde und beschloss Feierabend zu machen. Meine Chefin würde eh bis zum letzten Gast hier bleiben, das tat sie immer. Und bis auf den Typen, den ich so unfreundlich bedient hatte und einem weiteren Tisch mit 2 stinkbesoffenen Weibern, war Keiner mehr da. Ich konnte also ruhigen Gewissens gehen, verabschiedete mich von Ramona und trat raus in eine angenehme warme Nacht. Ein laues Lüftchen wehte mir in den Nacken und ich ging müde und erschöpft nach Hause.
Auf den ersten Metern bemerkte ich nicht, dass ich verfolgt wurde.

Nach ein oder 2 Straßen hielt ich kurz an um mir eine Zigarette anzuzünden. Von einem Moment auf den anderen kribbelte es an meinem Haaransatz und mir lief ein eiskalter Schauder den Rücken runter. So etwas nennt man dann wohl den Siebten Sinn., doch ich dachte mir noch nichts dabei. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich eine Gestalt. Etwa hundert Meter entfernt von mir, dunkel, groß und bedrohlich. Ich ging schnell weiter, noch war ich unbekümmert und der schattige Umriss des Menschen bereitete mir eigentlich keine Angst, doch drehte ich mich trotzdem nach einer Abbiegung in einer anderen Straße nach ein paar Häusern um. Der Mann, es konnte nur ein Mann sein, war jetzt auf ca. 50 Meter näher gekommen und ging zielstrebig in meine Richtung. Er hatte eine Kapuze auf, ich konnte sein Gesicht nicht erkennen und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er mich anblickte. Ich bekam leicht Panik, ging aber ganz normal weiter. Ich war unzählige Male nachts allein durch Köln gelaufen und noch nie wurde ich verfolgt. Der Mann lief wahrscheinlich nur zufällig den selben Weg wie ich, hatte keinerlei böse Absichten und ich dachte gleich wieder, dass er hinter mir her war. Ich war wirklich ein nervliches Wrack und zog im Gehen an meiner Zigarette.
Dann hörte ich ein Pfeifen. Es war so ein Ton, den ein Mensch machte, um seinen Hund zu rufen. Ein aggressiver Laut, eine Art Befehl und er kam definitiv von der Person hinter mir. Mit einem Mal kribbelte es in meiner Magengegend, ein hohles Angstgefühl. Ich versuchte ein weiteres Mal mich zu beruhigen. Was war denn plötzlich mit mir los? Sonst verfiel ich doch auch nie so schnell in Panik, wenn ein Mann zufällig hinter mir her lief und dann pfiff. Mein Gott! Ich zog wider an meiner Zigarette und bog schnellen Schrittes in die nächste Straße ab.
Ein kurzer Blick über die Schulter. Der Unbekannte war jetzt auf 20 Meter ran gekommen und starrte noch immer auf mich. Zumindest sah es so aus. Ich erkannte mit dem kurzen Blick, dass er komplett in Schwarz gekleidet war, doch ein Gesicht hatte ich nicht erkennen können. Angespannt ging ich weiter, noch ein bisschen zügiger.
Dann pfiff er wieder. Diesmal gefolgt von einem „HEY!!“. Mir rutschte das Herz in die Hose und ich beschleunigte mein Tempo noch mehr. Dieser tiefe und grimmige Ausruf war eindeutig mir gewidmet und mit einem mal war ich mir sicher, dass dieser Typ mich wirklich verfolgte. Die Straßen waren menschenleer, es war mitten in der Nacht und kein einziges Geschäft hatte mehr geöffnet. Bis zu meiner Wohnung waren es noch ungefähr 5 Minuten Fußweg.
Ich bog in die nächste Straße ein, rannte fast und betete inständig, dass mein Verfolger vielleicht doch nicht hinter mir bleiben würde. Mir pochte der Puls in den Schläfen und ich war schon leicht kurzatmig. Ich lief an einem riesigen und langen Schaufenster vorbei und sah nur noch panisch in der Spiegelung, wie die Gestalt vielleicht 10 Meter hinter mir war und ziemlich schnell auf mich zu kam.
Dann sprintete ich los. Ich glaubte, dass ich in meinem Leben noch nie so schnell gerannt war. Ich hörte schwere Schritte hinter mir und immer wieder dieses „Hey!“. Meine Füße flogen förmlich über den Asphalt und die reine Panik beherrschte mich. Der Fluchtinstinkt war so übermächtig, dass ich fast vor lauter Kopflosigkeit meine Tasche von mir geschleudert hätte, nur um noch schneller laufen zu können. In letzter Sekunde fiel mir ein, dass sich dort mein Haustürschlüssel drin befand und ich dann vor verschlossener Tür stehen würde. Also rannte ich noch schneller, drehte mich einmal kurz um und sah, wie der Mann ebenfalls rannte. Ich hätte fast los geheult vor Angst, doch der Selbsterhaltungstrieb lies mich einfach nur rennen und rennen. Ich dankte Gott zwischendurch, dass ich an diesem Tag keine Absatzschuhe angezogen hatte. Ich flog förmlich um die Ecke der nächsten Straße, dann war es nicht mehr weit bis zu meiner Wohnung. Ich drehte mich wieder um und stellte erfreut fest, dass ich eindeutig schneller war als mein Verfolger. Wie ein Hase, der von einem Hund gejagt wird, so kam ich mir vor. In meinem Kopf war kein Platz für irgendeinen anderen Gedanken außer Flucht. Meine Wohnung lag in einem Innenhof. Ich musste durch eine Art Tor, ein ca. 10 Meter langer Tunnel, um auf den Hof zu kommen. In dem Tunnel hallten meine Schritte an den Betonwänden, ich schnaufte vor Anstrengung und die Luft brannte in meinen Lungen.
Endlich war ich da! Ich knallte volle Wucht vor die Eingangstür. Sie war abgeschlossen!
Zitternd und panisch suchte ich nach meinem Schlüssel in meiner viel zu großen Handtasche, sah mich dabei um und hörte die gedämpften Schritte meines Verfolgers im Tunnel. Es war wie in einem schlechten Horrorfilm. Ich fand die verdammten Schlüssel nicht schnell genug. Ein verzweifelter Ton drang aus meiner Kehle, ich wollte am liebsten vor Angst erstarren, doch meine Hände suchten automatisch weiter in der Tasche. Und endlich ertastete ich die kleine Holzkatze von meinem Schlüsselbund. Angetrieben von einem erneuten Adrenalinkick zog ich den Bund aus meiner Tasche und hatte sofort den richtigen Schlüssel in der Hand, steckte ihn ins Schloss, drehte ihn um und stieß mit meiner gesamten Kraft die Haustür auf.
Der Unbekannte war vielleicht noch 5 Meter entfernt und raste auf mich zu. Ich erkannte unter der Kapuze eine schwarze Skimaske, dann knallte ich die Tür vor seiner Nase zu und hechtete die Treppen zu meiner Wohnung rauf. Unten hörte ich dumpfe kraftvolle Schläge an der massiven Holztür.
Den Schlüssel zu meiner Wohnung fand ich nicht sofort, doch das regelmäßige Schlagen an der unteren Tür beruhigte mich und die Panik wich der Erleichterung. Ich hatte es geschafft. Oh mein Gott!
Ich fiel mit pochendem Herzen in meine Wohnung, schloss von innen mehrmals ab, legte die Sicherheitskette ein und sank noch im Flur völlig außer Atem auf den Boden. Ich schnappte panisch nach Luft, mein Schädel dröhnte von der Anstrengung und mein ganzer Körper zitterte unkontrolliert.
Ich war kurz davor mich zu übergeben. Mein Magen rumorte und ich sah alles nur noch verschwommen.
Fassungslos starrte ich auf meine Hände und versuchte meine Atmung unter Kontrolle zu bringen, dann zuckte ich vor Schreck zusammen – meine Türklingel läutete im Sturm.





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