Somebody to love

Autor: Kingda
veröffentlicht am: 11.11.2013


Okay. Ich geb‘s zu. Obwohl ich es schon immer wusste. Aber ich bin ein Außenseiter. Ein Looser, wenn ihr so wollt. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber ich kann nicht wirklich eine Bindung zu Leuten in meinem Alter aufbauen. Die Jungs halten sich selbst für die Coolsten und Mädchen scheinen mich nicht besonders anziehend zu finden. Ich weiß, mit siebzehn sollte man sich solche Sorgen nicht machen, lieber auf die Schule konzentrieren und so ‘nen Quatsch. Aber da ich sowieso Klassenbester bin- was vermutlich ein weiterer Aspekt meiner allgemeinen Unbeliebtheit ist- muss ich mich darum nicht kümmern und hab genug Zeit, mich mit diesem meinem ganz persönlichen Phänomen auseinanderzusetzen.
Mittlerweile hab ich mich eigentlich damit abgefunden. Mädchen stehen nicht auf mich, Jungs halten mich für einen Streber und sogar kleinen Kindern scheint es Spaß zu machen, mir auf der Straße irgendwelche unlustigen Sprüche hinterherzurufen. Was solls’s. Es gibt eben nicht zu jedem Topf einen passenden Deckel. Das dachte ich bis zu jenem Moment heute Nachmittag, als ich ihr begegnete.

Es begann eigentlich ganz harmlos. Während ich wie jeden Samstag den wöchentlichen Einkauf für meine Mutter erledigte, philosophierte ich darüber, wie scheiße Teenager sein konnten. Als ich dann nichtsahnend in unsere Straße einbog, sah ich sie.
Sie lief auf der anderen Straßenseite an mir vorbei und trug Zeitungen aus. Ich hatte noch nie jemanden in unserer Straße austeilen sehen, sie musste neu sein.
Zum ersten Mal in meinem Leben dankte ich Gott für diese wundervolle Siedlungsstruktur, die das Mädchen dazu zwang, alle zwei Meter vor einem Briefkasten anzuhalten. So hatte ich genug Zeit, sie mir anzusehen. Ich registrierte alles auf einen Blick. Seidiges, schwarzes, langes Haar, eine Figur die nicht einmal Heidi Klum hätte toppen können und ein Gang, der ihre modellangen, schlanken Beine betonte.
Ich blieb wie angewurzelt stehen. Sie kehrte mir gerade den Rücken zu und lief die Auffahrt eines der Häuser hinauf. Als sie zurückkam, bemerkte ich ihren leicht federnden Gang und ihre Lippen, die sich stumm bewegten. Offensichtlich hörte sie gerade ein gutes Lied.
Tu was! rief eine Stimme in mir. Tu doch was, verdammt!
Ich setzte die Einkaufstasche wie in Trance ab und überquerte die Straße. Das Mädchen holte gerade einen neuen Stapel Zeitungen aus dem Wägelchen. Je näher ich ihr kam, desto klarer wurde mir, wie hübsch sie war.
Als ich direkt vor ihr stand, schien sie mich erst zu bemerken und schaute mich aus eisblauen Augen verwundert an. Mein Gott, dachte ich. Wie wunderschön.
„Ähem…“, räusperte ich mich und war fast ein wenig verwundert, dass ich überhaupt einen Laut zustande brachte.
Sie schaute mich weiterhin fragend an. Meine Sprachlosigkeit schien sie zu amüsieren, denn sie verzog ihre roten, vollen Lippen zu einem leichten Lächeln und nahm einen Stöpsel aus dem Ohr. Ich bemerkte erst jetzt ihre imposante Größe. Ich, fast eins fünffundachtzig lang, war nur ein kleines Stück größer als sie.
„Äh…k- könnte ich vielleicht auch eine Zeitung haben?“, fragte ich, nachdem ich den dicken Klos im Hals runtergeschluckt hatte. Ich wusste nicht, was für eine Werbung sie da überhaupt verteilte, aber das war in dem Moment egal.
Sie lächelte freundlich, nahm eine Zeitung vom Stapel und hielt sie mir hin. „Klar doch. Hier bitte.“
Ebenmäßige, weiße Zähne und eine engelsgleiche Stimme. Ich schaute sie wie hypnotisiert an und nahm geistesgegenwärtig die Zeitung entgegen. Sie fühlte sich rau und fest an in meinen Händen, wie ein Anker.
„Danke.“
Wie heißt du?
„Was hörst du da?“
Mein Gott, dämlicher ging’s wohl nicht. Aber sie lächelte nur noch breiter und schaute auf den Kopfhörer in ihrer Hand, als sähe sie ihn zum ersten Mal. „Lucky Day von Sasha. Ist immer gut.“ Sie lachte, es klang herrlich, und ich stimmte etwas verklemmt mit ein. Nun, da ich wusste, was für Musik sie hörte, hatte ich keinen Grund mehr, sie weiter aufzuhalten. Das schien sie auch so zu sehen, denn sie lächelte freundlich und hob die Hand- sie hatte schöne Hände mit langen Fingern- zum Gruß.
„Ich muss dann mal weiterarbeiten. Tschüss.“
„Tschüss“, murmelte ich, als sie weiterging, mit diesem federnden Gang, der aussah, als würde sie schweben.
Ich sah ihr noch lange nach, wie sie den schweren Wagen zog und ihn dabei immer wieder von der einen Hand zur anderen wechselte.
„Ein Mädchen wie du sollte nicht solche schweren Sachen tragen“, flüsterte ich vor mich hin. „Ein Mädchen wie du sollte behandelt werden wie eine Prinzessin.“
Ich ohrfeigte mich innerlich sofort selbst für diesen poetischen Mist und wechselte die Straßenseite, um die Einkaufstüte zu holen. Als ich jedoch in unsere Einfahrt einbog, konnte ich den nächsten Samstag nicht erwarten.

„Hey, Johnny, hast du schon das neue World of Warcraft gezockt?“
Ja, ganz genau, mein Name war tatsächlich Johnny. Ich lebte zwar in Deutschland, aber meine Eltern hatten so eine Amerikamacke gehabt. Meine große Schwester hieß Tabitha, auch nicht besser.
„Nein, Lukas, ich spiele kein Computer“, antwortete ich dem schmächtigen Brillenträger, der sich gerade neben mir auf die Schulbank fallen ließ. „Das hab ich dir aber schon eine Millionen Mal gesagt.“
„Das Spiel hat ganz viele neue Features und Extras…“
Ich stöhnte leise. Selbst Lukas, der größte Außenseiter der Klasse, ignorierte das, was ich sagte. Die einzigen, die mir wirklich zuhörten, waren meine Lehrer. Natürlich galt ich als Lehrerliebling, obwohl man eigentlich annehmen sollte, dass dies auf einem Gymnasium nicht allzu selten vorkam. Aber ich hatte meinen Ruf schon weg, und dass ich mit Typen wir Lukas rumhing, half meiner Beliebtheit auch nicht gerade auf die Sprünge.
Mitten in Lukas ausführlicher und enthusiastischer Aufzählung der tollen neuen Extras in seinem hirnverbrannten Spiel stand ich einfach auf und ging zum Waschbecken. Ich seifte meine Hände ein und stellte das Wasser an, nur um Lukas Gerede zu entkommen. Eigentlich hatten wir in der ersten Stunde Rechtskunde, aber unser Lehrer schien sich wieder einmal verspätet zu haben.
Dafür trat jedoch jemand anderes in die Klasse. Ich musste nicht einmal aufschauen, sondern spürte sofort, dass es Katrin war.
Katrin. In jeder Klasse musste es eine Katrin geben, sonst wäre das Schulleben nur halb so aufregend. Meist waren die Katrins dieser Welt hübsch, gemein, zickig und rücksichtslos. Unsere Katrin war all dies, nur zusätzlich noch sehr schlau. Als Zweitklassenbeste folgte sie mir direkt auf dem Fuß, was zwischen uns- neben der üblichen Abneigung- noch ein zusätzliches Konkurrenzgefühl hervorrief.
„Na, JoJo, schon wieder nicht geduscht am Wochenende?“, bemerkte sie beim Eintreten mit einem gehässigen Lächeln und warf einen Blick auf meine eingeseiften Hände.
Ich grinste sie an. Auf geht’s.
„Na Kitty, schon wieder die Haare gebleicht am Wochenende?“
Ich Lächeln erstarb sofort, sie wandte sich abrupt ab und ging zu ihrem Platz. Ich wunderte mich immer wieder, wie wenig dieses Mädchen einstecken konnte. Kein Wunder, bei den Eltern.
Ich könnte euch an dieser Stelle wundervoll etwas über Katrins steinreiche Pädagogen-Eltern erzählen, aber ich glaube, das wollt ihr nicht hören. Stattdessen gebe ich lieber was ganz Witziges zum Thema Haarfarbe bei Katrin Peters zum Besten. Mein Konter war nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn eigentlich hatte Katrin eine dunkelbraune Naturhaarfarbe, mit der sie früher sogar ziemlich gut ausgesehen hatte. Dann kam ihr irgendwann die Idee, ihre Haare blond zu färben. Das ging aber irgendwie schief, wurde zu einem hässlichen graugelb. Damit hielt sie es nicht lange aus und bleichte sich die Haare irgendwann. Das tat sie immer wieder, in der Hoffnung, dass eines Tages ein schönes Blond dabei rauskommen würde. Das hatte auch nicht funktioniert, mittlerweile kam sie mit omaweißen Haaren zur Schule. Vielleicht könnt ihr jetzt verstehen, warum ich mit meinem Kommentar einen wunden Punkt bei ihr getroffen hatte.
Ich trocknete mir immer noch grinsend die Hände ab und setzte mich an meinen Tisch.

Es war Donnerstag, in zwei Tagen würde ich sie endlich wiedersehen! Ich weiß, das klingt jetzt sehr nach Stalker, aber wenn ihr dieses Mädchen nur gesehen hättet…
„Was ist los mit dir, Schatz?“, fragte meine Mutter unvermittelt, als wir bei Tisch saßen. Tabitha, meine Mutter, ich. Das perfekte Dreiergespann.
Mein Vater ist vor drei Jahren abgehauen, muss aber trotzdem für unseren Unterhalt zahlen. Meine Mutter hatte nie wirklich darunter gelitten. Sie betonte immer wieder, dass wir beide allein das Beste waren, das ihr je passiert sei.
„Was soll mit mir los sein? Nichts“, antwortete ich unschuldig und lächelte sie an, um meine Aussage zu unterstützen.
Meine Mutter sah mich noch einen Moment an, gab sich dann aber mit der Antwort zufrieden. Tabitha allerdings musterte mich aus zusammengekniffenen Augen prüfend, bis ich meinen Blick senkte. Na toll, sie wusste wahrscheinlich alles. Warum war gerade ich mit so einer scharfsinnigen Schwester gesegnet?
Ich aß noch ein paar Kartoffeln, um die bescheidenen Kochkünste meiner Mutter nicht infrage zu stellen, und ging dann in mein Zimmer.

So viel zum Anfang :o)






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