Somebody to love - Teil 2

Autor: Kingda
veröffentlicht am: 13.11.2013


Samstagnachmittag. Der Wochenendeinkauf für meine Mutter stand bevor und wieder einmal fragte ich mich, warum sie nicht mal meine Schwester schicken konnte. Tabitha hatte zwar nicht viel Zeit, gebe ich zu- sie studiert in Düsseldorf- aber eine halbe Stunde konnte doch selbst der beschäftigteste Student am Wochenende erübrigen.
Es war zwei Uhr, ich öffnete stürmisch Tabithas Tür und war gar nicht verwundert, ein stockdunkles Zimmer vorzufinden. Augenblicklich kam irgendwo aus einer Zimmerecke ein gequältes Stöhnen.
„Johnny, du Blödmann!“
Ich ignorierte sie, ging auf das Fenster zu und zog mit einem lauten Ruck die Vorhänge beiseite. Helles Tageslicht drang ins Zimmer und jetzt konnte ich auch die klägliche Gestalt meiner Schwester erkennen, die sich unter der Decke verkroch, als wäre die Sonne ihr Feind. Tja, Studentenleben!
„Ich bring dich um!“, vernahm ich eine gedämpfte, raue Stimme aus dem Bett.
„Vielleicht feierst du Freitags einfach nicht so viel, dann muss ich dich nicht jedes Mal Mittags aus dem Bett holen“, sagte ich mitleidlos und zog ihr die Bettdecke weg. Tabitha krümmte sich augenblicklich zusammen, unter ihrer wilden Mähne verzog sie das Gesicht.
„Ich zieh aus!“
„Das sagst du schon seit einem Jahr“, entgegnete ich nur und ging raus. Keine Ahnung, wie man sich jedes Wochenende so abschießen konnte, aber meiner Schwester war wirklich alles zuzutrauen.
Ich war kurz davor, zu gehen, und stand noch vor dem Spiegel, als meine Mutter im Flur auftauchte.
„Was machst du denn da?“, fragte sie belustigt. Ich fuhr sofort vom Spiegel zurück. „Gar nichts.“
Sie musterte mich. „Machst du dich schick fürs Einkaufen?“, grinste sie und gab mir das Geld. Ich spürte, wie ich rot anlief
„Nein“, brummte ich und machte, dass ich rauskam.

Ich wollte gerade zur Kasse gehen, als ich Katrin am anderen Ende des Ganges erblickte. Na toll, ihr wollte ich nicht auch noch am Wochenende begegnen. Schnell stellte ich mich hinter ein Regal und wartete, bis sie weiterging. Sie stand gerade mit ihrem Freund, den ich schon einige Male gesehen hatte, beim Alkoholregal und unterhielt sich angeregt. Dabei zeigte sie immer wieder auf verschiedene Flaschen. Schließlich griff ihr Freund nach einer der Flaschen,- sie sah von weitem aus wie Sekt- sie nickte zufrieden und die beiden gingen lachend weiter.
Ich bezahlte die Einkäufe und ging aus dem Laden nach Hause.
Als ich in unsere Straße einbog, stellte sich beinahe ein Déjà-vu Gefühl bei mir ein, das aber sofort wieder verschwand, als ich an unserem Haus angelangt war und weit und breit keine Spur von dem Mädchen zu sehen war.
Enttäuschung machte sich in mir breit, aber sie konnte ja auch später noch kommen. Ich brachte die Einkäufe in die Küche, setzte mich in mein Zimmer ans Fenster und wartete. Draußen lief ein Pärchen vorbei, irgendwann ein alter Mann mit Gehstock und nach einer Stunde drei kleine Kinder mit Flummis. Ich seufzte und ging aus lauter Langeweile zu meiner Schwester ins Zimmer. Tabitha saß gerade an ihrem Schreibtisch und machte irgendwas für die Uni.
Ich setzte mich auf einen Stuhl am Fenster. Tabitha schaute auf. „Was ist los Bruderherz?“ Es klang allerdings ziemlich desinteressiert.
„Ach, ich habe Kopfschmerzen“, log ich und setzte eine leidende Mine auf. Tabitha runzelte die Stirn. „Bist du dir da sicher?“
Sie glaubte mir nicht.
Ich beschloss, vom Thema abzulenken und fragte: „Was machst du da gerade?“
Sie verdrehte die Augen. „Musikgeschichte. Ich hab keine Lust mehr.“
Musikwissenschaft ist ja auch das Langweiligste, was man studieren kann, dachte ich, sagte aber nichts mehr.
Das brauchte ich auch gar nicht, denn nach einem ursprünglich hoffnungslosen Blick aus dem Fenster sprang ich augenblicklich vom Stuhl. Sie war da, tatsächlich!
Ich blickte mich hektisch im Zimmer um, denn irgendeinen Grund musste ich schon haben, nach draußen zu gehen.
„Was geht denn jetzt ab?“, fragte Tabitha perplex. Da fiel mein Blick auf ihren überquellenden Mülleimer. Das ist es!
Ich schnappte mir die volle Mülltüte und rief Tabitha beim Rausrennen noch zu: „Ein Anfall brüderlicher Liebe.“
Draußen ging ich zu den Mülltonnen, ohne den Blick von dem Mädchen auf der anderen Straßenseite abzuwenden. Sie sah genauso schön aus, wie letztes Mal, nur fehlten die Kopfhörer. Heute also keine Musik.
Ich warf den Müllsack in die Tonne.
Okay, Johnny. Jetzt wird sich herausstellen, ob du wirklich so eine Memme bist, wie alle von dir denken. Du gehst jetzt dort rüber und sprichst sie an!
Sie war schon beim vorletzten Haus der Straße. Ich riss mich zusammen und wollte gerade hinter den Mülltonnen hervor und auf die Straße treten, als das Unvorstellbare geschah. Ich weiß nicht, was genau passierte. Jedenfalls verlor das Mädchen plötzlich das Gleichgewicht, vielleicht war sie gestolpert, und fiel wie in Zeitlupe auf die Straße. Besser gesagt: Sie wäre auf die Straße gefallen, wenn nicht in dem Moment dieser Kerl da gewesen wäre, um sie aufzufangen.
Ich versteckte mich wie aus Reflex wieder hinter den Mülltonnen und konnte nur denken: Wo kam der denn plötzlich her?
Vorsichtig lugte ich um die Ecke. Na toll, der Kerl sah aus wie der leibhaftige Adonis; groß, stark, gutaussehend und auch noch wie ein Held im richtigen Moment. Das machte mein Dilemma nicht gerade leichter. Verdammt! Wäre ich doch nur ein paar Sekunden früher gegangen!
Ich konnte zwar nicht hören was die beiden sagten, aber das war auch nicht nötig, um zu erkennen, wie hin und weg das Mädchen von dem Schönling war.
Er hatte sie aufgefangen und hielt sie immer noch leicht am Arm fest. Dabei lächelte er so umwerfend, dass sie es augenblicklich erwiderte. Sie sagte irgendwas, es sah aus als würde sie sich bedanken, und er machte eine wegwerfende Handbewegung.
Ja ja, jetzt schön den bescheidenen Retter spielen, dachte ich, woraufhin die beiden lachten, als hätten sie meine Gedanken gelesen.
Und jetzt geh weiter! beschwor ich sie stumm. Der Kerl hat dich gerettet, du hast dich bedankt, alles super, geh weiter!
Es lauste mich ungeheuer, dass sie ihre Arbeit vergaß und einen Smalltalk mit dem unbekannten Adonis hielt, während sie mir eine Woche vorher gerade mal eine Frage beantwortet hatte, bevor sie wieder arbeiten gegangen war. Der Kerl schien wohl interessanter zu sein, oder hatte er einfach den Retterbonus? Denn wirklich schlecht sah ich ja auch nicht aus…
Die beiden lachten mir eindeutig zu viel, ich musste etwas unternehmen.
Ohne zu überlegen verließ ich meinen Mülltonnen- Beobachtungsplatz und lief über die Straße auf sie zu.
Je näher ich kam, desto mehr wurde mir bewusst, dass die beiden aussahen wie ein Traumpaar. Ich kam mir vor wie ein ungebetener, störender Gast.
„Hey“, rief ich und versuchte, meine Stimme besorgt klingen zu lassen. „Das war wirklich haarscharf, du wärst ja fast auf die Straße gefallen!“
Augenblicklich hörte sie auf zu lachen und schaute mich etwas perplex an. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Sie erinnert sich nicht an mich.
Aber dann hellte sich ihre Mine wieder auf. „Ja, ich Dummkopf hab die Steinkante übersehen, aber das Schicksal hat mir einen Retter beschert.“ Sie lachte den fremden Kerl an- der von Nahem noch besser aussah- und er lächelte zurück.
Das Schicksal? dachte ich bestürzt. Sie scheint ja wirklich sehr froh über diese schicksalhafte Wendung zu sein.
Eine peinliche Stille entstand, in der wir drei uns mindestens vier Mal räusperten und mir wurde klar, dass ich nun tatsächlich das fünfte Rad am Wagen war.
„Tja“, meinte ich unbekümmert. „Das ist ja noch mal gut gegangen. Hast du vielleicht noch eine für mich?“, fragte ich mit Blick auf ihren Zeitungswagen. Wie dumm ich mir vorkam!
„Oh ja sicher.“ Sie holte eine Zeitung heraus und gab sie mir. Mich ereilte ein seltsames Déjà-vu Gefühl, das ich auch letzte Woche hatte, als mir plötzlich nichts mehr zum Reden eingefallen war.
„Na dann…pass auf dich auf“, sagte ich lasch, drehte mich um ohne auf eine Reaktion zu warten, und ging zum Haus.
Sobald die Tür hinter mir zu war, warf ich die Zeitung auf den Tisch und stürmte in mein Zimmer ans Fenster.
Die beiden standen immer noch draußen und unterhielten sich. Verdammt, die reden jetzt bestimmt über mich! Insgeheim hatte ich gehofft, dass der Kerl annehmen würde, ich wäre der Freund von dem Mädchen, und dann schön Leine ziehen würde. Aber nach meinem peinlichen Auftritt war es kein Wunder, dass sie immer noch beieinander standen, als wäre nichts gewesen. Während ich die beiden beobachtete, registrierte ich am Rande den sauber geflochtenen schwarzen Zopf des Mädchens. Ich war immer der Meinung gewesen, dass Zöpfe bei Mädchen in meinem Alter albern und grundschulhaft aussahen. Aber ihr stand er einfach perfekt. Ich wunderte mich, ob es überhaupt eine Frisur gab, mit der sie blöd aussehen konnte. Wahrscheinlich nicht. Wie gern ich doch ihren Namen gekannt hätte!
Die beiden setzten sich in Bewegung, immer noch lachend und redend. Das gab es ja wohl nicht! Jetzt zieht der glorreiche Retter mit der Prinzessin von dannen, oder was? dachte ich sarkastisch.
Ich ärgerte mich unheimlich, dass ich nicht wusste, wo sie hingingen und was sie zu bequatschen hatten.
„Was machst du denn da?“


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