Somebody to love - Teil 3

Autor: Kingda
veröffentlicht am: 20.11.2013


Ich fuhr erschrocken hoch und wirbelte herum. Tabitha stand im Türrahmen und schaute mich mit hochgezogener Augenbraue an.
„N-nichts“, stotterte ich hastig und versuchte hinter meinem Rücken die Vorhänge zuzuziehen, was Tabithas Aufmerksamkeit natürlich erstrecht auf das Geschehen hinter mir zog.
Sie musterte mich argwöhnisch, schob mich zur Seite und schaute aus dem Fenster.
Ich beobachtete, wie sich ihr misstrauischer Gesichtsausdruck in Unverständnis verwandelte. „Stalkst du etwa unsere Nachbarin?“
Einen Moment schaute ich sie perplex an, dann warf ich selbst einen Blick nach draußen. Auf der anderen Straßenseite lief gerade die alte Ursula Damm entlang, unsere achtzigjährige Nachbarin, und ich konnte die Krampfadern an ihren Beinen von meinem momentanen Standort aus sehen.
„Äh…ja, so sieht’s aus“, meinte ich und stürmte aus dem Raum.

Alles klar, vorhin habe ich von meiner Unfähigkeit erzählt, mit Leuten in meinem Alter Kontakte (oder sogar Freundschaften) zu knüpfen und zu pflegen. Fast achtzehn Jahre lang war meine engste Verbindung zu Jungs die Fäuste derselben in meinem Magen und die engste Verbindung zu Mädchen deren Fragen, ob sie die Hausaufgaben bei mir abschreiben könnten.
Aufgrund dieser Tatsache hätte ich nie gedacht, dass ich, Johnny Kessler, am Montag, den elften Juli 2012, völlig unerwartet an einem entscheidenden Wendepunkt meines Lebens gelangen würde. Hätte ja auch keiner erwarten können.

An besagtem Montag saß ich nichts ahnend an meinem Tisch in der Schule. Es war in der fünfminütigen Pause zwischen den Stunden, und ich machte Hausaufgaben, als plötzlich Katrin vor mir stand, gefolgt von ihren drei Papageifreundinnen. Ich nenne sie so, weil die drei dumm wie Stroh waren, und da Katrin ihre intellektuelle Anführerin war, hatten sie nichts Besseres zu tun, als sie in einem fort zu imitieren.
Ich hob meinen Kopf von den Matheaufgaben, sah sie kurz an und widmete mich wieder den Integralfunktionen. Easy as hell.
„Weißt du, JoJo, mir ist gerade wieder einmal klar geworden, wie wenig ich dich leiden kann.“
Katrins liebliche Stimme drang zäh wie Honig durch meinen mathematisierten Verstand.
„Das beruht wohl auf Gegenseitigkeit“, erwiderte ich geistesabwesend, während ich weiter meine Aufgaben rechnete.
Normalerweise gingen unsere Konversationen nicht weiter als derlei kurze, knappe Schlagabtausche. Deswegen wunderte ich mich, als ihr penetranter Schatten weiterhin auf meinen Tisch fiel, und ich hob resigniert seufzend den Blick.
Sie schüttelte gerade angewidert den Kopf, den Blick auf meine Hausaufgaben gerichtet. „Du bist so ein Nerd.“ Die drei Papageien kicherten.
Normalerweise gab Katrin geistreichere Beleidigungen von sich, sodass ich fast enttäuscht entgegnete: „Weißt du, Katuschka, das war mir bereits bewusst. Aber du weißt schon, dass du nach mir auch Klassenbeste bist?“
Sie rollte mit den Augen. „Aber im Gegensatz zu dir hab ich auch noch ein Leben, Hackfresse.“
Hmm. Ihre Spitznamen waren auch schon mal besser.
Ich seufzte wieder. „Katinka, störe meine Kreise nicht.“
Ihre Reaktion kam jäh in Form eines verächtlichen „Pff, oh bitte, komm mir nicht mit Archimedes. Dein geistiges Level ist für solche Vergleiche zu niedrig.“
Na also, das war die Katrin, wie ich sie kannte.
„Na gut“, meinte ich und warf einen Blick auf ihren Schatten, der einen Großteil meines Tisches bedeckte. „Dann geh mir aus der Sonne.“
Wieder kicherten die drei Papageien, obwohl ich mir nicht sicher war, ob sie überhaupt verstanden, wovon wir redeten.
Katrin merkte wohl, dass sie mit ihrer aggressiven Vorgehensweise rein gar nichts bei mir erreichte. Das frustrierte sie, also wurde sie noch fieser.
„Mein Gott, du hast bestimmt das ganze Wochenende nichts anderes gemacht als…das.“ Sie deutete auf das Matheheft.
Ich konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken, sagte aber nichts.
Sie stützte ihre Hände auf meine Tischkante, und beugte sich vor, sodass die Jungs hinter ihr bestimmt einen tollen Blick auf ihren Hintern hatten.
„Das ganze Wochenende“, sagte sie mit gespielt mitleidiger Stimme und dem ihr eigenen niederträchtigen Gesichtsausdruck „sitzt unser armer Jockel in seinem düsteren, kleinen Zimmer und paukt für die Schule, weil er keine Freunde hat. Und abends, wenn seine Mutti ihm ein Gutenachtküsschen gegeben hat, weint er sich dann in den Schlaf, weil niemand ihn mag.“
Auf ihrem Gesicht breitete sich ein gehässiges Grinsen aus, weil sie bemerkte, dass ich ihr am liebsten gleich zwei linke Haken gegeben hätte.
Aber ich blieb ruhig. Der größte Teil ihrer Rede stimmte ja. Ich hatte keine Freunde, und Lukas zählte nicht wirklich als solcher.
„Naja, in den Schlaf weinen muss ich mich jetzt nicht“, sagte ich ironisch.
„Aber ansonsten-“
„Ach komm schon, du Scheißerle“, unterbrach mich Katrin ungehalten.
„Du bist doch kein Stoiker ohne Gefühle. Du tust ja so, als könnte dir nichts etwas anhaben.“
„Tja, dann ist das wohl so. Deine Mission ist fehlgeschlagen, ich bin nicht in Tränen ausgebrochen. Bye, Kitty.“
Sie richtete sich wieder auf, als wollte sie gehen, überlegte es sich dann aber doch anders, und sagte von oben herab: „Weißt du, Johnny, ich würde wirklich gerne wissen, ob der Hang, sich zu blamieren, bei euch in der Familie liegt.“
Ich stutzte. „Wovon redest du?“
Sie stemmte die Hände in die Hüften und grinste. „Na, deine peinliche Schwester. Wenn du ab und zu mal aus deinem Loch kommen, und dich in einen Club wagen würdest, wüsstest du, wie sehr sie sich jedes Mal, wenn sie in der Disco ist, lächerlich macht.“
Das hatte gesessen. Mitten ins Schwarze. Meine stoische Ruhe war gestört. Verflucht sei Seneca und sein Prinzip der Unantastbarkeit!
Über mich durfte diese wasserstoffblonde Kuh ja so Etwas sagen, meine Konter waren auch nicht immer jugendfrei. Aber bei meiner Familie hatte ich eine verdammt niedrige Hemmschwelle.
„Halt dein Maul, Katrin, es kommt sowieso nur Mist raus“, blaffte ich, und versuchte, den Impuls, ihr meinen Zeige- und Mittelfinger in die stahlblauen Augen zu rammen, zu unterdrücken.
Katrin war scheinbar hocherfreut, mich aus der Reserve gelockt zu haben.
„Ach komm, als ob du das nicht längst wüsstest. So hinterwäldlerisch bist nicht mal du“, sagte sie gehässig. „Deine Schwester hat sich letzten Freitag von mehr Typen durch-“
„Halt die Schnauze!“, bellte ich, lauter als gewollt.
„Und was, wenn ich das nicht mache?“, fragte sie mit aufreizendem Augenaufschlag. „Was dann?“
„Dann spürst du gleich meinen Fuß in deinem Ar-“
„Also wirklich, JoJo“, tadelte sie in übertriebenem Ton, „zu solchen Maßnahmen musst du doch gar nicht greifen. Zeig mir doch nächsten Samstag einfach, dass du besser tanzt als deine Schwester.“
Dieser Satz kam so unvorbereitet, dass ich sie ganz konsterniert anschaute. „W- wie?“
„Am Samstag ist im Prater eine Riesenparty von den vier örtlichen Gymnasien. Komm, und zeig mir, was du drauf hast. Wenn du nicht kommst, dann bestätigt sich meine Annahme, dass du ein kleiner Feigling bist.“
Sprach’s, und ging.
Ich musste mir einen Moment lang klar darüber werden, was sie soeben gesagt hatte. Katrin Peters wusste ganz genau, wie sehr ich Clubs und Discos verabscheute, und das Prater in der Innenstadt war die dreckigste Spelunke ihrer Art. Es war nicht einfach nur eine Disco; es war ein Treffpunkt für die übelsten Poser und Gangs in der Stadt. Kurz: für all das Gesocks, das ich verachtete.
Und wenn ich nicht jeden Samstag aufs Neue Zeuge von Tabithas ausschweifenden Orgien vom Vortag werden würde, hätte ich nicht gezögert und Katrins Behauptungen als Bluff abgetan.
Nur leider hatte sie Recht. Und ich war nun in einem Dilemma, aber vom Feinsten.






Teil 1 Teil 2 Teil 3


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz