Zwischen Sommer und Winter

Autor: Kathrin.
veröffentlicht am: 10.12.2012


Hey. Ich hoffe der Anfang gefällt euch. Ich würde mich sehr über Kommentare, egal ob Lob oder Kritik freuen. Viel Spaß...



Die Sonne strahlte auf mich herab. Die Felder waren goldgelb, der Herbst stand vor der Tür. Ich genoss die Spätsommersonne. Alles war ruhig und entspannt. Das Laub der Bäume verfärbte sich langsam und Familien saßen gemeinsam auf Picknickdecken, manchmal vernahm man Gelächter. Der Duft von Kaffee und Kuchen und purer Glückseligkeit hing in der Luft. Ich lag im Gras und alles schien einfach perfekt zu sein. Auch mich hatte diese friedliche Nachmittagsstimmung eingenommen. Ich wagte es nicht auszustehen, aus Angst diesen Moment zu ruinieren. Und ich genoss es in vollen Zügen. Ich lächelte einfach vor mich hin. In diesem Moment belasteten mich keine Sorgen. Ich war so frei. Ich war so glücklich. Es war Sonntag. Dort fing alles an. Mein neues Leben. Meine neue Liebe. Mein neues ich. Es war der Tag an dem ich erfuhr wer ich wirklich war. Es war der Tag an dem ich anfing an mich zu glauben. Es war der Tag an dem ich Jaromir zu ersten Mal traf.

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es doch geschafft aufzustehen. Ich saß auf meinem, alten, rostigen und trotzdem von mir innig geliebtem Fahrrad. Die Landschaft zog an mir vorbei und meine langen kaffeebraunen Haare wehten im Fahrtwind. Meine weiten, löchrigen Jeans waren ein bisschen hochgekrempelt und saßen locker auf meinen schmalen Hüften. Durch mein schwarzes Top schwitzte ich in der Nachmittagssonne noch mehr, vor der mich meine Pilotenbrille etwas schützte.
Ich war auf dem Weg zu meiner Oma. Kaffeetrinken. Mit meinen Brüdern. Hier begann das ganze Problem. Meine vier Brüder konnten sich nicht ausstehen. Durch banale Kleinigkeiten hatten sie sich zerstritten. Mein Zwillingsbruder war mit sechzehn von zu Hause abgehauen. In seinem kurzen Brief an mich stand, dass er es nicht mehr aushielt, dass er weg musste, Freiheit schmecken und, dass es ihm leid täte mir nichts von seinem Plan erzählt zu haben. Von meinen Brüdern war er mir am nächsten gewesen. Keiner hatte mich so verstanden wie er. Aber das war jetzt auch schon fast sechs Jahre her. Seit sechs Jahren hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Geschweige denn von ihm gehört. Er war einfach auf und davon. Niemand wusste wo er war. Aber genau das war immer sein Ziel gewesen. Komplette Freiheit und totale Anonymität. Und ehrlich gesagt hatte ich ihn in diesen sechs Jahren beneidet. Nicht auf seinen „Lebensstil“, nein, sondern darauf, dass er seinen Traum lebte. Ich wusste nicht einmal was mein Traum war. Ich arbeitete in einem Club an der Bar und schrieb Bücher ohne Sinn. Das war nicht die Erfüllung meiner Träume.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht merkte, dass ein Auto an mir vorbeifuhr. Ich erschrak, kam in schleudern und landete unsanft auf dem harten Asphalt. Fluchend betrachtete ich meine aufgeschürften Handflächen und Knie. Umständlich richtete ich mich auf. Das Auto stoppte quietschend.
„Haben sie denn keine Augen im Kopf?“, der Fahrer des Autos kam mit vor Wut verzerrtem Gesicht heraus. Er betrachtete sein Auto. Suchte es nach Kratzern ab, als er keine fand brummte er: „Gut für Sie.“ Ich wusste nichts auf so viel Dreistigkeit zu sagen. ER hatte mich fast überfahren. Nicht ich ihn. Wütend klopfte ich den Dreck aus meiner Jeans. Als ich aufblickte sah ich geradewegs in die schönsten blauen Augen die ich je gesehen hatte. Sie waren dunkelblau, mit kleinen hellen Punkten in ihnen. Doch gleichzeitig waren es auch die härtesten Augen in die ich je geblickt hatte. Ich sah nur Kälte. Und Einsamkeit.
„Kein Problem. Mir ist nichts passiert.“, erwiderte ich jetzt mürrisch. Ihm schien die Spucke wegzubleiben. Anscheinend war er es nicht gewöhnt, dass man ihm kontra gab. Ich wartete seine Erwiderung nicht ab und fuhr weiter. Auch wenn meine Handflächen brannten. Wie konnte man nur so egoistisch und selbstgefällig sein? Hauptsache seinem Auto ging es gut! Ich schnaubte. Dann fuhr er mit solch einer hohen Geschwindigkeit an mir vorbei, dass ich Angst hatte ich würde ein zweites Mal von meinem Fahrrad segeln. In Gedanken malte ich mir aus wie er geblitzt werden würde und seinen Führerschein verlor. Dann konnte ich selbstgefällig und arrogant an ihm vorbeifahren. Wenn auch nur mit einem klapprigen Fahrrad.
Nach weiteren zehn Minuten war ich in die Straße zu meiner Oma eingebogen. Ein Einfamilienhaus reihte sich ans nächste. Eine Idylle pur. Ich radelte die letzten Meter, doch hielt plötzlich mit quietschenden Bremsen an. Dort stand es dieses verfluchte Auto. Vor dem Haus eines Nachbarn meiner Oma.
Ich kramte meinen Haustürschlüssel aus der Hosentasche und ging aus den Wagen zu. Zurückblieb ein langer, wirklich wunderschöner Kratzer. Ich lachte in mich hinein und bahnte mir grinsend einen Weg durch das Gartentor. Meine Brüder spielten im Garten Volleyball. Meine Oma sah ihnen lächelnd zu und sah dann wieder verträumt in ihr Buch. Sie bemerkten mich erst, als ich mein klapperndes Fahrrad näher schob.
„Freya!“, rief Justus. Er kam auf mich zu und zog mich in seine Arme.
„Hey.“, lächele ich und wurde nacheinander in die Arme meiner Brüder gezogen, die alle älter als ich waren. Als letzte begrüßte ich meine Oma. Es war so schön sie alle wiederzusehen. Und es war so schön meine Brüder nicht streiten zu sehen. Anscheinend hatte sich diese ruhige, friedliche Stimmung auf sie übertragen. Es freute mich einfach.
Im Nu hatten wir den Tisch und die Gartenstühle aufgestellt. Der Apfelkuchen roch nach Frieden und Heimlichkeit. Und nach zu Hause. Meine Oma schaffte, das was meine Eltern nie geschafft hatten. Sie gab uns allen auf eine komische, gute Art ein zu Hause, dass wir nie hatten. Meine Eltern hatten oft keine Zeit. Sie waren arbeiten. Um uns das Luxus Leben zu ermöglichen, dass wir nie wollten. Wir hatten immer alles gehabt was wir wollten. Und genau das war das Problem gewesen. Wir hatten dieses Leben nie gewollt. Und sie hatten es nie verstanden. Hatten uns Geld gegeben. Aber keine Liebe. Keinen Halt. Nur auf uns selbst gestellt. Jeder irgendwie für sich allein. Ich konnte verstehen warum er abgehauen war.
„VERDAMMT!“, schallte es zu uns herüber und riss mich aus meinen trüben, finsteren Gedanken. „Wer war das? Warum macht jemand so etwas!? Ich fass es nicht!“, aufgebracht drang die Stimme des Mannes zu uns herüber der mich vorhin zu Fall gebracht hatte. Ich schmunzelte in mich hinein. Alle anderen blickten sich ratlos an. Meine Brüder sprangen auf und liefen zum Gartentor. Ich lief ihnen hinterher und spähte hinter ihnen um die Ecke. Aufgebracht ging er hin und her, wütend das Handy am Ohr. Als er uns erblickte wirkten seine Gesichtszüge noch düsterer. Mir wich alle Farbe aus dem Gesicht, als er auf uns zu gestapft kam. Wie ein wütender Stier. Abrupt blieb er vor uns stehen.
„Weiß jemand von ihnen wer das gewesen sein könnte?“, er deutete auf seinen Wagen und den langen Kratzer den ich hinter lassen. Meine Brüder schüttelten ratlos ihre Köpfe, schließlich blieb sein Blick an mir haften.
„Sie kenne ich doch irgendwoher?“, murmelte er. Meine Brüder blickten mich erstaunt an.
„Ja, sie hätten mich fast überfahren.“, grummelte ich und lief zurück zum Tisch. Fragend hob meine Großmutter die Augenbrauen. Ich lächelte sie an.
„Hey! Jetzt warten Sie mal!“, ich schnaubte verächtlich, er quetschte sich einfach in den Garten meiner Oma. Bevor ich mich hinsetzen konnte hatte er mich am Arm gepackt und mich herumgezogen.
„Ich weiß genau, dass sie das waren. Aber ich werde von einer Anzeige absehen, Sie müssen es mir auch nicht bezahlen. Ich hoffe einfach nur Sie nie wiederzusehen.“, zischte er mir ins Ohr und seine Augen glühten dabei vor Kälte. Erschrocken über seinen Ausbruch wich ich zurück. Was hatte diesen Mann nur dazu gebracht so zu werden? Was lässt einen Menschen so kalt werden, so berechnend? Was muss passieren?
„Aua! Sie tun mir weh! Lassen Sie mich los!“, sagte ich und versuchte meinen Arm aus seinem eisernen Griff zu befreien. Doch er ließ mich nicht los. Sah mich einfach weiter an. So als ob ich der Tod wäre, oder die Pest. Was ging in diesem Mann vor?
„Haben Sie nicht gehört!? Sie sollen sie loslassen!“, Joel, mein ältester Bruder, stellte sich jetzt vor mich. Mein Arm war jedoch weiter in diesem Schraubstockgriff gefangen. Valerian, mein zweitältester Bruder, sah aus als ob er diesen Typ am liebsten anspringen würde. Ich hoffte er würde es nicht tun. Valerian war Kickboxer. Und ich hoffte wirklich, dass er sein Temperament unter Kontrolle halten würde. Die ganze Situation spitzte sich immer weiter zu.
„Wollen sie sich nicht zu uns setzen? Ich habe Apfelkuchen gemacht.“, meine Oma versuchte zu retten, was zu retten war. Ganz langsam löste sich seine Hand von meinem Arm. Dann setzte er sich neben meine Oma.
„Freya, was ist das für ein Typ?“, Justus sah mich besorgt an.
„Keine Ahnung. Der hat mich vorhin angefahren! Und sich nicht entschuldigt!“, zischte ich.
„Freya, Liebes, kommt setzt euch.“, meine Oma lächelte uns an. Ich setzte mich zwischen Justus und Valerian. Genau gegenüber von ihm.
„Wie heißen Sie, junger Mann? Wenn Sie schon hier sitzen würde ich gerne ihren Namen erfahren.“, meine Oma lächelte lieb. Kalt blickte er zurück und sagte leise:“ Jaromir.“, wie passend eiskalter Name, für einen eiskalten Mann.
Ich holte eine Marlboro aus der Packung und zündete sie an. Tief inhalierte ich den Rauch und beruhigte mich fast sofort.
„Möchtest du nichts essen?“, sie ließ nichts unversucht mich immer wieder durchzufüttern. Bis jetzt blieb mir wenigstens die „Du bist viel zu dünn. Du musst mehr essen“ Tirade erspart.
„Mir ist der Appetit vergangen.“, gab ich zwischen zwei Zügen zurück und blickte ihn direkt an. Und plötzlich blitzte etwas in seinen Augen auf. Lachte der mich etwa aus?! Erst wollte er mich überfahren und jetzt lachte er mich aus?! Wer war dieser Arsch? Ich drückte meine Zigarette aus und ging ohne ein weiteres Wort ins Haus. Von draußen vernahm ich Gelächter. Super, dass sie jetzt alle Freundschaft geschlossen hatten. Ich ging auf den Boden. Ich liebte es hier oben. Vor allem, weil hier alle alten Sachen meiner Oma lagen. Ganz am hinteren Ende des Bodens hatte ich mir meine kleine Ecke eingerichtet. Ich fand ihn so vor wie ich ihn das letzte Mal verlassen hatte. Überall standen Bücherstapel, es lagen offene Bücher auf dem Boden auf dem Bett, was ich mir dort hingestellt hatte und die Teetasse war noch halbvoll.
Ich sah aus dem Fenster. Man konnte alles sehen, die Straße, die Nachbarhäuser, die weiten Felder. Alles so sah friedlich aus. Wie die Sonne ihre Strahlen aussendete, die Kinder in den Gärten spielten. Und da sah ich ihn. Er lief auf der Straße auf seinen Schultern einen riesigen Rucksack. Ich sprang auf und rannte. Ich rannte nach unten, an den anderen vorbei die mich allesamt verwirrt anblickten, riss das Gartentor auf und rannte. Rannte ihm entgegen. Als er mich erkannte breitete sich ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er warf seinen Rucksack von den Schultern und rannte auf mich zu. Ich flog in seine Arme, er wirbelte mich umher. Und ich heulte. Heulte, heulte und heulte.
„Hey, meine Hübsche.“, sagte er leise und strich mir die Tränen aus den Augen. Doch ich sah es auch in seinen Augen verräterisch glitzern. Fest zog er mich wieder in seine Arme.
„Hey.“, sagte ich schließlich leise und ich vernahm sein wunderbares Lachen. Er löste sich von mir und holte seinen Rucksack. Ich beobachtete ihn. Er hatte sich so verändert. Er war gewachsen und viel muskulöser geworden. Er bewegte sich lässig. Seine Haare waren kurz geschnitten und nach wie vor leuchteten sein braunen Augen.
„Hast du mich vermisst?“, fragte er.
„Ein bisschen.“, gab ich zurück. Selbstbewusst hatte er einen Arm um meine Schultern gelegt. So gingen wir zusammen wieder in den Garten. Plötzlich stoppten alle Gespräche. Jaromir blickte ihn, wenn das überhaupt möglich war, noch eisiger an als mich. Meine Oma fing an zu weinen. Jutus war der Erste der aufstand. Sie schlossen sich fest in die Arme. Auch Valerian und Joel kamen und wir fünf umarmten uns. Schließlich stand auch meine Oma auf.
„Schön, dass du wieder da bist.“, er lachte sie an. „Wir haben leider keinen Stuhl mehr.“, gab sie entschuldigend zu.
„Ist nicht schlimm.“, meinte er bloß. „Freya setzt sich auf meinen Schoß. So wie früher.“ Ich lachte und setzte mich auf seinen Schoß. Jaromir blickte immer noch eisig vor sich hin.
„Jaromir, darf ich ihnen meinen letzten Enkel vorstellen, das ist David.“, David und Jaromir blickten sie abschätzend an und reichten sich schließlich die Hand.
„Unzertrennlich so wie früher.“, spotteten meine anderen Brüder. Doch ich zuckte bloß mit den Schultern.
Endlich hatte ich ihn wieder. Er war wieder da. Mein verlorener Bruder war zu mir zurückgekommen.





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