Zwischen Sommer und Winter - Teil 5

Autor: Kathrin.
veröffentlicht am: 04.11.2013


Lorenz hatte mich damals verstanden wie kein anderer. Meine Brüder waren weg, meine Eltern hörten mir nicht zu, verstanden meine Trauer nicht, und Lorenz, Lorenz war einfach dagewesen. Ohne große Reden wie sehr er mich verstehen würde, blickte er in mein Innerstes und erkannte wie ich mich fühlte. So wie es vor ihm keiner getan hatte und nach ihm kein einziger. Er hatte mich verletzt, mir mein Herz aus der Brust gerissen und es mit Füßen getreten. Ich dachte ich könnte es nicht aushalten, aber irgendwie schaffte ich es weiterzumachen.
„Die erste Liebe vergisst man nicht.“, sagte meine Oma zu mir, obwohl ich nicht einmal davon erzählt hatte.
Die ganze Zeit über hatte mich Jaromir beobachtet und im Moment konnte ich seinen Blick nicht deuten mit dem er mich bedachte. Er war zu verwirrend.
Ich war so in Gedanken gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie meine Brüder und Lorenz auf den Felsen geklettert waren und jetzt in Saltos davon heruntersprangen. Ich wusste, dass sie perfekte Körperbeherrschung besaßen, doch immer wenn ich sie so sah blieb mir die Spucke weg und mein Herz setzte ein paar Schläge lang aus, weil ich mir solche Gedanken machte.
„Beeindruckt?“, ich hatte nicht realisiert wie Jaromir neben mich getreten war und mich beobachtet hatte.
„Ja und nein. Eher verängstigt als beeindruckt.“, gab ich zu.
„Wenn du das siehst hast du Angst?“, fragte er schmunzelnd. Ich war so gebannt von seinem kleinen Lächeln, dass ich erst gar keine Worte fand. Als ich nur nickte fing er lauthals an zu lachen. Verdutzt sah ich ihn an. Von ihm hätte ich ein solches Lachen nie erwartet. Es war ansteckend und wunderschön und selbst ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
Jaromir sprintete los und kletterte den Felsen hoch als hätte er nie etwas anderes getan. Er sprang den Felsen in einer Kombination herunter die ich zuvor nur bei professionellen Turmspringern gesehen hatte.
Schnell rannte ich ins Wasser vor lauter Angst ihm könnte etwas passiert sein. Auch meine Brüder hatte dieser Sprung in Aufregung versetzt. Als Jaromir wieder auftauchte stießen wir alle einen erleichterten Seufzer aus.
„Freya! Ich glaub du bist dieses Jahr noch nicht vom Felsen gesprungen!“, Valerian versuchte es immer wieder. Bisher hatte er mich noch nicht den Felsen hochbekommen und er würde es auch nicht schaffen.
Ich lachte und sagte: „ Nächstes Jahr vielleicht!“
Es wurde ein wunderbarer Nachmittag. Wir lachten und schwammen. Es war so eine ausgelassene Stimmung wie schon seit langem nicht mehr. Sogar Jaromir schien aufgetaut zu sein. Er lächelte hin und wieder und in seinen Augen war ein kleines Funkeln zu erkennen. Ich war einfach glücklich, alle meine Brüder waren hier der Mann den ich einmal geliebt hatte und ein Mann aus dem ich einfach nicht schlau wurde. Gegen Abend machten wir uns auf den Weg nach Hause.
Es war kühl geworden und rote Streifen überzogen den Himmel. Ich hatte mich in Justus Pullover gekuschelt und trug Joels Jogginghose. Beides war mir viel zu groß, aber ich fühlte mich so wohl und geborgen wie seit langem nicht mehr.
Meine Oma lud alle zum Grillen ein. Valerian, Joel, David, Jaromir und Lorenz standen um den Grill herum und fachsimpelten darüber wie man ein Stück Fleisch am besten grillt und wer von ihnen die beste Technik hat.
Justus und ich machten Salat. Wir saßen zusammen auf der Eckbank in der Küche, schnitten Gemüse und beobachteten den Sonnenuntergang.
„Weiß er es?“, fragte Justus.
„Wer?“, ich sah ihn dümmlich an.
„Lorenz.“
„Was soll er wissen?“
„Das du in ihn verliebt warst, oder bist. . .“
„Ich. . . Woher weißt du es?“
„Ich habe Augen im Kopf, Freya. Und wenn er dich ansieht müsste wohl jedem klar sein, dass er es bereut dich sitzen gelassen zu haben.“
„Wusstest du es damals schon?“, fragte ich leise und es kam mir so vor als würde Justus mich besser kennen als ich mich selbst.
Er nickte nur stumm. „Und du hast mich die ganze Zeit nicht danach gefragt?“, gab ich entsetzt zurück.
„Ich wollte dich nur nicht mehr so leiden sehen. Deswegen haben wir alles versucht um dich glücklich zu machen. Deswegen sind wir alle hiergeblieben. Erst ist David gegangen, dann Lorenz. Wir konnten dich nicht allein lassen Freya. Du bist das Wichtigste für uns. Da weißt du doch, oder?!“
Mir standen die Tränen in den Augen und diesmal nickte ich stumm. Ich wusste nicht wie ich so viel Liebe verdient hatte. Meine Brüder bedeuteten mir ebenfalls alles auf der Welt. Ohne sie wäre ich schon lange verloren gewesen.
Stoisch schnippelte ich weiter die Tomaten und Justus begann zu lachen. Er nahm mich in den Arm und ich stimmte in sein Lachen ein.
Als wir nach draußen kamen standen die anderen noch immer um den Grill und sinnierten über die beste Kohle. Darüber konnte ich nur den Kopf schüttelten und setzte mich zu meiner Oma an den Tisch.
Sie lächelte mich an und legte einen Arm um mich.
„Er mag dich auch.“, flüsterte sie.
„Wer?“, fragte ich dümmlich zurück.
„Jaromir“, sagte sie schlicht. Und bis zu diesem Moment hatte ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht ob ich ihn mochte. Er war die ganze Zeit so unnahbar gewesen, dass ich mir keine Gedanken darüber gemacht hatte.
„Quatsch Oma. Der lebt in seiner eigenen Ego-Welt. Da ist kein Platz für den Gedanken an einen anderen Menschen.“, erwiderte ich allein zu meinem Selbstschutz.
„Abwarten Freya, abwarten.“, sie lächelte und sagte nichts mehr.
Es kam wie es kommen musste und der einzige freie Platz für Jaromir war neben mir.
„Darf ich?“, fragte er und der Ausdruck in seinen Augen war sanft. Es überraschte mich so sehr, dass ich keinen Ton herausbrachte, sondern nur nicken konnte.
Er lächelte wieder dieses Lächeln, das zwei kleine Grübchen zum Vorschein brachte und setzte sich neben mich. Mir blieb der Atem weg. Was geschah da nur mit mir? Er war ja noch nicht einmal mein Typ! Ich war total überfordert.
Langsam kam das Gespräch in Gang. Wir lachten und alberten herum, wie ich es schon seit längst vergangenen Zeiten nicht mehr getan hatte. Es war so wie früher meine Brüder, Lorenz und ich. Nur, dass unsere vertraute Runde durch Jaromir irgendwie komplett wurde. Man konnte es nicht erklären. Es war zu komisch.
Als meine Oma schon längst im Bett war begannen wir ihren Weinkeller zu plündern. Der Abend wurde immer witziger, daran hatte der Alkohol sein übriges dazu beigetragen. Als ich in den Keller schwankte um erneut einige Flaschen zu holen, bemerkte ich nicht wie Jaromir mir folgte.
Als ich mich umdrehte sah ich ihn in der Tür stehen und erschrak mich fast so sehr, dass ich die Weinflasche fallen ließ.
„Hey. Ich bin’s doch nur.“, sagte er. Mit einem Schlag war ich nüchtern. Ich hatte das Gefühl das er viel weniger getrunken hatte als die Anderen. Sein Blick war klar, er ließ gerade und sprach deutlich.
Nach Jahren in einer Bar erkannte ich Betrunkene.
„Ich wollte dich nicht erschrecken. Entschuldige.“, fügte er hinzu.
„Schon okay. Ich wollte nur etwas Nachschub holen.“, ich strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und sah zu Boden. Er nahm die Weinflasche aus meiner Hand, stellte sie auf den Boden und sah mich an.
„Schau mich an.“, sagte er rau. Und wie aus einem Reflex heraus blickte ich ihn an.
Seine blauen Augen leuchteten. Sie strahlten, vor Energie und Leidenschaft.
Ich hatte meine Lippen leicht geöffnet und Jaromir überbrückte auch die letzte Distanz zwischen uns und küsste mich. Dieser Kuss setzte mich in Brand. Er war so leidenschaftlich, wild und zärtlich zugleich.
Atemlos lösten wir uns wieder und ich wusste nicht wie lange wir und geküsst hatten.
In seinem Blick lag die gleiche Begierde wie wahrscheinlich in meinem. Ich hätte nie vermutet, dass diese Augen jemals so eine Leidenschaft zeigen könnten.
„Hey! Wo bleibt ihr denn?“, David kam die Treppe heruntergepoltert und als er uns sah, verschwand das Grinsen aus seinem Gesicht.
„Äh, ich geh mal hoch.“, schnell schlüpfte ich unter Davids Arm hindurch, doch er holte mich schnell ein.
„Was soll das?“, zischte er.
„Lass mich los David!“, zischte ich zurück.
„Bitte lass dich nicht verletzen.“, sagte er schlicht und ließ mich stehen.
Ich wusste nicht ob ich David glauben sollte, oder ob nur die Sorge des großen Bruders aus ihm sprach. Das einzige was ich wusste war, dass dieser Mann mich in Brand gesetzt hatte und ich nicht wusste ob dieser Brand jemals wieder gelöscht werden konnte.






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