Voiceless - Teil 12

Autor: emeliemia
veröffentlicht am: 12.06.2014


Weiter geht's! Mit einem neuen Charakter ;) Viel Spaß beim Lesen :)


»Komm, lass uns losfahren.«, meint er schließlich, nimmt mich beim Arm und hilft mir auf den Sattel. In meinen Adern kocht das Blut und die warme Außentemperatur verschlimmert das alles nur noch. Mir ist richtig warm und ich freue mich schon auf den hoffentlich kühlen, leichten Fahrtwind.
Sam schwingt sich auf seinen Sattel, vor mir und ich kann nicht anders als seine Rückseite zu betrachten.
»Okay, es geht los. Halt dich schön fest, ja?«
Wir setzen uns in Bewegung und ich lege meinen Fuß so auf die Pedale, dass es nicht weh tut. Dann sehe ich mir weiter seinen Rücken an. Sam ist weder schmal noch breit gebaut, doch ich kann unter seinem T-Shirt die Muskeln erahnen, was bei mir ein seltsames, jedoch nicht unangenehmes Gefühl in meinem Unterleib erzeugt. Der Fahrtwind hilft tatsächlich ein wenig, die Hitze in mir zu vertreiben. Ich zwinge mich die Natur anzusehen und nicht weiterhin auf Sams Rücken zu starren.
Wir fahren durch das Dorf und Sam grüßt praktisch jeden Bewohner, den wir treffen. Sie grüßen freundlich zurück, meist mit einem Lächeln, doch als sie dann mich hinter ihm entdecken, machen sie große Augen und starren mich an. Ich senke den Kopf und schaue auf den Boden, der unter mir vorbei fliegt.
»Sam! Sammy! Halt an!«, ruft jemand plötzlich hinter uns. Es ist eher ein Kreischen als Rufen. Und die Stimme ist schrill und gehört eindeutig zu einem Mädchen. Ich sehe wie Sam sich beim Klang verkrampft und dann langsam anhält.
Neben uns taucht ein Mädchen auf mit langen, blonden Haaren auf. Sie ist umgeben von einer dichten Parfümwolke, die auch mich einhüllt. Ich schnappe unauffällig nach ein bisschen frische Luft. Das Mädchen taxiert mich kurz mit einem Blick, scheint mich jedoch nicht so richtig wahrgenommen zu haben.
»Sam.«, flötet sie, »Ich habe dich sooo vermisst.«, beugt sich vor und – ich traue meinen Augen nicht. Sie drückt ihm einen Kuss auf den Mund, doch Sam dreht seinen Kopf zur Seite, sodass sie seine Wange trifft.
Mein Herz bleibt für einen Moment lang stehen und zieht sich zusammen. Ich kann nur noch flach atmen. Das Loch in meiner Brust klafft noch ein Stück weiter auf und der Schmerz ist wieder da. Meine Glieder sind schwer wie Blei. Das Gefühl der Taubheit überkommt mich. Mein Kopf dröhnt.
Verdammt, was habe ich mir nur dabei gedacht?! Dass ein Junge wie Sam sich ernsthaft in jemanden wie mich verlieben könnte? Einem Mädchen, das nicht mehr spricht, nicht mehr kommuniziert und an traumatischen Schlafstörungen leidet?
Niemand verliebt sich in jemanden, der nie mehr sprechen wird.

Lauf weg. Hau ab. Du hast hier nichts mehr verloren, ruft eine kleine Stimme in mir und ich denke, dass Verschwinden wahrscheinlich sogar das Beste ist. Trotz meines Fußes könnte ich es vielleicht schaffen.
»Ruby. Ich wusste nicht, dass du schon heute wiederkommst.«, sagt Sam leise und ich glaube etwas Hilflosigkeit in seiner Stimme zu hören.
Was spielt er für ein Spiel? Oder ist sind es wirklich seine wahren Gefühle, die er hier preisgibt?
»Du guckst auch nie auf dein Handy, was?«, erwidert diese Ruby ihm beinahe zickig. Ihre Augen blitzen ihn wütend an und ich erkenne sofort, dass sie ein verwöhntes Kind ist und das wahre Leben nicht kennt. Ihr wird sicherlich alles auf einem Silbertablett serviert.
Sam scheint ein wenig in sich zusammen zu sinken, doch dann richtet er sich wieder auf, den Blick hart auf sie gerichtet, seine Augen ein wenig zusammenkneifend und ich frage mich, was als Nächstes passiert.
»Nein. Tut mir Leid.«
Ich frage mich, was ist zwischen den beiden geschehen ist. Ruby schnaubt.
»Kommst du denn wenigstens nachher noch vorbei?«, fragt sie ihn und wirft ihm einen lasziven Blick zu. Ich weiß genau, was sie von ihm will. Mir wird schlecht und ich muss mich stark zusammenreißen um nicht vom Sattel zu kippen.
Zu Sam sehend, bete ich, dass er absagt. Aber er zögert. Und sein Zögern ist mir Antwort genug.
Gott, wie dumm bin ich eigentlich? Wie konnte ich nur so naiv sein zu glauben, er wäre anders? Dabei ist er genau wie die Anderen.
Er hat zwei Gesichter. Was eigentlich noch schlimmer ist, denn man weiß nicht welches sein wahres ist.
»Das werde ich wahrscheinlich nicht.«, antwortet er schließlich und wirft mir einen kurzen Blick zu. Ich starre rasch auf den Boden, unfähig seinen Blick zu erwidern, weil ich ganz genau weiß, dass ich dann irgendetwas Dämliches machen werde.
Mann, hätte ich mich nicht verletzt, wäre ich jetzt schon längst weg! Aber das ist wahrscheinlich eine Bestrafung für meine Dummheit. Ich kann niemandem mehr vertrauen. Auch wenn es eine Zeit lang ganz gut läuft, so wird es doch irgendwann einen Augenblick geben, wo ich fallen gelassen werde. In diesem Moment sehne ich mich unglaublich stark nach meinen Eltern. Wären sie noch da, wäre ich nicht hier und müsste nicht mit ansehen, wie sich diese Ruby zwischen mir und Sam drängt. Falls da überhaupt etwas zwischen uns war.
»Warum? Bin ich dir gar nicht mehr wichtig, oder was?«, entgegnet Ruby zickig.
Sam zögert schon wieder mit seiner Antwort.
»Ich würde gerne etwas Zeit mit Summer verbringen.«, sagt er dann leise und macht eine nickende Kopfbewegung in meine Richtung. »Sie ist vorübergehend hier und – «
Ruby starrt mich an und scheint mich zum ersten Mal wahr zu nehmen. Dann schnaubt sie wieder.
»Du servierst mich ab, wegen ihr?!«, sie spuckt das letzte Wort beinahe aus, was nur allzu sehr verdeutlicht, dass ich ihrer Meinung nach definitiv nicht in ihrer Liga spiele. Ihr abwertender Ausdruck bestätigt meine Vermutung. Mit einer gewissen Spannung sehe ich Sam an. Sein Gesicht hat sich verfinstert.
»Ja.«, erwidert er und seine Stimme klingt wie das Knurren eines Raubtiers. Seine Hände umfassen das Lenkrad des Tandems und er bedeutet mir es ihm gleich zu tun. Ich zögere einen Augenblick lang. Was ist, wenn das alles wirklich nur ein Spiel von ihm ist?
Trotzdem umklammere ich dann die Lenkstange und spüre Rubys stechenden Blick in meinem Nacken.
»Das wird dir noch Leid tun, Sam.«, zischt sie, wirbelt auf den Absatz herum und stapft davon. Sam sinkt für einen kurzen Moment wieder in sich zusammen.
»Tut mir Leid.«, murmelt er schließlich. »Können wir zum See fahren und ich erkläre dir alles dort? Hier sind mir zu viele Menschen, die einem zuhören könnten.«
Er wartet auf irgendeine Antwort meinerseits, aber ich bleibe unbeweglich und steif. Die Blockaden sind wieder da, durch den Schmerz wieder aufgebaut, rekonstruiert. Der Fortschritt ist hin. Seinetwegen.
Sam merkt, dass ich nichts tue, ihn nur ansehe und er meint nach einigen Sekunden: »Wenn du nichts mehr von mir wissen willst, dann verstehe ich das. Steig ab, wenn du nicht zum See fahren möchtest und ich fahre dich dann zum Ferienhaus.«
Obwohl alles in mir schreit ich soll absteigen, bleibe ich sitzen. Warum weiß ich auch nicht und als über sein Gesicht ein kleines, erleichtertes Lächeln huscht und er sich nach vorne dreht und losfährt, bereue ich es. Warum tue ich mir das an? Warum gehe ich mit ihm, obwohl er mir so wie eben wieder weh tun wird?
Mein Fuß pocht. Ein Grund mehr die Fahrt zum See zu bereuen. Ich versuche den Schmerz zu ignorieren und konzentriere mich auf den lauen Fahrtwind, der sanft durch meine Haare weht. Mein Blick wandert zu Sams Rücken und ich beobachte das Spiel seiner Muskeln unter seinem Shirt. Eigentlich will ich das gar nicht tun, doch ich kann mich nicht davon losreißen. Unmut steigt in mir hoch. Ich habe überhaupt kein Durchsetzungsvermögen, nicht einmal bei mir! Das zeigt doch wie schwach und sensibel ich bin.
Sam fährt aus dem Ort raus und biegt in einen holprigen Waldweg ein. Ich beiße fest die Zähne zusammen, während wir weiterfahren. Mein Fuß stößt immer wieder gegen die Pedale und eine beißende Schmerzwelle nach der anderen jagt durch mein Bein.
Es dauert jedoch nicht lange, da lichtet sich der Wald. Ich kann den See zwar noch nicht sehen, aber die Luft riecht nach Wasser. Und ich behalte Recht, denn wenige Augenblicke später hält Sam an. Vor uns ist der See, größer, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er ist umringt von Bäumen und hohen Gräsern, doch vereinzelt gibt es auch ein paar Sandstrände. Wir befinden uns ebenfalls an einem kleinen Strand, dessen Sand jedoch voll von Blättern und Zweigen ist.
»Wir sind da.«
Ich weiß, ich bin nicht blind, denke ich ungewohnt gereizt. Ach komm schon, Summer. Reiß dich zusammen, hör dir an, was er dir zu sagen hat und dann verschwindest du von hier!
Er hilft mir beim Absteigen und in diesem Augenblick hasse ich mich mehr als alles Andere, denn mein Puls spielt wieder verrückt, mein Herz rast und es fühlt sich so an, als würde mein Blut in Flammen gesetzt. Ich muss dringend meine Gefühle unter Kontrolle kriegen, sonst leide ich nur noch mehr. Während wir dichter zum Ufer gehen, humpeln, wie auch immer man das benennen soll, fange ich an Mauern um mich herum aufzurichten. Mit jedem Schritt bin ich einer emotionslosen Summer näher.
Er hilft mir mich in den Sand zu setzen und räuspert sich daraufhin leise. »Ich – es tut mir Leid. Das Mädchen gerade eben heißt Ruby Cavendish. Sie ist die Tochter unseres Bürgermeisters und bevor du gekommen bist, habe ich – «, er hält kurz inne, sucht nach den richtigen Worten. Ich sitze teilnahmslos da und höre zu. Höre zu und sperre meine Gefühle in den Kerker. »Ich habe etwas Zeit mit ihr verbracht. Mir hat es nichts bedeutet und ich hätte vermutlich von Anfang an Nein sagen sollen. Jetzt habe ich den Salat.«
Sam seufzt betrübt und legt sich in den Sand. Mit einem weiteren Seufzen reibt er sich mit seinen Händen über das Gesicht.
Er hat mir ihr geschlafen. Er ist tatsächlich so weit mit ihr gegangen. Kein Wunder, dass sie ihn küssen wollte.
»Ich will nicht wissen was Ruby für Gerüchte jetzt über mich verbreitet.«, stöhnt er durch seine Finger. Eigentlich sollte es dir doch egal sein, was die Leute über dich denken, fährt es mir durch den Kopf. Jemandem wie Ruby vertraut man doch viel weniger als dir.
»Was mich jetzt jedoch am meisten wurmt, ist, dass ich nicht weiß wie du über mich denkst. Ich möchte nicht, dass du einen schlechten Eindruck von mir hast.«
Wieso sagt er so was? Wieso bringt er mich zum dahin schmelzen, wieso tut er mir das an?
Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll.
»Summer, ich würde unglaublich gerne deine Stimme hören.«, er sieht mir direkt ins Gesicht, während er das sagt.
Meine Stimme? Hören?
Das geht nicht.
Mein Kopf bewegt sich ruckartig hin und her. Irgendetwas bricht und knackt fürchterlich in meinem Nacken.
Sam scheint es zu bereuen, das gesagt zu haben, also wechselt er das Thema.
»Also, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass von meiner Seite aus gesehen, nichts mehr zwischen mir und Ruby ist. Ich finde, du solltest das wissen, da wir uns in nächster Zeit wahrscheinlich vor ihren Attacken kaum retten werden können. Vorausgesetzt, du möchtest weiterhin Zeit mit mir verbringen.«
Möchte ich das?
Möchte ich weiterhin Zeit mit Samuel Corey verbringen, dem Jungen, der meine Knie weich werden lässt wie Butter, von dem ich aber auch, ebenso wie von allen Anderen, verletzt werde?
Will ich das wirklich?





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