Voiceless - Teil 10

Autor: emeliemia
veröffentlicht am: 08.04.2014


So, hier geht es nun auch endlich weiter. Viel Spaß! :)


Summer ist das erste Mädchen, das ich kenne, was alte Musik liebt. Was kein Fernseh-Mensch ist. Hier in unserem Ort gibt es natürlich auch einige Mädchen, doch die sind supermodern und folgen jedem neuesten Trend.
Sofort muss ich an Ruby denken, an blonden Haare, die grünen Augen, die sich verdunkelt hatten, als wir diese eine, einzige Nacht zusammen verbracht haben.
Ruby Cavendish.
Ein Schauer läuft über meinen Rücken, doch kann ich nicht behaupten, dass er angenehm ist.
Ruby und ich kennen uns seitdem wir kleine Kinder sind, doch sie bedeutet mir eigentlich nichts. Nur ist da die Tatsache, dass wir zusammen aufgewachsen sind und dass sie praktisch nie von meiner Seite weicht. Ruby entscheidet oft willkürlich und ist sehr schwer zu kontrollieren. Sie macht das was sie will.
Im Moment ist sie gerade mit ihrer Familie im Urlaub. Ihr Vater, Mr. Cavendish, ist übrigens der Bürgermeister. Morgen kommen sie wieder.
Himmel, das habe ich völlig vergessen.
»Morgen hole ich dich um 10 Uhr ab, damit wir einkaufen gehen, in Ordnung? Und dann kann ich dir ja immer noch, wenn du möchtest, eine kleine Einführung durch den Ort geben.«, sage ich und verdränge den Gedanken an Ruby. Genieße die letzten Stunden, die dir noch verbleiben, Sam, sage ich mir und lächele Summer aufmunternd an. Sie erwidert mein Lächeln zaghaft und prompt Ruby ist komplett aus meinem Kopf verschwunden. Wenn Summer lächelt, nimmt ihr Lächeln meinen ganzen Kopf ein. Dann ist da kein Platz mehr für andere Gedanken. Am liebsten würde ich »Strike!« oder so was rufen, um meiner Freude Luft zu machen. Irgendwann platze ich, garantiert.


- Summer -

Sam verabschiedet sich sehr herzlich von mir und verschwindet im kleinen Pfad. Als ich ihn nicht mehr sehen kann, wünsche ich mir, dass es schon Morgen wäre und dass Sam jede Sekunde wieder auftaucht und mit mir etwas unternimmt. Ich fühle eine längst vergessene Freude und Anspannung und zum ersten Mal fällt mir das Lächeln ganz leicht.
Im Bett betrachte ich die Sterne aus dem Fenster. Ich erinnere mich daran, wie Mom mich eines Nachts geweckt hat und meinte, ich sollte mir mit ihr die Sterne angucken. Wir lagen dann anschließend auf dem Rasen und haben zum Himmel hinaufgeblickt. Ich weiß noch, dass mir im Stehen schwindelig wurde, weswegen wir uns dann hingelegt haben.
Irgendwann ist Dad dazu gekommen und hat mir und Mom ein paar Sternbilder erklärt. Den großen Wagen, zum Beispiel.
Ich schließe die Augen und bin innerhalb von den nächsten Augenblicken weg.

Eigentlich habe ich erwartet, dass mich die Träume wieder heimsuchen werden. Aber zum ersten Mal habe ich die Nacht durch- und traumlos geschlafen. Am nächsten Morgen bin ich verwirrt, aber auch froh.
Ist es wegen Sam?


- Sam -

Die Träume, die ich diese Nacht habe, handeln nur von Summer. Ich sehe andauernd ihre großen, braunen Augen, wie sie unter dem Kirschbaum sitzt, die Füße barfuß und schmutzig.
Summer. Ein gefallener Engel, der verlernt hat zu fliegen.
Ich würde alles dafür geben, dass sie wieder spricht. Ich würde alles dafür geben, dass ich sie so richtig berühren, dass ich sie in die Arme nehmen darf. Dass sie ihren schmalen Körper an meinen presst.
Und meinen Namen stöhnt.
Oh Gott.
Am Morgen denke ich über diese Träume nach und muss unwillkürlich wieder an Ruby denken, wie sie sich an mich gepresst und meinen Namen gestöhnt hat. Vor Summers Ankunft hat mich die Erinnerung sogar ein wenig erregt. Doch jetzt widert es mich an. Diese ganze Sache mit ihr ist ein großer Fehler gewesen. Ich hätte niemals nachgeben dürfen.
Ich vergrabe mein Gesicht ins Kopfkissen und versuche wieder einzuschlafen, die Gedanken an Ruby zu verdrängen. Es gelingt mir nicht.
Einige Augenblicke später vibriert Etwas auf meinem Nachtisch. Es ist mein Handy. Ich habe eine SMS bekommen, von niemand Anderem als Ruby.
- Hey Sam, du weißt ja, dass ich heute wiederkomme. Ich bin gegen Nachmittag Zuhause und erwarte dich in meinem Zimmer. Der Schlüssel liegt unter der Fußmatte. Kuss. -
Sie will mit dir schlafen, Junge, sagt eine innere Stimme zu mir. Was ist, nutzt du die Gelegenheit oder nutzt du sie nicht?
Ich muss wieder daran denken, wie ich mich gefühlt habe, als wir miteinander geschlafen haben. In jenem Moment hat es sich gut angefühlt. Aber jetzt nicht mehr. Ich schüttele den Kopf um die Bilder zu vertreiben. Nein, ich werde nicht zu Ruby gehen.
Ich habe jetzt Summer.

Wie ich mich angezogen und gefrühstückt habe, weiß ich nicht mehr. Gedächtnislücke. Mit einem Mal stehe ich in Erics Garten und schaue durch die Terrassentür ins Wohnzimmer. Dort ist sie nicht. Vielleicht ist Summer in der Küche? Gerade will ich mich abwenden, da fällt mir ein, dass ich sie um 10 abholen wollte. Ich schaue auf die Uhr meines Handy. Es ist halb 10.
Ich bin so ein Idiot. Sie ist bestimmt noch nicht fertig.
Verdammt. Ruby und Summer bringen mich so stark aus meinem Konzept, dass ich es nicht einmal mehr schaffe, mich wie ein normaler, logisch denkender Mensch zu verhalten.


- Summer -

Ich habe ungefähr noch eine halbe Stunde bis Sam kommt. Mein Magen grummelt ein bisschen. Ich trinke ein Glas Leitungswasser um ihn ein wenig zu beruhigen. Dann beschließe ich mir noch einmal das Bild im Wohnzimmer anzusehen. Als ich das Zimmer betrete, fällt mein Blick in den Garten.
Und ich sehe Sams Silhouette hinter dem braunen Gartentor verschwinden. Vor lauter Schreck fällt mir das Glas aus der Hand, doch ich höre das Klirren nicht. In meinem Kopf herrscht ein einziger Gedanke. Sam. Wieso ist er jetzt schon hier? Und warum geht er wieder?
Ich reiße die Terrassentür auf und während ich ihm hinterher renne, spüre ich zum ersten Mal den Wunsch seinen Namen zu rufen. Das wäre viel praktischer, weil dann müsste ich ihm nicht hinterher laufen. Aber ich schaffe es nicht den Mund zu öffnen. Die Blockade ist immer noch da, wenn auch leicht angerissen.
Ist das schon ein Fortschritt? Wenn man daran denkt zu sprechen?

Irgendetwas hat sich in meinen Fuß gebohrt, aber ich ignoriere das stärker werdende Stechen. Uns trennen nur noch wenige Meter. Meine Lungen brennen. Wie lange habe ich schon keinen Sport mehr gemacht?
Durch meine bloßen Füße laufe ich beinahe geräuschlos und so kommt es, dass Sam mich anscheinend erst hört, als ich ihn fast nach seinem Arm greifen kann.





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