Braune Augen - Teil 6

Autor: e93
veröffentlicht am: 06.12.2013


Erst einmal danke für die Kommentare, echt lieb. :-*
Die Geschichte ist hier schon weiter:
https://www.facebook.com/pages/Stories-After-Eight/175048209336649

Dennoch werde ich hier paar Teile weiter schreiben. :)


Braune Augen

Sechs


Zuhause angekommen, begab ich mich geradewegs ins Badezimmer, wo ich mein Hals desinfizierte und die leere Hand zu einer Faust formte. Ich war zornig, nicht weil er mir den Krieg erklärt hatte, sondern wegen seiner Cousine.
Ich hatte sie eindeutig unterschätzt und das war mein Fehler. Der Grund warum ich so schwach wirkte! Aber nicht sie sondern er war mein Feind. Ich musste sie also vergessen, zumindest fürs erste. Plötzlich kam meine Schwester ins Badezimmer und beobachtete mich. Als sie die Watte an meinem Hals sah, lief sie geschockt zu mir und fragte: „Ne oldu, Irem?“ (Was ist passiert, Irem?)
„Hic brisey, gercekten.“, (Gar nichts, wirklich.) log ich, doch sah am tobenden Blick meiner Schwester, dass sie mir nicht glaubte.
„Yalan söyleme bana!“ (Lüg mich nicht an!), forderte sie aufgewühlt auf und daraufhin antwortete ich auf den Boden schauend: „Es war Esers Cousine.“
„Diese blonde Schlampe oder was?“
Ich nickte nur und daraufhin, nahm sie ihr Handy raus, wählte eine Nummer und sprach: „Yagmur, gib mir Ann\'s Nummer. Sofort!“
Diese gab die Nummer weiter und meine Schwester rief kurz nach dem Gespräch mit Yagmur Ann an.
„Hey Ann, ich bins Fulya, wir kennen uns durch Eser und durch Yagmur...“, bis dahin hörte sie sich sogar sehr freundlich an, doch ich wusste, stille Wasser waren tief. Kurz darauf bewies sie dies auch.
„Ey, du kleine Nutte, was soll das? Was bildest du dir eigentlich ein, meine Schwester zu verletzen?“, schrie sie zornig in den Hörer und selbst ich zuckte zusammen. Fulya konnte ja so eine Furie sein.
Damit ich Ann\'s Worte mithören konnte, machte sie den Lautsprecher an.
„Sie hat sich mit Eser angelegt! Fulya, sie hat Eser wie Dreck behandelt, dass lasse ich mir doch nicht gefallen!“
„Ach, ich wusste ja gar nicht das du Esers Anwalt bist!“, sprach meine Schwester frech und verärgert aus und lief im Badezimmer auf und ab.
„Außerdem wusste ich nicht das es deine Schwester ist. Es tut mir leid.“
„Es tut dir also leid? Warte, lass mich auch dein Hals ritzen, dann wird es mir auch leid tun, weil du Esers Cousine bist!“, erwiderte sie sarkastisch und ich spürte wie energisch sie wurde. „Pass auf Ann, fass sie noch einmal an und ich reiß dich in Stücke, tamam?“
„Dann soll sie sich auch nicht mit Eser anlegen!“
„Ya sen bekle, ben daha onunlada konuscam!“ (Ja, warte du ab, ich werde auch noch mit ihm reden.), sprach Fulya lässig und legte einfach auf Ann\'s Gesicht auf. Ich kannte meine Schwester so nicht. Sie war völlig fremd für mich. Aber ich genoss diese Show wirklich sehr.
„Morgen werden wir gemeinsam ins Restaurant von diesem Idioten gehen und das klären! Was bildet er sich ein, seine Cousine zu schicken? Ich dachte er ist ein Mann und hat Eier in der Hose stecken!“, beschwerte sich meine Schwester und ich mischte mich da nicht ein. Wenn Eser keinen Grund dazu hatte, um seine Cousine zu stoppen, würde ich garantiert keinen Grund dazu haben, um meine Schwester von ihrem Vorhaben abzubringen!

Nachdem wir beide das Badezimmer verließen, wurde ich von Fulya in die Arme genommen und ich genoss es, wie sie wie eine Löwin für mich kämpfte. Viele würden sich so eine Schwester wünschen, doch ich hatte das große Glück, so eine Schwester zu besitzen. Sie war bereit für mich blind in diesen Kampfring zu steigen. Wenige Augenblicke später löste sie sich wieder von mir und forschte neugierig: „Wie kam es eigentlich dazu, dass du und Eser Kontakt habt?“
„Wir sind uns einige Male zufällig begegnet. Er behandelt mich wie Dreck, weil er meint, dass, wenn er mich gut behandeln würde, ich mich in ihn verlieben könnte.“, antwortete ich und seufzte trübsinnig.
Sofort fing meine Schwester an zu lachen und sprach: „Er ist echt ein verdammtes Arschloch! Warte, bis ich ihm die Federn ausgerupft habe, dann sehen wir, ob er immer noch so eine Klappe hat, dieser Hahn!“
„Wieso Hahn?“
„Wegen seinen Haaren, er hatte früher echt solche Haare. Alle Mädels die auf ihn stehen, haben sowieso eine Geschmacksverkalkung finde ich.“, teilte meine Schwester mit, küsste mich auf die Wange und wünschte mir eine gute Nacht, ehe sie in ihrem Zimmer verschwand. Ich dagegen lief in mein eigenes, legte mich ins Bett und musste breit grinsen. Es gefiel mir wirklich sehr, dass Fulya so selbstsicher nicht mal hinter mir, sondern vor mir stand. Mit diesen fröhlichen Gedanken versank ich auch ins Reich der Träume.
Am nächsten Tag wurde ich durch die Stimme meiner Mutter aufgeweckt. „Irem, Fulya... biz geldik.“ (… wir sind gekommen.) Verschlafen erwachte ich, rieb mir die Augen und stand vorsichtig auf, verließ das Zimmer und lief in den Flur, wo ich meine Eltern auch sofort mit einer Umarmung begrüßte. „Hosgeldiniz.“ (Hallo.) Meine Mama nahm mein Gesicht in ihre Hände, küsste mich auf die Stirn und begrüßte mich: „Günaydin, güzelim. (Guten Morgen, meine Hübsche.) Ich hab euch so vermisst.“ Ich grinste und erwiderte strahlend: „Wir euch auch. Kaum zu glauben, wie schnell die letzten Wochen vergangen sind. Wieso habt ihr uns nicht gesagt, dass ihr heute kommt?“
„Wir wollten euch eine Überraschung machen.“, antwortete mein Vater und nahm mich ebenfalls in die Arme.

Gott, ich hatte meine Eltern wirklich so sehr vermisst, auch wenn man denken würde, dass ich mich inzwischen dran gewöhnt hätte. Meine Eltern waren Arbeitertiere. Sie waren beide Immobilienmakler und arbeiteten international. Die meisten Europäer die in der Türkei oder in den Nachbarländern ein Haus oder eine Firma kaufen wollten, kontaktierten meine Eltern, da diese auch inzwischen einen Namen gemacht hatten und selbstständig waren. Das hieß, jeden Tag volles Risiko eingehen. Meine Eltern waren modern, sprachen super deutsch und englisch und es gab wahrhaftig Momente, an denen ich echt neidisch auf ihren Erfolg war. Vor allem aber auf ihre gegenseitige Liebe und Zuneigung. Beide waren wie ein frisch verliebtes Paar. Gerade mal zwei Jahre hatten sie unterschied und waren schon seit 25 Jahren verheiratet. Damals war Mama zweiundzwanzig und Papa vierundzwanzig. Trotz das Fulya und ich solche neoterische Eltern hatten, verlangten diese von uns, dass wir sie stolz machten und keine Schande für die Familie waren. Was Typen betraf, war Papa sehr streng. Er wurde schnell eifersüchtig, schließlich liebte er seine Töchter auch über alles und wollte diese am liebsten mit keinem Kerl der Welt teilen. So waren Väter eben...

Während ich mich mit meinen Eltern über ihre Arbeit und über die Türkei unterhielt, hörte ich hinter mir Fulyas motivierte Stimme. „Anne, Baba.“ Sofort begrüßte sie sie und kurz daraufhin verschwanden wir auch gemeinsam in die Küche, wo meine Schwester und ich das Frühstückstisch vorbereiteten uns mit unseren Eltern gemeinsam frühstückten. Nachdem Frühstück teilte Mama mit: „Wir gehen jetzt schlafen, sind total von der Reise erschöpft. Also bis heute Abend.“ Mein Papa erhob sich ebenfalls, zwinkerte uns zu, legte seine Hand an Mamas Hüfte und beide verließen kichernd die Küche.
„Die sind echt ein süßes Paar, findest du nicht auch?“, fragte Fulya und strahlte zufrieden.
Meine Eltern waren zwar schon weit über vierzig, aber trotzdem sahen sie sehr jung und umwerfend aus. „Du hast deine Schönheit von ihnen geerbt.“, teilte ich Fulya mit und lächelte. Sie hatte hellere Haare als ich und grünbraune Augen.
„Du doch auch.“
„Nicht so sehr wie du.“ Ich kam eher nach meiner Oma, Mutterseite.
Es dauerte nicht lange, bis wir die Küche aufgeräumt hatten. Noch weniger bis wir uns angezogen hatten und fertig im Flur standen. Inzwischen war es Punkt 15 Uhr.
„Ich freue mich schon, diesem Idioten gegenüber zu stehen!“, informierte mich meine liebe Schwester und somit liefen wir lachend zum Restaurant. Es dauerte eine lange Strecke, weil wir keine öffentlichen Verkehrsmittel nahmen sondern liefen, aber dennoch machte es uns nichts aus, vielleicht wegen der Vorfreude.

Um 15:30 Uhr kamen wir schließlich im Restaurant an, meine Schwester setzte sich ein süßes Lächeln auf und lief mit den Worten: „Warte hier, ich hol ihn raus.“, rein. Ich war wirklich sehr gespannt, ich wusste, sie würde ein Theater machen, vor allem weil sie ihn sowieso schon wegen Yagmur hasste. Jetzt würde sie wohl garantiert ausrasten.
Nach fünf Minuten kamen sie raus und ich blickte Eser triumphierend an. Er hob nur eine Augenbraue hoch und blickte zu Fulya. „Was ist los?“, fragte er in einem sehr neugierigen Ton, doch ich wusste, dass er nur schauspielerte.
„Schau dir mal ihren Hals an!“, forderte meine Schwester ihn auf und Eser widmete sich kurz mir zu, ehe er mit den Schultern zuckte. „Was soll ich jetzt machen?“
„Weißt du wer das getan hat?“
„Ja, meine Cousine.“, antwortete er gleichgültig und blickte Fulya tief in die Augen.
„Genau, deine scheiß Cousine! Und weißt du wegen wem?“
„Wegen Irem selbst... wegen ihrem kindischem und respektlosem Verhalten mir gegenüber.“ Er blieb total cool, steckte die Hände in die Hosentasche und blickte Fulya provokant an.
„Wer ist denn hier das Kind? Sie bestimmt nicht! Du würdest sie doch scheiße behandeln, weil du so arrogant bist und denkst, das alle Weiber auf dich stehen, aber das stimmt nicht!“, verdeutlichte meine Schwester mit sehr gereizter Stimme und rollte genervt ihre Augen.
„Achte du auf deine Schwester und lass mich in Ruhe, Fulya. Ich habe keine Lust auf diese Scheiße!“, erwiderte er und drehte sich um, um wieder rein zu laufen.
„Du bist so ein Wichser! Immer dann, wenn es dir nicht passt, verschwindest du! Das Gleiche hast du doch auch mit Yagmur gemacht!“, schrie nun meine Schwester und formte ihre Hände zu Fäusten. Eser drehte sich erneut um, lief auf sie zu, nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und presste es zusammen. „Glaub mir, ich hab es nicht nötig zu wichsen! Genauso wenig auch mich wegen bedeutungslosen Dingen zu streiten! Was willst du jetzt von mir, ha?“
Meine Schwester schubste ihn von sich weg und ohrfeigte ihn. „Du bist so ein Kind. Oh mein Gott, Eser deine Eltern tun mir so leid, dass sie so einen abartigen Sohn wie dich gezeugt haben. Ich bemitleide deine Mutter!“
Er fing an zu lachen und schüttelte belustigt seinen Kopf. „Fulya, verschwinde einfach. Misch du dich nicht in Irems und meine Angelegenheit ein.“
„Du verfickter Mistkerl, ist dir klar, dass du deine Cousine auch zurückhalten könntest?“, schrie ich ihn nun an, da ich mir das nicht länger unbeteiligt anschauen konnte.
„Wow, jetzt hast du deine Schwester gerufen, damit wir quitt sind, oder was? Gut, sie hat mir ne Ohrfeige gegeben, reicht das?“, fragte er spitzbübisch und grinste verspottend. „Ich hab kein Bock auf diesen Kindergarten. Außerdem verscheucht ihr unsere Kunden, also jetzt zieht Leine!“ Seine Stimme hörte sich sehr befehlshaberisch an. Er schien es sehr ernst zu meinen und dennoch liefen meine Schwester und ich auf ihn zu und meine Schwester machte ihm klar: „Lass Irem in Zukunft in Ruhe, sonst...“
„Was sonst?“, unterbrach er sie und beobachtete uns beide gleichzeitig.
„Ich werde deiner Mutter sagen, was du Yagmur angetan hast!“
Jetzt fing er an zu lachen und erwiderte siegessicher: „Dann werde ich ihr sagen, was für eine billige Schlampe Yagmur war. Fulya, egal was du machst, du hast den kürzeren gezogen. Gib es auf.“
Jetzt wurde meine Schwester endgültig wütend, sie hasste es zu verlieren. Schon immer.
„Du kleines, arrogantes Arschloch, ich hoffe du wirst in der Hölle schmoren. Glaub mir, auch wenn du in dieser Welt vielleicht alles bekommen magst, sobald du tot bist und unter der Erde liegst, wirst du der Verlierer sein! Geh mal mit etwas mehr Respekt um. Was soll das? Was bildest du eigentlich ein? Das einzige Mal, wo du Frauen mit Respekt behandelst, ist es, wenn du sie verarschst und sie flachlegst! Ich hoffe so sehr, dass du dich irgendwann so richtig verlieben wirst und dann wirst du der sein, der auf die Schnauze fällt, der leidet und der alles bereuen wird. Vielleicht hast du Recht, vielleicht hab ich jetzt keine Chance gegen dich, aber wenn ich dich nach dem Tod im Paradies nicht treffe, dann werde ich ein Bauchtanz aufs Parkett legen.“
Er lachte erneut auf und fragte: „Weißt du eigentlich, dass deine Schwester mich auch schon deswegen dumm angemacht hat und dachte Yagmurs Anwalt zu sein? Was bockt euch das eigentlich, was ich mit Yagmur mache oder was ich mit ihr habe? Lasst mich doch einfach in Ruhe, ich hab kein Bock mehr und wenn ihr mich vernichten wollt, dann überlegt euch etwas besseres. Ich hab Eier in der Hose stecken und was Ann macht ist mir scheiß egal. Und sich verlieben? Vergiss es, so ein Gefühl ist fremd für mich! Bittimi, gidebilirmiyim? (Fertig? Darf ich gehen?)“
Meine Schwester und ich waren beide wirklich total geschockt, wieso blieb er so cool? Was hatten wir falsch gemacht? Wieso wies er einfach so alles von sich ab und war nicht aus der Fassung zu bringen?
Er drehte sich wieder um und bat ohne Fulya anzuschauen: „Fulya, bitte misch dich nicht mehr zwischen Irem und mir ein und... erlaub es mir...“
„Was?“, fragte ich etwas verdattert und blickte ungläubig zu seinem Rücken.
„Erlaube es mir, mich ein wenig mit ihr zu amüsieren. Ich meine nicht so amüsieren, wie bei Yagmur, sondern auf frecher Art. Sarkastischer Joke. Kendime yeni bir oyuncak buldum. (Ich hab für mich selbst ein neues Spielzeug gefunden.) Zaten benim icin hepsi tek bir saka. Problemleri unutmak icin Irem iyi bir firsat. Anliyormusun? Onu kisdirmak ve sinirlendirmek cok hosuma gidiyor. Ve o baska kizlar gibi degil... (Für mich ist sowieso alles nur Spaß. Um die Probleme zu vergessen ist sie eine gute Gelegenheit. Verstehst du das? Sie aufzuregen und wütend zu machen gefällt mir sehr. Und sie ist nicht so wie die anderen Mädchen...) Sie gibt Kontra, regt mich auf, bringt mich zum ausrasten und tanzt nicht nach meiner Pfeife. Genau das brauche ich zurzeit. Eine kleine Abwechslung im Leben des Esers, der alles bekommt was er will. Ich kann Irem nicht einmal hassen, auch wenn ich sie am liebsten gegen die Wand klatschen würde, weil sie einfach so respektlos und unverschämt ist, aber durch sie lerne ich neue Seiten an mir kennen. Das gefällt mir.“
Fulyas Augen weiteten sich und als Eser daraufhin noch leicht lächelte, wurde meine Schwester erst recht total sprachlos.
„Was sagst du da?“, fragte sie wie in Trance und Eser wiederholte seine Worte.
„Aber sonst geht es dir gut oder?“
„Wieso fragen wir dann nicht Irem, was sie dazu sagt?“ Daraufhin blickte er zu mir und ich schaute ihm tief in die braunen Augen. Wie diese Augen mich willenlos machten.
„Bist du einverstanden? Nimmst du meine Herausforderung an?“
Fulya warf mir einen nicht gerade begeisterten Blick zu, ihr Blick sagte soviel wie: „Wehe.“ Doch ich nickte bloß. „Ja. Ich nehme es an und es wird mir eine Freude sein, gegen dich zu gewinnen!“
Er zwinkerte mir zu und lief endgültig wieder ins Restaurant rein. So hatten wir schon die Hälfte des Samstags vergeudet. Ich lächelte Fulya an und küsste sie auf ihre Wange. „Vertrau mir. Alles wird gut.“
Doch Fulya schien nicht begeistert zu sein. Sie war wütend, ziemlich wütend und ich wusste, dass sie das nicht auf sich sitzen lassen würde.
„Irem, du bist echt bescheuert! Wieso lässt du dich auf ihn überhaupt ein? Merkst du nicht, dass er dich nur benutzen will? Der Typ hat sie doch nicht mehr alle! So ein Idiot und du lässt dir das auch noch gefallen? Inanmiyorum! (Ich glaubs nicht!)“, gestand sie ziemlich beleidigt, packte mich am Armgelenk und zog mich vom Restaurant weg.
Was meine Schwester nicht wusste, ich wusste das Eser log! Von wegen er wollte nur spielen? Ich hatte seinen Stolz verletzt und er würde es mir bitter heimzahlen, aber davon könnte er noch lange träumen!

Am Abend rief mich Cagla an. Es klingelte einige Male, bis ich endlich dran ging. Seit diesem Treffen hatten wir kein einziges Mal über diese Nacht gesprochen. Genauso wenig über Eser.
„Hey Irem, ich bins Cagla.“, begrüßte sie mich freundlich und wir führten erst mal ein kurzes Smalltalk, bis sie das Thema wechselte: „Hör mal, Edgar hat mich gerade angerufen, er schlug vor, dass wir wieder etwas zu viert unternehmen sollen. Also du, er, Eser und ich.“
„War das wirklich seine Idee?“, forschte ich interessiert nach und ich hörte, wie Cagla kurz seufzte, ehe sie verneinte: „Nein, Eser will dich sehen.“
„War mir irgendwie klar.“, flüsterte ich vor mich hin und bejahte: „In Ordnung, wo und wann?“
„Edgar und ich werden dich in einer halben Stunde abholen.“
„Alles klar, bis dann.“, verabschiedet ich mich, öffnete den Schrank und nahm mir diesmal eine normale, dunkle Jeans raus und darüber ein weißes Top und eine rosane Strickjacke. Anschließend band ich die Haare zu einem Pferdeschwanz und schminkte meine Augen dezent. In genau einer halben Stunde klingelte es an der Haustür, meine Schwester kam aus ihrem Zimmer raus und fragte immer noch enttäuscht: „Wohin willst du um diese Uhrzeit?“
„Cagla wartet unten auf mich, wir wollen raus.“, antwortete ich, lief auf sie zu und umarmte sie fest. „Es tut mir leid, ich weiß, du bist wütend, ich weiß auch, du machst dir Sorgen um mich, genauso gut weiß ich auch, dass du Eser hasst, aber bitte, vertrau mir einfach, okay?“
„Ich vertraue dir, aber nicht ihm! Ihm traue ich alles zu, Irem.“, erwiderte sie mit besorgter Stimme und bat: „Wenn etwas sein sollte, dann ruf mich an, okay?“ Mit einem Kopfnicken, bejahte ich, verabschiedete mich von ihr und verließ die Wohnung. Cagla begrüßte mich mit einer Umarmung und musterte mich: „Du siehst süß aus.“
„Danke und du siehst hübsch aus, wie immer.“, antwortete ich strahlend und wir liefen zum Wagen ihres Freundes, nahmen Platz und dort begrüßte ich ihn ebenfalls.
„Hallo Edgar.“
„Merhaba Irem.“, sprach er mit einem deutschen Akzent und ich musste kichern. Cagla und Edgar waren wirklich ein total süßes Paar.

Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Ich wusste nicht wohin wir fuhren, erst als wir auf der Autobahn, in eine Raststätte abbogen, fragte ich interessiert: „Was wollen wir hier?“ Zwar hatte der BURGER KING noch auf, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir hierher gekommen waren, um zu essen.
„Eser sitzt da im roten Audi.“, teilte Edgar mit und ich schaute mich kurz um, ehe ich ein paar Meter von uns entfernt ein rotes Wagen sah. Es war stockdunkel, aber durch die Straßenlaternen, konnte man dennoch einiges erkennen.
„Danke.“ Mit diesen Worten stieg ich aus und gerade als ich ausgestiegen war, parkte Edgar ein und die beiden machten sich auf den Weg zum BURGER KING.
Ich dagegen lief weiter zum Wagen und als ich erkannte, dass es ein Audi r8 war, klappte mein Mund auf. Woher hatte der Kerl so viel Kohle her? Oder gehörte es seinem Dad? Ich ließ mir die Bewunderung nicht anmerken und wartete vor der Motorhaube. Wieso sollten wir im Wagen sitzen, wenn die Nacht warm war?
Wenige Sekunden später stieg er endlich aus, lief zu mir und setzte sich direkt mir gegenüber auf die Motorhaube.
Es war ruhig, niemand sprach ein Wort. Wir starrten uns nur gegenseitig in der Dunkelheit an.
„Wieso hast du Fulya angelogen?“, fing ich nun die Konversation an.
„Was sollte ich ihr deiner Meinung nach sagen? Hey Fulya, deine Schwester ist echt eine Furie, bring ihr mal Respekt bei, yoksa kiz demem agzini yirtarim!“ (sonst reiß ich ihr das Maul ohne Rücksicht drauf zu nehmen, dass sie ein Mädchen ist.) Seine Stimme klang verärgert und ich spürte diese Kühle, die von ihm ausging.
„Warum hasst du mich so sehr?“
„Du hast mein Stolz verletzt und mich blamiert! Wo soll ich anfangen? Beim Friseur. Bei meinen Freunden in der Stadt. Im Restaurant vor den Kunden. Neben Paulus. Letztens beim Bäcker oder davor in der Shishabar?!“ Während er aufzählte, hob er die Stimme an und zählte mit seinen Fingern mit.
„Warum ist das so schlimm für dich?“
„Warum? Ich bin Eser! Ich kann es mir nicht leisten, als ein Trottel dazustehen.“, erklärte er und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Lieber ein Frauenverarscher, als ein verdammter Trottel, nicht wahr? Glaub mir, es tut dir gut, wenn mal jemand deine Luft raus lässt.“, sprach ich sarkastisch aus und schnaubte verächtlich.
„Und du hast dir die Aufgabe gemacht, dass du diese Person bist?“, fragte er mich auslachend und kam ein paar Schritte auf mich zu. Ich leistete ihm jedoch Widerstand.
„Was willst du eigentlich, Eser? Was soll ich machen? Tut mir leid, dass ich lebe, okay? Gott, es ist so schwer mit dir zu kommunizieren. Ich raffs einfach nicht. Wie geht man denn mit solchen nutzlosen Menschen wie dich um?“
Er wurde ernst, legte seine Stirn in Falten, zumindest sah es für mich unter diesen Lichtverhältnissen so aus, kam noch näher auf mich zu und hauchte: „Am liebsten würde ich dich wirklich gegen die Wand klatschen.“
„Dann tus doch.“, hauchte ich zurück und schaute direkt hoch zu ihm, wobei ich erst dann realisierte, wie nah sich unsere Lippen von einander befanden. Sofort drehte ich meinen Kopf weg und forderte ihn auf: „Entschuldige dich bei Fulya!“
„Vielleicht sollte ich das wirklich. Schließlich mag ich Fulya, auch wenn sie meine Cousine bedroht hat.“
„Das hat aber nichts mit ihr sondern mit dir zu tun!“, erwiderte ich entrüstet und schubste ihn von mir weg. „Komm mir nicht zu nah, ich hab Klaustrophobie.“
„Eine bessere Ausrede fällt dir wohl nicht ein, was?“, wieder lachte er und lief zur Fahrerseite, öffnete die Tür und nahm sein Handy raus, wählte eine Nummer und erst, als er den Lautsprecher anmachte und ich die Stimme von meiner Schwester hörte, wusste ich wer der Angerufene war und spürte, wie ich beinahe vor Wut platzte. Was fiel ihm ein das zu tun?
„Hey Fulya, weißt du wer gerade bei mir ist?“, fragte er und blickte mich herausfordernd an.
„Was willst du Eser und woher soll ich das denn wissen? Lösch meine Nummer und lass mich in Ruhe!“, konterte meine Schwester und Eser fing an zu lachen. „Irem wollte von mir, dass ich mich von dir entschuldige.“
Plötzlich wurde es mucksmäuschenstill und Fulya sprach mit gebrochener Stimme: „Sag mir nicht, dass Irem da ist.“
„Irem? Irem, bist du da?“, rief er lachend und ich nahm das Handy aus seiner Hand und legte einfach auf.
Das würde wirklich Ärger geben.
„Du bist also eine Angsthase.“, stellte er fest und nahm sein Handy grob aus meiner Hand.
„Was bringt dir das, mich wegen solchen Kleinigkeiten zu bestrafen? Was hast du davon? Wächst dir dein Schwanz? Wirst du dadurch geil?“, wollte ich nun ungehalten erfahren und fügte hinzu: „Haben deine Weiber endlich gecheckt, dass du es nicht wert bist, dass sie sich mit dir abgeben? Legst du dich deswegen mit einem angeblich hässlichem Mädchen an und wirst du deswegen bald deine eigene Cousine flachlegen?“ Gerade als ich ausgesprochen hatte, ohrfeigte er mich. Es war so, als wenn ich aus einem tiefen Schlaf erwachen würde. Geschockt legte ich die Hand auf meine Wange und blickte ihn empört an. Auch er schien bestürzt zu sein, kam auf mich zu, doch ich lief umso näher er kam, immer mehr zurück. Meine Wange brannte fürchterlich.
„Von wegen du schlägst keine Mädchen!“, verhöhnte ich ihn bissig und genau in diesem Moment kamen Edgar und Caglar mit einigen Tüten heraus und Caglar hielt in ihrer Hand ein Getränk.
„Hey, was ist denn hier los?“, rief sie uns schon von weitem zu und beeilte sich, um bei uns zu sein.
Keine Ahnung wie ich diesen Mut bekam, aber ich nahm das Getränk aus ihrer Hand schmiss den Deckel auf den Boden und schüttete die Cola direkt in Esers Gesicht und bat Edgar: „Bitte schließe die Tür auf, ich will weg hier!“
Edgar tat es ohne zu zögern und ich nahm direkt auf der Rückbank platz. Kurz daraufhin schloss ich die Augen und ohne das ich etwas da gegen tun konnte, flossen mir die Tränen die Wangen entlang. Verdammt, wegen diesem Mistkerl weinte ich jetzt auch noch!






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