In my Life - Teil 6

Autor: MarieCurie
veröffentlicht am: 07.04.2014


Ich gehe auf ihn zu und stiere ihn böse an. Er aber kommt auf mich zu und umarmt mich einfach nur. Ich hasse Umarmungen, aber mein Vater braucht das anscheinend gerade, deswegen lasse ich es zu. Er riecht nach Alkohol. Ich beschließe, die Umarmung nicht mehr zu zu lassen. Ich drücke ihn weg und setze wieder mein „gleich hagelts aber“ Gesicht auf. Gleichzeitig frage ich mich was er auf dieser beschissenen Brücke bei diesem Dreckswetter gemacht hat und das noch betrunken. Wohlgemerkt, es ist zwar Mai und angenehm warm, aber es regnet wie Sau.

Als hätte Dr. Fleischer meine Gedanken gelesen, räuspert er sich. „Lucy, dein Vater wollte sich umbringen. Er hat euren Streit nicht gut verarbeitet. Er hielt es für besser aus deinem Leben zu verschwinden, keinem mehr Stress zu machen und um deiner Mutter wieder näher zu kommen.“ Dr. Fleischer sagt das so sachlich, dass ich ihm am liebsten die krumme Nase brechen will. Es geht hier immerhin nicht nur um einen Patienten XY, sondern um meinen Dad.
„Dad?“ Er blickt mich an wie ein kleiner Junge, der Scheiße gebaut hat. Hat er ja auch, aber er ist verdammt nochmal keine 10 mehr.
„Du willst mich wohl verarschen? Sag mal hackt es ein bisschen oder was? Was ist los mit dir? Du bist Erwachsen und egoistisch wie kein Anderer. Was zum Teufel hat dich dazu veranlasst, dein Leben beenden zu wollen? Du machst eine verdammte Therapie und selbst die hilft dir nicht. Du lässt dir nicht helfen. Ich hab dir sooft meine scheiß Hilfe angeboten, nur du hast so getan, als wär nichts. Du kennst mich. Ich kenne sonst keine tieferen Empfindungen, aber jetzt hast du mich enttäuscht. Und das richtig.“

Damit wende ich mich zu Dr. Fleischer. Was erwartet mein Dad? Das ich heule wie der letzte Depp und alle 3 Minuten etwas wie: Oh Gott du Armer / Hätt ich das gewusst, dann...“ sage? Falsch gedacht.
„Was schlagen Sie vor, Dr. Fleischer?“
Ein grünes Männchen kommt ihm zuvor. „Wir werden Herrn Matthis heute erstmal in Obhut eines speziell ausgebildetes Team geben und..“
„Also in die Irrenanstalt?“ , frage ich entgeistert.
Diese Leute hier schaffen mich, echt. Man schläft, denkt sich nichts böses und plötzlich muss der eigene Vater in die Klapse.
„Frau Matthis, nur für die Nacht. Dann kann er sich morgen entscheiden, ob er dort eine Therapie anfängt.“
Ich wende mich an meinen Dad.
„Pass auf, du hast noch eine Chance, genauso wie du mir immer eine gegeben hast, aber nutze die Chance und bleib länger dort. Auch wenn es so rüber kommt, als wärst du mir gerade scheißegal, dem ist nicht so. Also mache bitte eine Therapie. Ich komme morgen früh vorbei und bringe schon mal ein paar Sachen mit. Überlege es dir gut. Ich bin dir nicht böse wenn du nicht bleibst, ich will nur das es dir besser geht.“
Ich geh zu ihm hin, drücke ihn kurz ,verabschiede mich von den Anwesenden und erfrage noch in welche Klapse er eingewiesen wird.

Im Auto atme ich einmal tief ein und aus. Was ist da gerade passiert? Mein Dad wollte sich von einer Brücke stürzen, die nicht einmal hoch genug wäre. Er wäre nicht vom Aufprall vermatscht worden, sondern er wäre erfroren oder wäre von einem Frachtschiff platt gemacht worden. Nicht gerade die Todesarten, die angenehm sind. Wir haben jetzt 2 Uhr. Ich fahre nach Hause und lege mich noch für ein paar Stunden hin.

Als ich wieder wach werde, hoffe ich das das doch eher nur ein Traum war. Aber als ich in die Küche trete, kommt in mir die bittere Realität hoch, wie die Kotze nach einer Partynacht im 1460, einer Bar in Köln. Und der Effekt ist sogar identisch. Man wünscht sich den ganzen Tag, die letzte Nacht einfach zu vergessen oder ungeschehen zu machen.
Ich gehe in Dads Schlafzimmer und sammele ein paar Klamotten für ihn zusammen. Danach gehe ich duschen. Das Wasser prasselt angenehm an meinem Körper herunter und ich kann sogar für einen kleinen Moment alles vergessen, was mich nervt. Es ist Freitag und werde heute den Teufel tun in die Schule zu gehen. Die können mich alle mal. Ich fahre zu der Irrenanstalt, schmeiße die Sachen für Dad ab und fahre nach Hause. Erstmal richtig zocken und Musik hören. Das wird mein Tag, mein ganz persönlicher Wellnesstag.
Ich brauche keine Menschen die an meinen Nägeln oder meinem Gesicht herumfuchteln. Ich brauch Musik und meine Konsole.
Ich steige aus der Dusche, trockne mich ab, Föhne meine Haare, Frühstücke und Verdammt. Wir haben 10 vor 7 und Janine steht bestimmt vor der Tür und hasst mich jetzt.
Mein Handy war die ganze Nacht ausgeschaltet. Mit Zahnbürste im Mund und mit Schaum vorm Mund laufe ich zur Haustür. Jap, da steht Janine und guckt böse. Ich sage ihr, soweit es die Zahnbürste erlaubt, dass sie sich in die Küche setzen soll, da ich sie gleich zur Schule fahre. Ich muss eh in Richtung Schule, also kann ich Janine ja auch gleich dort absetzen. Warum ich nicht immer mit dem Auto fahre? Habt ihr euch mal die Spritkosten angeguckt? In Köln ist es nun wirklich kein Halsbruch eine Bahn/Busverbindung zu finden.

Ich laufe vom Badezimmer in die Küche, stopfe mir ein Brötchen in den Mund und bereue es auch gleich wieder. Brötchen mit Zahnpastageschmack.

Ich ziehe mir die Schuhe an und verlasse mit Janine das Haus, muss aber wieder umkehren, weil ich Dad's Tasche vergessen habe, also bin ich wieder retour und habe somit Janines immer-pünktlich Regel gecrashed. Egal sie soll froh sein, dass ich sie mitnehme.

„Sorry, Mr. Immer Pünktlich.“ Ist eigentlich das Einzige, was ich zu dieser Situation sagen kann.
Janine schnaubt. „Solange wir überhaupt ankommen. Aber bei deinen Fahrkünsten grenzt das echt an ein Wunder.“ Einige Minuten ist es still.

„Mein Dad muss in die Klapse.“, platzt es dann nach ein paar Minuten aus mir heraus.
Janine sieht mich entgeistert an. Fast wie ein Kugelfisch, also mit aufgeblähten Backen.
„Wieso das?“
„Er wollte sich umbringen. Ich bringe ihm die Sachen hier.“Ich zeige mit der rechten Hand auf die Tasche im Beifahrerfußraum.
„Oh Gott, das ist ja schrecklich. Wie geht es ihm? Ist er verletzt? Wer hat ihn gefunden?“

Ich hasse meine Freunde. Sie denken immer viel weiter als ich. Erst macht mir gestern Steve ein schlechtes Gewissen und jetzt auch noch Janine. Lucy wie dumm bist du eigentlich? Du maulst ihn an, ohne ihn auch nur einmal zu fragen, wie es ihm ging. Weil ich ihn angeschnauzt habe, wollte er sich doch erst das leben nehmen. Nein er war betrunken. Deswegen wollte er sich umbringen. Aber egal. Müsste ich nicht Autofahren hätte ich mir jetzt eine fette Ohrfeige gegeben.
„Wie packt ihr es eigentlich immer mir ein schlechtes Gewissen zu machen?“
„Wir arbeiten dran, Lucy“ Genau das hat Steve auch gestern gesagt.
Wieso zum Teufel versuchen sie mich zu verändern? Ich bin doch gar nicht so schlimm.
„Ich habe ihn nicht gefragt.“
Janine sieht mich fragend an. „Wen und Was?“
„Dad. Ob er verletzt ist oder wie es ihm geht. Ich bin eine schreckliche Tochter. Ich hab ihn wieder angeschnauzt.“
„Das wird schon. Fahr hin, gib ihm die Sachen und rede nochmal mit ihm.“ Das hatte ich ja gestern vor. Aber wer denkt sich denn schon nach jedem Streit: „Oh Gott er wird sich jetzt bestimmt umbringen“..? Oder denken alle Anderen so und nur ich bin nicht richtig im Kopf?
Von weitem sehe ich die Schule. Trotz den gegebenen Umständen, freue ich mich darauf gleich einfach weiterfahren zu können. Zur Anstalt.
„Grüß Rainer von mir, Ok?“ Damit steigt sie aus, winkt noch einmal und geht dann zu Steve.

Die fahrt ist beschissen. Ich mache mir echte Vorwürfe und umklammere das Lenkrad, als könnte ich so alles Geschehene aus meinem Kopf verbannen.
Nach einer langen Parkplatzsuche, Streiterei mit der Ollen am Empfang und etliche Kilometer Marathonfußmarsch im Treppenhaus mit Tasche im Gepäck, stehe ich nun gerade vor Zimmer 5_13B. Aufzüge sind alle defekt. Da hilft bekanntlicher Weise eine Reparaturfirma..

Ich klopfe und es ertönt ein leises „Herein“.
Ich betrete die Tür und schließe sie so langsam, dass ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen kann, was ich gleich sagen will.
„Lucy“ Dad lächelte etwas. Leider zu kurz, denn sein Lächeln wird nun von einer sorgenvollen Miene verdeckt. „Du siehst schrecklich aus. Alles in Ordnung?“
„Mir geht’s gut, Dad. Wie geht es dir?“
„Besser. Ich werde hier bleiben.“
„Oh gut, ähm ja gut..“ Na das läuft ja wie geschmiert."Ich soll dich von Janine grüßen." Er schaut mich an und versucht zu lächeln. "Oh schön." Dann seufzt er.
„Es tut mir Leid.“ Dad schaut zu Boden.
„Ist in Ordnung Dad. Ich denke es ist besser wenn du erst einmal hier bleibst. Ich komm in einer Woche vorbei, dann reden wir.“ Ich krame in meiner Tasche und nehme zwei Bilderrahmen heraus. Den einen Stelle ich auf den Tisch neben seinem Bett. Den anderen halte ich fürs erste noch in der Hand. Er schaut das Bild an, auf dem wir beide auf dem Spielplatz sind. Meine Mam hat das Bild gemacht. Dann sieht er fragend zu dem anderen Bilderrahmen. Ich atme ein mal aus.
„Ich dachte, ich bringe dir das Bild hier auch mit. Wenn das zu viel ist, dann nehme ich es wieder mit.“ Ich gebe ihm das Bild. Er starrt es an.
Eine kleine Weile passiert nichts, dann aber sehe ich eine kleine Träne seine Wange herunter kullern. Er stellt das Bild behutsam auf den Tisch, steht auf und umarmt mich.
„Alles wird wieder in Ordnung. Ich werde mich bessern, Lucia.“
Auch jetzt lasse ich die Umarmung zu.
„Ich weiß.“
Dann drehe ich mich um, schaue auf das Bild auf dem Tisch und gehe.
Meine Mam und ich. Sie hat mir gerade das Klavierspielen beigebracht, als ich 5 Jahre alt war. Mein Dad hat das Bild gemacht.
Mein Dad hat uns damals gerne zu gehört.

Würde mich über Kommentare freuen :)
Sorry im vorraus für Fehler >.<
Lg MarieCurie





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