Son of a Preacher Man - Teil 10

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 12.02.2014


Teil 10

„Was ist denn passiert?“
„Keine Ahnung?“
„Verdammt! Lebt sie überhaupt noch? Anna?“
„Klar!“
„Was ist DANN mit ihr?“
„Die ist nur betrunken!“

Stimmen! Ich höre Stimmen. Sehe aber keine Menschen.
Und dann explodiert eine Bombe in meinem Kopf. Eine von der fiesen Sorte, die sich in die kleinsten Einzelteile zerlegt und tausend Splitter setzen sich in jeder Synapse fest.
Von dem Schmerz wird mir übel.
Ich öffne die Augen, beuge mich nach vorn und übergebe mich. Und das beansprucht meine volle Konzentration. Noch nie war ich in meinem Leben so kurz davor zu ersticken. Ich würge und röchle und klinge wie ein brünftiger Hirsch auf Paarungssuche. Wohlbemerkt ein sehr armseliger Hirsch.
Mir ist es egal. Irgendwie muss ich das überleben.

„Oh Gott! Anna! Geht’s?“, kreischt jemand besorgt. Ist das Carolin? Das kann nicht sein.
Ich spüre eine Hand, die mir grob mein Haar nach hinten hält und eine weitere Hand, die nervös meinen Rücken auf und ab streicht.
Leider kann ich auf die bescheuerte Frage nicht antworten, mein Mund ist voll von bitterer Galle und ich merke, dass mein Körper sich auf den nächsten Schub vorbereitet. Alles verkrampft sich, dann würge ich wieder. Man ist das eklig.

Irgendwann hört es auf.
Erschöpft lehne ich mich zurück. Es ist noch dunkel, aber es dämmert bereits. Sitze ich immer noch auf dem Campingstuhl? Ich sehe zur Seite. Ja.
Dann wage ich es aufzublicken.
Drei Personen sehen mich an. Ich sehe Besorgnis, Fassungslosigkeit und nette Belustigung. Letztere geht offensichtlich von David aus, den erkenne ich auch als Ersten.
Aber wer da noch steht, das kann ich nicht fassen. Caro, Noah!
Das ist mir zu viel. Ich schließe die Augen. Mein Schädel hämmert wie ein Presslufthammer.
Ich will garnicht wissen, was die hier zu suchen haben. Ich will auch garnicht darüber nachdenken, warum ich mich so beschissen fühle. Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht mal. Viel zu stark muss ich mich auf die Befindlichkeiten meines malträtierten Körpers konzentrieren. Meine Fresse, geht’s mir Scheiße!

„Wir sollten sie in ein Krankenhaus bringen.“, sagt jemand kühl. Ich will nicht glauben, dass es Noah ist, seine Stimme klingt so anders. So emotionslos.
„Meinst du?“, fragt Caro unsicher. „Vielleicht ist sie ja wirklich nur betrunken?“
„Pfff!“, schnaubt jemand. „Natürlich ist sie nur betrunken! Was denn sonst?“ Das könnte David sein.
„Keine Ahnung! Du weißt sicher am Besten, was sie sich reingezogen hat, oder?“, faucht es ungewohnt. Noah. Ach du Heiland!
„Was? Woher soll ich das denn wissen? Ich kenne sie ja nicht mal!“, verteidigt sich David. Na Danke auch!
„Anna nimmt doch keine Drogen!“, fiept Caro und klingt so eingeschüchtert, wie ein kleines Eichhörnchen.
Darauf nicke ich. Schlechte Idee.

Ich stöhne gequält und beuge mich wieder nach vorne. Dann schüttelt es erbarmungslos durch all meine Glieder. Es ist ein schreckliches Gefühl.
„Oh Anna.“, flüstert Caro mitfühlend.
„Wie lange war sie bewusstlos?“ Wieder Noah.
„Bewusstlos?“, fragt David. Er lacht. „Die hat gepennt, mehr nicht. Und jetzt kotzt sie sich die Seele aus dem Leib. Meine Güte, jetzt macht doch mal nicht so einen Aufstand. Wer seid ihr? Die heiligen Samariter?“
„Arschloch!“, knurrt Noah. Dann setzt er sich in Bewegung und ich wage es aufzublicken.
Der Anblick verursacht erneut Bauchkrämpfe.
Ich habe Noah noch nie so wütend gesehen. Nein, nicht mal damals, in der Siebten, als der Klassenrowdie ihm seine Schultasche geklaut und anschließend in der Jungentoilette entleert hat.
Er trampelt davon.

„Hat Noah gerade wirklich \'Arschloch\' gesagt?“, flüstere ich an Caro gewandt.
Sie nickt perplex mit dem Kopf und sieht ihm hinterher.
„Wow.“, raune ich und meine Stimme klingt fürchterlich heiser.
Ich glaube Noah hat in seinem ganzen Leben noch kein Schimpfwort benutzt. Er muss mächtig böse sein. Auf mich? Jetzt fühle ich mich noch beschissener, falls das überhaupt noch möglich ist.

„Wie geht es dir jetzt?“, fragt Caro und betrachtet mich so sorgenvoll, wie eine Mutter ihr todkrankes Kleinkind ansehen würde. „Etwas besser?“
Eins muss ich ihr lassen: Dafür, dass ich vor wenigen Stunden ihr Auto geklaut habe, einfach ohne einen Ton abgehauen bin und jetzt in meiner eigenen Kotze liege, behandelt sie mich echt anständig.
Sie müsste mich anschreien oder so, aber sie streichelt nur beruhigend meinen Rücken.
„Mhm.“, antworte ich einsilbig und wage es zu David zu sehen.
Dieser steht etwas abseits und wirkt amüsiert. Dann sieht er meinen Blick und hat wenigstens noch den Anstand etwas betroffen zu gucken. Er hebt entschuldigend die Hände.
„Du bist plötzlich eingeschlafen, ohne Vorwarnung. Dann hat dein Handy andauernd vibriert und ich dachte, ich geh mal ran. Naja, da war dann deine Freundin hier dran und ist fast ausgeflippt am Telefon -“ Er deutet zu ihr und macht diese typische Geste, die mir bedeuten soll, dass sie nicht alle Latten am Zaun hat. Caro schnauft, er erzählt weiter: „- Dann musste ich haarklein erklären wo du bist und wie sie fahren muss und ich musste schwören, dass ich dich nicht allein lasse... Als hätte ich das getan! Man, du verträgst aber auch garnichts!“, schließt er seinen Bericht und ich runzle die Stirn.

„Wieso gehst du einfach an mein Handy?“, frage ich ihn.
Er zuckt mit den Schultern. „Das hat nicht aufgehört zu klingeln, sehr penetrant -“ Schon wieder ein vielsagender Blick zu Caro „-außerdem warst du ja so gut wie ausgeknockt und hattest vorher gesagt, dass hier ne Freundin auf dich wartet.“
„Das ist ne andere Freundin.“, kommentiere ich lahm.
„Du kannst froh sein, dass er dein Telefon benutzt hat Anna!“, sagt Caro streng, aber ohne Nachdruck. „Wir waren krank vor Sorge! Du wolltest nach einer Stunde wieder da sein! Und erst gegen Abend hat Noah deine Nachricht bekommen. Und dann war wieder dein Handy aus. Ich weiß garnicht wie oft wir versucht haben, dich anzurufen!“
„Ziemlich oft.“, lamentiert David genervt.

In diesem Augenblick kommt Noah wieder. Wo war der überhaupt?
Er würdigt mich keines Blickes, schmeißt mir aber eine Wasserflasche vor die Füße.
„Trink!“, befiehlt er. Dann wendet er sich an Caro. „Wir müssen los, wenn wir pünktlich zum Frühstück wieder da sein wollen. Meinst du, sie ist transportfähig?“
Redet er über mich? Das kann doch nicht sein.
„Hey, du kannst mich auch direkt ansprechen!“, sage ich empört.
Er sieht mich vernichtend an. „Gut zu wissen, dass du überhaupt wieder ansprechbar bist!“
Mir fällt die Kinnlade herunter. Was ist denn in den gefahren?
Eine Antwort entfällt mir, dafür bin ich zu perplex. Ich habe Noah noch nie so erlebt. Dieser verachtende Blick ist völlig neu, ich erkenne ihn überhaupt nicht wieder.
Ganz fair finde ich das nicht. Was hat er schon für einen direkten Grund so sauer auf mich zu sein?
Immerhin war es nicht mal sein Auto.
Gut, er hat sich wahrscheinlich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, doch darum habe ich ihn nicht gebeten.

Er übergeht ganz gepflegt meine Sprachlosigkeit und wird ungeduldig. „Irgendwie müssen wir sie noch zum Auto bekommen. Und bei wem fährt sie dann mit? Ich will nicht unbedingt, dass sie den Wagen meines Vaters einsaut, falls sie sich nochmal übergeben muss.“, fragt er wieder Caro und spricht über mich, als wäre ich nicht mal anwesend.
Das macht mich rasend.
„Ich kann ziemlich gut alleine gehen und werde selbstverständlich bei Caro mitfahren! Was für eine saublöde Frage!“, blaffe ich ihn an.
„Fein!“, ranzt er ebenso zurück. „Dann gute Heimfahrt!“
Dann dreht er sich auf der Stelle um und schreitet davon. Erhobenen Hauptes, mit gestrafften Schultern und geballten Fäusten.
Fassungslos sehe ich ihm nach. Wer ist das?


***

Im Auto herrscht angespanntes Schweigen.
Das Radio ist aus, Caro konzentriert sich verbissen auf den Verkehr, die Sonne geht auf und ich versuche angestrengt, dass der spärliche Rest meines Mageninhalts nicht frontal vor der Windschutzscheibe landet.
Mir ist immer noch übel. Und Noahs Auftritt hängt mir auch noch nach.
Ich nippe an dem Wasser, was er mir gebracht hat.

Der Weg zum Auto war anstrengend und ernüchternd. An einem Sonntag Morgen auf einem Festival begegnet man so einigen Gesichtern, die einem bis in die dunkelsten Alpträume verfolgen. Es war immer noch laut und voll. Jede Menge Alkoholleichen pflasterten unseren Weg und wer noch einigermaßen auf den Beinen war, sah uns aus großen, höhlenartigen Augen entgegen.
Hier gehöre ich hin, habe ich mir dabei gedacht und mich dabei ziemlich erbärmlich gefühlt.
Ich weiß nicht, was da mit mir passiert ist.
Von David habe ich mich ziemlich wortkarg verabschiedet. Ein Danke murmelnd von meiner Seite, da er mich ja offensichtlich doch nicht geschändet hat in meiner wehrlosen Situation und einen vernichtenden Blick von Caro, dann haben wir ihn einfach stehen lassen und ich bin meiner Freundin gefolgt, die ziemlich pikiert über den dreckigen Zeltplatz geschlichen ist.

Noah habe ich nicht nochmal gesehen. Was ich auch nicht sehr traurig finde im Nachhinein. Dafür aber mein kreideweißes Gesicht im Autofenster. Meine Augen schwarz umrandet von verlaufenem Mascara, die Haare ein einziges Vogelnest und blasse Lippen. Klassenziel erreicht, bravo Anna!

Ich verstehe immer noch nicht, wie ich mit einem Mal so aus den Latschen kippen konnte. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass dieser Knock-Out nur von reinem Alkohol gekommen ist. Eine andere Erklärung habe ich dennoch nicht parat. Ich kenne mich kaum mit Drogen aus, nur vom Beobachten und Hörensagen. Allerdings hat David ja ebenfalls von dem Schnaps getrunken und er war ziemlich standfest, wenn auch angeheitert.

Ich blinzle zu Caro. Sie hat bis jetzt noch kein weiteres Wort gesagt.
Ob sie jetzt, nachdem ich ja offensichtlich nicht mehr in Lebensgefahr schwebe, doch sauer auf mich ist?

„Alles klar?“, krächze ich. Meine Stimme ist so rau, als hätte ich die ganze Nacht durchgeschrien.
Sie zuckt erschrocken zusammen. Dann lächelt sie mich an.
„Ganz schön viel los hier auf der Straße.“, murmelt sie nervös. Die alte Pfeife! Wie lange hat sie schon ihren Führerschein? Ich muss trotzdem nochmal nachfragen. Wahrscheinlich das schlechte Gewissen.
„Bist du sauer?“
„Nein.“, seufzt sie. „Nur etwas überfordert. Ich kenne dich und deine Macken ja schon.“
Sie sieht mich nachsichtig an.
Eine tolle Frau. Das sollte ich ihr vielleicht mal sagen.
„Du bist eine gute Freundin, Caro, weißt du das?“, sage ich einem sentimentalen Anflug. Ist sie ja wirklich, auch wenn ich nicht mal die Hälfte ihrer Lebenseinstellung nachvollziehen kann. Aber sie ist für mich da, nur das zählt. Eine weise Einsicht. Hoffentlich kommt das nicht nur von der Übermüdung.

Sie beißt sich auf ihre kirschroten Lippen und nickt.
Kurz schiebe ich Panik. Die Szene wird mir zu rührselig, also wende ich den Kopf ab und blinzle der aufgehenden Sonne entgegen.

„Anna?“, fragt sie zaghaft. Ich drehe mich ihr misstrauisch zu.
„Warum wolltest du denn so dringend da hin? Zu dem Festival?“
Ich zucke mit den Schultern, antworte jedoch nicht. Ich weiß doch ganz genau worauf sie hinaus will.
„Ist es wegen Chris?“ Ihre Stimme ist beinah nur ein Flüstern.

Tief atme ich Luft ein, denn es schnürt sich mir die Kehle zu. Natürlich wegen Chris.
Ungewollt fühlen sich meine Augen wässrig an. Doch ich will nicht weinen. Nicht vor Caro.
Ich bleibe ihr eine Antwort schuldig und starre angestrengt aus dem Fenster. Eine Sonnenbrille wäre jetzt vom Vorteil.

„Anna! Du kannst mit mir darüber reden!“, sagt sie eindringlich.
„Will ich aber nicht.“, nuschle ich kleinlaut und bin mir bewusst, dass ich mich anhöre, wie ein stures Vorschulkind.
„Ich frage mich nur...-“, beginnt sie vorsichtig, „...-Was ist denn überhaupt passiert? Ihr ward doch immer so glücklich! Das Traumpaar der Schule. Und bei deinem letzten Besuch klangst du immer noch so vernarrt in ihn. Ich würde es gerne verstehen.“, jammert sie und sieht mich kurz mitleidig an.

Der Kloß in meinem Hals fühlt sich an wie ein Tennisball. Selbst wenn ich es wollte, ich kann ihr nicht antworten.
Es geht sie auch überhaupt nichts an. Noch nicht mal meine Eltern wissen, was der Grund der Trennung war. Sie haben auch nie nachgehakt. Und wenn sie davon wüssten, würden sie mich höchstwahrscheinlich enterben. Auch Carolin würde mir die Freundschaft kündigen.
Was da vorgefallen ist, übersteigt ihre nachsehende, liebevolle Art um ein zu hohes Ausmaß. Sie hätte kein Verständnis.
Selbst ich kann es mir kaum verzeihen. Aber ich hatte keine Wahl.
Chris Reaktion, die Enttäuschung, die langen, einsamen Nächte – ich weiß nicht, wie ich die Zeit überhaupt ertragen habe.
Doch jetzt hat es sich erledigt. Aus und Vorbei. Ich will mich nicht ständig damit konfrontieren müssen.

Ich blicke zu Caro und schüttele einfach nur mit dem Kopf.
Zum Glück ist meine Freundin so gut erzogen, dass sie es dabei belässt, auch wenn ich mir vorstellen kann, dass sie es nur schwer erträgt, nicht zu wissen, warum ich so still vor mich hin leide.
Doch das ist ihr Päckchen.

„Was war mit Noah los?“, schießt es mir plötzlich in den Kopf, nachdem eine ganze Weile ein leicht unangenehmes Schweigen zwischen uns herrscht.
Das war mir nämlich schon wieder fast entfallen und jetzt, wo ich mich daran erinnere, werde ich sogar ein klein wenig wütend. Wie er mich angeranzt hat! Völlig daneben, sein Verhalten.

Caro wirkt jetzt leicht betreten.
„Ich glaube, da kamen bei ihm schlechte Erinnerungen hoch.“, sagt sie peinlich berührt.
Ich runzle die Stirn.
„Was denn für Erinnerungen?“
„Weißt du...-“, beginnt sie unsicher, „...- Noah hat da was ganz Fürchterliches durch. Mit seiner Exfreundin.“
Jetzt bin ich doch glatt fast richtig munter. „Kathrin?“, frage ich. Die ominöse Exfreundin von der mir Jasmin mehr oder weniger berichtet hat. Der Fettfleck auf Noahs reiner Seidenweste.
„Ja.“, seufzt Caro und hält sich mit weiteren Informationen zurück. Ihr scheint das Thema weitaus unangenehmer zu sein, als mich über meinen Exfreund auszufragen, ganz toll. Aber nicht mit mir. Meine Sensationsgier ist entfacht. Und ich bin eigentlich nur selten für Tratsch zu haben.

„Erzähl schon!“, fordere ich sie unnachgiebig auf. Dann starre ich sie so lange von der Seite an, bis sie zu reden beginnt.
„Kathrin war damals glaube ich Sechzehn oder so.“, erinnert sie sich. „Noah arbeitet doch ehrenamtlich bei der christlichen Beratungsstelle in der Bertuchstraße, wo häufig Jugendliche mit schwerwiegenden Problemen einfach nur jemanden zum Reden brauchen.
Kathrin war so jemand. Schlechtes Elternhaus, Vater mit Alkoholproblemen, schwere Kindheit und mies in der Schule. Keine Zukunft, keine Perspektive – dafür aber ziemlich hübsch.
Ich glaube Noah hat sich sofort in sie verliebt.
Was er allerdings nicht wusste und was erst nach und nach heraus kam, war, dass Kathrin heimlich Rauschmittel konsumierte. Ziemlich schlimm sogar. Sie war total süchtig. “

Mir fällt die Kinnlade herunter. „Noah hat sich in einen Junkie verliebt?“, krächze ich ungläubig.
Meine Freundin nickt ernst. „Mhm.“
„Wann war das? Wie lange ist das schon her?“, frage ich nacheinander. Das kann ich nicht glauben.
Erstmal übersteigt es meinen Horizont, dass Noah sich in eine Sechzehnjährige verliebt. Ich kann ihn mir einfach nicht vorstellen, mit so einem Kind an der Hand. Er wirkte schon immer so reif.
Und dann auch noch Drogen? Da ist er aber in einer ziemlich krassen Parallelwelt gelandet.

Caro berichtet weiter: „Das war vor vier Jahren. Gleich nach dem Abitur. Die beiden waren über zwei Jahre zusammen und es war eine grässliche Zeit. Wegen Kathrin hat Noah das Studium abgebrochen, hat fast seinen Glauben verloren. Es war wirklich schlimm. Er wollte sie retten, hatte aber keine Chance. Und sie hat ihn ausgenutzt, ihn fertig gemacht, sein Geld geklaut und war tagelang verschwunden, weil sie sich irgendwo zudröhnen musste. Ständig! Noah hat sie dann immer irgendwo wieder gefunden, in erbärmlichen Zustand. Du hast ihn vorhin wohl ziemlich genau an diese Zeit erinnert.“

Ups. Mir wird wieder übel.
Was ist das denn für eine üble Geschichte? Ich kann es immer noch nicht ganz fassen.
Wie kann er, nachdem er so eine Zeit durchlebt hat, noch so wahnsinnig positiv sein? Das Wochenende über hat er sich nicht im Geringsten anmerken lassen, dass da so eine Bombe in ihm brodelt. Und das sage ich zurecht. Denn anscheinend hat er die Zeit noch nicht verwunden. Beweisstück A – seine Reaktion auf mich. Und das finde ich alles andere als fair.
Ich fühle mich unberechtigt behandelt.
Nur weil ich nen kurzen Aussetzer hatte, kann er mich noch lange nicht als Puffer für seine angestauten Emotionen ausnutzen. Und ich fühle mich alles andere als geehrt, dass er seinen Frust über dieses Gör an meiner Person auslässt. Wie kann er mich nur mit so Etwas vergleichen?

„Willst du damit sagen, ich erinnere Noah an seine kleine, abgefuckte Drogentussi?“, empöre ich mich. „Ich nehme so einen Scheiß nicht. Und ich besaufe mich sonst auch nicht so haltlos.“
„Das weiß Noah doch nicht.“, entgegnet Caro unsicher.
„Er hatte kein Recht mich so mies zu behandeln.“, stelle ich klar. „Er kennt mich nicht und ich finde es anmaßend, dass er mich mit seiner Exfreundin in eine Schublade steckt. Wie kommt er überhaupt dazu?“

Das regt mich wirklich auf.
Noah hat doch keine Ahnung. Er weiß Nichts über mich. Klar, wir haben uns wirklich gut verstanden und ich habe mich in seiner Gesellschaft doch recht wohl gefühlt. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass er mich so vorschnell verurteilen darf.

„Anna!“, warnt Caro nachdrücklich. „Noah hat sich wahnsinnige Sorgen gemacht. Eben weil er einen anderen Eindruck von dir hatte. Er hat wohl einfach nicht damit gerechnet, dass du so kopflose Aktionen machst. Und dann war er geschockt. Von deinem Zustand, dem Festival – das war wohl einfach zu viel, schätze ich.“

„Du kennst mich doch aber besser, Carolin! Du hättest mich energischer verteidigen müssen.“, kontere ich und schmolle. „Außerdem hätte ich nicht erwartet, dass ich einen so sauberen Eindruck hinterlasse.“ Um ehrlich zu sein, habe ich mich stellenweise sogar richtig bemüht, noch immer die Rebellin raushängen zu lassen. Nicht in diese Schiene gedrückt zu werden. Ich war eigentlich der Meinung, dass mir das gelungen ist. Doch Noah war wohl dennoch von meinem Handeln geschockt.

„Noah sieht immer gern das Beste im Menschen.“, sagt sie trotzig. „Und das müsstest du eigentlich noch wissen.“

***

Den Rest der Autofahrt verbringen wir schweigsam.
Ich muss die neuen Informationen erstmal sacken lassen. Und es geht mir immer noch nicht so berauschend gut. Die ganze Aufregung um Noahs Verhalten und die Geschichte seiner Ex hat mich unerwarteterweise doch aufgewühlt.
Ich muss mir immer wieder vorstellen, was das für ein Noah war, der sich auf so eine Beziehung eingelassen hat. Er geht so garnicht konform mit dem aktuellen Bild, welches ich die letzten Tage von ihm gewonnen hatte. Ich muss mir wohl eingestehen, dass nicht nur er eine schlechte Menschenkenntnis hat. Wir haben uns gegenseitig falsch eingeschätzt.

Caro lässt mich direkt bei meiner WG aussteigen. Sie verspricht mir noch, mir die nächsten Tage meinen Rucksack zu bringen, da ich bei den DuskyDays ja nur mit meiner Handtasche bewaffnet war. Wir verabschieden uns ziemlich wortkarg.
Als ich die Treppe zum Dachgeschoss hoch steige, fällt mir auf, dass ich mich nicht einmal bei ihr entschuldigt habe. Ich verdränge den Gedanken.

„Ach du heilige Scheiße!“, grölt mich Gordon an. „Was ist denn mit dir passiert?“ Ich zucke vor Schreck zusammen und will flüchten.
Doch er kommt aus der Küche auf mich zugestürzt und mustert mich verwundert. „Verdammt. Anna! Wo warst du? Und was hast du getan?“
Ich sehe ihn abfällig an und spare mir eine Antwort. Der Letzte, mit dem ich reden will, ist er.
Ich gehe an ihm vorbei und steuere schnurstracks auf das Badezimmer zu. Duschen. Dann schlafen. Das ist mein Plan. Zu mehr ist mein Gehirn nicht mehr fähig.

Ich betrachte mich im Spiegel. Ich sehe wirklich ganz schön fertig aus. Unter der Dusche schlafe ich fast ein. Meine Beine sind richtig zittrig und ich habe die Befürchtung, dass ich ziemlich schnell in Ohnmacht fallen könnte. Dann würde mich Gordon hier finden, nackt. Das kann ich nicht verantworten.
Schleunigst stelle ich das Wasser ab und steige langsam aus der Duschkabine.
Auch frisch geputzt sehe ich aus wie eine Heroinleiche auf Turkey. Ich bin so blass und meine Augenringe machen Courtney Love zu ihrer Blütezeit Konkurrenz.
Ich wickel mich in ein Handtuch und schreite bedächtig in mein Zimmer.
Natürlich liegt Gordon schon auf der Lauer. Alter Nervsack. Warum ist der überhaupt schon munter?

„Anna? Geht’s dir gut?“, fragt er besorgt. Ich nicke. „Ja, ich bin nur hundemüde.“
„Was hast du denn gemacht? Du siehst gespenstisch aus!“
So was neugieriges! Ich gifte ihn genervt an: „Ich habe etwas viel getrunken und zu wenig geschlafen. Darf ich jetzt ins Bett?“
Perplex tritt er zur Seite. „Äh klar. Entschuldige, ich bin nur so erschrocken. Gute Nacht und äh... gute Besserung!“, stottert er.
Unwirsch nicke ich und schlüpfe an ihm vorbei.
Dann bin ich in Sicherheit. Mein kleines, verfluchtes Zimmer erscheint mir ungewohnt behaglich.
Ich kuschel mich in meine Decke, will an nichts mehr denken und schlafe augenblicklich ein.

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Kommentar:

*gähn * Was für ein lahmes Ende. Zur Abwechslung mal kein Cliffhanger :)
Dafür kam die Fortsetzung ungewohnt schnell von mir. Ich bin auch etwas stolz auf mich ^^
Nächstes Mal gibt’s dann auch wieder eine Rückblende. Langsam kann Anna ja nun auch mal der Sprache rausrücken, warum denn nun Schluss ist, zwischen Chris und ihr. Sie ziert sich ganz schön :P

Ganz liebe Grüße
Maggie





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