Autor: Maggie
veröffentlicht am: 05.04.2013
Teil 2
Ich habe es tatsächlich geschafft und noch etwas für meine berufliche Zukunft erledigt.
Zwei Bewerbungen, die ich garantiert noch morgen früh wegbringen werde. Ich bin stolz auf mich.
Mein Survival-Rucksack für die DuskyDays steht auch schon vorfreudig still in der Ecke und wartet auf seinen Einsatz. Alles ist vorbereitet.
Nur eins fehlt noch – und das ist irgendein Lebenszeichen meiner einstigen besten Freundin – Bianca. Diese untreue Seele soll ja eigentlich mein Ticket zum Festival werden.
Es war abgesprochen, dass wir zusammen dort aufschlagen, in einem Zelt übernachten und auch sonst einen aufs doppelte Lottchen machen.
In Berlin war sie neben Chris mein zweiter Lebensinhalt. Wir waren zusammen auf der Berufsschule, wo wir uns auf Anhieb verstanden hatten – seitdem waren wir quasi unzertrennlich und jetzt, wo ich sie am meisten brauche, lässt sie mich offensichtlich hängen.
Ich bin es ja gewohnt, dass sie nur mäßig zuverlässig ist, aber sie hat meine verfluchte Eintrittskarte, die ich nebenbei schon vor Wochen bezahlt habe, und sie geht verdammt nochmal schon tagelang nicht mehr an ihr Handy.
Seit ich wieder in Weimar wohne meldet sie sich nur noch ganz sporadisch und verdächtig kurz, in ihrer letzte Nachricht, schön unpersönlich über Facebook, hieß es, sie würde sich bei mir nochmal melden und mir dann die Details für unsere Anreise mitteilen.
Das ist nun fünf Tage her und ich sitze wie auf heißen Kohlen.
Was mach ich, wenn sie sich überhaupt nicht mehr meldet?
Habe ich den Arsch in der Hose da allein hinzufahren?
Und dann? Ich kann doch kaum ohne Begleitung dort aufschlagen! Das Gelände ist riesig, bis ich da mal nen bekanntes Gesicht gefunden habe, kann gut und gerne das gesamte Wochenende drauf gehen...und außerdem habe ich ja auch keine Karte. Den Eintritt vor Ort kann ich mir nicht leisten.
Ein kleines bisschen keimt in mir ein verstörendes Gefühl auf.
Ich komme mir vor, wie ins Exil verbannt, völlig abgeschieden von der entfernten Welt Berlins und bereits aus den Köpfen meiner Freunde gelöscht.
Es fühlt sich grässlich an und ich werde zunehmend panischer.
Heute Mittag war ich ja noch der festen Überzeugung, dass sich Bianca noch melden würde. Es sieht ihr schließlich ähnlich immer nur auf den letzten Drücker anzukommen und irgendwie habe ich mich mit der miesen Tatsache nicht so wirklich auseinander gesetzt, dass sie mich wahrhaftig hängen lassen könnte.
Nun ist es bereits neun Uhr Abends. Der Zug fährt irgendwann morgen Mittag gen Festivalgelände und ich weiß ehrlich nicht, was ich machen soll...
Es klopft an meiner Zimmertür und ich ahne Schlimmes.
„Ja?“, sage ich mürrisch.
Die Tür geht auf und ich erkenne die fettige Mähne von Gordon, einen meiner Mitbewohner.
„Wir wollen jetzt los. Kommst du nun mit?“, fragt er und schiebt sich dabei unaufgefordert in mein kleines Schattenreich.
Gordon ist gruselig, genauso wie Justus, der dritte Chaot unserer kleinen, beschissenen WG.
Beide sind irgendwie Gothics, oder Heavy-Metal-Freaks, oder vielleicht auch nur Emos – ich erkenne da keinen Unterschied. Sie trinken bedenkliche Mengen Bier, waschen sich nur selten ihre viel zu langen Haare, tragen schwarz und gehen andauernd in so ne merkwürdige Bar, in der sich allerhand Gesindel ihrer Art herumtreibt.
Und genau dahin soll ich jetzt mitkommen.
Ich weiß nicht, was ich falsch mache, aber ständig versuchen die Leute um mich rum, mich aus meiner natürlichen Umgebung zu reißen.
„Nein. Ich geh nie wieder in diese Friedhofskneipe.“, zicke ich den im Grunde doch recht friedfertigen Gordon an.
Um ehrlich zu sein, kenne ich meine dunklen Mitbewohner noch nicht wirklich. Allerdings fühle ich mich schon ein bisschen dazu berechtiget, sie zu verurteilen, nachdem ich mir drei Wochen lang schon ein Badezimmer mit ihnen teile. Menschliche Abgründe, über die ich nie wieder nachdenken mag, haben sich dabei aufgetan.
„Ach komm Anna. War doch das letzte Mal ganz nett!“, stichelt er mich an und erinnert mich dabei an diesen ausgesprochen unheimlichen Abend vor zwei Wochen, als ich mich das erste und letzte Mal dazu genötigt fühlte, eine mir unbekannte Welt aus Halbtoten zu betreten.
Der Abend im Sodom, die finsterste Absteige Weimars und wie schon erwähnt, die Stammbar meiner WG-Kumpel, war ein einschlägiges Erlebnis für mich.
Ich kam mir so fremd und fehl am Platze vor, dass ich keinen anderen Ausweg sah, als mich haltlos zu betrinken, was alles irgendwie noch viel schlimmer gemacht hat. Es war wie auf einer hollywoodreifen Halloweenparty, voller blasser und schwarz-geschminkter Menschen, die mich mit meiner urlaubsbraunen Haut angestarrt haben, als seien sie Vampire und ich die einzige, durch deren Adern noch Blut fließt.
„Ja...“, lache ich sarkastisch, „ - total nett!“ Ich schnaube. „Ich will morgen zu den DuskyDays, das habe ich euch doch schon erzählt...“
Gordon lacht abfällig. „Zu diesem Rave-Festival?“
Ich kneife die Augen zusammen. Hat er grad ernsthaft „Rave“ gesagt? Ach du Schande...
„Techno ist schon seit der Loveparade total uncool, Anna.“, fügt er noch voller Überzeugung hinzu.
Ich weiß, er hat keine Ahnung und ich sollte mich wirklich nicht zu dieser Diskussion hinreißen lassen, aber...
„Und dieser ungewaschene Emo-Look ist dagegen total im Trend?“, frage ich spitzzüngig.
Ein Glück versteht Gordon Spaß und nimmt sich selbst nicht ganz so ernst, ansonsten hätte ich mir an dieser Stelle wohl eine neue Bleibe suchen können.
„Du hast einfach keinen Geschmack Mädel, das ist dein Problem!“, kontert er grinsend.
„Und du hast keinen Schimmer von guter Musik. Glaubst du ernsthaft, dass heutzutage noch irgendjemand das Wort „Rave“ in den Mund nimmt?“, ziehe ich ihn auf.
Mit den Händen in seiner übergroßen Jeans steht er vor mir und mustert mich kritisch. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, dass ich an ihm schon viel zu oft für die kurze Dauer unserer Bekanntschaft gesehen habe. Wahrscheinlich hat er nur eine begrenzte Kapazität an Kleidungsstücken. Und trotz meiner offensichtlichen Abneigung lässt er sich nicht vertreiben, fast ein bisschen nervig.
„Was sagt man denn dann?“
„Beat.“, ist meine knappe Antwort.
„Und die Musik heißt trotzdem Techno?“, ist seine nächste Frage. Auf mich wirkt er plötzlich erschreckend interessiert, dennoch zweifle ich an seinen Absichten.
„Das ist eher der alte Oberbegriff...bei den Ddays sind verschiedene Richtungen von elektronischer Musik vertreten. Angefangen mit House, über Minimal bis zu richtigem Hardtekk...und den ganzen Untergruppierungen dazwischen.“, erkläre ich zögerlich.
„Und das, was du hier tagtäglich hörst, nennt man...?“, beginnt er und spielt gleichzeitig in eine ganz gefährliche Richtung.
„Hardtekk.“, ergänze ich mehr als kurz angebunden.
„Warum gerade das?“
Er hat mich an der Angel und er weiß es nicht mal, oder er weiß es ganz genau und versucht die Antwort aus mir rauszukitzeln. Egal wie, ich fühle mich in die Ecke gedrängt.
Viel wissen sie nicht über mich, meine Mitbewohner, aber wer ab und zu mal über seinen Horizont blickt, der jüngeren Generation angehört und dazu noch aus Weimar kommt, der dürfte normalerweise wissen, mit WEM ich zusammen war.
Ich antworte nicht.
Gordon dagegen lässt zu meinem Leidwesen nicht locker. „Dein Exfreund, dieser DJ, wie nennt er sich nochmal?“
Mein Herz klopft bis zum Hals. Ich umfasse ganz automatisch meine Arme, schlucke einen dicken Kloß hinunter und antworte mit belegter Stimme: „CoTekk“
In Gordons schlammbraunen Augen blitzt Erkennen auf. „Genau! Der kommt doch auch von hier, oder? Und der macht dieses Hardtekk?“
Ich könnte heulen. Ich hasse es mit Unwissenden über Chris zu sprechen. Ihnen erklären zu müssen, dass Chris der wohl bekannteste und beliebteste Liveact feierwütiger Tekk-Fans der ganzen Bundesrepublik ist und ich während seines unglaublichen Karrieresprungs DIE Frau an seiner Seite gewesen war.
„Ja, macht er.“, presse ich hervor, ganz offensichtlich nicht gewillt, weiter über ihn zu sprechen.
„Heikles Thema?“, fragt mich Gordon unschlüssig. Ein bisschen Einfühlungsvermögen hat er ja doch.
Ich nicke nur und signalisiere ihm so hoffentlich, dass er sich jetzt gern verpissen kann, nachdem er mir so wunderschön den Abend versaut hat.
„Wird er auch dort sein? Bei diesem Beat?“
Er bohrt zu tief. Ganz eindeutig.
Ich ziehe eine Grimasse und zische: „Selbstverständlich wird ER da sein. Sein verfickter Name steht ganz oben auf dem Flyer!“
Sofort und ohne nachzudenken knallt mein Mitbewohner mir in einem viel zu sanften Ton ein: „Warum tust du dir das an?“, vor die Stirn, schüttelt traurig mit dem Kopf, dreht sich um und lässt mich wie einen durchnässten Pudel stehen.
Warum tue ich mir das an?
Gute Frage. Vielleicht bin ich Masochistin und stehe auf seelische Qualen?
Oder ich bin einfach geisteskrank.
Bis eben habe ich mir allerdings relativ erfolgreich eingeredet, dass es mir nichts ausmachen wird, meinen Exfreund auf dem Festival zu begegnen. Wobei die Chance auf ne Begegnung eher gering ausfallen wird – Chris mischt sich bei den DuskyDays nicht mehr unter das normale Volk.
Nein. Er wird drei Tage lang im VIP-Bereich festkleben, haufenweise paarungswilliger, zugedröhnter Weiber um sich herum haben und wahrscheinlich sein neues Singleleben dekadent ausnutzen.
Autsch. Ich stell mir das jetzt nicht bildlich vor.
Die letzten Jahre war ich nämlich mit in diesem ominösen Hinterräumen der Star-DJs und ich weiß somit ganz genau, was da so abgeht. Ich erinnere mich jedenfalls bestens an die lüsternen Blicke der billigen Tussen, die sich irgendwie dort eingeschleust haben und nur darauf aus waren, sich an einen bekannten Tekkszenen-Promi ranzuschmeißen.
Und dieses Jahr muss ich in meinem gebeuteltem Zustand wieder zu den Nullachtfünfzehn-Normalo-Gästen wechseln – das kratzt zwar an meinem Ego, aber mit Bianca an meiner Seite hätte ich das noch weggesteckt. Ich hätte einfach einen großen Bogen um das Zelt gemacht, in dem Chris auflegt, auch wenn ich seine Musik wirklich liebe und sie, wie Gordon schon sagte, immer noch tagtäglich höre, so würde mein angeknackstes Herz seinen Anblick hinter den Korgs dann doch nicht verwinden können.
Wobei ich wieder bei dem leidigen Thema bin, dass meine ach-so-gute-Freundin kein Lebenszeichen mehr von sich gibt.
Scheiße.
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Ich glaube nicht, dass ich den Mumm aufbringe, meinen stolzen Hintern mutterseelenallein in den Zug zu schwingen und ich bezweifle ganz arg, dass mir meine Eltern morgen früh nochmal die nötigen Scheine pumpen, so dass ich den Eintritt wenigstens zahlen kann.
In meiner Not schnappe ich mir mein Handy und ruf Bianca nochmal an. Es ist zwar ganz schön unter meiner Würde, da ich ihr in den letzten Tagen gefühlte hundert unbeantwortete Anrufe auf dem Display hinterlassen habe und da auch irgendwo eine Grenze zum erbärmlich-verzweifelten Eindruck überschreite, dennoch starte ich einen letzten Versuch... - ohne Erfolg.
Frustriert schmeiße ich das verfluchte Handy auf mein Bett und sehe mich in meinem kargen Zimmer nach etwas um, auf das ich mal kräftig und ausdauernd einschlagen könnte.
Kurz erwäge ich, ob ich irgendwie besonders an dieser dämlichen Dekofigur, in Form einer eigentlich ganz putzigen Eule, hänge, als tatsächlich die harten Klänge meines Lieblingsmitschnitts aus einem Liveset von Chris verlauten lassen, dass mein Mobilfunkgerät tatsächlich auch Anrufe durchstellt. Daran habe ich nämlich auch schon kurzweilig gezweifelt...
Behutsam stelle ich die kleine Eule zurück auf ihren Platz, höre sie förmlich erleichternd aufatmen, dann sprinte ich zum Bett und schnappe das vibrierende und vor sich hintönende Teil.
Gott! Bitte lass es Bianca sein!!!
Gott weiß wahrscheinlich schon längst, dass ich seine Existenz nicht anerkenne, deshalb schickt er mir zur Strafe ein Zeichen, in Form von seiner persönlichen Rache – es ist Carolin.
Enttäuscht gehe ich ran.
„Ja?“
„Na? Sachen schon gepackt?“, flötet sie furzfröhlich.
„Kommt drauf an für was!“, knirsche ich durch die Leitung.
Ich höre Caros glockenhelles Lachen. „Ganz tief in deinem Herzen willst du doch mit uns mit!“
„Nein. Eigentlich nicht.“, erwidere ich staubtrocken.
„Also fährst du tatsächlich zu diesem Festival? Ich hab das gegoogelt, schrecklich! Da gehts ja zu wie bei Woodstock!“ Sie klingt ein kleines bisschen altklug.
Ha! Hat die Ahnung! „Du vergleichst Äpfel mit Birnen, Caro.“, beschwichtige ich desinteressiert.
„Wann solls denn losgehen?“, fragt sie sofort.
Wenn mich nicht alles täuscht, war das gehässig. Oder ich bilde mir das in meinem desolaten Zustand ein. Jedenfalls gefällt mir die Frage nicht.
„Morgen früh.“, weiche ich aus.
„Aha.“, gibt sie ahnend zurück. „Mit wem willst du da eigentlich hin?“
Darf das wahr sein? Als ob sie es ahnen würde, diese verfluchte Hellseherin.
„Mit ner Freundin.“, knurre ich.
Und auf einmal wendet sich das Blatt: „Na dann wünsche ich euch viel Spaß.“, sagt Caro verdächtig nachsichtig.
Warum gibt sie plötzlich auf? Von meinen ruppigen Antworten hat sie sich jedenfalls noch nie abschrecken lassen. Das ist bei diesen Kirchenfutzis irgendwie ganz tief drinnen verankert. Die sind resistent gegen Sarkasmus, Pöbelei und Unfreundlichkeit.
„Danke.“, presse ich langsam hervor und bade in Skepsis.
„Und sie zu, dass du gesund und munter wieder kommst.“, zwitschert sie fragwürdig fröhlich.
Ich verziehe verächtlich meinen Mund, was sie zum Glück nicht sehen kann.
„Ja... Mutter!“, gebe ich abfällig und in einem trotzigen Teenieton zum Besten. Ihre gut gemeinten Ratschläge kann sie sich sonst wohin stecken – ich traue dem Frieden noch lange nicht. Sie führt etwas im Schilde.
Caro übergeht großmütig meine aufmüpfiges Verhalten. „Und wenn irgendwas dazwischen kommen sollte, dann bist du noch immer herzlich Willkommen. Das weißt du doch hoffentlich, oder?“
Entweder sie versucht mir ein schlechtes Gewissen zu machen oder sie wendet irgendein Trick alà umgedrehter Psychologie an. Allerdings glaube ich fast an übernatürliche Kräfte ihrerseits, denn in ihrer Stimme schwankt ein solch wissender Unterton, dass ich fast vermute, sie wisse ganz genau, dass ich hier in den Angeln hänge...mich verloren und verlassen fühle.
„Sicher.“, pampe ich zurück und lege auf.
Ich hab die Schnauze gestrichen voll.
Caros Anruf war das i-Tüpfelchen auf meinem heutigen Leidensweg. Sie ahnt irgendwie, wie es mir geht, obwohl ich mir doch sichtlich Mühe gebe, nach außen hin einen gewissen Reststolz zu wahren. Und da ich jetzt auch endgültig einsehen muss, dass Bianca nen Haken hinter meine Existenz gemacht hat, muss ein Plan her.
Die DuskyDays kann ich mir abschminken. So wie ein viel zu dunkles und viel zu verführerisches Makeup, welches zwar echt toll ist, aber letztendlich zu gewagt für so ein gebrochenes Persönchen, wie mich.
Sie wird sich heute nicht melden und morgen früh nicht und mit Sicherheit auch nicht in absehbarer Zeit. Ich bin weg vom Fenster. Aus den Augen, aus dem Sinn – typisch für so ein flatterhaftes Wesen wie Bianca, dennoch hätte ich nicht damit gerechnet, dass sie mich wie ein altbackenes Kleidungsstück in die hinterste Ecke ihres Schrankes verbannt.
War ja ganz nett, der Pulli, aber jetzt, da er so tief und so weit hinten liegt, lohnt sich die Mühe ja auch nicht, ihn wieder vor zu holen.
Es frustriert mich ernsthaft, dass ich mich nicht früher mit diesem offensichtlichem Umstand auseinandergesetzt habe. Manchmal kommt dann doch noch die angeborene Gutgläubigkeit meiner christlichen Erziehung durch – und eventuell noch ein kleiner, aber feiner Verdrängungsmechanismus. Gepaart mit der geistigen Umnachtung, mit der ich die letzten Wochen vor mich hintüddele, entstand ganz logisch die lächerliche Hoffnung, dass sich zwischen mir und meiner peripheren Partyfreundin nichts geändert hätte, auch wenn ich in ihren Großstadt-Gören-Augen in die tiefste Pampa verexiliert wurde.
Und nun hab ich den Salat.
In diesem Augenblick könnte ich ganz stark und ganz dringend ne Zigarette gebrauchen.
Verdammt! Warum habe ich eigentlich aufgehört?
Ich bin tatsächlich nur einen fünfhundert-Meter Fußmarsch zum nächsten Kiosk davon entfernt, die halbjährige Kippenabstinenz über den Haufen zu werfen.
Doch stattdessen bahne ich mir einen Weg in unsre dreckige Männerküche und begebe mich auf die Suche nach etwas Alkohol.
Zu meiner tiefsten Enttäuschung sind Gordon und Justus noch da, zusammen mit zwei weiteren Grufti-Freunden belagern sie den zu klein geratenen Küchentisch. Doch das hindert mich nicht daran, zu ihnen zu gehen und dem dürren Justus das Schnapsglas aus der knöchernen Hand zu zerren.
Meine filmreife Showeinlage, die für die vier Randgruppler ungefähr so aussehen muss, als wenn eine durchgedrehte, wutentbrannte Tussi versucht, sich ordentlich die Kante zu geben, wird mit ordentlich Beifall quittiert und man ladet mich ein, mich doch noch kurz zu ihnen zu gesellen.
Ablenkung kann ich gebrauchen, also werfe ich alle Vorurteile über Bord und begebe mich in die Höhle des Löwen, oder auch die Höhle der Untoten.
„Also Anna!“, lallt Justus zwei Stunden später. „Jetzt red mal Tacheles!“
Die Ansage hebt er durch einen ordinären und ziemlich widerlichen Rülpser hervor.
Ich verziehe missfällig meinen Mund.
Die Freakshow lacht.
Kaum einer an diesem Tisch ist noch nüchtern, besonders ich nicht.
Die Jungs haben sich einen Spaß aus meinem Frust gemacht, kurzerhand ihr Weggehvorhaben auf eine spätere Stunde verschoben und großzügig ihren Wodka mit mir geteilt.
Jetzt versuchen sie das Leid, welches mich von innen zerfrisst, aus mir rauszukitzeln.
Der Einzige, der noch einigermaßen ansprechbar ist, ist Gordon. Gut, der ist auch so kräftig gebaut, dass er wahrscheinlich das dreifache von dem verträgt, was wir restlichen vier halbe Portionen intus haben.
Im Gegensatz zu seinem Spargeltarzahn von Mitbewohner, seiner zu kurz geratenen Freunde Olli und Pepe, die für mich nebenbei bemerkt zum verwechseln ähnlich aussehen und ich sie immer wieder mit den falschen Namen anspreche, und mir, bekanntlich ein Mädchen und noch weniger standhaft als das „starke Geschlecht“, ist Gordon sowas wie ein Fels in der Brandung.
Er amüsiert sich jedenfalls köstlich.
Ich versuche mich zu konzentrieren. „Das geht dich nen Scheiß an, Bürschchen!“
Meine Aussprache ist noch einigermaßen verständlich, worauf ich echt stolz bin.
Alle lachen. Ich bin wohl sowas wie die Attraktion ihres Abends.
Füll die miese, zickige Mitbewohnerin ab und mach dich dann über sie lustig!
„Ach komm schon Püppchen“. Justus setzt den hässlichsten Dackelblick auf, der mir je unter gekommen ist und greift nach meiner manikürten Hand. „Red mit uns! Wir sind doch deine Kumpels...quasi wie große Brüder!“
Ich schnaube abfällig und entziehe mich seinem verschwitzten Griff.
„Pff!“, stoße ich nur hervor und widme mich dem Gläschen vor mir, welches sich wie durch Zauberhand immer wieder von selbst zu füllen scheint.
In Wirklichkeit sind das dieser Olli und sein optischer Zwillingsbruder Pepe. Ich habe ja den leisen Verdacht, dass dies das erste Mal in ihrem kümmerlichen Dasein ist, dass sie mit einem weiblichen Wesen, welches nicht mit ihnen in einem verwandtschaftlichen Verhältnis steht, zusammen an einem Tisch sitzen. Sie sind geradezu pervers aufdringlich und lachen über jeden Mist, den ich so von mir gebe. Und heute bin ich nicht mal in Höchstform – im Gegenteil. Ich bade in Selbstmitleid und aale mich in der gruseligen Aufmerksamkeit von vier versoffenen, vampirähnlichen Freaks.
Dies ist dann also die Krönung meiner existenziellen Erbärmlichkeit.
Ich gratuliere Anna! Darauf solltest du noch einen trinken!
Ein paar Stunden später wache ich mit einem netten Kater auf.
Die Sonne knallt in mein Zimmer, es sind geschätzte 35°C, meine Zunge ist staubtrocken und ich habe das Gefühl, dass ich kurz vorm Verdursten bin.
Ich trage noch immer das Trägertop von gestern Abend, den BH habe ich auch noch an, sowie meinen Slip – das sehe ich als gutes Zeichen, da ich mich sonst an nichts mehr erinnern kann.
Mit einem Stöhnen und einem schmerzenden Pochen im Kopf quäle ich mich aus den Laken und steuere als erstes das Badezimmer an.
Wie ein Fisch auf dem Trockenen lechze ich nach Wasser und trinke dann auch gleich aus dem Hahn vom Waschbecken gefühlte zwei Liter verkalktes Leitungswasser, erst danach wage ich einen Blick in den Spiegel.
Meine Augen sind etwas geschwollen, die Haare türmen sich wie ein Vogelnest auf und auf der rechten Wange zeichnet sich ein merkwürdiger Abdruck ab. Ich kneife die Augen zusammen und gehe näher an den Spiegel – Kissenfalten! Sehr dekorativ.
Was war das gestern überhaupt?
Habe ich mich tatsächlich mit meinen Mitbewohnern betrunken?
Kopfschüttelnd streife ich meine Kleidung ab und wanke unter die Dusche. Nach wenigen Sekunden fühle ich mich schon lebendiger, greife zum Shampoo und schäume mich großzügig ein. Dann klopft es an der Tür.
„Kann man hier nicht EINMAL ungestört sein?!“, maule ich vor mich hin, dann rufe ich motzend: „Ich dusche!“
Wieder klopft es zögerlich.
Verdammt!
„Was denn?“, gröle ich verärgert, während der Duft von Kirschen den Raum erfüllt und ich mir bereits wieder die Haare ausspüle.
„Ich bins. Caro!“, dröhnt es durch die Tür und ich halte mitten in der Bewegung inne, weil ich glaube, mich verhört zu haben.
„Was willst du denn?“, schreie ich ziemlich unhöflich und stelle dann das Wasser ab.
Caro scheint zu zögern, doch dann sagt sie: „Dich abholen?“
Es ist eher eine Frage, als eine Feststellung.
Die Frau ist dermaßen hartnäckig, fast schon aufdringlich!
Genervt wickele ich mich in ein Handtuch und antworte erstmal nicht. So ein Mist!
Ich hätte doch aus ihrer Sicht schon längst auf dem Weg zu den DuskyDays sein müssen. Was macht sie hier?
„Anna?“, fragt sie unsicher.
Ich atme einmal sehr tief sein, dann öffne ich die Tür, obwohl ich noch ziemlich nass bin, die Fliesen volltropfe und meine Haare eklig am Rücken kleben.
Caro sieht aus wie aus dem Ei gepellt, ausgeschlafen und mit frisch gefönten Haaren. Allerdings blickt sie so, als hätte man ihr grad irgendwie den Wind aus den Segeln genommen.
„Warum willst du mich abholen?“, frage ich sie zähneknirschend.
Ihre blauen Welpenaugen weiten sich unschuldig. „Du...du hast mich gestern noch angerufen.“, stottert sie ungewohnt unsicher und mir läuft es eiskalt den Rücken runter. „Du hast gesagt, du kommst mit...“
Oh nein! Bitte lass mich das nicht getan haben!
„Ehrlich?“, frage ich sie mit reuevollem Blick.
Scheiße verdammt! Die Erkenntnis, dass ich es vielleicht nicht ernst gemeint haben könnte, blitzt grad in ihren Augen auf und irgendwie bricht mir der Anblick das Herz.
Die Enttäuschung steht ihr jedenfalls ins Gesicht geschrieben.
„Ja.“, antwortet sie leise. „Du hast es sogar versprochen...“, dabei schluckt sie schwer und mein Gewissen verhaut mich und mein versoffenes Alter Ego.
Wieso um Himmels Willen habe ich das getan?
Und warum kann ich mich nicht mehr daran erinnern?
Und was zur Hölle sage ich ihr jetzt?
[i]Du, Caro, kleine christliche Freundin... Ich war gestern so sturzbetrunken, dass ich keine Erinnerung mehr habe und jetzt scheiß ich mal gepflegt auf unsere Freundschaft und sage dir: mach nen Abgang![i/]
Nein! Ganz sicher nicht.
Irgendwo ganz tief in mir drinnen steckt da noch ein bisschen Nächstenliebe und ich fange ganz ungekünstelt an zu grinsen.
„Verarscht!“, lache ich sie an, schleiche mich an ihr vorbei und gehe schnurstracks in mein Zimmer. „Bin gleich fertig. Muss mich nur noch anziehen!“
Dann knalle ich ihr die Tür vor der Nase zu, atme einmal ganz tief durch und weiß:
Ich werde dieses Wochenende also definitiv mit den Kirchenyuppies verbringen!
Schande!
Teil 2!!!
Schön lang und kompromisslos!
Ich wähle die lockere und manchmal vielleicht auch schnoddrige Sprache mit Bedacht – die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive im Präsens erzählt und unsere gute Anna hat eben den gewissen Gossenjargon und teilweise abstruse Gedankengänge :)
Ich hoffe es schreckt nicht all zu sehr ab!
LG Maggie
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