Wie eine einzige Sommernacht - Teil 15

Autor: NoNo
veröffentlicht am: 04.11.2014


Kapitel 15

Emma

Ich sitze im Liegestuhl auf der Terrasse mit einem Glas Wein in der Hand und meinem Lieblingsbuch von Tolstoi auf dem Schoß. Ich glaube, ich habe Krieg und Frieden schon mindestens fünfmal gelesen. Beinahe kann ich es auswendig.
Die Kerze neben mir auf dem Tisch flattert, sobald die kühle Meeresbrise zu uns weht. Ich liebe den Geruch nach Meer und diesen salzigen Wind, auch wenn dann meine lockigen Haare so kräuselig werden, dass ich als Diana Ross durchgehen könnte.
Ich lege den Kopf in den Nacken und schaue hinauf zum Sternenhimmel. Hier scheinen die Sterne viel heller zu leuchten, als in Heidelberg. Der Sichelmond spiegelt sich leicht auf der Meeresoberfläche.
Die anderen sind schon schlafen gegangen. Nur Immi und Joschka sind noch wach. Immi duscht und Joschi isst die Reste vom Abendessen.
Kurz drehe ich mich über die Schulter zu ihm um und sehe ihn über den Teller gebeugt und mampfen. Ohne, dass ich es will, muss ich schmunzeln.
Joschi ist der Vernünftigste von uns. Er ist organisiert, ehrgeizig und richtig charmant. Ich kenne niemanden, der so gut Prinz Charming spielen kann.
Er war es immer, der uns früher von den blödesten Ideen abgehalten hat. Vor allem Frieda, Timo und ich kamen immer auf die verrücktesten Gedanken.
Immi ist auch vernünftig, aber auf eine andere Art und Weise. Er hält niemanden von etwas ab. Er teilt seine Meinung mit und das nüchtern, kühl und klar wie immer. Danach mischt er sich nicht mehr ein.
Immi. Immanuel. Meine Gedanken schweifen wieder in die Vergangenheit. Ich denke an die vielen Momente zwischen uns, bis ich schließlich wieder bei letztem Weihnachten lande.
?Du bist noch wach??
Mit einem spitzen Schrei fahre ich zusammen und verschütte meinen Wein. ?Verdammt!? rufe ich aus und stelle das Glas weg und werfe Immi einen vorwurfsvollen Blick zu.
?Sorry?
?Schon okay? Ich trockne mir die Hände am Strandtuch ab, das hinter mir hängt, doch meine Hände bleiben klebrig.
Immi nickt und setzt sich auf den Stuhl neben mich. Erst jetzt schaue ich ihn wirklich an. Seine dunkelblonden Haare sind noch nass und er trägt nur seine Jogginghose. Oh Gott, das ertrag ich nicht.
?Man riecht, dass du frisch geduscht bist? versuche ich einen blöden Witz zu machen und hasse mich im selben Moment schon dafür. Was für ein dummer Spruch!
Immi wirft mir einen irritierten Blick zu und meint dann: ?Wäre schlimm, wenn nicht? Ich nicke und schweige. Ich weiß nicht mehr, was ich dazu sagen soll. Ich weiß allgemein manchmal nicht, was ich zu Immi sagen soll. Wir saßen schon früher oft zusammen, ohne dass wir ein Wort gesprochen haben. Doch mit Immi finde ich selbst Schweigen angenehm.
?Gute Nacht, Leute!? Joschka streckt den Kopf aus der Terrassentür und nickt uns beiden zu. Wieder zucke ich zusammen, da ich so in Gedanken versunken war.
?Gute Nacht? murmele ich zurück.
?Was ist denn mit dir los?? fragt Immanuel.
?Was??
?Na, du bist so schreckhaft? Er grinst mich breit an und zwinkert mir zu.
?Bin ich immer?
?Ach ja?? ertönt Joschis Stimme erneut von innen und nur kurz später steht er wieder in der Terrassentür. ?Ihr müsst euch ein Zimmer teilen. Oder einer pennt auf der Couch. Timo und ich haben das Doppelstockbett eingenommen!? Er feixt uns süffisant an und streckt beide Daumen in die Höhe. Dann wünscht er uns erneut eine gute Nacht und verschwindet wieder im Haus. Ich höre ihn noch die knarrende Treppe hinaufgehen. Dann sind Immi und ich allein.
Schweigend schaue ich ihn an.
?Ich kann auf dem Sofa schlafen, wenn du willst? bietet er an.
Ich zögere. Ich weiß genau, dass es schlauer wäre, wenn er auf dem Sofa schläft. Ich weiß genau, dass es das Beste ist, wenn er nicht mit mir in einem Bett schläft. Aber ich bringe es nicht über mich, ihm zuzustimmen. Es wäre so einfach, zu sagen: Ja, das ist lieb von dir.
Doch die Worte kommen nicht heraus. Es ist, als hätte ich eine Blockade. Eine Blockade, die diese Worte nur in meinem Kopf existieren lässt. Ich kann sie nicht aussprechen.
Stattdessen höre ich mich selbst sagen: ?Nein. Bitte nicht. Nein? Meine Stimme klingt dünn und ich hoffe einen Moment lang, dass Immi mich gar nicht verstanden hat. Aber er nickt. Er hat mich verstanden.
Wieder entsteht ein Schweigen zwischen uns, das ich breche: ?Hast du wirklich oft Frauen bei dir?? Sein Blick wird überrascht und ich merke, dass er auf diese Frage nicht gefasst ist. Er zögert lange, wendet den Blick von mir ab und schüttelt dann mit dem Kopf. ?Emmi, wir sollten darüber nicht reden.? ?Ich möchte es aber wissen? ?Nein, willst du nicht? ?Immi!? Mein Ton wird warnend, doch er steht einfach nur auf und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie und er zieht mich hoch.
Ich muss den Kopf leicht in den Nacken legen, um ihn anschauen zu können, so dicht steht er vor mir. Außerdem ist er im Vergleich zu mir einfach riesig. ?Aber wir sind doch Freunde? versuche ich es erneut und schaue ihn fragend an.
?Gut, dann reden wir eben darüber? Er tritt zurück und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Geländer der Terrasse. Er klingt genervt. ?Was ist denn aus Felix geworden? Und Robert? Und Eric?? Ich weiche ein bisschen irritiert zurück. Niemals haben wir über all die Männer gesprochen, mit denen ich mich früher getroffen habe. Ich habe nie mit Immi über meine Bekanntschaften gesprochen und wenn ich es doch versucht habe, blockte er immer sehr schnell ab. Umso verwunderter bin ich jetzt, dass er all diese Namen im Kopf hat.
?Du wolltest doch darüber reden?
Innerlich zucke ich zusammen, doch ich setze eine stolze Miene auf und nicke. ?Sie waren eben nicht die Richtigen. Ich weiß nicht, am Ende mochte ich sie nicht genug, um mit ihnen eine Beziehung einzugehen? ?Aber lass mich raten ? sie waren sicherlich bis zum Schluss total in dich verliebt? Irgendein Unterton in seiner Stimme lässt mich unsicher werden. Ich weiß einfach nicht, worauf er hinauswill. Und plötzlich bereue ich es, unser Gespräch in diese Richtung gelenkt zu haben. Ich tappe nervös von einem Fuß auf den anderen und fange an den Saum meines Kleides zwischen den Fingern zu kneten.
Ich spüre, wie er mich einmal von oben bis unten mustert und mein Verhalten nicht missverstehen kann.
Er weiß genau, was ich tue, wenn ich nervös bin. Alle meine Freunde wissen das. Manchmal ist es wirklich schwierig, etwas vor ihnen zu verheimlichen.
?Emmi?? setzt Immi an und bevor ich reagieren kann, zieht er mich zu sich ran und umarmt mich.
Ich zucke wieder zusammen, bevor ich mich langsam beruhige und meine Wange an seiner Schulter ablege. Ich höre seinen regelmäßigen Herzschlag und er hilft mir, wieder gleichmäßiger zu atmen.
?Es tut mir Leid. Ich wollte nicht so grob sein? murmelt er ganz nah an meinem Ohr und mich überkommt eine wohlige, angenehme Gänsehaut.
Ich schüttele mit dem Kopf und schweige. Zu sehr genieße ich diesen Moment zwischen uns. Solche Momente haben Immi und ich viel zu selten. Ich wünschte ? In Gedanken unterbreche ich mich selbst. Solche Momente habe ich mit Joschi beispielsweise nie. So wie es normal sein sollte zwischen Freunden.
Doch waren Immi und ich jemals nur Freunde?
?Hast du nun wirklich oft irgendwelche Mädchen bei dir?? wiederhole ich meine Frage von vorhin, um meine eigenen Gedanken zum Schweigen zu bringen. Ich löse mich ein wenig aus seiner Umarmung und schaue ihn an.
?Nichts, was der Rede wert ist. Es ist nie etwas Ernstes. Mach dir keine Gedanken? antwortet er und schiebt mich sanft an den Schultern von sich.
Und ich weiß, dass unser Moment wieder vorbei ist.

Als ich am nächsten Morgen aufwache, liegt Immi immer noch neben mir auf der ausziehbaren Schlafcouch, die in einem der oberen Schlafzimmer steht. Sie ist nicht sonderlich bequem. Jede Feder ist deutlich spürbar. Doch das ist mein kleinstes Problem.
Gestern Nacht hatte ich Schwierigkeiten einzuschlafen. Ich war einfach viel zu aufgewühlt von dem Gespräch mit Immi. Noch dazu sind die Wände hier so dünn, dass ich Timos leises Schnarchen aus dem Nebenzimmer hören konnte, als würde er neben mir liegen. Wie mich Timos Schnarchen verrückt macht! Auch jetzt höre ich ihn.
An ein erneutes Einschlafen ist also nicht mehr zu denken.
Vorsichtig drehe ich mich zu Immi um und betrachte ihn kurz, während er schläft. Er hat so ebenmäßige Gesichtszüge; ein kantiges Kinn, auf dem sich mittlerweile der Schatten eines Bartes abzeichnen lässt. Ich weiß nicht, wann er sich das letzte Mal rasiert hat.
Ich unterdrücke das Bedürfnis ihm über die Wange zu streicheln. Wie gerne würde ich ihn berühren.
Doch stattdessen seufze ich lautlos, schwinge die Beine aus dem Bett und stehe auf. Kurz noch wühle ich in meinem Koffer herum, bis ich ein passendes weißes Kleid und helle Unterwäsche finde. Dann schleiche ich mich leise aus dem Zimmer, um ihn nicht zu wecken. Erst als ich die Tür hinter mir geschlossen habe, atme ich laut aus. Ich bin aufgewühlt, verwirrt und habe beinahe das Bedürfnis einfach zu heulen, ohne einen wirklichen Grund nennen zu können. Manchmal wünsche ich mir, dass alles einfacher wäre.
Früher war alles einfacher; als man einfach nur Kind war und man noch seine eigene Mama heiraten wollte. Je älter man wird, umso schwieriger wird alles. Auf einmal gibt es da zwischenmenschliche Beziehungen, Liebe, Hass, Schmerz und gebrochene Herzen. Ich wünschte, zwischen Immi und mir wäre alles einfacher. Doch was ist das eigentlich zwischen Immi und mir?






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