Autor: NoNo
veröffentlicht am: 05.03.2013
Emma
Die Ponte di Rialto ist hell erleuchtet und beinahe übertrifft dieser Anblick meine romantische Vorstellung. Aber eben nur beinahe.
Die Lichter, die die Brücke erhellen, spiegeln sich im Wasser wieder und vereinzelt gleiten Gondeln durch den Kanal. Eine Gondelfahrt mit einer Person, die man liebt, muss wundervoll sein. Ich unterdrücke ein Seufzen bei diesem Gedanken.
„Entspricht es deinen Vorstellungen?“ fragt Immi neben mir und mir entgeht der belustigte Ausdruck in seinen Augen nicht.
„Auf den Bildern sieht es schöner aus“ erwidere ich und setze die stolze Miene auf, die ich lange geübt hatte. Meine Maske bröckelt nur selten und eigentlich auch nur in Anwesenheit meiner besten Freunde. Doch bei Immi fällt es mir am Schwersten, ich selbst zu sein.
„Also, ich finde es schön“ sagt Immi plötzlich und beginnt weiter die Stufen der Brücke emporzusteigen.
Kurz bin ich verwundert über seine Aussage. Immanuel ist normalerweise für so was nicht zu erwärmen – nein ganz im Gegenteil! Er verspottet alles, was mit Romantik zu tun hat und droht in die Richtung Kitsch zu gehen.
Ich schaue ihm perplex hinterher, bevor ich mich zusammenreiße und ihm folge. „Jetzt warte doch! Ich bin nicht so schnell!“ rufe ich ihm hinterher und beschleunige meine Tempo.
Er nimmt mit Leichtigkeit zwei Treppenstufen auf einmal, was mich seiner Größe auch nicht wundern und gebe schließlich auf. Ich würde ihn nicht einholen.
Ganz oben bleibt er stehen und stützt sich mit den Unterarmen auf die Brückenmauer und schaut schweigend hinunter auf das dunkle Wasser. Er bleibt weiterhin still, auch als ich mich neben ihn stelle und seinem Blick folge.
Ich seufze leise und flüstere: „Es ist so romantisch“ Ich werfe ihm von der Seite einen Blick zu und kurz zögert er, doch dann erwidert er meinen Blick. Und kurz habe ich das Gefühl, dass dies unser Moment ist; dass wir diesmal endlich über die Dinge sprechen, die zwischen uns vorgefallen sind und von denen die anderen nichts wissen – über die Dinge, die er zu mir gesagt hat; dass er endlich ehrlich zu mir ist.
Doch dann zieht er spöttisch die Augenbrauen nach oben und fragt mich: „Willst du doch den Italiener anrufen?“
Und dann kann ich meine Miene nicht mehr aufrecht halten. Ich spüre, wie sie bröckelt; ich spüre, wie sie in sich zusammenfällt. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, doch dann schüttele ich mit dem Kopf. „Nein, den will ich nicht anrufen. Ich bin an ihm nicht interessiert.“
Ich wende meinen Blick von ihm ab und schaue wieder hinaus auf das Wasser. Schaue auf die Lichter der Brücke, die sich darin spiegeln.
„An wem bis du überhaupt interessiert? Emmi, du kannst jeden haben, und das weißt du auch“
Sie sind nicht du, schießt es mir durch den Kopf, doch ich schweige. Ich kann nicht aussprechen, was ich denke. Ich kann es niemals aussprechen. Ich hätte schon einmal beinahe die Freundschaft zwischen mir und Immi zerstört. Das kann ich nicht noch einmal riskieren. Dazu ist diese Freundschaft zu wertvoll, zu besonders.
Ich weiß, dass Timo mein bester Freund ist und er wird es auch immer bleiben, doch das zwischen mir und Immi ist etwas Besonderes.
„Ich weiß nicht, Immi. Ich weiß es einfach nicht!“ antworte ich stattdessen nur und meine Stimme klingt energischer als beabsichtigt. Erschrocken über mich selbst wende ich mich wieder von ihm ab und schaue erneut auf das Wasser. Am liebsten würde ich flüchten, ihn einfach allein hier stehen lassen und wegrennen. Doch das bringe ich nicht über mich.
Immi hat Recht. Immer wieder versuche ich mich an irgendwelchen Kerlen, erhoffe mir die große Liebe davon und sorge dafür, dass sich dieser Junge in mich verliebt. Doch dann bekomme ich Angst. Ich halte mir vor Augen, dass er mich nicht kennt; dass er nicht das ist, was ich will und was ich brauche; dass er nicht so ist wie Immi. Und die ganze Geschichte hat sich erledigt.
„Ich wollte dir nicht zu nahe treten, Emma“
Er nennt mich Emma.
Seine Hand legt sich auf meine Schulter und mit sanftem Druck dreht er mich zu sich um, sodass ich ihn anschauen muss. Er steht so dicht vor mir, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss. Außerdem kann ich sein Parfum riechen. Ein Geruch, der mir schon fast zu vertraut ist.
Mich überkommt eine Gänsehaut.
„Du bist mir nicht zu Nahe getreten“ Ich lache nervös und unsicher. „Du gehörst zu meinen besten Freunden. Du – Was tust du da?“
Seine Hand gleitet weiter an meinem Arm hinunter, bis er mein Handgelenk umfasst und mich noch näher zu sich heran zieht.
Und in diesem Moment scheint die Welt für mich still zu stehen. Es gibt nur noch mich und Immi und diese wundervolle Brücke. Die restlichen Touristen um mich herum verschwimmen, bis sie nicht mehr vorhanden sich.
Ich sehe in Immis braungrüne Augen und könnte mich wieder darin verlieren – wie schon einmal vor einem Jahr. Es muss letztes Jahr Weihnachten gewesen sein. Doch in meinem Kopf verschwimmt selbst die Geschichte vom letzten Weihnachten.
Seine andere Hand legt sich um mein Kinn und ich spüre – nein, ich weiß, dass er mich jetzt küssen will. Ich weiß es einfach. Ich sehe es ihm an. Seine eine Hand, welche meine Hand umschließt; die andere um mein Kinn. Sein Blick, welcher zwischen meinen Lippen und meinen Augen wechselt. Und schließlich sein beschleunigter Atem.
Doch bevor unsere Lippen sich berühren, lege ich ihm meine Hand auf die Brust und flüstere: „Bist du dir sicher, dass du das tun willst?“
Er verharrt kurz, dann lässt er mich los, tritt einen Schritt zurück. Er starrt zu Boden und fährt sich mit der Hand durch die dunkelblonden Haare. „Emmi, ich bin mir in gar nichts sicher, was dich angeht“
Und das ist das ehrlichste, was er seit vergangenem Weihnachten zu mir sagte. Kurz bin ich überrascht, ja sogar verwundert.
Ich trete einen weiteren Schritt von ihm zurück und murmele: „Es tut mir Leid, Immi. Ich wollte nicht, dass…“
Mit einem Kopfschütteln bringt er mich zum Schweigen und sagte leise: „Wir sollten zurück zum Hostel. Die anderen werden sich fragen, wo wir bleiben“
„Die anderen schlafen“ erwidere ich und senke ebenfalls die Stimme.
„Wir sollten trotzdem gehen“ Mit diesen Worten geht er an mir vorbei und für einen kurzen Moment streifen sich unsere Schultern und ich spüre, wie er zusammenzuckt.
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