Théâtre Ombre de Lutèce - Teil 14

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 04.02.2012


Wie mir Arla zeigt, verläuft um das ganze Untergeschoss des Theaters herum ein schmaler Gang. Im Herzen des Geschosses, oder besser im Schlund, wie es mir erscheint, als wir eine breite Tür in die Dunkelheit dahinter treten, befindet sich ein Raum voller Bühnendekoration, ein großes Zimmer mit allerlei Kostümen und ein Ankleideraum, in dem es nach Parfüm und Puder riecht und in dem ein Dutzend Spiegel zu finden sind. Durch einen Vorhangfetzen, den Arla seufzend beiseite zieht, davon abgetrennt ist eine kleine Kammer mit einigen Stühlen, einer Nähmaschine und so vielen herumliegenden bunt gemusterten Stoffstücken, dass es wirkt, als sei der Raum selbst aus Flicken zusammengesetzt wie das Zelt eines fahrenden Zirkusse.
Arla lässt sich auf einen Stuhl fallen, bei dem es verwunderlich erscheint, dass er nicht unter ihr zusammenbricht, so kaputt und wackelig wie er aussieht.
„Sie hat dich also aufgenommen,“ murmelt sie und zupft an einer Strähne ihrer strohblonden Haare. „Unglaublich...“
Ich schließe den Vorhang hinter mir, setze mich auf einen freien Stuhl. Arla entzündet eine Gaslampe. „Wer hätte gedacht, dass man die Madame mit Dreistigkeit beeindrucken kann,“ lacht sie. „Ich meine, mal ehrlich, du kannst froh sein, dass du nicht einen Kopf kürzer gemacht wurdest. Oder drei.“
„Es ist erstaunlich, ja,“ antworte ich. Ich bin erleichtert, es überstanden zu haben, doch das Adrenalin in meinen Adern denkt nicht dran, sich zu verziehen. Am liebsten würde ich aufstehen und einen Marathon laufen, um die angestaute Spannung abzubauen.
Arla seufzt abermals und holt eine Zigarette hervor. Sie lehnt sich zurück, streckt die Beine auf ein Möbelstück aus, das ich unter den Stoffen darauf nicht einmal erkennen kann, aus und schon bald erfüllt der Rauch den Raum, verkriecht sich in die Schatten, klebt sich stinkend in die bunten Stoffe. Was für eine widerwärtige Angewohnheit.
„Was ist?“ fragt Arla grinsend, als sie bemerkt, wie ich mein Gesicht verziehe.
„Nichts.“
„Was ist dann mit deinem Gesicht los?“ will sie wissen und lächelt amüsiert.
„Entschuldigung,“ murmele ich und senke den Blick.
„Meine Güte,“ flüstert sie, die Augen verdrehend. „Du musst das wirklich sein lassen,“ sagt sie spöttisch.
Verwirrt sehe ich auf. „Was meinst du?“
„Dieser ständige scheue Blick. Meine Güte, Mädchen, es gibt vielleicht Männer die das mögen, aber du solltest wirklich aufhören, immer die Schüchterne zu spielen. Im Ernst, das ist furchtbar mit anzusehen,“ meint sie.
Ich sitze mit offenem Mund da und weiß nicht, was ich antworten soll. Wurde ich gerade dafür kritisiert, mich nicht aufzuführen wie ein Fischhändlerin am Hafen?
„Oh, 'tschuldige, sowas sagt man nicht zu 'ner Lady, was?“ fragt Arla in extra-breitem East-End-Akzent und kichert.
„Nein, tut man nicht,“ antworte ich scharf und werfe ihr einen vorwurfsvollen Blick zu, über den sie lacht. Sie lacht mich aus. Was für eine Frechheit.
„Hör mal, wir sehen uns gleich noch ein wenig oben um, dann reden wir mit Miss Arnolds und sie wird dir sagen, wann du anfängst,“ erklärt Arla mir, nachdem sie damit fertig ist, sich über mich lustig zu machen.
Ich nicke schweigend und sehe mir die Stoffe an, die überall im Raum verteilt sind. Es sieht wirklich aus, als hätte ein Irrer hier drin gewütet.
„Hier arbeite ich übrigens,“ wirft Arla ein, meinem Blick über das Chaos folgend.
„Du bist Näherin?“
„Ja. Näherin und oft genug auch Köchin und an den schlechten Tagen sogar Putzfrau,“ antwortet sie. „Die übliche Drecksarbeit für die Leute wie du sich zu fein sind.“
Schuldbewusst starre ich auf meine Füße. Das, was Arla erledigt ist die Arbeit niederster Bediensteter und es stimmt, dass ich noch nie in meinem Leben ernsthaft mit Putzwasser in Kontakt gekommen bin.
„Schon gut, so schlecht ist es hier nicht.“ meint sie, eine wegwerfende Geste machend.
„Aber gefährlich, stimmt's?“ flüstere ich, aus Angst, jemand könnte mich hören, nach einer Minute des Schweigens.
Darauf erwidert Arla nichts und das ist Antwort genug. Eine Minute lang ist es still, dann hören wir Schritte und jemand zieht den Vorhang auf. Sofort versteckt Arla die Zigarette und sieht zum Vorhang. Auf ihrem Gesicht erscheint ein Lächeln, und ich drehe mich auch um.
Dort steht der junge Mann, der vorhin im Büro der Madame war, als ich dort auf sie wartete. Er ist schlicht gekleidet, wie mir jetzt auffällt und lächelt Arla breit an. „Ich hab dich gesucht, Strohkopf.“
„Klappe, Fischgesicht,“ erwidert Arla schnippisch.
„Hey, beleidige nicht den Hofpianisten,“ ermahnt der junge Mann, wohl ein... Freund von Arla, scherzhaft und betritt dann das kleine Nähzimmer. Er setzt sich auf den nächstbesten Stuhl und sieht dann mich an. „Und Sie sind die Dame, die vorhin im Büro ihrer Majestät saß, richtig?“
„Äh... Ja, so ist es,“ antworte ich, nachdem ich mich geräuspert habe.
Arla schnaubt über den höflichen Tonfall des Mannes. „Das ist Lady Beth von Vornehm, das neuste Mitglied unseres bescheidenen Ensembles, Tom“ stellt sie mich übertrieben förmlich vor, die Nase so hochgereckt wie eben möglich.
Tom geht nicht darauf ein, wie Arla ihn nachäfft, sondern verdreht nur die Augen und sieht mich interessiert an. „Neues Mitglied? Deshalb waren Sie also bei ihr,“ meint er. „Sie haben es also geschafft, aufgenommen zu werden?“ Ich höre Anerkennung in seiner Stimme und lächele.
„Wie?“ will er wissen.
„Durch Dreistigkeit,“ verkündet Arla.
Dafür hat Tom nur ein Lachen übrig. „Nein, im Ernst.“
„Das ist mein voller Ernst,“ schwört Arla inbrünstig und ich lächele, was Tom als Zustimmung deutet.
„Weißt du, was sie gemacht hat?“ beginnt Arla zu erzählen. „Sie ist da rein gegangen, hat die Madame mit Französisch beeindruckt und dann wollte sie sie aushorchen, und da hat unsere Lady...“ - Arla steht auf, stemmt die Hände in die Hüften und setzt ein ganz ernstes Gesicht auf - „... gesagt: Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Sie eine verschwiegene alte Schachtel sind und es sicher verstehen, wenn ich Ihnen darin nacheifere.“
„Das hab ich nicht gesagt!“ protestiere ich schockiert und stelle mir vor, was passiert wäre, hätte ich tatsächlich das getan, was Arla behauptet.
„Auf die Einzelheiten kommt es hier nun wirklich nicht an,“ erwidert sie ungerührt und sieht Tom breit lächelnd an.
„Ich habe eigentlich das Wort Diskretion verwendet...“ beginne ich, verstumme aber, als ich merke, dass das für keinen der beiden etwas zur Sache zu tun scheint.
Tom lässt sich Zeit mit seiner Reaktion. Ich sehe ihm an, wie er überlegt, doch viel verrät seine Mimik nicht. Er verzieht nur ganz leicht den Mund und fragt: „Das ist nicht wirklich passiert, oder?“
„Oh doch. Und wie das passiert ist!“ ruft Arla.
„Nun, der Wortlaut war anders,“ merke ich an. Ja, ich bestehe darauf, dass diese Geschichte ihre Richtigkeit behält. Wieso verdammt noch mal versucht Arla das ganze aufzubauschen und zu verdrehen? Doch so wie wenig Tom das interessiert... Vielleicht geht es darum, dass ich genauso gut hätte Arlas Worte verwenden können... Oh Gott...
Der junge Mann schüttelt den Kopf und stößt ein Pfeifen aus. „Respekt, Lady,“ sagt er zu mir. Dabei scheint er mich etwas zu lang anzusehen, bis ich begreife, dass er mich mit Emma vergleichen muss. „Das ist sie doch, richtig?“ fragt er Arla flüsternd.
Sie nickt und sieht mich an, einen Finger auf die Lippen gelegt. Das ist offensichtlich kein Ort, um uns zu unterhalten. Aber ich weiß jetzt, dass Tom in die Sache eingeweiht sein muss. Eine Minute lang herrscht ein unangenehmes Schweigen, bis Tom auf ein unverfänglicheres Thema wechselt: „Wie geht’s eigentlich Capt'n Jack?“
„Keine Ahnung, sieh doch selbst nach,“ erwidert Arla.
„Darf ich fragen, von wem ihr sprecht?“
„Arla, du hast ihn ihr noch gar nicht gezeigt? Also echt, das ist doch wohl das sehenswerteste und niederträchtigste Geschöpf in diesem ganzen Laden und du zeigst es unserem Gast nicht!“ empört sich Tom.
Arla verzieht nur weiter das Gesicht. „Sie is' kein Gast, sie arbeitet hier.“
Tom seufzt, steht auf, macht ein paar Schritte durchs Dunkel und zieht dann an einem Stück Stoff, das sich als der Überwurf eines Vogelkäfig aus grobem Messing entpuppt. Als Tom ein Stück zur Seite tritt, kann ich dort einen riesigen, bunten Vogel erkennen, der einen grässlichen, kratzigen Schrei ausstößt. Es ist tatsächlich ein Papagei. Was um Himmels Willen macht ein Papagei, den ich nur von Lithographien in Büchern aus der Bibliothek meines Großvaters kenne, in dem Keller eines Theaters?
„Ich hasse dieses Geräusch,“ zischt Tom und Arla kichert, während sie endlich-endlich ihre stinkende Zigarette ausmacht.
Langsam stehe ich auf und nähere mich ebenfalls dem Käfig so gut das in diesem engen Stübchen möglich ist, ohne den nötigen Abstand zu Tom, der schließlich ein Mann ist, zu verletzen.
„Wie geht’s dir, Capt'n Jack?“ fragt er den Vogel und steckt seine Finger durch den Käfig um das Gefieder des Tieres zu streicheln.
„Gadjo! Gadjo!“ schreit ihm der Vogel nur entgegen.
„Kannst du überhaupt irgendwas anderes sagen als das?“ fragt Tom entrüstet.
Ich versuche, das Tier näher zu betrachten, doch es ist zu weit weg und es ist zu dunkel. Ein wenig verlegen räuspere ich mich. „Dürfte ich vielleicht auch einmal... Tom?“ frage ich unsicher. Es gehört sich nicht fremde, schon gar nicht Männer, einfach so mit Vornamen anzusprechen, doch so etwas wie Sir wäre hier, in dieser dunklen, verrückten Kammer noch sehr viel unpassender gewesen. Zumindest glaube ich das.
Natürlich bemerkt er meinen Fehltritt nicht mal, sondern tritt unbekümmert einen Schritt zurück, um mich einen Blick auf das gefiederte Wunder werfen zu lassen. Einen Moment lang sind wir uns nahe genug, um den Anstand zu gefährden, dann stolpere ich ungeschickt an ihm vorbei zum Käfig und beuge mich vor. Mein Gesicht wird einen Moment lang heiß und ich bin heilfroh, mit dem Rücken zu den anderen zu stehen, sodass sie das nicht sehen und sich darüber lustig machen können. Das Gefieder des Vogels ist purpurrot, mit blau und grün am Schwanz und schwarzen Federn an den Flügelspitzen. Ich kann mich kaum erinnern jemals so etwas ungewöhnliches gesehen zu haben.
Ich strecke meine Finger durch das Gitter und komme dabei etwas weiter als Tom. Gerade als ich den Vogel berühren will, schnappt er plötzlich nach meinen Fingern und kreischt: „Gadjo! Gadjo!“
Ich heule auf und ziehe meine Hand schnell zurück. Meine pochenden Fingerspitzen bluten, ich stecke sie mir in den Mund und Arla bricht in schallendes Gelächter aus. Die Handschuhe sind ruiniert und ein Tropfen Blut verfärbt den feinen weißen Stoff.
„Geht es Ihnen gut, Miss?“ fragt Tom.
Ich nicke stumm, will den Handschuh aber nicht abstreifen.
„Ich weiß echt nicht, wieso sie dich das Ungeheuer hier behalten lassen,“ meint Tom kopfschüttelnd.
„Weil er verdammt unterhaltsam ist!“ prustet sie, wofür sie von mir einen wütenden Blick kassiert.
Ich versuche mich ein wenig abzulenken. „Was heißt das überhaupt – Gadjo?“
„Oh das,“ murmelt Arla.
„Fremder,“ klärt Tom mich auf. „Das hat das Vieh von dem Zigeuner gelernt, dem Arla es geklaut hat.“
„Red' nicht so abfällig von ihm. Jack ist ein gefürchteter Kapitän und er wird dich von der Planke hüpfen lassen, wenn du versucht, eine Meuterei gegen ihn anzuzetteln,“ warnt Arla Tom. Ich will gar nicht wissen aus welchem billigen Groschenroman sie das hat.
Währenddessen sehe ich nur ungläubig den Vogel an. „Du hast ihn wirklich gestohlen?“
„Sicher, wo soll ich so einen sonst her bekommen,“ erwidert Arla mit einer routinierten Gelassenheit, die einen fast dazu bringen könnte, ihr die Geschichte zu glauben.
„Zu schade, dass mir solche Meisterstücke nicht öfter gelingen,“ klagt sie und seufzt dramatisch.
„Welch ein Jammer,“ stimmt Tom zu und lehnt sich an die Wand. Er will etwas sagen, als Arla einen Finger in die Höhe reckt. Sie versucht charmant zu lächeln und setzt sich aufrecht hin. „Hör mal Tom, willst du nicht ein Schatz sein und Miss Arnolds holen?“
Ein tiefer Seufzer entweicht Tom, seine Oberlippe zuckt leicht. „Willst du mir nicht erstmal mein Geld wiedergeben?“
„Welches Geld?“ Arla spielt die Ahnungslose. Ich muss grinsen.
„Du schuldest mir drei Farthings.“
„Wer sagt das?“
„Die Glocken von St. Martin. Und jetzt rück das Geld raus.“



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Hoffe der Teil hat euch gefallen, ganz herzlichen Dank für alle kommentare. :) *ganz ganz viele Kekse verteil*

Oh, und ich möchte gern auf Yaksis Anmerkung antworten: Dass jetzt noch nicht so viel Liebesgeschichte drin war, liegt zum einen daran, dass die Geschichte bis zu diesem Teil nur ungefähr halb so lang sein sollte xD
Und am wichtigsten: Es wurde fast alles, was die Charaktere betrifft im Verlauf mindestens zehn Mal geändert, weil die Geschichte schon seit gut zwei Jahren in meinem Kopf herum schwirrt xD (z.B. sollte Arla nur ein-zwei ganz kurze Auftritte haben, aber dann ist sie plötzlich viel früher aufgetaucht und jetzt macht es mir viel zu viel Spaß sie zu schreiben :P), da musste ich auch die Liebesgeschichte irgendwann nochmal komplett neu überlegen (ursprünglich war jemand ganz anderes vorgesehen) und nun bin ich vorsichtig mit dem Tempo ;) Aber es kommt, keine Sorge :)









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