Different - Fire - Teil 3

Autor: hazelgrace
veröffentlicht am: 01.09.2014


Entschuldigung für das lange Warten :/


Eron ist im Klassenraum nirgends zu sehen. Ich husche rasch auf meinen Platz und versuche, unsichtbar zu bleiben. Niemand beachtet mich, wie sonst immer. Einigen Menschen ist es in die Wiege gelegt worden komplett unscheinbar zu sein und ich gehöre zu denjenigen. Bisher ist noch nie jemand auf mich zugenommen in der Absicht ein Gespräch mit mir anzufangen. Das hilft mir logischerweise enorm beim Einhalten meiner Regeln. Ich bin der Typ von Person, den man leicht übersieht, an den man keinen einzigen Gedanken verschwendet, der nicht auffällt.
Kaum habe ich mich hingesetzt, klingelt es und pünktlich dazu, rauscht Eron in den Raum. Jeder verfolgt ihn mit den Augen, die Köpfe drehen sich nach ihn um, einige Stuhlbeine scharren schon wieder und erzeugen einen erneuten, schrillen Horrorfilmakkord. Ihm liegt die Gunst der Unsichtbarkeit nicht im Blut. Er bleibt Einem sofort in Erinnerung, hartnäckig wie ein Ohrwurm.
Ich habe den Blick auf die Tischplatte gesenkt und beobachte ihn aus den Augenwinkeln, warte auf einen passenden Moment. Doch den gibt es nicht. Eron setzt sich und ich spüre schon wieder seinen Blick auf mir ruhen, wenn auch nur kurz.
Wir haben jetzt Englisch mit einer Lehrerin, die meiner Meinung nach vom Teufel besessen ist. Frau Becker, eine hochgewachsene Dame mit einem von Natur aus strengen Ausdruck: schmale, aufeinander gepresste Lippen, verengte, misstrauische Augen. Sie trägt immer denselben Dutt, alle Haare sind stramm nach hinten gezogen. Aufgrund ihres strengen Auftretens sieht sie viel älter aus als sie ist. Ich habe sie noch nie lächeln sehen.
Außerdem spricht sie grottenschlechtes Englisch mit einem grauenhaften Akzent, sodass man sich während den Stunden mehrmals die Frage stellt, wie sie die Prüfungen geschafft hat.
Und eben diese Frau betritt gerade den Raum. Man spürt augenblicklich wie sich die Laune der Anderen verschlechtert. Die Hoffnung auf einen Entfall der Englischstunde stirbt bekanntlich ja zuletzt.
»Good Morning class. Is everybody here?«
Obwohl ihre Augen andauernd zusammen gekniffen sind, entgeht der Frau nichts. Niemand antwortet, aber das ist sie schon gewohnt. Sie lässt ihren Blick über die Klasse schweifen und natürlich bleibt dieser an Eron hängen. Mit ihren spitzen Finger deutet sie auf ihn und in diesem Moment tut er mir wahnsinnig Leid.
»You over there. I am Mrs. Becker. You are new, come to the front please and let me know your name.«, befiehlt sie Eron mit schnarrender Stimme. Aber dieser macht keine Anstalten aufzustehen.
»Ich kann Ihnen meinen Namen doch auch von hier sagen.«, erwidert er völlig unbeeindruckt und sogar gelassen. »Mein Name ist Eron Schwarz und ich bin seit heute neu hier auf dieser Schule.«
Wenn Frau Becker wütend wird, kann man an ihrem Hals die Hauptschlagader pulsieren sehen. Und genau das tut sie jetzt. Denn diese Frau hasst es wenn man sich ihr widersetzt. Es gab mal einen Schüler, der es gewagt hat und der musste anschließend das Jahr wiederholen. Seitdem widersetzt sich ihr niemand, sondern tut was sie sagt.
Dunkle Wolken ziehen über Erons Kopf auf, ein Gewitter naht. Bei dieser Schlacht wird es Tote geben, das kann ich jetzt schon voraussagen.
Es sieht urkomisch aus, wie alle in diesem Raum (abgesehen von Frau Becker und mir) Eron mit herunter geklappter Kinnlade anstarren, weil er Frau Becker einfach so Konter gibt. Ich wage es, ihm einen sehr kurzen Blick zu zuwerfen. Ja, da sind Narben. Doch die Dauer reicht nicht aus um zu erkennen ob es dieselben sind.
In meinem Magen beginnt es zu rumoren und erneut rattert es in meinem Kopf, während unzählige Gedanken sich überschlagen.
»Mr. Eron Black, firstly in this class, English is the only language you are allowed to talk with and secondly, you as a student have to do what I as your teacher say. Is that clear enough, Eron? Now, you will come immediately to the front or you will learn a new definition of the word uncomfortable.«
Eron, der sich bisher lässig angelehnt hat, richtet sich auf und ich erkenne aus den Augenwinkeln und mit einem mulmigen Gefühl im Magen, dass er mindestens anderthalb Köpfe größer ist als ich.
»Mrs. Becker I accept that English is the only language in this class but my name is not Black. It's Schwarz, so would you please leave it like that?«, seine Stimme hat einen provozierenden Unterton angenommen, der unüberhörbar ist. Ich sehe Frau Becker an, dass sie kurz davor ist zu explodieren und begebe mich in eine Schutzposition, um so wenig wie möglich von dem aufkommenden Sturm abzubekommen: die Schultern hochgezogen, der Rücken etwas gekrümmt. Auch die Schüler in der ersten und zweiten Reihe ducken sich bereits.
Dass Eron das nicht sieht, dass er gerade dabei ist sein Todesurteil zu unterschreiben! Wie kann das angehen? Besitzt der keine Menschenkenntnis?
Frau Becker atmet scharf durch die Nase ein. Ab jetzt sind es nur noch wenige Sekunden bis zur Explosion.
Und als das Unwetter hereinbricht, dreht mein Kopf sich wie von selbst zu Eron.
Nein!, schreit eine innere Stimme auf, Stopp, was machst du da?!

Es ist, als ob die Zeit mit einem Mal um ein Vielfaches verlangsamt worden ist und alle Geräusche gedämpft wurden.
Frau Beckers Ausbruch bekomme ich nicht mit. Ich bekomme überhaupt nichts mehr mit.
Mein Körper ist zu einer Skulptur aus Eis erstarrt, genau in dem Augenblick, wo ich erkannt habe, dass Erons Narben die meinen exakt widerspiegeln.
Was hat das zu bedeuten?
Sind wir irgendwie verwandt? Kann es sein, dass mein Vater noch ein Kind mit einer anderen Frau gezeugt hat?
Liegt dieser Gen-Defekt vielleicht an ihm?
Mir wird schwindelig von diesen vielen Gedanken. Und als ein neuer sich formt, zieht sich alles in mir zusammen.
Was, wenn die Narben die Ursache für mein Talent sind und Eron das Feuer ebenfalls in sich trägt?
Oh Gott.
Ich presse meine Hände an die Schläfen und massiere sie, aber es hilft nichts.
Und als wäre das alles noch nicht genug, verstreicht die Zeit wieder in ihrer normalen Geschwindigkeit. Frau Beckers Stimme hat ein solches Volumen, dass man selbst bei drei bis fünf Metern Entfernung das Gefühl hat, sie stünde schreiend direkt neben Einem.
Ich ziehe meine Schultern noch ein wenig höher und mache mich ganz klein.
»Wie können Sie es wagen sich zu widersetzen! ICH bin hier die Autoritätsperson und SIE zollen mir gefälligst Respekt! Haben wir uns verstanden?!«
»Mrs. Becker, you are confusing me I thought English was the only language to talk with in this class and now you are speaking in German.«
Er ist blind, fährt es mir durch den Kopf, definitiv blind. Er sieht nicht, dass er die Grenzen schon längst überschritten hat.
Es ist ohrenbetäubend still. Alle sind sprachlos aufgrund von dem, was gerade eben geschehen ist. Gäbe es eine Replay-Taste, würde ich sie drücken um mich zu vergewissern, dass Eron das wirklich gesagt hat.
Frau Becker bebt vor Wut. Auf ihrem Gesicht sind rote Flecken zu sehen.
»Raus.«, sagt sie leise. »Verschwinden Sie.«
Eron steht auf. Grinst frech, verbeugt sich und sagt: »With all my pleasure, Mrs. Becker.«
Das ist die Krönung. Das I-Tüpfelchen auf dem i. Die kleine rote Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Eron verlässt gelassen den Klassenraum, als würden die Giftpfeile, die aus Frau Beckers Augen geschossen kommen, einfach an ihm abprallen.
Gerade mal zwei Stunden hier und schon macht er schon Ärger. Dabei kam er am Anfang der ersten Stunde so verschlossen, unnahbar und ernst rüber. Arrogant finde ich ihn immer noch. Jetzt kommt noch dämlich und frech dazu.
Und als ob das noch nicht genug wäre, stürzt kurz nachdem Eron den Raum verlassen hat, Rhys herein, keuchend und völlig atemlos.
»I'm sorry! I'm sorry!«, röchelt er und hechtet zu seinem Platz.
Rhys Dexter ist, so weit ich das beurteilen kann, der typische Skater-Typ. Außerdem gehört er ebenfalls zu der Gruppe von Menschen, die einen ungewöhnlichen Namen haben. Zu seinem Outfit gehören immer eine Cap, Vans, zerrissene, löchrige Jeans und natürlich sein heiß geliebtes Longboard, was eigentlich niemand anfassen und am besten auch nicht einmal angucken sollte. Er kommt immer zu spät, egal um welche Uhrzeit es sich handelt.
Rhys sitzt auch alleine an einem Tisch, aber das ist nur, weil er so viel Blödsinn macht.
Frau Beckers Gesicht nimmt eine ungesunde Farbe an. Sie umklammert die Stuhllehne so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervor treten.
»You get an imposition, Rhys. I'll tell you the task after the lesson.«
Dabei guckt sie so böse, dass mir das Mark in den Knochen gefriert. Eigentlich habe ich vor Nichts und Niemandem Angst. Frau Becker ist da jedoch eine Ausnahme. Und nach dem, was gerade passiert ist, muss ich mich korrigieren: diese Frau ist nicht von Teufel besessen, sie ist der Satan höchstpersönlich!

Ich weiß nicht wie meine Klasse die Englischstunde überlebt hat. Klar aber ist, dass Eron ein Gespräch mit Frau Becker und unserem Schuldirektor Herrn Dreese hat, als er nicht zum Beginn der Chemiestunde auftaucht.
Heute ist definitiv nicht mein Tag, beschließe ich, als Herr Dreese verkündet, dass er ein Projekt für uns geplant hat.
»Sie werden in Partnerarbeit verschiedene Experimente durchführen. Auf den Arbeitszetteln, die ich Ihnen gleich geben werde, stehen ihre Aufgaben dazu. Sie kriegen die nächsten drei Unterrichtsstunden dafür. Das Protokoll ist bei mir abzugeben und ich werde es benoten.«
Es ist natürlich klar, dass ich am Ende allein dastehe, keinen Partner habe und mit Leuten wie Rhys zusammenarbeiten muss, die keinen einzigen Finger krümmen. Eigentlich ist Rhys sehr beliebt, doch meine Klasse ist ehrgeizig und die meisten wollen gute Noten. Bis auf Rhys. Also ist es kein Wunder, dass er letzten Endes auch allein dasteht.
Mit seinem typischen Dauergrinsen schlendert er lässig zu meinem Tisch und plumpst wie ein nasser Sack auf den Stuhl neben mir.
»Hi Niamh. Wie geht's so?«
Ich weiß, dass er diesen Satz nicht ernst meint. Sein dämliches Grinsen ist mir Beweis genug. Ich rolle mit den Augen und nehme den Stapel Arbeitsblätter von Herrn Dreese entgegen. Dann reiche ich diesen an die Reihe hinter mir. Ich sitze ganz vorne in Chemie, weil die hintersten Reihen alle besetzt sind, da niemand bei Herrn Dreese vorne sitzen möchte.
Die Aufgaben überfliegend, stelle ich fest, dass die Arbeitsaufträge sehr einfach sind.
Rhys beugt sich vor und legt seine Hand auf meinen Unterarm. Ich reagiere noch im selben Augenblick und entziehe mich dem Körperkontakt. Er macht das ständig, nur um mich zu ärgern. Zu meinem Glück nervt mich nur, wenn wir zusammenarbeiten müssen. In anderen Momenten bin ich für ihn wie Luft.
»Ich mach dir 'nen Deal: Du arbeitest und dafür lass ich dich für den Rest unserer Schulzeit in Ruhe. Ok?«
Ich nicke. Lieber arbeite ich allein als dass ich mich weiterhin von Rhys so blöd anquatschen lasse.

Aber ich habe die Rechnung ohne Eron gemacht, denn eine Viertelstunde später platzt dieser in den Raum. Herr Dreese nimmt ihn beiseite und ich beobachte die beiden aus den Augenwinkeln, wie sie sich unterhalten. Ihr Gespräch dauert nur wenige Augenblicke. Herr Dreese deutet in meine Richtung und ich muss schlucken. Schon wieder wird Eron neben mir sitzen. Diesmal mit Rhys im Gepäck. Wie soll ich das bloß ohne seelischen Schäden überleben?
Eron setzt sich in Bewegung und läuft direkt auf meinen Tisch zu. Rhys' Miene hellt sich merklich auf und ich möchte am liebsten einfach in einem Loch verschwinden.
»Ein Kamerad! Geil Mann, komm, mach bei uns mit! Ich hab ja nicht mitgekriegt was da bei Becker eben gelaufen ist, aber ich hab gehört du hast 'ne Krass-Mega-Show abgeliefert! Alter, du hast quasi 'nen Krieg gewonnen.«
Er hebt die Hand zum High-Five und Eron klatscht ein. Er grinst ebenfalls ein bisschen. Rhys scheint sich gar nicht für seine Narben zu interessieren. Ganz anders als ich. Ich zwinge mich stur auf mein Blatt zu schauen um mir weiter die Schritte einzuprägen und Reaktionsgleichungen aufzustellen.
»Ich hab eine Missbilligung bekommen, aber sonst alles gut. Was müssen wir machen?«, Eron redet in einem so lockeren Tonfall, als wären er und Rhys schon ewig befreundet. Das Bild seiner Narben schiebt sich vor mein inneres Auge.
Und als wäre an diesem Tag schon nicht genug geschehen, was an meinen bereits schon überstrapazierten Nerven zerrt, wendet er sich mir zu und fragt: »Du bist doch Niamh, oder?«
Seine Stimme klingt sehr freundlich ohne irgendeine Spur von Sarkasmus oder Spott, was mir zeigt, dass er ernsthaft an einem Gespräch mit mir interessiert ist.
Ich bin hin und her gerissen. Soll ich etwas erwidern? Würde das nicht gegen meine Regeln verstoßen? Diese verdammten Narben! Hätte er keine, wäre es ganz klar, dass ich keinen Ton von mir gebe. Aber... Meine Neugier lässt mich nicht in Ruhe. Ich will unbedingt mehr über ihn erfahren, woher Eron die Narben hat oder ob wir irgendwie verwandt sind und so weiter.
Doch bevor ich mich entscheiden kann, ob ich antworten soll oder nicht, mischt Rhys sich ein: »Vergiss es, Alter. Ja das ist Niamh, aber sie redet mit niemandem. War schon immer so.«
»Kann sie nicht sprechen, oder wie?«, ist Erons Frage. Sie reden über mich als ob ich gar nicht zuhöre. Jetzt bin ich froh, nicht geantwortet zu haben. Im Nachhinein fällt mir auf, dass das Rhys Aufmerksamkeit noch mehr auf mich gelenkt hätte, als es eh schon ist.
Als nächstes steht ein Experiment an. Wir sollen die Knallgasprobe durchführen. Es ist relativ einfach; sowas macht man eigentlich in der achten oder neunten Klasse, aber ich bin relativ froh darüber, dass es Bestandteil dieses Projektes ist. So ist es umso leichter eine gute Note zu bekommen.
»Doch das schon, nur redet sie halt mit niemandem. Keine Ahnung warum, Mann.«
»Okay.«
Ich spüre Erons Blick auf mir ruhen. Mir läuft ein unangenehmer, heißer Schauer über den Rücken.
»Wie heißt du eigentlich?«, wendet er sich einige Sekunden später wieder an Rhys.
»Rhys.«
»Ok, das schaff ich vielleicht noch mir zu merken.«, Eron gibt ein kurzes Lachen von sich. Dann merke ich erneut dieses Stechen im Nacken. Er sieht mich an. Schon wieder!
»Was müssen wir machen? Euer Chemielehrer hat mir gesagt, ich soll mir das von euch erklären lassen.«
»Nix, Alter.«, Rhys täuscht ein Gähnen vor. »Wir zwei können jetzt die nächsten Stunden chillen. Niamh macht alles.«
Eron macht ein verdutztes Gesicht, was mit seinen Narben unglaublich seltsam aussieht.
»Ist das nicht eine Gruppenarbeit? Das wird doch benotet, wieso lässt du sie die ganze Arbeit machen?«
Rhys seufzt. »Guck mal, Mann. Man kann mit Niamh nicht zusammen arbeiten, die macht so oder so alles alleine.«
Ich schreibe die letzte Reaktionsgleichungen auf, schiebe meinen Stuhl zurück und erhebe mich. Mit eiligen Schritten entferne ich mich von den beiden, um die nötigen Utensilien zu holen. Ich höre noch wie Eron sagt: »Rhys, das können wir doch nicht bringen. Das ist total unfair ihr gegenüber.«
Dann gehen ihre Stimmen in dem Lärmen und Klappern der Anderen unter.
Eron ist ein Rätsel. Vorhin schien er noch so unnahbar, arrogant und jetzt? Jetzt ist er hilfsbereit und rücksichtsvoll! Was ist bei diesem Jungen nur los? Leidet er etwa an multipler Persönlichkeitsstörung oder wie soll ich das alles interpretieren?





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