Eine Katatrophe kommt nie allein - Teil 9

Autor: Kathrin.
veröffentlicht am: 18.05.2012


Ich lächelte zaghaft zurück. Und dann konnte ich sie nicht mehr halten. Meine Tränen liefen. Erst sah mich mein Bruder geschockt an, doch auch ich sah, dass seine Augen glasig waren. Und wir fielen uns in die Arme. Nach über zwanzig Jahren hatten mein Bruder und ich uns endlich gefunden. Ich weinte die ganze Zeit als ich in seinen Armen lag. Irgendwann lösten wir uns voneinander und er strich mit seiner Hand die nassen Tränenspuren von meinen Wangen.
„Ich bin froh dich gefunden zu haben.“, sagte er.
„Ich bin froh das du mich gefunden hast.“, gab ich zurück und lächelte. „Meinst du ich kann ihn kennen lernen.“, er wusste sofort wen ich meinte.
„Sicher. Komm doch heute Abend einfach in die Bar. Ich schreib dir die Adresse auf.“, ich gab ihm Zettel und Stift und er schrieb sie mir auf.
„Wie hast du mich eigentlich gefunden?“, fragte ich.
„Das war ganz einfach. Ich hab einfach unsere Mutter angerufen.“, mir entglitten die Gesichtszüge. Er lachte. Aus vollem Herzen und irgendwann stimmte ich ein. Wir gingen langsam zu unserer Wohnungstür.
„Bis heute Abend.“, sagte ich.
„Bis heute Abend.“, erwiderte er. Wir umarmten uns zum Abschied fest. Kaum hatte sich die Wohnungstür geschlossen, sprang Felix‘ Zimmertür auf.
„Wer war das?“, fragte er bedrohlich und sah dabei zum anbeißen aus in seinen Boxershorts. Ich grinste nur vor mich hin. „Wer war das?“ wiederholte er seine Frage, deutlicher, energischer, und wütender. Ich glaubte es kaum: er war eifersüchtig.
„Das war mein Bruder.“, antwortete ich ihm schließlich. Er sah mich entsetzt an.
„Du hast keinen Bruder.“, entgegnete er so, als wüsste er alles.
„Seit heute schon.“, gab ich spitz zurück.
„Anna, verarsch mich nicht!“
„Ich verarsch dich nicht!“, und dann erzählte ich ihm alles. Nach und nach schien er zu begreifen.
„Also war der Typ wegen dem du gestürzt bist, dein Bruder…“, es war ihm sichtlich peinlich deswegen so eifersüchtig gewesen zu sein. Ich grinste ihn weiterhin an.
„Tut mir leid.“, sagte er zerknirscht.
„Was? Ich hab dich nicht verstanden?“, lachte ich.
„Ich sagte…“, er sah mein lachendes Gesicht „Na warte!“, schon hatte er mich geschnappt und wirbelte mich durch die Luft. Ich lachte nur noch lauter.
„Alles klar bei euch?!“, ich hatte nicht gehört wie Christoph jetzt auch im Flur stand. Sofort setzte Felix mich ab.
„Klar, Mann. Alles super.“, versuchte er sich schnell herauszureden.
„Aha.“, sagte Christoph nur. Ich ging schnell in mein Zimmer. Ich atmete tief ein und aus. Ich lehnte an der Tür und hörte Geklapper in der Küche.
„Was läuft da zwischen dir und Anna?“, hörte ich Christoph gedämpft fragen. Stille.
„Nichts.“, sagte er schließlich.
„Felix! Verarsch mich nicht! Ich seh doch wie sie dich ansieht!“
„Ich verarsch dich nicht! Ich würde nie was mit ihr starten! Du kennst mich doch. Da läuft nichts.“, er betonte jedes Wort und tief in mir zerriss etwas. Ich sackte zusammen wie ein nasser Sack, ich hörte weiteres Gemurmel hörte jedoch nicht mehr zu. In meinem Kopf hallten die ganze Zeit nur Felix Worte wieder: „Ich würde nie was mit ihr starten! Du kennst mich doch.“, immer wieder und wieder spulten sie sich in meinem Kopf ab. Ich ging zu meinem Plattenspieler und legte The Cure auf. Kurze Zeit später hörte ich ein vorsichtiges Klopfen. Christoph steckte seinen Kopf durch die Tür und legte sich neben mich auf mein Bett.
„Tut mir leid, Anna. Ich hab gedacht, dass es auch anders für ihn wäre, aber anscheinend…“
„Bitte rede nicht weiter. Ich wusste genau worauf ich mich eingelassen habe. Ich wusste von Anfang an, dass er mich nicht liebt. Ich habe es eigentlich immer gewusst, nur konnte ich mir das nicht eingestehen. Aber ich dachte wirklich, dass es ihm genauso geht wie mir. Christoph! Ich hab mich in ihn verliebt!“, und ich begann zu schluchzen. Er legte seinen Arm um mich.
„Ich weiß, Kleines. Ich weiß.“, er hielt mich so lang wie ich mich wieder beruhigt hatte.
„Ich hab gehört du hast jetzt einen Bruder?“
„Ja.“, sagte ich und musste unwillkürlich lächeln.
„Was hältst du davon, wenn ich heute Abend mit dir dahin gehe. Ich ruf noch Mattes, Jakob, Matze und Lukas an und wir machen uns einen schönen Abend, okay?“, ich nickte, er lächelte drückte mich noch einmal kurz und ließ mich dann allein.

Er war ein Arschloch. Er hatte gewusst, dass sie zuhörte, doch wenn das so weitergegangen wäre, hätte er sie nur noch mehr verletzt. Und das hätte er auf keinen Fall ertragen. Es war besser so für sie. Er würde sie nur unnötig verletzen. Er hatte gehört wie sie gesagt hatte: „Ich hab mich in ihn verliebt.“, und er wusste, dass es ihm genauso ging. Er war so feige. Aber er liebte sie einfach zu sehr. Was wäre, wenn sie ihn verarschen würde? Wie ein anderes Mädchen schon einmal. Doch eine Stimme sagte ihm, dass sie nicht so war. Doch er ignorierte sie und ließ alles an seinem Boxsack aus. Er schlug seine Liebe zu ihr in diesen bekloppten Boxsack.
Er liebte sie. Viel zu sehr.

Ich machte mich für den Abend fertig. Ich trug einen kurzen schwarzen Rock, ein rotes Top, mein geliebte Lederjacke und meine langen Beine steckten in schwarzen Strumpfhosen. Dazu trug ich rote High Heels. Ich rang nervös meine Hände. Ich hörte damit aus und fing an im Zimmer auf und ab zu gehen. Ich würde meinen Vater sehen. Nach zwanzig Jahren! Und wieder auf meinen Bruder treffen!
„Anna! Hör endlich auf hier so rum zu latschen! Das macht mich ganz nervös! Außerdem gehen wir sowieso gleich los!“

„Also. Jetzt nochmal von vorn du hast eine Schwester. Von der weißt du aber erst seit kurzem. Und jetzt hast du sie gefunden.“, sein Kumpel Thommy kratzte sich am Kopf.
„Genau.“
„Und? Was meinst du? Wäre sie was für mich?“, grinste er.
„Lass die Finger von meiner Schwester, Alter! Sonst mach ich dich fertig.“, sagte er spielerisch, meinte es jedoch ernst.
„Ruhig, mein Brauner… Wow, wer ist das denn?“
„Das ist meine Schwester du Trottel!“, sagte er jetzt gereizt.

Ich trat ins innere der Bar. Sie war wirklich gemütlich. Nichts schickes, abgehobenes, wie ich es sonst meistens von München gewohnt war. Diese hier war mir rustikalen Holzmöbeln ausgestattet. Ich blickte mich um und mein Blick blieb an einem Mann hinter der Bar hängen. Er sah aus wie Laric. Bloß dreißig Jahre älter.
„Anna!“, rief Laric und ich musste lächeln, wir umarmten uns und als er meinen Blick bemerkte der immer wieder zum Mann hinter der Bar verschwand, nickte er. Nach einer gefühlten Ewigkeit bemerkte er mich. Sein Blick wurde glasig und es spiegelte sich die pure Freude darin. Er wischte sich die Hände an einem Wischtuch ab und kam dann schnellen Schrittes auf mich zu. Ich bewegte mich wie in Zeitlupe vorwärts. Und dann fiel ich wie von selbst in die Arme meines Vaters.






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