Mirabella - Teil 2

Autor: Löhnchen
veröffentlicht am: 23.06.2012


Danach haben wir Deutsch. Ich warte auf dem Flur, als Robin mit Hanna kommt und sie beide lachen. Innerlich freue ich mich, dass Hanna Robin gefallen zu scheint. Ich würde es ihm auch mal wieder gönnen, dass er eine Freundin hat, wo er so lange allein war nach der letzten Enttäuschung, denn ich weiß, dass er das verdient. „Dann bis später!“, verabschiedet sich Hanna und schenkt ihm ihr schönsten lächeln. Robin nickt mir kurz zu und verschwindet dann auch. „Netten Kumpel hast du da“, meint Hanna anerkennend. Ich weiß, denke ich. „Wo wohnst du eigentlich?“, frage ich, und freue mich, dass ich mich endlich getraut habe sie auch nur irgendetwas zu fragen. Hanna presst die Lippen zusammen und starrt auf den Boden. Ich merke, dass sie zu dem Thema schweigen wird. „Verstehe“, murmele ich und wende mich ab. Dann kommt unsere Lehrerin, und Hanna setzt sich auf den Platz hinten in der Ecke, ich bin ihr nicht böse drum und lasse mein übliches Chaos auf dem Platz neben mir walten.
Nachdem die Schule um ist, stehe ich am Tor vom Haupteingang und warte auf Robin. Doch er kommt nicht. Also gehe ich schon mal langsam vor. Eigentlich wollte ich heute noch mit zu ihm, damit er mir Mathe noch mal erklären kann, da ich auf Nachhilfe von Lukas dankend verzichte. Drei Ampelphasen später immer noch keine Spur von Robin. Vielleicht ist er schon zu Hause und hat mich vergessen. „Hey Mira“, ruft Jemand, niemand anderes als Lukas. „Hast du es dir noch mal überlegt?“ Ich presse die Lippen aufeinander und schweige. „Verstehe.“, murmelt er. „Es ist nicht so wie du denkst“, versuche ich zu erklären. „Dann sag mir wie es ist.“ „Das ist nicht so einfach.“ Ich schlucke. Lukas schaut mir kurz in die Augen, dann nickt er und wendet sich ab. Ich beiße mir kurz auf die Lippe, dann bin ich es leid und gehe zu Robin.
Gerade als ich klingeln will, höre ich Geräusche aus dem Garten. Ich lucke um die Ecke, und sehe, wie Robin und Hanna lachend auf einer Decke unter dem Obstbaum sitzen. Ich schlucke und spüre… Eifersucht? Nein, warum auch. Er hat mich zwar versetzt, aber das habe ich auch schon mehrmals bei ihm, also wozu wütend sein? Ich überlege gerade, ob ich zu den beiden stoßen soll, und wir uns gemeinsam amüsieren sollen, aber entscheide mich dann doch dagegen. Ich will ihnen den Moment zu zweit lassen. Also mache ich mich leise davon und laufe nach Hause. Auf halbem Weg krame ich in meiner Tasche herum und suche den iPod weil ich ein bisschen Musik hören möchte. Doch ich kann ihn nicht finden. Selbst als ich die Tasche absetze und wild darin rumwühle, er bleibt verschwunden. Simon, denke ich. Es ist so, sobald etwas weg ist, steht Simon im Verdacht. Also renne ich den Weg geradezu nach Hause, um Simon ordentlich die Meinung zu sagen. Ich schließe die Tür auf und stapfe nach oben. „Simon Alexander Schulte!“, schreie ich und schlage mit einem Wumps die Zimmertür auf. Simon spielt mit Bauklötzen. „Was ist denn?“, fragt er mit piepsiger Stimme. „Das weißt du ganz genau“, sage ich mit bedrohlicher Stimme und schweige demonstrativ. „Ich war’s aber wirklich nichts!“, bibbert er. „WAS warst du nicht?“ „Keine Ahnung, WAS ich wieder gemacht haben soll“, beteuert er und seine Stimme wird etwas fester. Ich werde ihm noch mal einen warnenden Blick zu und verlasse das Zimmer. Dann haue ich mich ins Bett, und habe ein schlechtes Gewissen, weil Simon nur Hass von mir erfährt. Ich erinnere mich an damals.
Ich hatte war damals gerade mal 10 Jahre alt. Als ich die Hausaufen fertig hatte, rief mich meine Mutter und hatte einen tief deprimierten Tonfall. Ich betrat das Wohnzimmer und schluckte. Vor mir stand eine junge Frau, mein Vater hatte den Arm um ihre Hüften gelegt. Ist die aber dick, dachte ich. „Hem“, räusperte sich mein Vater. „Das ist Taita, meine… ähm…“
„Deine Geliebte“, fiel ihm meine Mutter ins Wort.“ Ich musste schwer schlucken. Von vielen Kindern die ich kannte waren die Eltern geschieden. Mir liefen Tränen über die Wangen, als ich erfuhr, dass Taita zurück nach Polen müsse, und sie Simon hier ein besseres Leben bieten wolle. Bei MEINER Mutter. Ich sah wie viel Kummer es ihr bereitete. Wie viel Schmerz, und ich wusste, dass das kleine Baby daran Schuld hatte, daran, dass sie so unglaublich verletzt war. Und so hatte ich schon Vorurteile bevor Simon zur Welt kam, und das bis heute. Mein Vater war ausgezogen, meine Mutter konnte ihn nicht mehr ertragen. Doch sie hatte sich in Simon vernarrt und betrachtete ihn als ihren Sohn. Das schlimme ist nur, dass Simon auch davon ausgeht und nicht versteht, warum sich mein Hass permanent auf ihn richtet.
Später muss ich wohl eingeschlafen sein, denn ich wache auf, als mich meine Ma rüttelt. „Hey Mira“, flüstert sie. „Besuch für dich.“ Es ist bestimmt Robin, denke ich, fahre mir einmal mit der Hand durchs Haar und gehe dann die Treppe hinunter. Ich staune nicht schlecht, als dort Hanna steht, sie sieht nach schlechtem Gewissen aus.
„Hey“, begrüße ich sie. „Wollen wir… hochgehen?“ Sie nickt betroffen und folgt mir den Weg in mein Zimmer. Ich setze mich auf mein Bett und biete ihr den Stuhl vor meinem Schreibtisch an. Sie schluckt. „Ich…“, fängt sie an. „Robin hat mir gesagt, wo du wohnst.“ Aha, Robin also. „Ich möchte wirklich nicht stören, aber… Nun, ja wir haben uns so unterhalten, und er meinte das du okay bist… Es tut mir wahnsinnig leid.“ Ich ziehe die Augenbraue hoch und weiß nicht, was sie meint. Schließlich greift sie schweren Herzens in ihre Jackentasche, und zieht MEINEN iPod heraus. Meine Augen weiten sich. „Ich… ich…“, stammelt sie. „Ich kann dir das erklären, wirklich! Als du schon aus der Klasse warst, nun ja, da habe ich…“ Ich sehe in ihre Augen. Sie sind genauso blau wie Simons. „Ich weiß das ich es nicht verdient habe, dass du das in nur irgendeiner Weise verstehst, aber vielleicht kann ich es dir ja erklären. Ich nicke. Sie presst die Lippen zusammen und schluckt. „Ich bin mit meinem Cousin aus Polen hergekommen. Wir wohnen in einer Art betreutem Wohnen. Er ist fertig mit der Schule, aber ich muss noch das 10. fertig machen. Und da wir so schnell wie möglich daraus wollen, finanzieren wir uns halt durch…“ Sie senkt den Blick. KLAUEN, vollende ich in Gedanken den Satz. Auch ich senke den Blick hinunter zu ihren Füßen. Sie trägt wieder keine Schuhe, aber sie wirkt keinesfalls verwahrlost. „Was hat dich dazu gebracht ihn wieder zu bringen?“, frage ich. „Nicht jeder hätte das getan.“ „Ich hatte ein schlechtes Gewissen. Du und Robin, ihr seid so nett zu mir, und ich… ich möchte dir in irgendeiner Weise entgegen kommen.“ Sie zögert. „Wirst du Polizei gehen?“ Ich zögere kurz, dann schüttele ich den Kopf. Ich will nicht, dass sie Ärger bekommt oder womöglich aus ihrem betreuten Wohnen rausfliegt. „Danke“, flüstert sie, dann erhebt sie sich. Ich wünsche mir, dass sie noch bleibt, dann dreht sie sich noch mal um. Gerade als sie zur Tür hinaus will, rennt Simon daher, und es gibt einen heftigen Zusammenstoß. Simon fällt hin, und Hanna reibt sich das Bein. „Verzeihung, mein Bruder ist ein bisschen…“, fange ich an zu erklären, doch sie beachtet mich nicht, und fragt: „Alles okay?“ Simon nickt. Hanna schenkt ihm ein Lächeln und reicht ihm die Hand. Er ergreift sie dankbar und sie hilft ihm auf. „Wie heißt du?“, fragt Simon „Du musst nicht antworten“, knurre ich leise. „Oh doch. Ich bin Hanna“, sagt sie ganz freundlich. Wenn man genau hinsieht, sehen sich die beiden ein bisschen ähnlich. „Ich zeige dir was ich tolles aus Lego gebaut habe!“, prahlt Simon. Ich will sagen: Das musst du dir nicht ansehen, doch ich weiß, dass das bei Hanna nichts bringen wird, sie hat Simon schon in ihr Herz geschlossen. Er nimmt sie bei der Hand und führt sie in sein Zimmer, um ihr die Legoburg zu zeigen. „Wow“, staunt Hanna. Sie hockt sich neben ihn, und er zeigt ihr die Verließe und den Wassergraben. „Und das ist jetzt eine tolle Überraschung!“, kündigt Simon an und lässt eine Zugbrücke hinunter. Hanna pfeift anerkennend. „Und das hast du alles alleine gemacht?“, fragt sie. Simon nickt stolz. Dann zeigt er ihr seinen schwarzen Ritter und greift die Burg an. Es rührt mich, wie liebevoll Hanna sich um Simon kümmert, sodass ich innerlich ganz weich werde. Ich hocke mich neben ihn, und helfe Hanna, die Burg zu verteidigen. Ich kann gar nicht glauben, dass ich Lego spiele. Wie eine Sechszehnjährige mit zu kurzer Kindheit. Aber es macht mir tatsächlich Spaß, mit Hanna und Simon dort zu sitzen, und mir fällt auf, dass ich durch das Spiel sehr viel über Simon erfahre. Zum Beispiel das er erst ritterlich das Burgfräulein rettet, ehe er in die Schlacht zieht. Und das er Erbarmen mit den Verletzen hat und sie laufen lässt. Als ich sehe, wie sehr Simon sich freut, mit uns zu spielen, bin auch ich glücklich. Und als die Schlacht schließlich gewonnen ist, und ich an der Tür stehe und Hanna verabschiede, läuft mir eine Träne über die Wange. „Danke“, flüstere ich. Hanna grinst, und geht dann. Ich fühle mich einfach nur gut.
Mir tut Hanna leid, so alleine, nur mit ihrem Cousin. Aber als ich merke, wie unbekümmert sie das lässt, und was sie für eine Lebensfreude ausstrahlt, denke ich, dass ich das auch kann. Ich werde versuchen netter zu Simon zu sein, ihm vielleicht übers Legospielen näher zu kommen, und ihn so zu akzeptieren, wie er ist. Er kann ja nichts dafür, dass mein Vater fremdgegangen ist, und meine Mutter war traurig, weil ihre Liebe sie enttäuscht hat, nicht wegen Simon. Mit einem guten Gefühl im Bauch schlafe ich ein.








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