Merancyia - Dämonen der Nacht - Teil 3

Autor: BobbySmitty
veröffentlicht am: 29.04.2014


Kapitel 2

Die nächsten Schulwochen verliefen genauso. Ich gewöhnte mich langsam an die finsteren und neugierigen Blicke. Jedoch war es mir ziemlich unangenehm, in jedem der Gänge beobachtet zu werden. Die Aufmerksamkeit aber beschränkte sich, daher sich die meisten Gespräche um die neuen Schüler handelten. Der Unterricht lief einigermaßen gut, wenn man mal außer Acht nahm, dass die Lehrer sich dazu verpflichtet fühlten, mich immer dran zunehmen. Lag daran, dass ich mich mündlich nicht viel beteiligte. Phillip und Marilyn gingen mit dem neuen Zuwachs, ins geheim nannte ich sie „Seattlers" - bloß weil es mir zu anstrengend war, sie alle bei Namen zu nennen - sehr gut um. Sie waren einfach neu für mich. Nicht im negativen Sinne, eher gewöhnungsbedürftig. Nur lief das alles mit Anthony anders. Er wich mir immer aus und ich ihm, aber nur weil ich mir sonst komisch vorkam, wenn ich normal mit ihm umging. In Geschichte saß er nun neben Margaret. Ich weiß zwar nicht warum er sich umsetzte, aber es juckte mich nicht weiter. In dieser Zeit lernte ich alle etwas besser kennen. Marilyn und Phil mochten sie auch und Samuel und die anderen mochten meine Freunde. Das freute mich, denn irgendetwas in mir sagte, dass ich mehr Zeit mit den Seattlers verbringen würde, als mir lieb war. In der Cafeteria und in den Pausen redeten Marilyn und Phillip nun mehr. Daher sie beide endlich Gesellschaft gefunden hatten, die auch eigenes zu beitragen hatten. Mir war aufgefallen, ich war mir auch sicher es mir nicht eingebildet zuhaben, dass Anthony und ich uns aus vielerlei Gesprächen raus hielten. Es war seit drei Jahren so, dass ich nicht viel Motivation zu Gequatsche oder Späßen aufbringen konnte. Ich war eben die Stille in Person, doch Mary und Phil hatten sich seit langem daran gewöhnt. Merkwürdig war jedoch, dass Samuel besonders viel über mich wusste. Meine Eigenschaften, meine Art und Weise, besonders wann mir etwas passte und wann ich mich unwohl fühlte. Anfangs dachte ich er wäre von Natur aus wachsam, aber nach ein paar Wochen wurde es auffällig. Samuel schien zu wissen, was ich gerne aß, was ich in meiner Freizeit am liebsten tat und sogar dass ich mit Mason und Michael des Öfteren Thai-Essen ging. Anscheinend hatte er das von einem unserer Gespräche erfasst. So ganz glaubte ich ihm das nicht. Für uns alle stand in drei Tagen ein langer Tag bevor. Am Samstag würde unsere Schule das berüchtigte Fest organisieren. Die Arbeiten für die Stände, die Kulissen und Plakate hatten seit drei Wochen angefangen. Zwei Monate waren seitdem ersten Schultag vergangen und ich war sehr erleichtert, dass die gesamte Aufmerksamkeit den Seattlers galt. Besonders die Mädchen hatten ein Auge auf sie. Oftmals hatte ich auch mitbekommen, wie Anthony oder Jackson mit einem dieser Mädchen in einer Ecke standen und ihnen schöne Augen machten. Doch das alles sollte mich im Moment nicht interessieren. Zusammen saßen wir alle in der Staatsbibliothek. Wie wir es in der letzten Zeit auch taten, wenn die Hausaufgaben mal überwiegend waren. Mal verbrachten wir die Zeit in Marys Garten, schlugen die Zeit bei Phillip tot, manchmal, eher selten, fanden die Treffen bei Ethan statt. Bis jetzt hatte ich eher nur ihr Wohnzimmer gesehen. Seine Eltern hatte ich noch nie zu Gesicht bekommen. Wir hatten zwei Tische zusammen gerückt, und hatten mächtigen Ärger für den Lärm bekommen. Marilyn saß zwischen Phillip und Jackson, Charlie hockte alleine am Kopf des Tisches, rechts von ihm saß Jackson und links Cameron. Neben Cameron rutschte Anthony die ganze Zeit unbehaglich auf dem Stuhl herum, aus welchem Grund auch immer. Samuel saß vor mir. Neben Anthony, redete Ethan mit mir über die Mathehausaufgaben. Daher er und ich als Einzige in den Matheunterricht bei Mr Stolinson waren. „Was hast du bei der Nummer acht raus?", fragte er mich und verglich sie miteinander. „Bei mir kam x ist gleich minus eins raus. Wieso ist es bei dir umgekehrt?", er kratzte sich am Kopf und sah verwirrt aus. Eigentlich war seine Lösung ja richtig, aber ich war so in Gedanken versunken, dass ich meine Antwort falsch aufgeschrieben hatte.
„Falsch aufgeschrieben.". Ich radierte es weg und schrieb es diesmal richtig rein.
„Legasthenikerin, oder was?", kam es von Anthony. Der Tonfall klang so abfällig und süffisant, dass sich mein Griff um den Bleistift verfestigte. Eigentlich hatte seine Beleidigung keine Logik, aber was er zu bezwecken versuchte, trieb mir das Blut ins Gesicht. Sollte er doch sagen was er wollte. Schon seitdem zweiten Tag, verhielt er sich kühn und nutzte jede Gelegenheit, mich wertlos fühlen zulassen. Innerlich tritt ich mir in den Hintern, dass er sein Ziel auch traf.
„Wohl eher deine Sorge. Amphibien schreibt man mit ph und nicht mit f.", korrigierte ihn Cameron. Alle die es gehört hatten, fielen in ein amüsantes Gelächter. Ich jedoch senkte peinlich berührt den Kopf. Manchmal, eher immer, fühlte ich mich wie ein Kleinkind, das bemuttert werden musste. Auch wenn Cam mir bloß den Rücken stärken wollte, so kam ich mir doch so mickrig und wertlos vor, wie Anthony es in letzter Zeit pflegte zu sagen. Mir kam er vor wie ein unlösbares Rätsel. „Ruhe da hinten!", rief uns die Bibliothekarin zu. Sofort verstummte das Gekicher. Lag aber auch daran, dass sich manche Gesichter uns zugewandt hatten und entnervt drein blickten. Ethan schüttelte grinsend den Kopf und zwinkerte mir zu. Ich lugte übe Ethan hin weg zu Anthony. Sein Gesicht lief vor Wut und Scham rot an, während er sich über sein Block beugte und mit einem Tipex den Fehler übermalte. Ruckartig fuhr er mit dem Kopf hoch und funkelte mich böse an. Das überraschte mich so gar nicht, immerhin hatte ich mich daran gewöhnt. Bloß wunderte ich mich, warum er bei unserer ersten Begegnung so nett zu mir war. Demonstrativ streckte ich ihm die Zunge raus und widmete mich wieder den Hausaufgaben und Ethan zu, der mir gerade verriet, dass wir nächste Woche einen unangekündigten Test schreiben würden. Bewusst ignorierte ich das Geschimpfe in mir. Wie lächerlich es von mir war, ihm die Zunge raus zu strecken.
„Woher weißt du das?", fragte ich ihn leise, um die Aufmerksamkeit der Bibliothekarin nicht noch ein mal auf uns zu ziehen.
„Am Ende der Stunde habe ich unserem Lehrer über die Schulter gespickt. Da schrieb er gerade auf, dass er einen Test mit uns schreiben würde. Über die Mitternachtsformel. Also nur Wiederholungen", er grinste frech und hob die rechte Augenbraue. Mir war aufgefallen, dass er dies nur tat, wenn ihn etwas amüsierte, was selten der Fall war, oder wenn ich, was auch nicht oft vorkam, Anthony auf seine Aussagen Contra gab
„Böser Junge.", schimpfte ich spielerisch, tippte ihn mit den Bleistift warnend auf die Nase. Er knurrte verspielt, zog dabei die Augenbrauen hoch und wackelte mit ihnen und unwillkürlich musste ich lachen.
„Wenn ihr da so Krach macht, kann ich mich nicht konzentrieren.", fauchte Anthony, schnaufte verächtlich und ruckelte mit dem Stuhl näher an den Tisch. Jeder der Anwesenden blickten verwirrt von ihm zu mir und wieder zu ihm.
„Selbst wenn wir keinen Lärm machen würden, könntest du es nicht richtig machen. Beweist uns ja die Tat, dass du das Wort Amphibien nicht mal richtig schreiben kannst.", konterte ich und wurde sichtlich wütend über sein unergründliches Verhalten. Langsam stand es mir bis zum Kopf.
„Sagt die, die zu blöd ist um zu laufen.", spottete er und grinste dreckig. Mir war sehr wohl bewusst, dass meine Wangen die Farbe einer Tomate annahmen. Es war so schrecklich, wie schamlos er meine Tollpatschigkeit ausnutzte.
„Jeder Idiot sollte sich mit der Rechtschreibung auskennen.", zischte ich.
„Jeder Idiot sollte geradeaus laufen können!", schrie er wütend.
„Noch ein Pieps, und du fliegst aus der Bibliothek, junger Mann!", die Frau vom Tresen stand mit erhobenem Finger hinter Anthony. Ihre Ohren nahmen einen leichten Rotton an. Konnte ich ihr nicht übel nehmen. Mir kam es schon so vor als würde mein ganzer Körper in Flammen stehen, so wütend war ich. Als würden meine Gefühle von etwas Unbekanntem in mir kontrolliert.
„Mhm.", murmelte er unverständlich, doch das genügte ihr und sie stellte sich wieder hinter den Empfangstresen. Trotzdem warf sie hin und wieder misstrauische Blicke an unseren Tisch.
„Schöne Scheiße.", grinste Marilyn und lachte erfreut auf.
„Wem sagst du das.", gluckste Jackson und das Grinsen, das er Marilyn schenkte war ein warmes, liebevolles Grinsen, das man eigentlich Verliebten zuwarf. Zumindest kam es mir so vor, doch in den bisherigen Wochen verließ mich mein klarer Verstand. Gestern dachte ich noch, an Michael einen Schatten gesehen zu haben. Mein Kopf spielte mir Streiche und weihte mich nicht ein.
„Irgendwann fliegst so auf die Schnauze, dass es dir leid tun wird, als nach zu holen, wie man einen Schritt vor den anderen macht.", flüsterte Anthony wütend. Es brodelte in mir, wie ein aktiver Vulkan, dass nur dazu brannte auszubrechen. Hatte er denn nicht genug? Er sollte mal seine ungezähmte Zunge zügeln.
„Wunder dich nicht, wenn du später auf einer Bank endest, weil du zu blöd warst um zu lernen.", so leicht gab auch ich nicht auf. Ich wusste nicht woher all diese Energie kam, meinen Worten Kraft zu verleihen. Sonst hielt ich mich aus jederlei Konflikten raus.
„Dass deine Eltern, irgendwas für dich bezahlen würden, darauf solltest du dich nicht fixieren. Am Ende stehst du noch alleine da".
„Sagt die, die niemals überhaupt wieder von ihren Eltern Hilfe bekommen könnte!", fauchte er verächtlich. Mit einem Schlag verrauchte die Wut. Bloß Leere. Mein Magen krampfte sich schmerzlich zusammen. Plötzlich fühlte sich mein Mund trocken an, es kam mir so vor, als würde irgendeine unsichtbare Hand mein Herz mit starker Kraft zusammen quetschen. Ich schluckte den Kloß herunter, der sich in meinem Hals festgelegt hatte. Sollte ich mich nicht langsam daran gewöhnt haben, wenn die Rede von meinen Eltern war? Trotzdem verschlugen mir solche Beleidigungen immer wieder den Atem. Raubten mir die Luft zum atmen. Mein Blick schweifte über jedes Gesicht. Mitgefühl war das Letzte was ich brauchte. Samuel funkelte Anthony böse an, seine Halsader trat sichtbar hervor.
„Sag mal geht's noch, Anthony.", keifte er. Auch Cameron und Charlie warfen ihm Zornesblicke zu. Doch der Ausdruck, der sich auf Marilyn und Phillips Gesicht befand, war unübertrefflich. Mary lief rot an, hob dominant die Schultern und ihre Hand umklammerte die Wasserflasche so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervor traten. Phillip, der als Einziger mich ansah, schaute mich mit traurigen Augen an. Seine Sentimentalität verzieh ich nur ihm. Er hatte jedes Recht dazu. Ethans Kopf blieb aufrecht, jedoch sah er nicht auf. Seine rechte Hand, die auf seinem aufgeschlagenem Heft lag, war zu einer Faust geballt. „
Lasse es diesmal einfach sein.", sagte er an Anthony gerichtet. Der jedoch zitterte wütend am ganzen Körper und hatte einen hämischen Ausdruck im Gesicht. Samuel schüttelte verzweifelt den Kopf. „Mekap.“, zischte er. Hä? Was ging denn mit ihm vor? Doch nicht nur mir stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben, sondern Phillip und Marilyn, hatten beide einen verdatterten Ausdruck in den Augen.
„Was bedeutet das?“, fragte Marilyn, nicht ohne Anthony mit ihren Blicken zu strafen. Alle fünf Jungen sahen sich fragend an. Cameron ergriff das Wort. „Kennt ihr nicht.", sagte er und warf Charlie einen Blick zu. Stille. Irgendwas war komisch. Mein Kopf war wie leer gefegt. Verwirrt sah ich jeden nacheinander an. Mary und Phil hatten nur einen ahnungslosen Blick übrig. Mein Mund öffnete sich, als kämen mir ungewollte Worte aus dem Hals gepurzelt, jedoch brachte ich nur ein Keuchen zustande. Anthony grinste süffisant vor sich hin, bis Phil das unerträgliche Schweigen brach. Sein Blick verfinsterte sich, wie ein plötzliches Gewitter das die Gegend verdunkelte.
„Hast du Jearinne im Bezug auf ihre Eltern gedemütigt? ", fauchte er, so dass seine braunen Augen blitzten. Es hätte mich nicht gewundert, wenn die Mitte des Tischs entzweit wäre, weil ein Blitz aus seinen Augen geschossen wäre. Urplötzlich fiel mir der Konflikt von vor Minuten ein. Unser Wortgefecht mit Anthony, bezüglich meiner verstorbenen Familie. Aber es blieb nur ein stumpfes Gefühl in meiner Magengegend, so als wäre ich nicht in der Lage, meine Gefühlsebene zu umschreiben. Samuel sog scharf die Luft ein. Und plötzlich dämmerte mir ganze Situation von eben wieder ein. "Hat sie verdient. Sie gehört genauso begraben, wie ihre Eltern. ", lachte Anthony humorlos. Ich empfand nichts. Es...es kamen einfach keine Gefühle hoch, dass Einzige was ich machen konnte, war es Löcher in die Luft zu starren. Nichts... Als hätte jemand eine juckende Decke um mein Inneres gewickelt. Der Tisch wackelte extrem stark, so dass ich zu Marilyn hinüber sah. Sie hatte ihr Stuhl hart zurück gerückt, was ihn zum fallen brachte. Es schallte unangenehm durch die Bibliothek.
„Sagt mal, was macht ihr da so einen Lärm!", rief die Bibliothekarin aufgebracht in unsere Richtung. In welche denn sonst. Kein anderer Tisch stellte so einen Krach an. Die wenigen Personen beobachteten uns sauer und schüttelten verärgert die Köpfe. Mein Mund formte sich zu einem O. Mehr brachte ich nicht zu Stande.
„Mary, beruhige dich.", Jackson hielt Marilyn an der Hüfte fest und versuchte sie zurück auf den Stuhl zu ziehen. Ihr Gesicht war Wut verzerrt.
„Du hast nicht das Recht dazu, so mit ihr zu reden. Du hast doch keinen blassen Schimmer.", fauchte sie und umklammerte die Tischkante und ihre Knöchel traten stark hervor. Dann wandte sie den säurigen Blick von Anthony und sah Jackson an. Er starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an.
„Alle bestens.", flüsterte ich ihr zu. Jedoch so leise, dass ich es stark bezweifelte, dass selbst Ethan es überhaupt gehört hätte. Ich wollte raus. Die wütenden Blicke in der Bibliothek hinter mir lassen. Samuel überreichte mir meinen Rucksack und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. Ich nahm ihn an und schulterte es auf. Ein Drang erfüllte mich. Das Bedürfnis Anthony anzusehen. Seinen Gesichtsausdruck zu identifizieren. Seine Augen sahen ins Leere, ausdruckslos und ohne Emotionen. Nicht einmal ein schuldbewusster Ausdruck. Ihm schien das alles völlig egal zu sein. Wenn man mich fragen würde, ob ich jemals tote Augen gesehen hatte, würde meine Antwort Ja lauten. Er hob den Blick und sah mich an. Die sonst strahlend, roten Augen, waren matt und farblos. Schwarz. Wie sie es in den letzten Wochen immer waren. Es sah so aus, als würde Anthony keine Pupillen haben, sondern rabenschwarze Augen. So als würde die Pupille das ganze Auge einnehmen. Ein kleiner Angstschauer lief mir den Rücken hinunter. Rote Augen waren in vielerlei Hinsicht schon ungewöhnlich und unmöglich, doch komplett pechschwarze Augen waren etwas anderes. Im Moment brodelte ich vor Wut und Schmerzen. Der Verlust meiner Eltern, hatte mich zu tief getroffen, sodass man diese Wunde niemals heilen könnte. Das wollte ich auch nicht, denn ich musste mich immer daran erinnern, dass ich an ihrem Tod schuld war. Aber so durfte er nicht mit mir reden! Das alles hatte ich zunichte gemacht, wieso also hatte ich das Recht dazu, genau das auszuleben? Doch es war nun mal so, dass Anthony kein Recht auf so einen Spruch hatte.
„Es tut ihm leid.", sagte Charlie wenig überzeugt.
„Von wegen.", zischte Mary ihn an. Ohne ein Wort zu sagen, stürmte ich aus der Bibliothek. Da drinnen konnte ich es einfach nicht mehr aushalten. Das letzte was ich hörte war, dass die Bibliothekarin allen befahl das Gebäude zu verlassen. Dann nahm ich noch mehrere schnelle Schritte hinter mir wahr. Nachdem ich die Ausgangstür aufstieß und in die warme Luft hinaus lief, überfiel mich heitere Erleichterung. Der Strang um meine Lunge löste sich mit einem Puff auf.
„Alles in Ordnung?", fragte mich Jackson, der mit den anderen im Schlepptau hinter mir stand. Ich nickte etwas zögernd, worauf hin sie mir ein aufmunterndes Lächeln zu warfen. Anthony stand abseits der Gruppe. Während ich ihn so ansah, überkam mich ein Kotzreiz. Seine Art und Weise war einfach abstoßend. Nicht einmal die Menschen die mich nicht ausstehen konnten, würden mich nicht auf so etwas ansprechen, oder mir gar eine Beleidigung auf diese heikle Thema zu werfen.
„Marilyn, du sagtest du müsstest mit Phil, nach der Bibliothek, noch für eine Präsentation ackern, oder?", wandte ich mich an Mary, um die Aufmerksamkeit von mir zu lenken. Meiner Stimme konnte man das leichte Zittern deutlich heraus hören.
„Ja, schon, aber...", fing sie an doch ich unterbrach sie. Den Widerspruch konnte ich schon in ihren Gedanken kreisen sehen.
„Erwidere nichts. Das was in der Bibliothek war, ist vergänglich. Ich meine du willst dich doch nicht immer wie eine Mutter um mich kümmern, wenn man mir so was an den Kopf wirft.", dabei sah ich Anthony an, der mit verschleiertem Gesicht meinen Blick stand hielt. Marilyn öffnete schon den Mund, da kam Phillip dazwischen.
„Sie ruft dich an.", versicherte er mir und küsste mich kurz auf die Stirn, woraufhin ich ihn anlächelte. In solchen Situationen konnte ich Nähe und Trost nicht ausstehen. Dadurch fühlte ich mich erbärmlicher, als ich es war. Weshalb ich es mit Verständnis nahm, dass mein bester Freund mir Zeit zum Nachdenken geben wollte.
„Bis bald dann.", sie winkten mir zu und verabschiedeten sich noch von den anderen, jedoch Anthony zeigten sie die kalte Schulter, was ihn anscheinend nicht zu jucken schien. Marilyn öffnete den Mund um mir etwas zu sagen, aber Phil knuffte sie in die Seite. Ihre Stirn legte sich sorgenvoll in Falten und warf mir noch einen Luftkuss zu. Bevor sie um die Ecke verschwanden, zwinkerte mir Phil liebevoll zu.
„Soll ich dich mitnehmen?", Samuel stand neben mir und zeigte mit seinem Finger auf ein schwarzes rotes Motorrad.
„So etwas darfst du schon fahren?", fragte ich verblüfft und musterte den Indian Chief. Den hatte ich sonst nur in Katalogen gesehen, weswegen es auch ziemlich toll war einen leibhaftig vor Augen zu haben. Michael ließ solche Zeitschriften immer überall liegen. Wenn er sich nicht darüber mit mit unterhalten würde, hätte ich keine Ahnung von den Dingen.
„Ja, ehm... mein Vater hat dafür gesorgt.", meinte Sam und kratzte sich stirnrunzelnd den Kopf.
„Das hat was.".
„Weißt du welches Modell?", fragte mich Cam und grinste mich herausfordernd an. Mir war durchaus bewusst, dass sie dieses Thema vertieften, um das andere zu verdrängen.
„Ja, ein Indian Chief. Baujahr 1947, oder?", fragte ich Samuel. Ein Schmunzeln konnte ich mir nicht verkneifen. Wortwörtlich nicht. Mir war nicht zu grinsen zumute, aber ich konnte meine Gesichtsmuskeln nicht kontrollieren. Beide sahen mich entgeistert an.
„Öh, ja. Ja, Baujahr 1947. Woher weißt du das?", fragte er mich begeistert.
„Ich habe vor den Hell Angels beizutreten, da brauche ich Informationen.", gluckste ich. Was zum Teufel ist mit dir los?! Verschwinde endlich von hier! Bitte nicht lächeln, hör auf damit!
Cameron grinste: „Wir können ja beide beitreten.", witzelte er. Meine Mundwinkel zuckten. Mir fiel auf, dass ich mit der Erwähnung meiner Eltern, besser umging als vorher, obwohl das nie der Fall war. Was auch immer daran lag, mir selbst konnte ich keinen Reim daraus machen. Woran das wohl lag... Du weißt es! Ich wollte schreien, brüllen und mir die Haare vom Kopf reißen. Seit alle still, haltet die Klappe, schrie mein Inneres. Meine Arme, Beine, meine Gliedmaßen juckten und brannten wie die Hölle! Ich wollte aufwachen... Doch ich grinste weiter. Ich sah auf meine Armbanduhr und musste feststellen, dass Mason bestimmt gleich mit dem Abendessen fertig war.
„Tut mir leid, aber es ist schon reichlich spät geworden.", entschuldigte ich mich bei ihnen. „Aber ich muss los.". Ethan legte mir die Hand auf die Schulter. "Wenn du möchtest begleite ich dich.", schlug er vor. Ja, bitte komm mit mir!
„Nein, ich komme alleine zurecht. Wir sehen uns morgen. ", sagte ich so ruhig, wie meine bebende Stimme es zuließ.
„Pass auf dem Heimweg gut auf.", warnte Sam und umarmte mich tröstend.
„Ihr auch.", ich winkte ihnen zum Abschied und ignorierte den starren Blick von Anthony. Anscheinend bracht er nicht die Güte auf, sich von mir abzuwenden. Doch um ihm eins aus zu wichen richtete ich meine Augen auf ihn und winkte ihm matt zu. Vielleicht wollte ich ihm eins reinwürgen. Vielleicht wollte ich mich einfach nur verabschieden. Doch eigentlich wollte ich ihn ignorieren. So leicht würde er mich nicht unterkriegen, flüsterte eine Stimme in mir. Seine Augen loderten rot auf. Meine Kinnlade klappte runter und ich blieb mitten in der Bewegung stehen. Das war gerade unglaublich! Vom einen Moment strahlten seine Augen eine tiefe und mitreißende Schwärze aus, auf den anderen kehrte die purpurrot wie ein aufgehendes Feuer wieder auf. Die anderen die mich stirnrunzelnd ansahen drehten sich um und nahmen nun Anthony wahr, der mich mit weit aufgerissen Augen ansah, den ich nur stumm erwidern konnte. Eigentlich wollte ich mich von ihm zur Provokation auch verabschieden, um ihm lediglich klar zu machen, dass ein Junge wie er mir nichts anhatte, wobei ich jetzt bewegungsunfähig da stand und seine Augen misstrauisch beäugte. Das ist nicht möglich, redete ich mir ein. Bewege dich, na los! Mach das du hier weg kommst! Doch so war es, denn während Samuel, Charlie und Jackson anfingen auf mich einzureden, was ich nur leise wahrnahm, ich solle jetzt lieber nach Hause gehen, Cameron und Ethan Anthony schüttelten, der vergeblich in einer Stockstarre stand, starrten er und ich uns gegenseitig an. Das was ich sah, sollte ich niemals vergessen. Nämlich es schien, nein es war so, dass seine Augen, die purpurrote Farbe wie eine Flamme flackerte. Bildete ich es mir ein oder wirkte es wirklich so, als wären seine Augen in einem ständigen Feuer, die in einem bewegenden Tanz brodelten? Es verging ein Tag seit dem Geschehen in der Bibliothek. Den Vorfall verdrängte ich auf den hintersten Gedanken, was in diesem Fall auch besser wäre. Doch das Bild von Anthonys Augen drängte sich ständig in mein Vorderbewusstsein. Wie war das möglich? Im Nachhinein erst könnte ich mir, für mein Verhalten in den Hintern treten. Wieso hatte ich mit ihnen herumgealbert? Meine Eltern durften mir doch nicht so egal gewesen sein? In den vorherigen langen Wochen, den qualvollen Schultagen, hatte ich beschlossen endlich festzulegen, was auch mal in der Zeit lag, dass Samuel, Ethan, Charlie, Cameron und Jackson und sogar Anthony zu meinen Freunden gehörten. Doch seit gestern hatte ich meine Meinung geändert. Anthony und ich standen in keinerlei Weisen zueinander. Ich war gerade dabei zu lernen, da klopfte jemand an der Tür.
„Darf ich reinkommen?", fragte Mason. Seine Stimme kam gedämpft von der anderen Seite der Tür.
„Klar.", rief ich ihm entgegen. Mit einem kleinen Schwung drehte ich mich auf dem Drehstuhl zur Tür, öffnete sie ihr. Er sah müde aus, mit seinen gesenkten Lidern. „Was gibt's?", fragte ich und schon hielt er mir das Telefon vor die Nase.
„Es gibt Marilyn.", sagte er. „Ich bin müde und gehe ins Bett. Redet nicht so lange, ja?.", sagte er und ich nickte zur Antwort.
„Wo ist Michael?", fragte ich mit dem Telefon in der Hand. Mein großer Bruder rieb sich über dir Augen.
„Er musste sich um einen Jungen kümmern, den sie in einer Gasse vorgefunden haben. ", sagte er. Ich nickte. Mein Bruder schlurfte in sein Schlafzimmer. Ich drehte mich um schloss die Tür und ließ mich auf mein Bett plumpsen. „Hallo, Mary was gibt's?".
„Hallo, Schätzchen. Nichts Besonderes. Ich lungere nur in meinem Zimmer herum. Und bei dir?".
„Ich habe gerade für meine Bioklausur gelernt.".
„Ach die Schule gibt es ja auch noch. ", stöhnte sie dramatisch. „Ohne sie wäre ich so viel besser dran.". Sie auch ohne dich, dachte ich mir schmunzelnd.
„Tja, wenn du dich bemühen würdest, käme sie dir nicht ganz so anstrengend vor.", lachte ich. Mary kicherte. „Du hast leicht reden.". Nicht das noch, jammerte ich.
„Ich habe dich nicht angerufen weil mir langweilig oder so ist.", kam sie sofort auf den Punkt. Etwas verwirrt wandte ich mein Blick auf eines meiner Bilder, die auf der Kommode standen. Wie jetzt? „Ehm, okay. Gibt es etwa einen bestimmten Grund?", tastete ich mich vorsichtig ran.
„Natürlich gibt es einen bestimmten Grund.", erwiderte sie.
„Ach Marilyn versuch mich nicht auf die Folter zu spannen. Raus mit der Sprache.".
„Deine Ungeduld kennt überhaupt keine Grenzen. ", meckerte sie. Ich blieb stumm.
„Läuft da was zwischen dir und Jackson?", bildete ich es mir bloß ein und klang ihre Stimme etwas kratzig. Lügen oder Hintergedanken die sie immer hegte, konnte man selbst an ihrer Tonlage heraus hören. Selbst Menschen, die sie noch nie zuvor gesehen hatten, Deshalb war es anscheinend so leicht für mich, in ihr wie ein offenes Buch zu lesen.
„Nein er ist nur ein guter Freund. Wieso fragst du?".
„Ach nur so nebenbei.", lachte sie und klang heiter und erleichtert. Hörte ich nicht richtig? Verwirrt sah ich mir das Telefon an. Gab es eine Störung? Natürlich nicht, aber so wie sich ihr Gefühlspegel änderte, konnte man auch leicht darauf spekulieren, dass es am Telefon lag. Reiner Sarkasmus.
„Wieso fragst du?", fragte ich sie noch einmal. Immerhin musste es doch einen triftigen Grund geben, weshalb sie dies wissen wollte. Hatte Marilyn selber gesagt, es gäbe einen triftigen Grund für das Telefonat.
„ Ich sagte doch...", begann sie, aber ich ließ sie nicht aussprechen.
„Wieso. Fragst. Du? Du kannst mich nicht einfach so etwas fragen und mich anschließend im Dunkeln tappen.", sagte ich, wobei man meinen leicht bissigen Ton heraushören konnte. Immerhin könnte sie es mal flotter erzählen. „Mary, du hast mich nicht bloß wegen dieser unbedeutenden Frage angerufen. "
„Ach du weißt ja, dass ich mich sehr gut mit ihm verstehe und na ja du weißt schon...", zog sie es schon wieder vor sich hin.
„Nein, was weiß ich den?".
„Das mit mir.".
„Was ist den mit dir?", meine Stimme klang jetzt gereizt. Herrgott nochmal, Marilyn sollte endlich einen Punkt setzen. Oder besser einen Ausrufezeichen. So konnte man sich doch nicht unterhalten.
„Das ich ihn mag.", platzte sie raus und schniefte.
„Ja, ich mag ihn doch auch und je...". Alles war jetzt Glasklar. Wie konnte ich nicht selber drauf kommen. Ja, sie hatte Recht ich wusste auf was sie hinaus wollte. Mary hat sich in Jackson verliebt. Diese Blicke in der Cafeteria vor drei Tagen, das erklärte schließlich alles. Und dieses Lächeln in der Bibliothek. „Jeara?!", fragte Marilyn am anderen Ende, so holte sie mich zurück zur Wirklichkeit. Schließlich konnte ich es nicht verhindern wie ein Honigkuchenpferd zu grinsen.
„Du liebst ihn.", sagte ich und das war mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich war mir sicher, dass ich Recht hatte. Denn genau jetzt fielen mir auch die Blicke auf, die sich einander zugeworfen hatten und dieses Tuscheln, in das sie sich immer während der Schlange an der Cafeteria vertieften. Dann hatte ich doch Recht behalten, mit meiner These vor ein paar Wochen.
„Ja, das tue ich.", gab sie schüchtern zu, doch ihr Grinsen konnte ich aus der Beichte heraus hören.
„Endlich, das wurde aber auch Zeit.".
„Wie meinst du das?".
„Na, dass ich seit dem Kindergarten darauf gewartet habe, dass du dich verliebst.", verriet ich ihr. Schließlich hatte sie nur an Interesse gezeigt, wenn der Junge gut aussah. Ihr schien die Persönlichkeit nicht viel auszumachen.
„Tu bloß nicht so, als wäre ich diejenige hier, dessen Interesse zu Jungs gleich Null beträgt.", geigte sie zurück. Nun da musste ich ihr Recht geben, doch seltsamer Weise drang das Gesicht von Anthony in mein Unterbewusstsein. Traumatisiert schüttelte ich den Kopf. Daraufhin nahm ich ein schmerzvolles Pochen hinter meinen Augen wahr. Kopfschmerzen schienen in letzter Zeit eine Devise zu sein.
„Du hast Recht. Mary, ich bin hundemüde, können wir das Gespräch auf morgen verschieben?", bettelte ich. Wohl oder übel müsste sie mich genau jetzt durchschaut haben, und mein Vorhaben voraussehen. Ausweichmanöver.
„Komm schon, ich muss noch zwei Sachen loswerden.", nörgelte Marilyn. Die Vorstellung, dass Mary gerade schmollte, war nicht schwer zu vermuten.
„Na gut, sag es mir. Erzähl mir deine Sünden.", witzelte ich. Ein Kichern ertönte in der anderen Leitung.
„Du Dussel, keine Beichte.", kicherte sie. Ich packte das Biologiebuch weg, klemmte das Telefon zwischen mein Ohr und meine Schulter und wickelte mich dann in meine grüne Decke.
„Dann erzähl es mir endlich. In letzter Zeit bist du ziemlich darauf bedacht, dass ich dir die Dinge förmlich aus der Nase ziehen muss.", sagte ich etwas gereizt.
„Schon gut, dir kann man es nicht mal spannend machen.", murmelte sie. Ein übertriebenes Seufzen ertönte aus dem Hörer. „Jearinne, bist du noch dran?", fragte sie.
„Mhm.", brummte ich.
„Jetzt hättest du mich eigentlich dazu auffordern sollen, weiter zu reden.".
„Gott, Mary! Jetzt spann mich nicht auf die Folter!", stöhnte ich genervt.
„Okay, okay.", versuchte sie mich zu besänftigen und räusperte sich kurz.
„Der Gedanke, ein Mädchen wie alle anderen zu werden, macht mich ganz kirre. Du weißt schon, eine anhängliche Zicke.", murmelte sie und schniefte. Sie weinte nicht wirklich, doch es wurde zur ihrer Angewohnheit, ihre Nase zuziehen, denn sie dachte immer dass sie gleich in Tränen ausbrechen müsste, weil die Situation es erforderte.
„Wieso solltest du? Immerhin kann ich mir nicht vorstellen, dass du eine Klette wirst. Die Jungs rennen dir doch hinterher.", erinnerte ich sie. Musste aber wohlbedacht meinen Sarkasmus unterdrücken.
„Meinst du?", fragte sie dann doch skeptisch. Ich runzelte die Stirn und hatte keine Ahnung woher diese Unsicherheit kam. Marilyn verhielt sich doch sonst nie so zurückhaltend
„Du kriegst das schon irgendwie hin mit ihm. Du verlierst sicher nicht dein Gesicht.", ermutigte ich sie.
„Schließlich kannst du das von dir behaupten. Immerhin würdest du dich niemals verstellen. Aber ich versuche immer den anderen zu gefallen. Außerdem kannst du doch gar nicht wissen, ob Jackson und ich zusammen kommen. ". Ein Stöhnen entfuhr mir aus dem Mund. Wieso verdammt nochmal, musste sie so schüchtern sein? Gerade Marilyn Connor, das Mädchen, das Angst in Bezug auf Nähe gar nicht kannte. Schließlich war sie diejenige, dessen Motivation förmlich Funken sprühten, wenn die Rede von Herausforderungen war. „Das packst du schon und deine Verführungskünste sind klasse. Gibt es schon Anzeichen auf eine Erwiderung seinerseits?". Mary lachte über meinen Spruch am Anfang. „Du und deine Ausdrucksweise.", kicherte sie. Es war manchmal ziemlich herzzerbrechend, zu wissen, dass mein Humor Mary und Phil glücklich machte. Seit den letzten Jahren kamen nicht viele solcher Sprüche aus meinem Mund. Sehr selten sogar. Schließlich brodelte in mir nicht mehr die Leidenschaft, coole und witzige Sätze zu zitieren. Es ließ nach. Aber bei solchen Themen, wie Jungs, versuchte ich nun mal Interesse vorzutäuschen. Ich wusste, dass es kein guter Ausgleich zu meiner Distanzierung war.„Er hat mich eingeladen, zusammen mit ihm auf das Schulfest zugehen.", quiekte sie. Okay, ganz ehrlich, ich war mir meiner Desinteresse bewusst, aber es ließ sich nicht vermeiden. Trotzdem freute ich mich für meine Freundin, minimal, weil ich nicht wusste was wirklich gut daran war. Daher ich nicht wieder wollte, dass sie verletzt wurde. Die frühere Jeara hätte gelacht, einen Spruch wie 'Du lässt es aber ganz schön krachen in seinem Kopf' gesagt. Sei hätte gejohlt, wie wenn ein Footballer einen Touchdown hinlegte und die Zuschauer in Gebrüll und Gejohle einstiege. Die frühere Jeara hätte für jede erdenkliche Situation einen flotten Spruch parat. Doch die Jeara jetzt konnte nur grinsen. „Das freut mich. Wann hat er dich das gefragt?". Sie erzählte mir noch etwas über den Moment in der Pause, wo die beiden sich unterhalten hatten, bis mir wieder die Kopfschmerzen zu Kopf stiegen. Tabletten nahm ich nicht gerne. Meine Paranoia ging etwas mit mir durch. Denn ich dachte immer, wenn ich Tabletten nehmen würde, keine Kontrolle über mich selber zu haben.
„Okay, ich glaube das reicht für heute.", sagte ich. Marilyn seufzte.
„Na gut, aber du musst mir zuerst auch dein Geheimnis verraten.".
Zuerst blinzelte ich verdattert. Wovon war die Rede denn jetzt? Ich wartete bis sie weiter plapperte, meine Freundin wiederum war leise und ich hörte nur ihren Atem. Die Verwirrung war mir bestimmt ins Gesicht geschrieben, sowie ich jetzt wartend an meiner Bettdecke zupfte und den Hörer ansah. Was meinte sie denn damit? „Ich verstehe nicht ganz was du meinst.", mein Bewusstsein war wirklich nicht im Begriff worauf sie hinaus wollte.
„Du bist an der Reihe mich nicht mehr auf die Folter zu spannen. Also, war es Liebe auf den ersten Blick?!". Was? Was redete sie da von Liebe auf den ersten Blick? Warte... Sie glaubte nicht wirklich, ich hätte mich in Anthony verliebt?
„Ich liebe ihn nicht:", sagte ich beherrscht und empfand dabei ein Gefühl, dass in mir eine unbändige Unruhe weckte. Warum zog sich mein Magen so unangenehm zusammen?
„Aha! Dann weißt du von wem ich rede, hab ich Recht?". Ihr Lächeln war bereits heraus zu hören.
„Selbst wenn es so wäre, was nicht stimmt, wären du und Phillip, mich natürlich mit einbezogen, doch überhaupt nicht zufrieden mit dieser Kenntnis.".c
„Wieso sollten wir, du und Ethan wärt zusammen ein perfektes Paar", sagte sie fröhlich. Meine Gesichtszüge entglitten mir. Sie meinte Ethan. Scheiße. 'Ach so, der! Ich wusste nun wirklich nicht welchen Typen du meinst! Es waren so viele in letzter Zeit. Zählen meine Plüschtiere?', das würde mir unvermeidlich auf der Zunge liegen, wäre ich noch wie damals. Heute jedoch konnte ich nur schlucken und warten. „Wen dachtest du, meinte ich?",fragte Marilyn irritiert. Stille. Und dann ein Laut von Luft, das durch die Zähne gesogen wurde. „Meinst du Anthony?!", zischte sie.
„Um Gottes Willen, nein!", schoss ich sofort zurück. Wieso aber fühlte ich mich dann ertappt. Immerhin konnte ich Tony, so wie ihn alle anderen nannten, nicht ausstehen. Wirklich nicht, da gab es keinerlei Zweifel. Trotzdem, wie weh das meinem Stolz auch tat, musste ich mir eingestehen, dass er irgendwas mit mir machte, ich jedoch nichts hinein interpretieren konnte.
„Na, wen dann?“, fragte sie sichtlich erleichtert. Okay, wer könnte es sein. Oh, da fiel mir ein Name ein, wofür ich mir richtig in den Hintern treten konnte, als sich ein schönes Gesicht in meinem Kopf bildete. Grüne Augen, braune Haare. Murphy.
„Ehm, M-murphy.“, stockte ich. Immerhin keiner von den Seattlers. Es wurde ungewöhnlich still am anderen Ende. Marilyn lachte gequält. „Du stehst doch nicht auf ihn, stimmt's?“, fragte sie vorsichtig. Um Gottes Willen, Nein! Bestimmt nicht.
„Nein, ich dachte mir nur, dass er der erste Junge von allen für mich war, wer anderes ist mir nicht eingefallen.“, log ich. Und log, und log. Ein Glück log ich gut, sonst wäre ich schon lange aufgeflogen.
„Oh, gut. Einen Moment dachte ich du meinst Munroe.“, sagte sie bitter. Ich schluckte schnell. So war es auch. Doch laut aussprechen würde ich es nie in meinem Leben.
Trotzdem, er war hundeelend gemein zu mir und widerlich, für so Etwas interessiert man sich doch nicht. „Sieh dir mal seine Augen an. Unheimlich. Einer der Gründe ihn in den Wind zu schießen.“, sagte sie altklug und ich hörte es schaben. Anscheinend feilte Marilyn sich die Nägel.
„Das habe ich nicht vergessen. Außerdem wem sollten diese Augen den entgehen? Und wir sind nicht zusammen, das passt das “ in den Wind schießen“ nicht.", erwiderte ich trocken, doch ich klang nicht so verbittert, wie ich es wollte.
„Was auch immer. Du hast was Besseres verdient.".
„Merk dir eins, sollte ich Anthony irgendwann lieben, erschießt du mich. Außerdem bin ich wirklich müde. Ich muss noch ein bisschen lernen. Danach schlüpfe ich ins Bett wir sehen uns morgen in der Pause.", bevor sie was sagen konnte kam ich ihr zuvor. Man konnte nie wissen,was ihr noch so alles durch den Kopf ging, bevor sie den Anhang fand, um mit einer neuen Konversation anzufangen. „Gute Nacht.", ich legte auf und war erleichtert sie los zu sein. Für heute. Morgen würde sie mich mit Fragen löchern. Was mir schon immer richtig auf den Geist gegangen war. Nur, wieso musste sie dieses Thema jetzt ansprechen. Mal ehrlich. Ich und Anthony? Ungläubig schüttelte ich den Kopf und packte mein Biologiebuch wieder aus. Wenn ich Marilyn schon vorgegaukelt hatte, dass ich noch für die Arbeit büffeln würde, sollte ich lieber keine Lüge draus machen. Nachdem ich noch eine Stunde gelernt hatte verstaute ich meine Sachen in meinem Rucksack und hüpfte müde auf mein Bett. Ich schloss meine Augen und wollte sie nicht bevor der Wecker seinen Alarm auslöste öffnen. Doch das Glück stand nicht auf meiner Seite. Wieder mal.

Als ich mitten in der Nacht aufwachte, war ich Schweiß gebadet. Ich hatte einen Albtraum gehabt. Mein Atem ging in hohen Stößen und verlief unregelmäßig. Der Versuch mich selber zu beruhigen scheiterte jedoch, weil ich zu aufgebracht und ängstlich war. Mein Nacken fing schmerzlich an zu brennen und zu jucken, vergeblich versuchte ich es mit zitternden Fingern zu kratzen. Doch das verschlimmerte die Schmerzen reichlich mehr. Warum, warum hörte das nicht auf? Langsam machte selbst ich mir Sorgen, an Schlafmangel zu leiden. Die Bilder waren immer noch scharf in mein Gedächtnis eingeprägt. Unbeholfen wischte ich mir den Schweißfilm vom Hals. Meine Hand zitterte. Plötzlich blendete mich helles Licht und ich wich erschrocken zurück. Mason stand voller Sorge an der Türschwelle und schnellte rein. Bevor ich mich versah, saß er neben mir und streichelte mir über die Haare. Seine Augen trieften vor Sorge und Überraschung. Doch die Müdigkeit, die in seinen Augen zu lesen war, übersah ich keineswegs. Wie oft, hatte ich ihn und Michael jetzt aus dem Schlaf gerissen?
„Alles ist in Ordnung. Beruhige dich. Ich bin bei dir.", sorgsam streichelte er mir über den Rücken, massierte die Narbe auf meinem Nacken, sodass das Brennen verging. Er wusste wie man mich beruhigen konnte, schon seit er hierher gezogen war, massierte er ständig meinen Nacken. Ich atmete wieder regelmäßig, aber die Angst verflog nicht. Der Unfall hatte sich wieder in meine Träume geschlichen. Ich konnte mich nicht beruhigen. Ich wollte mich nicht beruhigen. Am Türrahmen stand Michael, noch in Freizeitklamotten und Tasche um die Schulter. Wissend und wehmütig, verschränkte er die Arme vor die Brust und lehnte sich leicht an die Tür.
„Du hast wieder davon geträumt.", stellte er fest, als eher zu fragen. Nämlich meine Brüder wussten nur allzu gut darüber Bescheid. Es wollte mich nicht loslassen. Die Albträume verfolgten mich schon seit drei Jahren. Wie wäre das auch möglich, dass sie mich in Ruhe ließen. Man konnte nun mal nicht vergessen, dass man seine Eltern getötet hatte.

Es war der sechste September und ich wartete aufgeregt auf meine Eltern. Sie mussten ja unbedingt zu spät kommen. Viele der Kinder wurden schon abgeholt und winkten zum Abschied und ich winkte ihnen mechanisch zurück. Ich zog mein Kinn an die Brust,, weil mir so kalt war. Da half nicht mal der Schal. Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf den Boden. So sauer war ich. Als ich von der rechten Seite Scheinwerfer bemerkte, drehte ich mich zu ihnen um. Der silberne Mustang hielt vor mir an und meine Mom sprang raus und schaute mich mit eine schuldbewussten Miene an. Ich schaute beleidigt in die andere Richtung, doch da schlang sie mir die Arme um den Bauch und hob mich hoch. Oh man, wie sollte ich wütend sein, wenn ich sie doch so sehr vermisst hatte.
„Tut mir leid, dass wir so spät dran sind. Der Stau war Schuld.", seufzte sie und ich hatte sie so sehr vermisst, dass ich gar nicht wütend sein konnte und erwiderte ihre Umarmung. Schließlich setzte sie mich ab und lächelte mich an. Ich lächelte zurück, und da erschien auch schon mein Dad neben ihr und nahm ich auch in die Arme, aber nicht so stürmisch wie meine Mom. Er küsste mich auf meinen Haarscheitel.
„Schön dich wieder in den Armen halten zu können, Mulan.“, lachte er liebevoll und strich mir meine Haare hinters Ohr. Mein Papa sagte immer, ich sei so königlich und mutig wie Mulan.
„Finde ich auch. Ich hab euch auch vermisst. Aber lasst uns bitte ins Auto steigen ich erfriere hier noch und dann müsst ihr meine frostigen Füße vom Boden abkratzen.". Schließlich fuhren wir und da fiel mir was ein erschrocken schnappte ich nach Luft.
„Wir müssen zurückkehren. Der Pullover denn mir Mason an Weihnachten geschenkt hat habe ich dort vergessen.".
„Wir sind gleich auf der Autobahn. Ich kauf dir in Boston einen neuen.", versprach mein Dad.
„Nein ich will den Pulli von Mason. Bitte, Daddy, lass uns ihn holen.".
„In Boston gibt es reichlich genug Pullover in dieser Art.", versuchte meine Mutter es mir reinzureden.
„Aber diesen Pullover habe ich von Mason geschenkt bekommen. Nur für mich. Ach, komm schon, Daddy!", bettelte ich weiter und setzte einen Schmollmund auf, als er skeptisch in den Rückspiegel zu mir sah.
„Da ist der Aufdruck von meiner Lieblingsband drauf!", versuchte ich weiter.
„Du kannst einen neuen Pullover haben und einen neuen Aufdruck drauf.", mischte sich meine Mutter ein.
„Ihr seit die besten Eltern des Universums.", ich schob meine Unterlippe vor und ließ sie beben.Hoffentlich fielen sie auf mein Schauspiel ein. Erfolgreich. Mein Vater gab einen Seufzer von sich und kehrte um. Dabei überkam mich Erleichterung, doch irgendwie legte sich ein mulmiges Gefühl in meinem Magen breit. Schleunigst unterdrückte ich diese aufkommende Angst. Von was sie auch kommen mag, es war nichts Gutes. Ich schluckte trocken. Wir fuhren ja nur zurück um den Pullover zu holen, würden uns dann wieder auf den Weg Nachhause machen. Würde schon alles schief gehen, redete ich mir ein. Nachdem wir ihn geholt hatten, saß ich glücklich auf dem Rücksitz. Wir fuhren jetzt auf die Autobahn. Die Bäume rasten mit einer hohen Geschwindigkeit an uns vorbei. Sahen in der Finsternis aus, wie Gestalten dessen Arme nach vorne gestreckt waren. Als wollten sie uns packen. Ich kuschelte mich an den Pullover dran. Er roch immer noch etwas nach Mason. Den Pulli hatte ich seit dem Mason ihn mir geschenkt hatte, nicht in die Reinigung getan. Daher er die Größe von Mason hatte, war er mir deshalb viel zu groß. Bevor er ihn mir gegeben hatte, sagte er mir.
„Ich habe ihn Tage und Nächte getragen, also erfreue dich an meinem Geruch. Das hattest du ja vermisst, Süße.", darauf hin hatte er mir einen Kuss auf den Scheitel gegeben. Das traurigste war, als er umzog, denn er und ich hatten ein sehr besonderes Verhältnis gehabt. Zwar blieb Michael noch Zuhause, aber er und ich hatten nicht so ein enges Verhältnis wie Mason und ich. An jedem Weihnachtstag und Thanksgiving kam er uns besuchen und brachte mir, Michael und unseren Eltern die Außergewöhnlichsten Geschenke mit. Mein Liebling war sein Pulli. Auf einmal blendeten mich Lichter die aus dem Nichts kamen. Scheinwerfer. Mein Vater wich erschrocken nach links ab, doch der Fahrer in der entgegenkommenden Richtung, tat genau dasselbe. Mein Bewusstsein berichtete mir schon vor dem Aufprall, was passieren würde. Unser Wagen krachte mit voller Wucht gegen das andere Auto. Ich wurde nach vorne geschleudert, doch der Gurt drückte sich hart und schmerzlich gegen meinen Brustkorb. Schepperndes Glas war zu hören, vorne und hinter mir. Etwas Spitzes streifte tief meinen Nacken. Dann umgab mich tiefe Schwärze.



Heute wollte ich mit meinem Fahrrad zur Schule fahren. Doch zuerst musste ich Mason dazu überreden. Manchmal konnte er ziemlich dominant werden, wohl oder über wollte er den Vater raus hängen lassen.
„Ich kann dich doch auch zur Schule fahren. Mit dem Fahrrad kommst du nur langsam voran.", Mason bestand darauf, dass er mich zur Schule fuhr, doch ich wollte alleine sein und außerdem stand mein Fahrrad lose im Hintergarten.
„Ich will aber mit meinem Fahrrad zur Schule radeln. Bitte, Mason.".
„Aber mit dem Auto kommst du viel früher an. Das Fahrradfahren würde dich doch überanstrengen.".
„Nein würde es nicht. Ich bitte dich Mason es steht sowieso nur im Hintergarten.". Er schien nachzudenken. Einen Moment glaubte ich er würde Nein sagen, doch dann gab er ein Seufzen von sich und nickte. Daraufhin gab ich ihm einen Kuss auf die Wange und schnellte hoch in mein Zimmer um meinen Fahrradschlüssel zu holen. Als ich die Tür aufstieß wehte mir Wind ins Gesicht. Der Schlüssel lag auf meinem Schreibtisch. Da wollte ich schon raus gehen, doch auf einmal wurde mir etwas klar. Wie konnte mir Wind ins Gesicht wehen wenn keine Fenster offen standen? Kurz bevor ich runter gegangen war, hatte ich meine Fenster geschlossen. Dessen war ich mir zu hundert Prozent sicher. Ich drehte mich in die Richtung meines Schreibtisches um. Das Fenster war geschlossen. Merkwürdig. Langsam ging ich zum Fenster, auf alles bedacht. Es konnte auch vom Schwung kommen sein, als ich die Tür aufgerissen hatte. Ich schlich zum Fenster, als würde ich erwarten, dass da jemand oder etwas raus springen würde und mich überfallen würde. Sogleich fand ich den Gedanken schwachsinnig und schüttelte den Kopf. Als ich au dem Fenster starrte, blickte mir nur unser Garten entgegen. Gerade wollte ich aus dem Zimmer laufen, bis mir ein beißender Geruch in die Nase kroch. Mechanisch fasste ich mir an die Nase und hielt es mit meinem Zeigefinger und Daumen zu. Der Geruch von verfaultem und verwestem wehte mir ins Gesicht. Plötzlich nahm ich eine schwarze Bewegung vom Augenwinkel wahr. Es atmete. Panik breitete sich überall in meinem Körper aus und drückte schwer in meiner Kehle. Ein Hauch traf meinen Nacken, und ein Schmerz durchlief meinen Rücken entlang. Die Narbe stach schmerzvoll an meine Haut. Ich konnte mich...nicht...bewegen. Wie erstarrt. Als hätte man mir ein Eimer eiskaltem Wasser über den Körper gegossen. Was zum...?
„Jeara, wenn du schon mit dem Fahrrad zur Schule fahren möchtest, solltest du los.", befahl Mason. Ruckartig drehte ich mich um und erblicke meinen Bruder in der Tür. Drängend sah er mich an. Ob mir die Angst oder das Schrecken ins Gesicht geschrieben war, wusste ich nicht. Doch das ganze Adrenalin musste ausgeladen werden. Meine Hände ballte ich zu Fäusten, um das Zittern in den Fingern zu vertuschen. Ich machte kehrt, rannte an ihm vorbei, zwar rief er mich noch etwas hinterher, verstand jedoch nichts, wegen der Angst die sich um meinen Hals gelegt hatte, was mir unweigerlich das Atmen erschwerte und stieß die Tür zum Garten auf. Wie eine Verrückte rüttelte ich am Schloss, daher meine Hände zitterten und es mir erschwerten, den Schlüssel einzustecken. War da jemand im Zimmer? Was war bloß dieser Gestank, der sich überall im Raum verteilt hatte?


Ich fuhr den ganzen Weg lang in Gedanken versunken. Mal drehten sie um das Geschehen in meinem Zimmer oder die Klassenarbeit. Ob ich die Bioklausur problemlos schreiben könnte? Ja das würde ich. Nicht mehr lange dann würde ich an der Schule ankommen. Ich bog rechts ab in den Wald. Der Boden wo ich eben gefahren war, war jetzt nicht mehr so glatt, er war überseht mit Kieselsteinen, weswegen das Fahrrad beim fahren rüttelte. Der Wald raste an mir vorbei und ähnelte einem farbigen Wirbelwind. Die Bäume hatten alle wieder Farbe angenommen und leuchteten in den verschiedensten Tönen. Grün, Gold, Rot und ein sattes Orange. Verträumt sah ich mich um. Aber was war das, irgendwas Schwarzes huschte vorbei. Bildete ich mir das nur ein? Doch dann sah ich es wieder. Ich suchte den Wald danach ab. Ließ meinen Blick über jeden Baum, jede Pflanze schweifen, verlor fast die Kontrolle gewann sie aber zurück. Plötzlich huschte es vor meiner Nase. Schließlich war es um mich geschehen und ich ließ vor Schreck das Lenkrad los.
„Nein, nein, nein!", ich krachte gegen einen Baum und fiel nach vorne, vom Sattel. Die Augen fest zusammen gekniffen, bereit für den Sturz, der mir unweigerlich bevor stand. Mein Ellbogen schleifte auf dem Boden und ein stechender Schmerz breitete sich auf meinem Arm aus. Meine Knie knallten auf den Boden. Da fiel ich auch noch auf mein Gesicht und meine Stirn prallte mit einem Stein zusammen. Ich jaulte auf und setzte mich auf. Ich schlang meine Arme um meine Knie und wartete bis der Schmerz ein wenig nachließ. Ein Schrecken durchfuhr mich, als mir das Ereignis in meinem Zimmer einfiel. Der schreckliche Geruch, den ich auch in meinem Zimmer wahrgenommen hatte, breitete sich um mich aus. Dadurch brannten meine Augen und ich musste niesen. Ich drehte meinen Kopf in alle Richtungen, auf der Hut nach dem schwarzen Ding. Ob es auch in meinem Zimmer war? Ein Kloß legte sich in meinem Hals breit und verweigerte mir kurz die Luft. Was war das? Doch schlimmer war, es hatte mich angepustet. Auf alles vorbereitet, hob ich die Fäuste, die jedoch vor Angst zitterten. Der miese Geruch verschwand, den ich bis eben noch wahrgenommen hatte. Eine Weile blieb ich noch sitzen, erholte mich vom Sturz. Schließlich war ich mir sicher, dass dieses „Ding" weg war und stand auf und humpelte zu meinem Fahrrad, doch ich knickte sofort wieder ab und hielt mich an einem Ast fest, dass auf dem Baum ragte an das ich dran gefahren war.
„Au!", japste ich auf und versuchte langsam zu meinen Fahrrad zu gehen, doch als ich sah wie beschädigt es war klappte mir die Kinnlade runter. Das Vorderrad war total verbogen und das Lenkrad war ab gefallen. Das war jetzt nur noch Müll. Ich schaute auf meine Armbanduhr. 8:15. Ich würde ungefähr, in diesem Tempo, 10 Minuten brauchen um an der Schule anzukommen. Ohne Motivation machte ich mich auf den Weg, wohl eher humpelte ich dorthin. Mein Fahrrad ließ ich dort liegen. Viel Unterschied machte es gar nicht, das Fahrrad war vor dem Sturz, sowieso schon ein halber Schrotthaufen, nur jetzt gehörte das Ding endgültig in den Müll. Während ich zur Schule humpelte, dachte ich über dieses „Ding" nach. Ich fragte mich immer noch was das war. Das merkwürdigste war aber, dass es sich vielleicht sogar in meinem Zimmer hätte befinden können. Könnte ja aber sein, dass es reine Einbildung war. Ich versuchte mir darüber nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich behielt es in meinen Hintergedanken, immerhin stand mir eine Klausur bevor. Wo die Schule endlich in Sichtweite war, überkam mich heitere Erleichterung. Aber meine Knie und meine Stirn pochte immer noch vor Schmerzen, dass ich glaubte gleich um zu kippen. Mein Ellbogen schmerzte so sehr, dass ich glaubte er würde mir gleich ab fallen. Mit einem Taschentuch hatte ich mir mein Blut weggewischt, aber die Wunden waren auf jeden Fall zu sehen. Ich humpelte in Richtung Schultor. Dass mir dieser Unfall passierte, bewies mir, dass das Universum mich hasste. Nun bemerkte ich, dass mir alle amüsierte Blicke zu warf. Sie machten sich lustig über mich. Ich ignorierte die fiesen Blicke und lief stur zu den Treppen. Wollte ich die Aufmerksamkeit nicht verringern? Da umfassten mich zwei Arme und schlangen sie behutsam um meine Taille und zogen mich ein wenig hoch. Ich wandte mein Gesicht so, dass ich sehen konnte wer mir da zur Hilfe eilte. Rote Augen blickten mir entgegen. Anthony. Er schaute mich mitfühlend an, aber ich konnte auch etwas Belustigtes drin sehen. Mich überkam große Lust ihn zu hauen, doch ich beherrschte mich und blickte ihn finster an und wollte mich aus seinen Armen wenden doch er ließ mich nicht los. Er hat dich und deine Eltern gedemütigt, wieso lässt du das zu?
„Was ist passiert?", fragte er, klang irgendwie besorgt, oder vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Jedoch hatte ich auch Spott in seiner Stimmer herausgehört. Mir stieg die Röte wieder ins Gesicht, doch diesmal nicht weil ich eingeschüchtert war. Sondern er hatte ein Feuer in mir entfacht, das mich so überrumpelte, dass ich dachte zu verbrennen. Wie als wäre Anthony ein Feuer, mit dem ich spielte. Bei dem ich mich leicht verbrennen und verletzen konnte. Diesmal wand ich mich, weil mich etwas Warmes umgab. Was auch immer das war, es fühlte sich merkwürdig gut an.
„Das geht dich einen feuchten Dreck an.", keifte ich ihn an. Daraufhin erntete ich ein schelmisches Grinsen von Anthony. Während er mir Halt gab, trotteten wir die Stufen hoch. Ich kam mir in dieser Position ziemlich blöd vor. Blöder Anthony. Blöder Anthony, der mir immer hasserfüllte Blicke zuwarf, mich fertig machte und plötzlich aus heiterem Himmel beschloss, mir zu helfen. Seltsam. Endlich kamen wir in der zweiten OG an. Die ganze Zeit hatte ich seinen Atem auf meiner Haut gespürt, diese Arme, die mir Halt gaben. Wieso in Gottes Namen, ließ ich es zu?





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