Autor: Aline
veröffentlicht am: 29.07.2013
Tach, würde gerne eure Meinung zu diesem Anfang hören. Top oder Flop?
Er atmete aus und ließ seinen Blick noch einmal über die Landschaft gleiten, bis hin zum Horizont, wo die Sonne gerade ihre letzten, blutroten Strahlen versandte, bevor sie untergehen würde; in einer halben Stunde vielleicht. Er holte noch einmal tief Luft, spürte das Kitzeln der sommerlichen Pollen in der Nase.
Es war ein wunderschöner Abend, ein romantischer Abend. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, es war angenehm warm. Nur eines störte: Das unangenehme Geräusch der Autobahn unter ihm, wo die Autos mit mehr als hundert Kilometern pro Stunde entlangrasten.
Aber diese kleine Störung musste sein, denn sie war notwendig. Sie bereitete ihn auf den unmittelbar bevorstehenden Aufprall vor, auf das Auslöschen seines Lebenslichts. Ja, es war ein schöner Abend zum Sterben.
Er schaute noch einmal um sich. Die Brücke war leer, keine Fußgänger, keine Autos. Fast so, als ob sie alle von seinem Vorhaben gewusst hätten und ihm den Weg erleichtern wollten.
Er schloss noch ein letztes Mal die Augen, streckte ein Bein nach vorne und-
„Oh mein Gott!“
Das Bein winkelte sich wieder an, sein Kopf fuhr herum.
Auf dem Bürgersteig, gut drei Meter von ihm entfernt, verharrte wie angewurzelt eine junge Frau. Ihr stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben, ihre zwei Einkaufstaschen von Esprit lagen auf dem Gehweg.
„Mein Gott, nicht springen!“, rief sie mit weit aufgerissenen Augen, blieb aber immer noch stehen, als hätte sie Angst, er würde es tun, sobald sie näher kam.
Er erwiderte ihren Gesichtsausdruck mit einem unsagbar traurigen Blick.
„Bitte...nichts kann so schlimm sein, dass man sich deswegen umbringen muss.“ Sie hob wie beschwichtigend beide Hände.
Er schaute auf die Autobahn unter sich, dann wieder zurück.
„Geh weiter“, sagte er heiser. „Du kennst mich doch gar nicht.“
Sie ignorierte den zweiten Satz und trat etwas mutiger einen Schritt vor.
„Bitte tu’s nicht. Vielleicht kann ich dir helfen, was auch immer dein Problem ist!“
Er schaute sie ungläubig an, schüttelte den Kopf und hob wieder ein Bein.
„NEIN!“ Ihr markerschütternder Schrei ließ ihn zusammenzucken.
Er drehte ihr wieder den Kopf zu und bemerkte dabei, dass die Straße immer noch wie leergefegt war.
„Warum willst du mir helfen?“, fragte er verständnislos.
Sie schien fieberhaft nach einer Antwort zu suchen, schaute dabei unruhig umher.
„Weil…weil jedes Leben wertvoll ist“, sagte sie dann und schaute ihn flehend an.
Sie meinte, in seinem Gesicht eine Spur von Bewegung zu sehen.
Er schaute noch einmal auf die Fahrbahn unter der Brücke und dann wieder in ihr Gesicht. „Wirklich?“
Sie nickte heftig. „Aber bitte komm da runter.“
Ihr fiel ein riesiger Stein vom Herzen, als er ihrer Bitte Folge leistete und von dem Geländer runterstieg.
„Mein Gott“, stieß sie hervor. Sie merkte, wie ihre Knie weich wurden, aber sie durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Dieser arme Mensch brauchte Hilfe.
Sie ging auf ihn zu, nahm seinen Arm. „Komm mit mir.“
Ihr fiel auf, dass er nicht älter sein konnte als sie. Vielleicht Anfang zwanzig. Während sie ihre Tüten einsammelte, stellte sich ein plötzliches Hochgefühl ein. Sie hatte soeben ein Menschenleben gerettet! Diese Erkenntnis gab ihr einen heftigen Adrenalinschub, ohne den sie wahrscheinlich selbst zusammengebrochen wäre.
Er ergriff den ihm dargebotenen Arm und ließ sich von der jungen Frau zu ihrem Auto führen.
Als beide drinsaßen, schaute sie ihn besorgt an. „Wie heißt du?“, fragte sie, um ein Gespräch anzufangen.
„Peter.“
„Ich bin Juliana.“ Auf ihrem süßen Gesicht erschien ein leichtes Lächeln, er erwiderte es zögerlich.
Während sie zu ihrer Wohnung fuhren, betrachtete Juliana den ungewohnten Beifahrer von der Seite. Sie hatte schon viele gutaussehende Männer gesehen, aber dieser hier war von einer ganz besonderen männlichen Schönheit. Er hatte glänzendes schwarzes Haar und intensivgrüne Augen, die in einem symmetrischen, attraktiven Gesicht lagen. Seines Aussehens wegen hatte er sich also nicht umbringen wollen können.
Ihre kleine Wohnung lag nur ein paar Straßen weiter. Als sie das Auto am Straßenrand parkte, war die Sonne bereits untergegangen und wurde durch Laternen ersetzt.
Julianas Wohnung war klein, aber gemütlich. Das fiel ihm gleich beim Eintreten auf.
„Ich mach uns etwas zu trinken, setz dich aufs Sofa“, sagte sie und verschwand in der Küche.
Wie ging man bloß mit jemandem um, der sich vor wenigen Minuten von einer Brücke stürzen wollte?
Sie hoffte nur, dass er währenddessen nicht aus dem Fenster sprang oder so was. Als er in die offene Küche trat und ihr dabei zusah, wie sie Orangensaft in zwei Gläser füllte, verschwand diese Befürchtung. Er sah aus wie jemand, der reden wollte.
„Du hast bestimmt Durst“, sagte sie, ohne recht zu wissen, wie sie darauf kam.
Er beobachtete Juliana, während sie eine Zitrone in Scheiben schnitt. Wie rührend, wie mitfühlend diese nette Person doch war.
„Ja…hab ich“, antwortete er schlicht. „Danke.“
Bevor sie antworten konnte, ertönte die Hausklingel.
Juliana ließ vor Schreck das Messer aus der Hand fallen, fing sich aber schnell. „Oh, das muss meine Schwester Anna sein, sie wollte heute Abend vorbeikommen.“
Sie schaute einen Moment etwas ratlos auf ihre Hände voller Zitronensaft, wandte sich dann ihm zu. „Äh…kannst du vielleicht eben auf den Türöffner drücken? Ich kann gerade schlecht.“
Er nickte, ging jedoch nicht zur Tür, sondern griff nach einer leeren Blumenvase auf der Spüle. Juliana stand mit dem Rücken zu ihm und nahm an, dass er die Tür öffnete. Deswegen sah sie ihn nicht, hörte die sich nähernden, leisen Schritte nicht, sondern spürte nur den Schmerz, als die Vase auf ihrem Kopf zerbrach.