Autor: Noa
veröffentlicht am: 15.07.2013
Kapitel 6
„Okay, einen Moment, Crystal. Du kannst deinen Bruder und deine Mutter nicht verlassen“, sagte ich zum Teil wütend. Ich hatte mich wieder zum Fenster gewandt und überlegte auch meine beste Freundin dadurch in Gefahr zu bringen. Sie wusste genau, dass wir uns am Krieg beteiligen würden.
„Aber ich halte es hier nicht mehr aus! Ich schicke Mutter und Hero zu euch ins Schloss. Deine Mutter würde sich über ihren Aufenthalt sicherlich freuen. Bitte, Ice, nimm mich mit!“
Ich sog Luft auf und wollte etwas sagen, als Hero im Türrahmen stand und seine Schulter an ihm abstützte. „Du willst gehen?“, fragte er seine Schwester und zog beide Augenbrauen zusammen.
Sie senkte den Kopf, als ob sie von sich selbst enttäuscht wäre, solch eine irrsinnige Idee gehabt zu haben. Dennoch kannte ich Crystal zu gut. Das Mädchen war stur und ehrgeizig.
„Mein Entschluss steht fest.“
Hero blickte zu mir, als ob er mir für all das die Schuld geben wollte. Jedoch lockerte sich seine angespannte Stirn und seine Lider senkten sich. „Bist du dir da sicher, Ice?“
Ich schaute zu Crystal. Warum musste ausgerechnet immer ich in der Zwickmühle stehen? Wenn ich nein sagte, wäre Crystal furchtbar sauer, anderseits würde auch Hero kein Wort mehr mit mir sprechen wollen, wenn ich mit ja antwortete. Also beschloss ich mich aus der Zwickmühle zu befreien.
„Ihr seid Geschwister und eine Familie. Ihr müsst wissen, was gut für euch ist. Mir kann sich jeder anschließen. Ich werde nicht diejenige sein, die jemanden abhält, geschweige denn, ihn zwingt mit mir mitkommen zu wollen.“
Anschließend lief ich an Hero vorbei und sprintete nach unten.
„Frau Cavalenia, ich möchte euch diesen Brief geben“, sagte ich und gab ihr einen Umschlag mit dem Siegel unseres Hauses. „Es ist ein Einverständnis, das Ihr unser Anwesen besuchen dürft und wenn Ihr es auch möchtet, für eine Weile dort wohnen könnt. Meine Mutter freut sich sicher über Euren Besuch.“
Sie lächelte mich an und fuhr mit ihren Fingern über das Siegel. Anschließend blickte sie mich an. „Ich danke dir.“
Blue und Stone hatten es sich hinter mir auf dem Sofa vor dem Kamin gemütlich gemacht. Auch wenn ein Vampir das Gefühl gemütlich, sowie kalt oder warm nicht mehr kannte, hatte jeder noch seine menschlichen Vorblieben.
„Es tut mir auch sehr leid Euch zu sagen, dass wir euch heute Abend verlassen werden. Wir werden uns ausruhen, wenn Ihr erlaubt.“
Sie nickte und verschwand nach oben in ihre Gemächer. Ich gesellte mich zu Blue und Stone, die ununterbrochen miteinander sich unterhielten. „Über was sprecht ihr zwei die ganze Zeit?“
„Über Blues Erlebnisse im Krieg“, antwortete Stone und seine Augen funkelten wie ein Diamant. Tief in seinem Inneren wollte er diese vier Jahre auch erlebt haben. Aber er konnte nicht wegen Mutter und auch wegen seiner Schüchternheit. Er war mutig und kampffähig, aber selbst Vater wollte ihn im Anwesen lassen.
„Was war denn das Schlimmste, was du erlebt hast?“, fragte ich ihn und graue Augen musterten mich eindringlich.
Er schaute ins Feuer und versuchte seine Erinnerung hervorzurufen. „Hast du schon mal gesehen wie ein Menschendorf aussieht, nachdem man es massakriert hat und anschließend die Leichen zu einem Stapel geworfen hatte? Das war das Schlimmste was ich jemals sah. Zwischen ihnen war viel Staub. Auch Vampire wurden dort getötet. Überall war Blut, ein fürchterlicher Gestank und die schrillen Schreie, die sich ständig in meinen Ohren wiederholten.“
Seine Worte waren sehr gefühlvoll. Als ob er erneut vor ihnen stehen würde, jedem Einzelnen in die Augen sah und bemerkte wie grausam der Krieg war. Mich schauderte es. Allein der Gedanke so viele Tote gesehen zu haben, so viel Leid ertragen zu müssen und zu sehen wie Familie und Freunde starben. Deshalb wollte ich so schnell wie möglich Snow finden, ihm sagen, dass er zurückkommen mochte und wir endlich diesen Krieg beenden sollten. Aber bis ich endlich seine Nähe spüren konnte, dauerte eine Weile. Ich wusste, wenn wir ankamen, dass er dort nicht aufzufinden war, sondern, eventuell mit viel Glück, nur ein kleiner Hinweis zurückgeblieben war.
„Hast du dich dadurch verändert?“, fragte ich.
Er nickte zögernd. „Man kann sich jeden Tag verändern.“
Ich ließ meinen Rücken zurück ins Sofa fallen und schloss die Augen. Meine Gedanken kreisten um Snow. Ich rief seine Umarmungen, Küsse und Zärtlichkeit hervor. Dabei wurde meine eiskalte Haut erwärmt und ich fühlte mich seit Langem wieder wohl. Aber ich vermisste ihn so schrecklich sehr, dass meine Einsamkeit wieder alles zerstörte. Ich wollte alles so schnell wie möglich vorbei haben.
„Ice? Kommst du mal?“, rief Hero plötzlich und ich sprang aus dem Sofa. Zuerst musterte ich ihn, kam jedoch seiner Bitte nach.
Als ich vor ihm stand, begann er die Arme zu verschränken und sein Gesicht nervös anzuspannen. Es musste wichtig sein.
„Ich habe vorgehabt, meine Mutter zu deinem Anwesen zu schicken. Sie soll dort auf unsere Rückkehr warten.“
Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Unsere?“
Er nickte entschlossen. „Ich möchte Crystal begleiten. Ich weiß, dass du nach Snow suchst.“
Ich wusste nicht wirklich ob ich ihm Glauben schenken sollte. Schließlich war er damals darauf wütend, das ich mich für Snow entschied und nicht für ihn. Es musste also einen anderen Grund haben, warum er unbedingt, oder besser gesagt, freiwillig mitkommen wollte.
„Also schön. Ich hatte es ja schon einmal erwähnt, wer mitkommen möchte, kann sich mir gern anschließen. Ich werde auch niemanden in meiner Nähe behalten wollen. Du kannst jeder Zeit auch wieder gehen.“
Ich sagte es, damit er sich nicht gezwungen fühlte. Hero in meiner Gruppe willkommen zu heißen, war ein besonderes Geschenk. Seine Gabe könnte überaus nützlich sein. Er konnte Elemente beeinflussen. Aber seine Grenzen basierten nur auf Wasser, Feuer und Holz. Diese Drei beruhen auf der chinesischen Fünf-Elemente-Lehre. Damals, als wir noch gute Freunde waren, hatte er uns ein Haus aus Holz gebaut. Anschließend brannten wir es wieder ab. Er konnte also wirklich eine große Hilfe sein. Trotzdem wurde ich das Gefühl nicht los, das er mich dann, wenn ich ihn brauchte im Stich lassen würde. Ich konnte seinen Hass auf Snow spüren.
„Gut, ruhe dich aus und wir werden uns dann heute Abend wieder sehen“, sagte er und ich blickte aus dem großem Fenster hinter mir. Die Sonne ging auf. Ich schloss schleunigst die Vorhänge und bat Blue und Stone sich ausruhen zu gehen. Sie nickten und verschwand in ihre geliehenen Gemächer.
Auch ich zog mich zurück, legte mich schlafen und dachte an Snow, der mich in den Schlaf wog.
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