Deep Obscurity - Teil 4

Autor: Noa
veröffentlicht am: 28.05.2013

Die Sonne ging am Horizont unter und eine neue Nacht begann. Sogleich streckte Bat all seine Glieder an einer Bettkante, denn er hatte sich dort kopfüber aufgehängt. Nach wenigen Sekunden drangen seine Flügelschläge in meine Ohren.
„Abend bricht an, Ice.“, rief er und verschwand flatternd aus meinem Zimmer.
Ich streckte mich und kroch verschlafen aus meinem Bett. Ich fühlte mich wie neu geboren. Selbst wenn ich tagelang aufgeblieben wäre, hätte ich mich danach nie so lebendig und leistungsstark gefühlt. Vor allen Dingen gab es mir neue Kraft endlich Snow wiedersehen zu können. Dank Blue, der letzte Nacht auftauchte, stieg eine neue, bessere Hoffnung in mir empor.
Mit rasend schneller Geschwindigkeit stand ich vor dem Kühlschrank. Ich öffnete ihn und entnahm mir zwei volle Blutbeutel. In wenigen Minuten waren sie leer und den Rest schmiss ich in den Mülleimer. Auf meiner Haut entfalteten sich all meine Poren, die seit den letzten Tagen vertrocknet waren. Pure Energie übermannte meinen Körper. Ich musste aufpassen dass Curtis mir nicht über den Weg lief, sonst müsste ich mich mit aller Kraft dagegen wehren ihm in den Hals zu beißen.
Da tauchte plötzlich das Gesicht meiner Mutter vor meinen Augen auf. Ich hatte mich daran gewöhnt, dass man Vampire nicht mehr gehen, sondern rasen sah. Sie standen im nächsten Moment einfach vor jemanden.
„Ice? Ist das aber eine Überraschung!“, rief sie mir zu und nahm mich liebevoll in den Arm. Ihr Tonfall klang ziemlich erfreut. Als wäre ich ebenfalls in den Krieg gezogen und gerade erst zurückgekehrt. Wahrscheinlich hatte sie mich auch des Öfteren besucht, nur viel mir ihre Anwesenheit nie auf.
Ihr wunderschönes, langes, gelocktes Haar betonte durch ihre helle Farbe die schneeweiße Haut perlschimmernd. Ihre hellblauen Augen, wie die meine, blitzten auf, als Licht zu uns hineinschien. Sie trug im Schloss gerne vornehme Kleidung, wie ein rotes enges Kleid, als ob sie gleich auf einen Ball tanzte oder mit Vater eine Veranstaltung organisierte. Diese Feste fanden auch seit Jahren nicht mehr statt. Welche Vampirfamilie hätte bei solch einem Krieg noch die Absicht zu feiern?
„Erzähl! Was hat dich hierher beschert? Ich dachte schon, ich hätte dich dort oben für immer verloren“, jammerte sie und umarmte mich ein zweites Mal.
Ich drückte mich allerdings vorsichtig von ihr weg und blickte in ihre Augen.
„Mutter, ich muss dir etwas sagen.“ Sie spitzte ihre Ohren und schaute mich erwartungsvoll an. „Gestern Nacht haben wir einen unerwarteten Gast bekommen und er weiß wo Snow ist. Er möchte mich begleiten und mir den Weg zu ihm zeigen.“ Ich spürte wie sich all ihre Muskeln anspannten und ihre schimmernde Haut den Glanz verlor. Sie nahm ihre Hände von meinen Armen und drehte mir den Rücken zu. Ich wusste, sie würde es nicht verstehen. Wenn nun auch ihre jüngste Tochter auch noch verschwand, könnte sie nur schwer damit leben. Phoebe lebte seit dreizehn Jahren mit ihrem Freund zusammen. Ihre andere Stieftochter war noch viel zu klein.
„Du willst mich also auch verlassen. Naja, wenigstens verabschiedest du dich noch und haust einfach nicht in einer beliebigen Nacht ab“, schluchzte sie und wollte damit auf Phoebe deuten.
„Mom...“, murmelte ich mitleidig.
„Darf ich wenigstens fragen, wohin deine Suche gehen wird?“ „Das weiß ich nicht.“ „Gut!“, rief sie überraschend laut und drehte sich um. Ich zuckte zusammen als mir blutrote Augen entgegen traten. Das passierte sobald ein Vampir Wut empfand. Es war reiner Instinkt des Körpers. Er diente dazu noch bessere Sinne auszuprägen. „Du tust mir sehr weh damit.“ Ich stemmte genervt einen Arm in meine Hüfte und zog meine Augenbrauen zusammen.
„Du wirst nichts ändern können. Ich werde mit Blue mitgehen. In den Krieg, um es deutlicher auszudrücken. Außerdem werde ich mich auch melden.“ Sie ballte eine Faust und setzte sich auf das Sofa. Dabei sog sie Luft in ihre Lunge und atmete seelenruhig aus. Ihre Lider schlugen zu.
„Mach doch was du willst. Dein Vater ist weg, Light ist tot, Snow ist verschwunden und Phoebe lebt nun in Italien. Bald wird Curtis sterben, dann haben all meine Liebsten mich allein gelassen.“, erzählte sie mir und ich konnte sie auch verstehen. Denn einsam war ich ganze vier Jahre und diesen Schmerz möchte ich kein zweites Mal durchleben. Der Kummer hatte mich von innen aufgefressen. Sie streckte ihren Arm zum Sektglas hinüber und nippte daran.
„Dann wird es dir sich auch nicht gefallen, dass ich mitgehen werde.“, meldete sich eine dritte Stimme und Stone trat in den Raum. Er trug dieselben Sachen wie gestern.
„Warte mal, was?“, konterte ich empört. Meine Mutter verschluckte sich und stellte verkrampft ihr Sektglas auf den Tisch. Für wenige Sekunden ließ sie es nicht mehr los und aus Wut zerbrach es zwischen ihren Fingern. Die einzelnen Scherben klirrten auf den Boden und vereinzelte Bluttropfen fielen auf den Steinboden. Der Sekt vermischte sich mit dem Blut. Meine Mutter schüttelte genervt ihre Hand aus und stand mit tränengefüllten Augen auf. Ihre rote Iris schien noch mehr Farbe anzunehmen.
„Noch jemand?“, fragte sie und musste versuchen sich zu beherrschen. Ihre Wut war unglaublich groß. Sie wusste, wenn sie sich dagegen stellen würde, dann bekäme sie uns nie wieder zu Gesicht, sowie bei Phoebe. Deshalb versuchte sie Ruhe zu bewahren.
„Bat“, sagte ich schnell und sie atmete erneut aus, als ob sie ihren Dampf ausatmen würde, der sich in ihrem Kopf gebildet hatte.
Sie hob ihr Kinn in die Höhe und lief die kleinen Stufen hinauf, um in den Flur zu gelangen. Ein letzter Blick musterte uns beide und anschließend verschwand sie.
„Oh Mann! So habe ich Mutter ja noch nie erlebt. Muss sie ganz schön mitgenommen haben. Die Sache mit Phoebe, meine ich.“ Ich zog kurzzeitig die Augenbrauen zusammen und schaute über meine Schulter. Bat kam angeflogen und im nächsten Moment stand frisch erblüht Blue neben mir. Er trug dieses Mal eine normale dunkelgraue Jeans, ein weißes T-Shirt und schwarze Freizeitschuhe, die mich sehr an meine Jugend erinnerten. Natürlich werde ich immer auf irgendeine Weise ein Teenager bleiben, aber die Ewigkeit verwandelte mich in eine reife, erwachsene Frau.
„Können wir dann los?“, fragte Stone aufgeregt und wippte auf seinem Fuß vor und zurück. Bat schloss sich uns an.
„Ja. Aber zuerst werde ich mir eine Hose anziehen und eventuell eine Weste“, sagte ich und flitzte in wenigen Sekunden in mein Zimmer. Dort suchte ich nach passenden Sachen. Zuerst zog ich meine Netzstrumpfhose und den Rock aus und ersetzte sie durch eine ebenfalls dunkelgraue Röhrenjeans. Über mein ziemlich auffälliges Korsett zog ich eine schwarze Weste und tauschte meine Stiefel durch gleichfarbige Chucks aus. Diese Schuhe trug ich zu ersten Mal in meiner Zeit als Mensch.
Unten wiederangekommen, tat Stone den ersten Schritt.
„Ich finde es sehr nett, dass du dich doch wieder in den Krieg wagst, Blue“, meinte er und baute dabei einen Blickkontakt mit ihm auf.
„Für ein Heilmittel gegen das Sonnenlicht ist es mir wert. Wenn ich euren Vater finde, dann könnte ich mir noch gut vorstellen ihm sogar dabei zu helfen.“ Fragend blieb ich stehen. „Du scheinst ja sehr viel Wert auf dieses Mittel zu legen. Warum ist es dir so wichtig, dass du es hast?“ Meine Schnüffelei begann wieder. Eigentlich hielt ich mich aus Privatangelegenheiten fern, aber Blue schien sogar sein Leben für das Mittel zu geben, obwohl es noch nicht einmal existierte.
„Das geht dich gar nichts an“, fuhr er mich an und überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. „Nimm es nicht zu persönlich, aber über dieses Thema möchte ich nicht sprechen.“ Ich musste diese Antwort akzeptieren und es dabei belassen. Aber dennoch erfasste die Neugierde mich. Er hatte also einen triftigen Grund, um all diesen Aufwand zu machen. Ob er ein heimlicher Abtrünniger war oder es für seine Familie tat? Es hätten tausende Möglichkeiten seien können.
Am Schlosseingang erwartete Curtis uns.
„Ich habe schon gehört, dass ihr uns verlassen wollt. Ich wünsche den Herren und der Dame eine gute Reise.“ Sein freundliches Lächeln veranlasste mich zu Returnieren.
„Hoffentlich sehen wir uns noch, Curtis“, rief ich und lief aus dem Schloss hinaus. Mir tat es schon ein wenig weh dieses alte Gebäude zu verlassen. Zu viele Erinnerungen klebten daran und all die anderen Vampire, die meine Familie geworden waren, ließ ich nun zurück.
Bevor wir aus dem Stahltor hinausliefen, blieb ich stehen und drehte mich ein letztes Mal um. Ich spürte wie die Sehnsucht nach zu Hause mich rief. Aber Snow war der stärke Wille und deshalb schloss ich mich zu den anderen an. Wir mussten durch den Wald laufen und einige Dörfer hinter uns lassen. Bei Nacht waren meine Sinne viel ausgeprägter, als bei Tag.
„So ein Mist!“, fluchte Blue und blieb stehen. Stone Schritt nach vorne, um in sein Gesicht zu blicken.
„Was ist?“, fragte er besorgt.
„Abtrünnige. Gleich vier Stück. Hundert Meter von uns entfernt und sie sind verdammt schnell.“ Mein Herz pochte und meine Adern begannen zu platzen. Meine eisige Haut glühte und ich wurde ein wenig wütend. Wütend darauf, dass unsere Reise behindert wurde. Bedrohung und Wut waren bei Vampiren derselbe Effekt. Deshalb verfärbte sich meine Iris, denn meine Sicht wurde noch stärker. Ich sah wie die hauchdünnen Spinnenfäden vor meinen Augen vorbeizogen.
„Fünfzig Meter“, sagte er und stellte sich in Kampfbereitschaft. Stone drückte mich nach hinten und schien mich beschützen zu wollen. Aber diese Art von Mädchen war ich keinesfalls. Der Kampf war meine Natur. Wenn Snow und ich damals Seite an Seite gegen Abtrünnige kämpften, streckten wir ganze Horden von ihnen nieder. Die Tötung war einfach. Silber oder Kopf ab.
Ich lief vor Stone und Blue voraus und ballte wutentbrannt meine Fäuste.
„Sollen sie nur kommen“, murmelte ich und beide warfen mir einen verdutzten Blick in den Nacken.
Dann entdeckte ich sie in meinem Blickfeld. Drei Männer und eine Frau. Ihre Augen waren ebenfalls in ein Blutrot getränkt und sie schienen durstig nach einem Kampf auszusehen. In wenigen Sekunden standen sie vor uns und grinsten uns an.
„Gute Nacht, die Herren und die Dame“, grüßte einer von ihnen. Er schien der Anführer der kleinen Truppe zu sein. Seine kurzen haselnussbraunen Haare hätte ich am liebsten einzeln herausgezogen. Was bei Vampiren noch grausamer war, als durch Silber oder abgehackten Kopf zu sterben, war das Aussaugen. Vampire konnten ihres Gleichen das Blut aussaugen und das war nicht nur demütigend, sondern auch sehr schmerzhaft. Es war zwar nicht so kraftvoll wie das eines Menschen, aber es reichte aus um zu überleben.
„Was wollt ihr, Abtrünnige?“, fragte Blue energisch und musterte alle vier. Die Blondhaarige zupfte an ihren Locken und verzog ebenfalls ein teuflisches Grinsen. Die anderen beiden Jungs schienen Brüder zu sein. Jedenfalls war ihre Ähnlichkeit eindeutig zu erkennen.
„Ich hasse dieses Wort. Unsere Gruppe, die ihr als Abtrünnige bezeichnet, nennt sich neuerdings Dust.“ „Interessanter Name“, lachte ich spöttisch und zog frech einen Mundwinkel nach oben. „Passt zu euch. Denn das werdet ihr auch gleich sein.“ Alle vier fletschten kampfbereit die Zähne und spreizten ihre Finger als wären sie messerscharfe Krallen.
Wir stürmten aufeinander los und ich schnappte mir die Blondhaarige. Sie fauchte mich an und mit tötenden Blicken standen wir uns gegenüber. Sie konnte ihr Grinsen nicht lassen und am liebsten hätte ich es ihr aus dem Gesicht gerissen.
„Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?“, fragte sie und wir umkreisten uns.
„An jemand hässlichen wie dich würde ich mich erinnern“, antwortete ich frech und wir sprangen tollwütig aufeinander los. Ich griff als erstes nach ihren Haaren und riss sie ihr schmerzhaft aus der Kopfhaut. Sie stöhnte auf und fasste sich an die Verletzung. Ein wenig Blut strömte aus ihrer Wunde, aber sie heilte schnell. Auf irgendeine Weise musste ich an ihren Kopf geraten oder Silber müsste vom Himmel fallen.
Ich hielt ihre Haarsträhne in der Hand und streckte sie von mir.
„Sieht nach Extensions aus.“
Sie biss sich erneut wütend auf die Zähne. Mit schneller Geschwindigkeit stürmte sie auf mich los und griff nach meinem Hals. Ihre Finger umschlangen ihn hartnäckig und ich bohrte mir meine Fingernägel in ihre nackte Haut an der Schulter. Sie schrie kurz auf und im nächsten Moment gelang es mir nach ihrem Kopf zu greifen den ich sofort umdrehte und herauszog. Es floss kein Blut, sondern sie pulverisierte zu kleinen Staubpartikeln. Blue hatte den Anführer auf den Boden gedrückt und ihm mit einem geschickten Handgriff das Genick gebrochen. Anschließend pulverisierte er sich ebenfalls. Stone war im Kämpfen noch lange nicht so gut wie ich, aber er hatte seinen Gegner schon vor mir besiegt.
Es stand nur noch ein Vampir zwischen uns, der jedoch in rasender Geschwindigkeit die Flucht ergriff.
„Lasst ihn laufen. Wir haben wichtigeres zu erledigen“, befahl ich und folgte weiter dem Pfad, von dem ich, durch den Kampf, abgekommen war.

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