Against the World - Teil 2

Autor: Loraine
veröffentlicht am: 13.04.2012


Nun ist Kapitel 2 dran. Es geht wie schon erwähnt immer noch dramatisch weiter. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen! Würde mich sehr über eure Kommentare freuen!

Loraine

Kapitel 2 – Sturz in den Abgrund

„Ah, Frau Lohr, besuchten Sie wieder ihre Mutter?“, fragte er freundlich und versuchte in ein Gespräch mit ihr zu kommen. Aber Milou war weniger gefasst darauf. Nervös strich ihr Finger eine Strähne hinter das Ohr. Ihre Augen suchten Schutz, da sie nicht mit denen des Doktors in Kontakt geraten wollten.
„Mein Name ist Milou und wenn mich jemand siezt, kann ich das schon gar nicht ausstehen.“, griff sie ihn an, in der Hoffnung, dass er so schnell wie möglich verschwand. Aber der Doktor durchschaute ihren Trick und blieb dennoch freundlich ihr gegenüber.
„Also gut, Milou, bist du immer noch der Meinung, dass deine Mutter sterben sollte?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich war nie der Meinung, dass meine Mom sterben sollte. Was für ein Blödsinn! Es wäre viel schöner, wenn sie nach Hause käme und dort auch weiterhin bliebe, aber wegen des Krebses geht das leider nicht.“
„Es tut mir wirklich sehr leid. Ich wünschte, ich könnte dir und deiner Mutter zu einem besseren Leben verhelfen. Hast du sonst niemanden außer ihr?“
Milou schüttelte traurig den Kopf.
„Oma? Opa? Vater?“
Durch das Verneinen jedes seiner Vorschläge verstand und bemitleidete er ihre Situation. Die Mutter war ihre einzige Familie. Wer möchte schon so ein Leben führen? Doktor Klaas legte behutsam seine Hand auf ihre zierliche Schulter. Seine Augen drangen energisch zu ihren hindurch, bis er tief hineinschauen konnte. Milou war wie hypnotisiert. Die Wörter die nun aus seinem Mund folgen würden, mussten ernst sein. Nicht einmal ihre Mutter fesselte sie mit diesem Blick.
„Ich weiß, was es heißt eine schwere Phase durchzumachen. Erinnerst du dich noch, als ich dir erzählt hatte schon damals einen Sohn gehabt zu haben?“
Milou nickte vorsichtig.
„Ich war gerade mal fünfzehn Jahre und hatte überhaupt keine Ahnung was es heißt Vater zu sein. Mit dieser riesigen Last wurde ich nicht fertig, rauchte, trank und kümmerte mich herzlich wenig um die schulischen Aktivitäten.“
„Wie sind Sie dann Arzt geworden?“, fragte Milou erschrocken.
„Durch einen guten Freund, der mir sozusagen einen heftigen Tritt in meine Glutealregion verpasst hatte, wachte ich auf und änderte mich. Er zeigte mir, das man damit auch anders umgehen kann und so wurde ich Arzt.“
„Was ist eine Glutealregion?“
„Das Gesäß. Auch Hinterteil genannt.“, lachte er. „Verzeihung, mein Job als Arzt ist wieder mit mir durchgegangen.“
Milou lächelte verlegen, da sie nicht gedacht hätte von einem Arzt, teilweise bemuttert zu werden. Aber es tat ihr gut. Wenn Menschen ihr tief in die Augen schauten, trafen sie meistens ihr Inneres, mit dem man wie ein Gummiball spielen konnte. Doch den Griff nach Innen war schwieriger als erhofft. Milou war sehr verschlossen.
„Man sieht sich bestimmt wieder, Lou.“, verabschiedete er sich und verschwand ins nächste Zimmer um einem Patienten entgegenzutreten.
Noch teils verwirrt von der Reaktion des Doktors widmete sie sich dem Nachhauseweg.
In der Wohnung bereitete Milou sich für eine Person Spagetti mit Tomatensoße zu. Am Tisch tropften ihr beim Essen Tränen vom Gesicht. Was war, wenn sie nun auch wie ihre Mutter endete? Ein Leben ohne Freunde, Familie und ohne Liebe? Wünschte man sich dann nicht erst recht den Tod? Ihre Augen verfolgten die Tropfen auf den Spagetti. Das Essen schmeckte vorzüglich, aber ihr Magen verlangte nicht nach einer Füllung. Ihr ging es gefühlsmäßig so furchtbar, dass eher das Gegenteil eintrat. Am Ende hang sie kopfüber an der Toilettenschüssel und brach alles aus ihrem Magen heraus. Danach rückte ihr Körper zur warmen Heizung und ihr Fuß betätigte die Spülung. Das Gefühlschaos in ihr zerstörte alles Lebendige und etwas Starkes sog ihren Körper in die Tiefe eines finsteren Abgrundes. Unten am Boden angelangt war es kalt und nass. Die Finsternis schürfte ihre Haut und ihre Augen konnten nichts erkennen. Es war der Moment in der eine absolute Sperre eintrat, die bei jedem einsetzte, sobald man nicht mehr mit sich selbst klar kam. Milou verzweifelte und niemand half ihr auf. Es gab keine Hand die ihr zur Hilfe eilte und ihren leblosen Körper aus der Dunkelheit zog. Der Abgrund wurde stattdessen immer tiefer und finsterer. Der Boden gefror und ein schmerzender Luftzug ließ ihre Adern erstarren. Tatsächlich stellte Milou sich die Frage: Hat das Leben in irgendeiner Weise einen Sinn? Niemand antwortete und aus ihrem tiefsten Inneren vernahm ihr Gewissen eine leise Stimme. Milou sollte endlich damit aufhören sich selbst zu belügen und dem Leiden ein Ende setzen. Der Anfang eines Selbstmord Gedankens. Ihre Hände griffen nach der Rasierklinge auf dem Schränkchen unter dem Handwaschbecken. Zitternd schwebten die messerscharfen Schneiden über der Innenseite ihres Handgelenkes. Erlöst der Tod mich? Tausend beängstigende Gedanken kreisten in ihrem Kopf. Ein letztes Mal zu Bett gehen, essen, sprechen und mit den Augen sehen zu können. Aber alles war bedeutungslos. Tränen tropften auf die dicken Adern am Gelenk und kullerten weiter hinunter auf ihr Bein. Alles war gegen sie, die Welt, ihre Klasse, Freunde und Nachbarn. Selbst ihre sterbende Mutter war bereit dem Tod entgegenzutreten, wieso sollte sie dann nicht gleich mitgehen? Wer würde ihr Wesen schon vermissen? Milou war so allein, wie es sonst kein anderer Mensch hätte seien können. Ihre befeuchteten Augen schlossen sich langsam und die Rasierklinge berührte die zarte Haut. Es erschreckte sie. Ein erleichterter Seufzer entglitt ihren Lippen, dass es doch noch nicht vorbei war. Ein letzter kräftigender Atemzug. Doch da war es schon geschehen. Die Rasierklingel traf die Ader feinfühlig und das Blut strömte aus der Wunde. Es schmerzte nur ein wenig, brannte, aber Milou unterdrückte den Schmerz. War der Tod wirklich eine Lösung?
Nach wenigen Minuten war auf dem Fußboden ein riesiger Fleck zu sehen. Allmählich wurde sie schwächer. Ihr Herz schlug langsamer und ihr Atem kratze im Hals. Aus Angst hob ihr Körper sich vom Boden ab und wie ein schwerer Anker in ihr, zog ihren Hintern erneut nach unten. Das Gefühl war widerwertig und schaudernd. Ihre Haut prickelte, der Blutverlust wurde schlimmer. Nur noch wenige Minuten und dann setzte das Herz endlich aus. Ihr Leben hätte ein Ende.
Aber das Schicksal wendete sich, als ein deutliches Läuten von außen zu hören war. Klingelte dort jemand an der Tür? Keiner da, dachte sich Milou. Die Ignoranz blieb nicht lange standhaft und torkelnd zog sie sich durch den Flur zur Eingangstür. Ihr rutschte kurzweilig das Herz in die Hose, als Milou den Arzt erkannte, Herr Klaas. Er erstarrte, als er das tropfende Blut an ihrem linken Arm erkannte.
„Was wollen Sie denn hier? Woher kennen Sie meine...“, hauchte Milou, da sie nichts anders mehr konnte. Die Kraft wurde ihr entrissen. Der hohe Blutverlust sank all ihre Fähigkeiten und ihr kippender Körper drohte umzufallen. Im richtigen Moment reagierte der Arzt und bewahrte den oberen Teil vor einem heftigen Aufprall. Er griff sofort zum Telefon und forderte Hilfe an. An seinen Händen klebte das warme und schmierige Blut. Es betäubte ihn ein wenig, aber er blieb persistent. Sein Wille dieses Mädchen zu retten war unglaublich stark. Er konnte schon damals bei zu vielen Mengen Blut in eine Starre geraten, in der er zu nichts mehr fähig war. Diese Situation sollte ihn eigentlich überfordern, aber er entwickelte Gefühle für das Mädchen. Sie könnte sogar seine Tochter sein. Der Arzt hatte schon längst ihren Arm verbunden, als die restlichen Helfer eintraten.
Im Krankenhaus wartete der Arzt auf das Erwachen des Mädchens. Milou hatte mit ihrem Tod gerechnet. Doktor Klaas saß nicht in seinem weißen Kittel neben ihr, sondern in normalen Alltagskleidern. Er trug eine hellblaue Jeans, einen blauen Pullover und Sportschuhe. Milous Augen öffneten sich.
„...Was?“, wunderte sie sich und drehte ihren Kopf zu dem lächelnden Mann. „Wieso waren Sie in meiner Wohnung? Was wollten Sie? Und warum lebe ich noch?“
„Du kannst mich ab sofort auch duzen, schätze ich. Nenn mich bitte Leo.“
Milou schwieg weiterhin, damit er ihr eine Erklärung gab.
„Eigentlich wollte ich dir persönlich als Arzt mitteilen, dass es vielleicht eine Chance gäbe deine Mutter so weit stabil zu halten, dass es eine Lebensgarantie für ein ganzes Jahr gäbe. Deine Mutter könnte wieder zu dir nach Hause.“
Milous Mundwinkel wanderten weiter nach unten.
„Das kannst du knicken! Es ist schon schwer genug ihr überhaupt irgendwelche Tabletten zu verabreichen. Da wird sie sicher bei solch einer Aktion nicht mitmachen.“, widersprach sie.
„Ich denke, ich kenne eine Methode, dass es vielleicht doch klappen könnte, sie davon zu überzeugen, die Tabletten einzunehmen.“
„Die wäre?“
„Du wirst schon sehen.“ Er fasste kurz an ihr Bein und wollte dann aus der Tür verschwinden. „Ich werde nach Hause gehen. Ruh dich noch aus. Morgen werde ich wieder als Arzt nach dir schauen.“
„Leo, wieso hilfst du mir überhaupt?“, fragte Milou sich schon die ganze Zeit.
„Weil du mich sehr an meine Zeit erinnerst und ich wünschte, mir hätte schon damals jemand geholfen.“
Er lächelte noch kurz und verschwand anschließend aus der Tür.
Milou war völlig verblüfft über die Sorge des Arztes. Unglaublich das er ihr helfen wollte, auch wenn beide sich überhaupt nicht kannten. Trotzdem war es der erste Grund überhaupt weiter zu leben. Als ihre Gedanken zum letzten Augenblick zurückgriffen, kam es ihr sogar albern vor, sich das Leben zu nehmen. Hoffnung bestand immer. Ihre innere Sperre existierte jedoch noch immer. Das Gefühl allein zu stehen, beunruhigte sie.
Am nächsten Tag schaute Leo nach ihr. Er bemerkte, dass sie einen großen Wassermangel hatte. Milou weigerte sich zu trinken.
„Was ist nun dein Problem?“, fragte er seufzend.
„Vielleicht bin ich einfach zu deprimiert etwas zu essen, geschweige denn zu trinken.“
„Du machst dir zu viele Gedanken, kleines Mädchen.“, schmunzelte er. Milou zog beleidigt die Augenbrauen zusammen. Ihre Arme hingen verschränkt vor der Brust.
„Schon mal daran gedacht, dass nach diesem Jahr meine Mutter immer noch sterben wird. Ich werde als Waise enden in einem erbärmlichen Heim. Gestern hatte ich aufgegeben, weil es nichts mehr brachte weiter zu leben. Ohne meine Mutter bin ich ein Nichts. In der Klasse werde ich wegen meinem Namen noch gehänselt. Viele Mädchen ekeln sich vor mir und ich weiß nicht einmal was es bedeutet geliebt zu werden. Niemand auf dieser Welt wird mich jemals verstehen können.“, verschnaufte sie nach diesem langen Text.
Leo setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett. Er nahm vorsichtig ihre Hand und schaute sie bemitleidend an.
„Das verstehe ich. Aber egal wie schlimm es auch aussehen mag. Es kann immer nur besser werden.“
Milou spürte die Berührung recht intensiv. Es war für sie neu, so sanft angefasst zu werden und im Ohr eine zarte Stimme zu hören. Der Augenblick war genüsslich. In ihrem Gesicht machte sich ein schwer erkennbares Lächeln bemerkbar.
„Na, also!“, gratulierte er ihr und rieb ihren kalten Arm warm. „In ein paar Tagen wirst du wieder entlassen.“
Leo stand auf und lief aus der Tür. Milous Herz pochte wild. Jemand hatte sich um sie gekümmert, wieder einmal der Arzt. Was mochte er an ihr so? Zuerst erzählte er ihr von seiner Vergangenheit, tauchte anschließend bei ihr Zuhause auf und rettet ihr das Leben. Zuletzt diese warme Berührung, die noch immer auf ihrer Haut wie Feuer brannte. Zärtlich führte Milou ihren Zeigefinger über die prickelnde Stelle. Es tat so unglaublich gut.
Am nächsten Morgen wechselten die Schwestern ihren Verband und verabreichten ihre Medizin. Inzwischen hatte Milou fast drei Liter getrunken. Gerade nippte sie mit ihren Lippen am Glas, als Leo hineinkam.
„Da legt sich aber jemand ganz schön ins Zeug.“, grinste er.
„Ich habe fast drei Liter getrunken.“, rief Milou stolz und lächelte vergnügt.
„Wenn du so weiter machst, bist du schneller Daheim als du denkst.“
Milou wollte eigentlich nicht nach Hause. Hier gefiel es ihr bei Leo. Seine Worte schenkten ihr jeden Tag Hoffnung und sogar Freude. Er war derjenige, der ihr das schon kaputte Herz wieder flickte. Den Vater, den sie sich schon immer gewünscht hatte. Seit sie denken konnte, war ihre Mutter die einzige Person, die sie erzogen hatte. Ihr fehlte einfach die männliche Seite ihrer Erziehung.
Nach zwei Tagen entließ Leo Milou aus dem Krankenhaus. Sie brauchte eine Stunde lang, um das getrocknete Blut im Badezimmer und Flur wegzuwischen.
In der Nacht pflanzte sich ein Albtraum in ihren Kopf. Er war so grauenvoll, das Tränen an ihren erröteten Wangen hinunter kullerten. Ihr Schreien war laut und klagend.
Nassgeschwitzt und keuchend erschrak sie aus ihrer Hölle. Im Kopf spielten sich die schlimmen Bilder erneut ab. Im Badezimmer wusch sie ihr Gesicht. Noch ein letztes Mal schlossen sich ihre Lider, damit ihr wieder der Traum in den Kopf stieg.
Überall waren Personen in weißen Kitteln. Ein junger Mann mit blonden lockigen Haaren versuchte panisch eine Frau wiederzubeleben. Mit einem Defibrillator gab er alles. Erhöhte ständig die Spannung, aber es regte sich nichts. Dann richteten sich traurige Blicke in ihre Richtung. Milou erkannte nun den Mann, auf dessen Stirn einzelne Schweißperlen zu erkennen waren. Die wärmende Hand ruhte auf ihrer Schultern. Er sagte etwas und schaute ihr dabei tief in die Augen. Wieso strömten nun Tränen ihre Wange hinunter? Noch immer begriff sie nicht genau was vor sich ging. Die Scene verschwand und es trat sofort eine nächste ein. In diesem Teil sah sie sich glücklich. Ihr Lächeln strahlte wie die Sonne. Jemand hielt ihre Hand. Im nächsten Moment war ihre Wohnung zu erkennen. Dreckig und leer wie sie ohne ihre Mutter war, saß Milou mit einem gleichgültigen Gesichtsausdruck im Flur. Auf dem Boden war viel Blut und ihre Pulsadern waren alle aufgeschnitten. Dann erwachte sie.
Milous Augenlider öffneten sich und im Spiegel sah ihr Mimik angespannt aus. Gruseliger Traum. Mit einem Handtuch trocknete sie ihr Gesicht. Ihre Mutter würde sterben, das wusste sie. Ihr Blick fiel auf die Uhr. Es war drei Uhr morgens. Noch hechelnd legte sie sich auf ihr Bett und versuchte weiter zu schlafen. Der Albtraum hatte ihr jeglichen Schlaf genommen, sodass ein weiterträumen unmöglich wurde. Milou starrte verloren an die Decke. Beunruhigend klingelte das Telefon. Ihre Schlimmsten Befürchtungen könnten wahr werden.






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