Autor: Noa
veröffentlicht am: 30.03.2012
Noch immer bekam sie keine Luft. Als sich ihre Sicht besserte, sah sie Noel vor sich. Der keuchte, als wäre er gerade einen Marathon gelaufen. Dann hielt er seinen Zeigefinger vor den Mund und gab zischende Laute von sich. Elaine versuchte ruhig zu bleiben und aus ihrem Schock heraus zu kommen. Noel legte seine kalte nasse Hand auf ihre und ihre erhitzten Muskeln kühlten ab. Da atmete sie erleichtert aus und schaute ihn wütend an.
„Weißt du eigentlich was für einen Schrecken du mir eingejagt hast?“, brüllte sie los und Noel hielt dabei ihren Mund zu. Als er ein Geräusch auf der Treppe hörte, drückte er sie weiter in die Ecke hinter einen Stapel Kartons. Man konnte sie durch das zarte Licht nicht erkennen, wenn er mit seiner dunklen Weste vor ihr stand.
„Warte noch einen Moment.“, flüsterte er so leise, das man es nur schwer verstehen konnte.
Eine dunkle Gestalt huschte vor der Tür vorbei und erneut fiel der Strom aus. Noel schaute ihr mit einen beruhigend Blick in die Augen und ihr Herz schlug langsamer. Wieso hatte er keine Angst? Wusste er wer noch in ihrem Haus war? Sie waren sich so hautnah, das sie nur ihren Hals hätte strecken müssen, um seine Kehle berühren zu können. Es durchfuhr ein Kribbeln ihren Körper und er hatte so wunderschöne Augen, dachte sie. Vor Angst hatte sie überhaupt nicht bemerkt, wie sie sich an ihn geklammert hatte. Elaine spürte seine harten Rückenmuskeln sogar durch die Nylonjacke. Als wieder die Geräusche verstummten, ließ er ihren Mund los und beide seufzten auf.
„Was machst du hier?“, fragte sie leise.
„Ich…wollte mich eigentlich entschuldigen, dass ich so flüchtig abgehauen bin. Das war gemein von mir und ich hätte dich nicht allein lassen dürfen.“, erklärte er ihr und sie wollte beinahe lächeln, aber ein anderes Gefühl verbot es ihr. Denn noch immer schlich jemand anderes im Haus.
„Wer ist noch hier?“, fragte sie.
„Ich weiß es nicht. Als ich gerade bei dir Klingeln gehen wollte, da sah ich die offene Gartentür. Eigentlich mache ich so etwas nicht, aber ich hatte ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache und betrat deinen Garten. Da sah ich die dunkle Person in den Keller laufen. Ich musste ihr sofort folgen, weil ich nicht wusste, was er euch antun könnte.“
„Wir sollten die Polizei rufen.“, meinte sie.
„Nein! Das wäre dumm, denn die würde nur Aufsehen erregen, sodass der Verdächtige direkt flüchten würde.“
Er blickte vorsichtig hinter sich und löste sich dann von ihr. „Wir gehen selber nachgucken.“
In der Zeit zeigte sich das Licht längst wieder.
Elaines Hände zitterten und sie hatte solche Angst um Mia, denn die Kleine schlief oben. Noel nahm Elaine bei der Hand und ihr Zittern wurde schwächer. Vorsichtig stiegen sie die Treppe hinauf und schauten sich um. Da hörten sie rasselnde und klirrende Geräusche in der Küche. Noel lehnte sich vorsichtig an die Wand und beugte sich um die Ecke. Gespannt beobachtete Elaine seine Halsmuskeln, die sich vor Aufregung angespannt hatten. Doch da ließ er sie auf einen Schlag locker und seufzte. Er schaute zu ihr und musste grinsen.
„Deine Mom…“, murmelte er. Elaine verzog wütend das Gesicht. Mit stampfenden Schritten marschierte sie die Stufen hoch und stemmte die Hände in die Hüften.
„Was soll das? Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt! Ich dachte, du seiest bei einer Freundin.“, motzte sie.
Jedoch ignorierte Sandra sie und wusch das Geschirr weiter ab. Elaine stampfte wütend auf den Boden, aber noch immer gab sie keine Reaktion von sich. Erst als sie mit Noel verschwinden wollte, sprach sie in einem ruhigen Ton zu ihr.
„Ich werde Mia mitnehmen. Es ist zwar schon spät, aber sie wird eine Weile bei Tante Norris verbringen.“
„Wieso das?“
„Ich finde meine Schwester kann eben besser auf Mia aufpassen und vielleicht würde dir eine Auszeit auch gut tun.“
Ihre Worte verletzten Elaine, als könnte sie nicht einmal auf ihre kleine Schwester achten. Sandra drehte sich um und entdeckte Noel neben ihr.
„Wer ist der Junge? Du weißt ich mag keine Fremden im Haus.“, gab sie unhöflich von sich. Aber Noel ließ das kalt. Es schien so, als sei er solche Aussagen gewöhnt.
„Tut mir leid. Ich werde sofort gehen.“, entschuldigte er sich und lief zur Haustür. Elaine konnte es nicht fassen, dass er sich so unglaublich gut beherrschen konnte. Die Entschuldigung war völlig übertrieben. Er tat ihr Leid. Sie umklammerte seinen Arm und begleitete ihn zur Tür. Dort lief er die kleine Treppe hinunter und drehte sich dann zu ihr um.
„Mach’s gut, Elaine. Bis morgen vielleicht.“, lächelte er ihr tröstend zu und sie sah ihm solange nach, bis er um die Ecke verschwunden war. Der letzte Satz klang so selbstverständlich und sicher. Ob er morgen etwas mit ihr vorhatte? Er war so wahnsinnig nett und überhaupt kein Vergleich zu den anderen Typen aus ihrer Schule.
Elaine lief wieder ins Haus hinein und stellte sich erneut ihrer Mutter entgegen, die nun endlich mit dem Abwasch fertig war. Verblüfft starrte sie ihre Tochter an und stemmte ihre Hände in die Hüfte. Sie wartete auf das erneute Gespräch ab.
„Was soll das? Du hast mich zu Tode erschreckt? Und warum bist du so unhöflich zu Noel gewesen. Er hätte sich überhaupt nicht entschuldigen müssen. Wie kann man nur so kalt sein?“, brüllte sie los.
„Erst einmal möchte ich in einem ganz anderen Ton mit dir reden. Sonst kannst mit dir selbst fluchen. Ich hatte einen schweren Tag hinter mir und keine Lust noch mit meiner Tochter abends zu streiten.“, sagte sie in einem beruhigenden Ton. Wieso flippte sie nicht ebenfalls aus? Hatte sie tatsächlich so einen schweren Abend gehabt? Sobald Elaine den Mund aufmachte, fing Sandra an mit ihr zu schimpfen, ohne dass sie ein Wort von sich gab. Aber nun hörte sie sogar ihr zu. Das tat Elaine teilweise gut.
„Der Junge hat hier nichts zu suchen, alles klar? Du kennst ihn nicht einmal und auch in Zukunft möchte ich, das du nichts mehr mit ihm zu tun hast.“, bestimmte sie, aber Elaine lachte spottend auf.
„Das kannst du mir nicht befehlen mit wem ich zu tun habe. Ich bin achtzehn Jahre alt und kann mein Leben selbst bestimmen. Außerdem benimmst du dich ja wohl in letzter Zeit furchtbar. In drei Monaten bin ich hier draußen.“
Elaine lief mit verschränkten Armen die Treppe hinauf. Ihre Mutter wollte sie noch aufhalten, aber sie ignorierte Sandra. Die Gespräche waren wie jedes Mal völlig hoffnungslos und führten zu nichts. Ihr Vater hörte ihr immer zu, deswegen vermisste Elaine seine Anwesenheit sehr. Sie zog sich zwei Jahre lang zurück, eine Zwölfjährige spürt die Gefühle, die einen tief nach unten zogen. Mia musste diese Schmerzen nicht ertragen, denn sie kam noch nicht einmal auf die Welt, als der Unfall passierte. Die Ärzte befürchteten dass Sandra ihr Kind verlieren könnte, wenn die Wahrheit ans Licht käme. Deswegen schwiegen sie alle, solange bis Mia da war. Selbst Elaine durfte nichts verraten und immer wieder erzählen, das er auf Geschäftsreise ging. Aber nach der Geburt lag Sandra noch länger im Krankenhaus, da sie an einem Nervenzusammenbruch litt. Fast zwei Monate musste Elaine bei Tante Norris verbringen. Sie kümmerte sich auch um Mia und von da an, benahm sich Sandra völlig anders. Sie wurde kalt, trotzig, neurotisch und einsam. Mia gegenüber versuchte sie sich immer zusammen zu reißen, aber bei Elaine hatte sie es nicht nötig. Achtzehn war eine große Zahl, aber das hieß noch lange nicht, das Elaine ihr gerecht werden konnte. Die zwei Jahre die sie in einer Art Trance verbrachte, da sie meistens nie Freude an irgendetwas hatte, geschweige denn lächelte oder etwas sagte, empfand sie als gestohlen in ihrem Leben. Außer ihr Zimmer und ihrer Familie sah sie zwei Jahre lang niemanden. Sie landete für einige Monate in der Psychiatrie deswegen.
Oben im Zimmer legte sie sich seufzend ins Bett und zog lässig ihre Hausschuhe aus. Sie deckte sich zu und eine kalte Gänsehaut durchfuhr ihre Haut. In dem Moment hätte sie gut jemanden gebraucht zum Reden. Schade dass Noel gegangen war. Sie hätte sich so über seine Gesellschaft gefreut.
Nach einigen Minuten schlief sie ein. Ihre Mutter kam kurz ins Zimmer und wollte mit Elaine reden. Früher schaltete sie das Licht an und weckte sie absichtlich auf, nur um eine bestimmte Sache zwischen ihnen zu klären. Aber dieses Mal hielt sie sich zurück. Sandra dachte über die Worte ihrer Tochter nach und vielleicht war sie tatsächlich zu weit gegangen. Sie hatte nur ihre beiden Töchter und ihre Schwester. Wenn Elaine wirklich nach drei Monaten ausziehen würde, dann fühlte sie sich sehr allein gelassen. Mia war noch ein Kleinkind und verstand ernste Gespräche noch nicht. Obwohl sie nie wirklich mit Elaine Mutter-Kind-Gespräche geführt hatte. Es wäre längst an der Zeit gewesen.
Am nächsten Morgen schlief Elaine lange aus. Als sie auf die Uhr blickte, musste sie jedoch aufschrecken. Es war halb eins. Solange hatte sie noch nie geschlafen. Die Sonnenstrahlen schienen ihr um diese Zeit genau ins Gesicht. Die Wärme tat ihr unheimlich gut, aber da platzte Mia ins Zimmer und störte diese Ruhe.
„Elaine, da ist ein Jahrmarkt in der Stadt. Bitte ich will hingehen!“, rief sie.
Elaine seufzte genervt und drehte sich mit dem Kopf von ihr weg.
„Mama hat gesagt du sollst mit mir gehen.“
„Nerv mich jetzt nicht! Jeden Tag willst du irgendwo mit mir hingehen. Such dir jemand anderen oder frag einfach Mama.“, brüllte sie.
„Nein! Mama ist gar nicht da. Die ist nämlich arbeiten.“
„Ja, ja.“, nörgelte sie.
„Elaine!“, motzte Mia und zog an Elaines Haaren.
„Mia!“, schrie sie wütend auf und sie zuckte erschrocken zusammen. Sie war so erschrocken, dass sie anfing zu weinen und in ihr Zimmer lief. Das passierte öfters, wenn Mia nicht das bekam, was sie wollte.
Elaine schlief allerdings nach wenigen Minuten ein und wurde durch ein Läuten geweckt. Schnell zog sie sich einen Morgenmantel über, den sie gestern benutzte und torkelte die Treppen hinunter. Völlig schlaftrunken und mit zerzausten Haaren öffnete sie die Tür. Noel stand da, das völlige Gegenteil von ihr. Erschrocken durchfuhr sie rasch mit der Hand ihre Haare und zog ihren Morgenmantel ordentlicher zu. Er musste kichern.
„Tut mir leid, wenn ich dich geweckt haben sollte.“, lächelte er.
„Ich würde auch lachen, wenn ich mich in meiner schlimmsten Lage sehen würde.“
„Ach, so schlimm siehst du gar nicht aus. Außerdem ist das normal, wenn man aufwacht.“
Eliane grunzte.
„Eigentlich wollte ich nur fragen, ob du Lust hast mit mir heute auf den Jahrmarkt zu gehen? Heute ist Eröffnung.“, fragte er verlegen und durchfuhr seine Haare.
Sie schaute ihn verwundert an. Natürlich möchte sie! Aber Mia stand neben ihr und das zog ihr natürlich einen Strich durch die Rechnung.
„Ich will auch mitgehen!“, rief Mia begeistert.
„Mia, du bist immer zur falschen Zeit am falschen Ort. Wieso kannst du nicht einfach bei Tante Norris bleiben und mich aufhören zu nerven?“, motzte sie.
Noel hockte sich zu ihr runter und blickte sie auf Augenhöhe an.
„Natürlich kannst du mitgehen. Deine Schwester meint das bestimmt nicht so.“, grinste er sie an und Mia trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
„Okay, dann darfst du Babysitten.“, freute sich Elaine und bat ihn in die Wohnung. Er setzte sich zusammen mit Mia auf das Sofa und wartete bis Elaine sich umgezogen hatte. Es dauerte fast mehr als eine halbe Stunde, aber in der Zeit war Mia ziemlich unterhaltsam. Sie fragte ihn am meisten über Zaubertricks aus und er zeigte ihr ein paar. Sie hatte ihn bis dahin sehr lieb gewonnen.
Als Elaine sich fertig gemacht hatte, geglättetes Haar, getuschte Wimpern und frische Klamotten, so wie ihr täglicher Ablauf war, holte sie beide unten ab. Mia umklammerte Noels Hals und drückte ihre Wange an seine.
„Elaine ich mag Noel. Der ist netter als du.“
Elaine verdrehte die Augen und schnappte sich ihre Tasche.
Die Sonne prallte und es wurde immer heißer. Mia nahm sie bei der Hand und mit der anderen umklammerte sie Noels Finger. Es gefiel ihr so viel Aufmerksamkeit auf einmal zu bekommen, aber Elaine nervte das nur. Sie hatte sich das ganz anders vorgestellt. Mia quatschte ständig zwischen die Gespräche der anderen beiden und am liebsten hätte sie sie schon gestern zu Tante Norris gebracht. Jetzt musste sie auch noch den gesamten Tag mit ihr verbringen. Elaine hatte auch wirklich nur Pech.
Auf der großen Wiese im Park sah man als Erstes eine große Bühne mit einem schwarz gekleideten Mann, der einen auffällig großen Zylinder trug.
„Ein Zauberer!“, meinte Noel und deutete mit einen flüchtigen Handbewegung auf ihn. „Voll die Null.“
„Ach und du kannst es besser?“, meinte sie lachend.
„Mit Sicherheit.“
Elaine musste schmunzeln.
„Ich will auf das Flugzeug!“, rief Mia und zeigte auf das Karussell, das in die Höhe ging und im Kreis fuhr. Elaine rollte die Augen und lief mit ihr zur Kasse. Sie besorgte eine Karte für die Kleine und beide warteten bis zur nächsten Runde. Mia stieg in einen Waggon ein, der eine Biene darstellen sollte und krallte sich aufgeregt am Lenkrad fest. Elaine nahm ein wenig Abstand und sah zu wie es in die Höhe flog. Mias lautes Lachen übertönte alles andere, aber sie hatte jede Menge Spaß. Dabei stimmte etwas mit der Maschine nicht. Sie gab seltsame Geräusche von sich.
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