Autor: OiLilly
veröffentlicht am: 14.05.2012
Prolog
------------------------------------------
Meine Mutter drehte durch, als die Nachricht kam, dass mein Vater verstorben war. Und wenn ich sage, sie drehte durch, dann meine ich das wortwörtlich. Sie drehte vollkommen durch.
Sie brach nicht zusammen, sie weinte nicht, sie schrie nicht. Sie starrte nur vor sich hin, ließ die Zeitung fallen und murmelte etwas Unverständliches. Ich habe nicht verstanden, was sie gesagt hatte. Ich sah nur durch meinen Tränenschleier, dass sie aufstand und in die Küche ging.
Ich schaute ihr hinterher und schrie: „Mum!“
Doch sie reagierte gar nicht auf mich. Also ließ ich den Officer, der vor unserer Tür stand mit einer entschuldigenden Miene stehen und rannte meiner Mutter hinterher. „Mum!“ schrie ich wieder.
Doch wieder ignorierte sie meine Rufe. Sie stand in der Küche, bewaffnet mit ihren gelben Gummihandschuhen und dem neuen Putzmittel von irgendeiner Marke, die irgendetwas versprach.
„Ich muss jetzt erst einmal die Küche putzen, dann backe ich die Brownies, die ich dir versprochen habe und dann kümmere ich mich um die Trauerfeier“ Und all dies sagte sie in einem solch feierlichen Ton, dass kurzzeitig all meine Trauer von mir wich.
„Mum… Dad ist tot“ flüsterte ich. „Es ist egal, ob die Küche sauber ist. Ich will keine Brownies… und die Trauerfeier…“ mir blieben die Worte im Hals stecken. Ich wusste auch gar nicht, was ich sagen sollte – oder was ich sagen wollte. Es spielte eigentlich auch keine Rolle.
Noch gestern war ich in Yale gewesen, hatte eine Prüfung geschrieben – die letzte Prüfung des Semesters – und nun, nur vierundzwanzig Stunden später brach meine Welt zusammen.
Meine Mutter schaute mich irritiert an. Kurz flackerten ihre Augen und ich dachte schon, dass sie jetzt zusammenbrechen würde. Doch das tat sie nicht. „Aber du liebst Brownies doch!“
Verständnislos starrte ich meine Mutter an und all meine Trauer wandelte sich in Wut um: „Ich scheiß’ auf diese verdammten Brownies! Dad ist tot!!! Begreifst du das denn nicht?!“ Bevor meine Mutter antworten konnte, stürmte ich mit den Worten „Der Officer wartet“ aus der Küche.
In der Tür stand er immer noch – der dicke Officer in seiner blauen Unform. Der, mit dem mitleidigen Blick.
„Danke für die Nachricht“ sagte ich. Dabei hatte ich keinen Grund mich zu bedanken.
„Kommen Sie denn auch… klar?“ fragte er unsicher und fuhr sich durch die grauen Haare.
„Sie müssen mich nicht siezen!“ erwiderte ich barsch. „Ich bin erst neunzehn!“
Er zuckte kaum merkbar zusammen und hakte dann nach: „Und? Wirst du klarkommen?“
„Sie können uns eh’ nicht hel…“ Ich konnte meinen Satz nicht beenden, denn meine Mutter unterbrach mich: „Vielleicht will der Officer ja Brownies“
Ich drehte mich noch nicht einmal zu ihr um: „Keiner will Brownies“ murmelte ich und wandte mich dann wieder an den Officer: „Auf Wiedersehen“ Mit diesen Worten knallte ich die Haustür zu. Ich wollte den Polizisten nicht mehr sehen; wollte nicht mit ihm reden. Es hätte ja sowieso nichts geändert. Er konnte uns nicht helfen.
Und in diesem Moment wusste ich, dass ich hier weg musste.
Weg aus dem Haus, das mein Vater hat bauen lassen, als ich geborgen wurde. Das Haus mit den drei Etagen, der tollen Dachterrasse und Pool, um den mich alle meine Schulfreundinnen beneideten. Mir war dieser Pool egal.
Weg aus Oakville, das kleine Städtchen, in dem jeder jeden kennt. Ich würde die mitleidigen Blicke der anderen nicht ertragen können.
Ich wollte einfach nur weg. Ich wollte weg aus Oakville.
Am Abend fragte meine Mutter: „Willst du zurück? Zurück nach New Haven?“
Und alles was ich hervorbringen konnte, war ein Kopfschütteln. Ich wusste nicht, wohin ich wollte. Und Mum wusste es auch nicht, aber ich sah ihr an, dass auch sie aus diesem Haus, in dem einen alles an Dad erinnerte, raus musste.
Ich weiß nicht, wie lange wir schweigend nebeneinander auf dem Sofa saßen und uns nur an den Händen hielten, bis Mum aufstand, seufzte und sagte: „Ich werde die Schwester deines Vaters anrufen. Vielleicht können wir eine Weile zu ihr“
Und ich konnte nur nicken und hoffen, dass ich bald aus Oakville raus kam.