Geschichte der Rolling Stones

[Aus "The Rolling Stones" erschienen zur ´98 Tour]


Zufällige Ereignisse und Fügungen des Schicksals führten zur Gründung der Rolling Stones. Das zufällige Zusammentreffen von Jagger und Richards am Bahnhof von Dartford war ein wichtiger Zufall, aber längst nicht der einzige. Ungefähr zeitgleich zog Brian Jones durch London. Er versuchte, eine Band auf die Beine zu stellen. Auf eine Anzeige hin meldete sich Tastenmann Ian Stewart bei ihm. In Dartford gründeten Jagger, Richards und Dick Taylor eine Amateurband mit dem Namen "Little Boy Blue And The Blue Boys". Die drei Blue Boys besuchten am 7. April 1962 den Ealings Jazz Club, wo Brian Jones mit Alexis Korners Band spielte und ein durch Mark und Bein gehendes Gitarrensolo spielte. Die Blue Boys und Jones unterhielten sich angeregt, stellten viele musikalische Übereinstimmungen fest und blieben in Kontakt. Jones trat mit den Dartforder Jungs dann und wann auf. Jagger wurde Aushilfssänger bei Alexis Korners "Blues Incorporated", wo auch Jones weiterhin mitmischte. Im Juni 1962 schlug schließlich Brian Jones vor, dass man sich unter dem Namen "The Rollin' Stones" zu einer echten Band zusammenfinden sollte. Der erste Auftritt unter diesem Namen fand am 12.Juli 1962 im Marquee Club, London in folgender Besetzung statt: Jagger (voc), Jones (g), Richards (g), Dick Taylor (b), Ian Stewart (pi) und Mick Avory (dr). Im August ´62 verließ Dick Taylor die Band, um sein Studium weiterzuführen. Den Schritt sollte er bereuen, auch wenn er später mit den "Pretty Things" einigen Erfolg haben sollte. Bill Wyman ersetzte Taylor. Die Drummer wechselten mehrfach. Alle wollten Charlie Watts, der bei Korner und bei der Kapelle "Blues By Five" trommelte. Watts zierte sich lange, gesellte sich aber im Januar 1963 dazu.

Das Engagement der Stones in "Crawdaddy Station Hotel" in Richmond vor den Toren Londons war ein weiterer, wichtiger Schritt. Giorgio Gomelsky, der Besitzer des "Crawdaddy", verpflichtete die Newcomer, da er ihr Potential erkannte. Gomelsky, russisch/italienischer Abstammung, war Filmproduzent und gewissermaßen der erste Manager der Stones. Ihm haben sie es zu verdanken, dass sie in Richmond Gelegenheit erhielten, für Furore zu sorgen. Ihre wilden Auftritte wurden zum Londoner Szenegespräch, wodurch nicht nur die Beatles, sondern auch Andrew Oldham angelockt wurde. Am 29.April 1963 tauchte Oldham mit seinem Partner Eric Easton im Crawdaddy auf. Ihm wurde schlagartig klar, dass er nicht irgendwas sah, sondern den Beginn einer Art Revolution. Er handelte sofort und nahm die Band noch am selben Abend als Manager unter Vertrag. Oldham war zwar erst 18 Jahre alt, aber er hatte bereits im Musikbusiness mitgemischt, u.a. als Assistent von Beatles-Manager Brian Epstein. Oldham hatte keine Skrupel, wollte hoch hinaus und jedes Mittel war recht. Die Stones und Oldham passten zusammen. Nach anfänglichen Problemen bildeten sie ein perfekt funktionierendes Team, das die Welt aus den Angeln heben sollte. Auf Oldhams Betreiben wurde Ian Stewart aus der Band geschmissen, weil er optisch nicht ins Bild passte und auch sonst zu bieder rüberkam. Die Band plagte auf ewig ein schlechtes Gewissen. Sie baten ihn, trotzdem im Hintergrund dabei zu bleiben. Stewart wurde zum Mädchen für alles und spielte bei allen LP-Produktionen als Pianist mit und er begleitete sie auf jeder Tournee. Ian Stewart starb am 12.12.1985 an einem Herzinfarkt. Es erwischte ausgerechnet einen, der die Solidarität in Person war. Er nahm nie Drogen und hielt sich von allem fern, was mit Ausschweifungen auch nur am Rande zu tun gehabt hätte. Er war bis zuletzt der sechste Stone und sein Einfluss war auf natürliche Weise groß.

Oldham brachte es fertig, für die Stones bei Decca einen Plattenvertrag abzuschließen. Decca hatte die Beatles auf Grund einer totalen Fehleinschätzung nicht unter Vertrag genommen. Eine weitere Fehleinschätzung wollte man sich in dem ehrwürdigen Haus nicht leisten, also griff man bei den Stones zu, unter normalen Umständen hätte man die Finger davon gelassen. Von Plattenaufnahmen hatte keiner, erst recht nicht Oldham Ahnung. Mit grenzenlosem Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten enterten sie ein Studio und spielten u.a. eine Coverversion von Chuck Berry's "Come On" ein. Das Erstlingswerk war eine einzige Katastrophe, musste noch mal neu eingespielt und abgemischt werden, aber als die Single erschien, erreichte sie immerhin Platz 20 der englischen Charts. Mit der Veröffentlichung ihrer ersten Single und dem Achtungserfolg im Rücken, begann eine jahrelange unablässige Hatz zwischen Plattenstudios, Konzerten, TV-Auftritten und Interviews. Die zweite Single war eine Lennon/McCartney-Komposition mit dem Titel “I Wanna Be Your Man“.

Im April 1964 erschien das erste Stones - Album mit dem schlichten Titel "The Rolling Stones". Es war zugleich ihr kommerzieller Durchbruch, es hielt sich glatte 11 Wochen auf Platz 1 der LP-Charts. Um international den Durchbruch zu schaffen, war es dringend erforderlich, den amerikanischen Markt zu erobern, was zunächst größte Mühen bereitete. Im Juni '64 brachen sie zu einer ersten US-Tournee auf, die voll daneben ging. Die Reise war mies organisiert, die Medienstimmung ausgesprochen feindlich. Sie spielten überwiegend vor leeren Rängen und konnten sich böse Witze anhören. Diesbezüglich fiel vor allem Dean Martin in einer TV-Sendung auf: "Sie haben keine langen Haare, ihre Stirn ist nur so tief“ usw. Nach England zurückgekehrt, nahmen ihre Konzerte immer mehr die Form von Gewaltorgien an. Die Fans schrieen sich die Lunge aus dem Hals, zerschlugen das Hallenmobiliar, wofür sie wiederum von der Polizei verprügelt wurden. Die gewalttätigen Konfrontationen eskalierten bis hin zu regelrechten Straßenschlachten. Am 8.8.1964 tauchten die Stones zum ersten Mal auf dem europäischen Festland auf. Ihr Gig im niederländischen Den Haag endete fast noch chaotischer als mit schöner Regelmäßigkeit auf der Insel. Nach Deutschland kamen sie am 16. Oktober, um in Berlin TV-Aufnahmen zu machen. Ende Oktober nahmen sie in den USA einen zweiten Anlauf, und diesmal klappte es schon besser. In Chicago und Hollywood nahmen sie die LP "Rolling Stones No.2" auf, um danach in Australien zu touren. Anfang 1965 zwang Oldham Jagger/Richards, endlich eigenes Material zu schreiben. Ansatzweise war das bereits vorher geschehen. Die aller erste veröffentlichte Jagger/Richards - Komposition war „Tell Me“, eine weiche Popnummer, die trotzdem etwas für sich hatte. Der Überlieferung zufolge wurden die beiden einmal gemeinsam in eine Küche eingesperrt und kamen erst wieder raus als sie Songmaterial vorweisen konnten. Die erste Nummer 1-Single aus der Feder von Jagger/Richards war "The Last Time", erschienen am 26.2.1965. Im Mai 1965 nahmen sie wieder in den USA Material auf, u.a. "Satisfaction". In seinem Hotelzimmer wachte Richards auf und hatte den Riff im Kopf. Schlaftrunken nahm er ihn mit einem Kassettenrecorder auf und pennte wieder ein. Anderntags hätte er die Stelle fast gelöscht, spielte die Nummer zunächst akustisch. Später verwendete er eine Fuzz-Box, ein Effektgerät, das an eine elektrische Gitarre angeschlossen wird, wodurch der später berühmte "Satisfaction" - Sound erzielt wurde. Richards blieb zunächst dabei, dass "Satisfaction" als Folknummer erscheinen sollte und später, als die elektronische Version eingespielt war, gab es hitzige Diskussionen darüber, ob "Satisfaction" überhaupt als Single erscheinen soll. Die Band stimmte ab, das Ergebnis war 3:2 für die Singleveröffentlichung und somit der Start zu einer eigenen Rocksong-Legende. "Satisfaction" war die perfekte Rocknummer und wird es vermutlich bis in alle Ewigkeit bleiben. Im weiteren Verlauf wurden Schlag auf Schlag weitere Jagger/Richards - Songs weltweit Nummer 1-Hits: "Get Off Of My Cloud", "19th Nervous Breakdown", "Paint It Black", "Have You Seen Your Mother Baby". Im April 1966 legten sie mit "Aftermath" außerdem ein weiteres Album vor, dass ebenfalls die Rockmusik tiefgreifend verändern sollte. Das Album war als Ganzes zu sehen, keine Aneinanderreihung von Singles, es bestand nur aus Jagger/Richards - Songs und hatte experimentelle Anflüge. "Goin' Home" sprengte mit einer Laufzeit von 11:45 Minuten alle bisher geltenden Regeln.

Nach vier Jahren hatten sie es geschafft aus dem Nichts heraus sich gegen alle Widerstände und Anfeindungen durchzusetzen.

Was durch die Platten und Konzerte der Rolling Stones von 1963 bis 1967 ausgedrückt wurde, hatte mit Rebellion zu tun. Ihre Musik fiel auf einen vorhandenen Nährboden, sie drückte das aus, was viele jugendliche unterschwellig fühlten, was aber noch keine Ausdrucksform erhalten hatte. Die Stones traten eine Lawine los, die dazu angetan war die vorherrschenden Moralvorstellungen ernsthaft zu gefährden. Die Songs wurden von ihren Hörern als Botschaft aufgefasst und als Anleitung zur Erfüllung universeller Freiheitsträume. Die rebellische Zeitstimmung mündete in einer Politisierung, die sich durch die immer schärfer artikulierte Gegenkultur aus drückte. Die Ideologisierung gipfelte schließlich in der Studentenrevolte 1968.

Je stärker sich die westliche, bürgerliche Ordnung bedroht sah, um so entschlossener gerieten die Gegenreaktionen auf das jugendliche Revoluzzertum. Auch wenn die Stones mit der Ideologisierung nichts am Hut hatten, so standen sie doch als eine Ursache für die unheilvolle Entwicklung fest. Beschränkte sich die Bekämpfung der Stones während der ersten Jahre auf böse Schlagzeilen und schroffe Ablehnung im täglichen Leben, so steigerte sich das ab 1967 vor allem dadurch, dass sie mit juristischen Mitteln in die Knie gezwungen werden sollten. Die härtere Gangart bekamen sie am 12. Februar 1967 zu spüren. Bei einer Razzia in Keith Richards Haus wurden Drogen gefunden. Im Aschenbecher befanden sich Haschischreste, in Jaggers Jacket ein paar Pillen und bei dem anwesenden Galeristen Robert Fraser fand sich Heroin. Die ganze Aktion war mit ziemlicher Sicherheit von dem konservativen Sensationsblatt „News Of The World“ inszeniert worden. Die Affaire führte zu einer Gerichtsverhandlung am 27. Juni 1967, in deren Verlauf Jagger und Richards zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Das Urteil kam durchaus einer Rechtsbeugung gleich, denn keiner war vorbestraft, Jaggers Pillen waren völlig legal in Italien gekauft wurden und Richards konnte nicht nachgewiesen werden, dass er jemanden zum Drogenkonsum aufgefordert hatte. Beide wurden aus dem Gerichtssaal heraus verhaftet und eingelocht. Gegen Kaution kamen sie wieder raus. Ihre Arretierung löste in London Krawalle aus. Auch Brian Jones traf es. Am 10.Mai 1967 wurde er verhaftet, genau am gleichen Tag, als gegen Jagger/Richards eine Vorverhandlung lief. Hinter den polizeilichen und gerichtlichen Aktionen konnte System vermutet werden. So sah es auch die liberale altehrwürdige „Time“ und kommentierte die Vorfälle entsprechend. Der "Times" - Artikel trug wesentlich dazu bei, dass die Berufungsverhandlung für Jagger und Richards am 31. Juli glimpflich verlief. Für Brian Jones setzte sich die Jagd fort.

Es hatte sich eine Jugendbewegung entwickelt, die eindeutig im Gegensatz zur bestehenden Ordnung stand. Die Hippie-Bewegung war nur ein Teil dieser Entwicklung, wenn auch zeitweilig der bestimmende. Musikalisch fand das neue Lebensgefühl in der Psychodelic - Welle seine Entsprechung. Die Stones hatten diese Richtung nicht erfunden, im Gegenteil, sie passte nicht zu ihnen. Trotzdem hingen sie sich dran. Mit "Their Satanic Majesties Request" legten sie 1967 denn auch ein Album vor, auf dem es an allen Ecken LSD-schwanger blubberte und wabberte. Kommerziell gesehen war die Platte erfolgreich, aber andere konnten das besser, speziell die Beatles, deren St. Pepper - Album sie nachgeeifert hatten oder Bands wie Pink Floyd. "Their Satanic Majesties Request" war das erste und einzige Mal, dass sich die Stones an anderen orientierten. Von Andrew Oldham hatten sie sich im Verlauf der Arbeiten an „Their Satanic ..." getrennt und erstmals ein Album alleine produziert.

Dass sie sich auf dem Holzweg befanden, sahen Jagger/Richards erstaunlich schnell ein. Bereits wenige Monate nach "Their Satanic ..." arbeiteten sie wieder im Studio und kehrten zu ihrer erdigen Spielweise zurück. Die entrückte, in anderen Sphären spielende Love-And-Peace-Welt widersprach ihrem Naturell. Ende Mai '68 veröffentlichten sie mit "Jumpin'Jack Flash" dann auch eine Single, die wie eine Bombe einschlug. Da war wieder ihr böser Sound, getragen von einem scharfen Riff. Sie arbeiteten somit wieder hart an der Realität. Die LP "Beggars Banquet" war zu diesem Zeitpunkt fast fertig und sollte als eines ihrer überzeugendsten Produktionen in die Geschichte eingehen. Die LP zeigte die Stones so grimmig-subversiv wie nie zuvor. Die angekoppelte Single „Street Fighting Man" wurde in den USA als Aufruf zum Straßenkampf gewertet und indiziert. Die Aufnahmen von „Sympathy For The Devil“ wurden von Jean-Luc-Godard für seinen Avant Garde-Film "One Plus One" gefilmt. So wirr der Streifen auch sein mag, er dokumentiert die Evolution von „Sympathy For The Devil“ auf interessante Weise. „Beggars Banquet“ veränderte vieles. Die neuen Songs sollten der Welt im Rahmen des "Rock 'n Roll Circus" präsentiert werden. Dieses Projekt sah vor, dass die Stones, zusammen mit anderen Bands im Rahmen eines skurrilen Zirkusprogramms auftreten, um dort die Songs zu spielen. Das mit viel Aufwand betriebene Spektakel wurde gefilmt, aber nie irgendeinem Sender angeboten, da die Stones mit ihren eigenen Interpretationen nicht zufrieden waren.

Wegen des Covers von "Beggars Banquet" kam es darüber hinaus zum massiven Streit mit ihrer Plattenfirma Decca, die sich weigerte das Toilettenmotiv mit versauten Graffitis an der Wand durchgehen zu lassen. "Wenn sie uns heute das Cover verbieten, werden sie uns später auch noch vorschreiben was für Musik wir zu machen haben," erregte sich Jagger und kündigte an, dass man den Decca - Vertrag auf gar keinen Fall verlängern werde, sondern ein eigenes Label zu gründen gedenke.

1969 drängte es die Stones wieder raus auf die Straße, rein ins Geschehen. Sie waren seit zwei Jahren nicht mehr live aufgetreten und planten eine US-Tournee, die sich mit Brian Jones nicht machen ließ. Wegen seiner Prozesse hatte er kein Visum erhalten und außerdem war er körperlich nicht in der Lage eine Tournee durchzustehen. Die Trennung von ihrem eigentlichen Gründer war unvermeidlich geworden und sie wurde Anfang Juni 1969 endgültig vollzogen. Sie holten Mick Taylor von John Mayalls Blues Band und arbeiteten an ihrem neuen Longplayer „Let It Bleed“, der rechtzeitig zur USA-Tournee fertig sein musste. Mit Brian Jones verloren die Rolling Stones nicht irgendwen, sondern einen Popstar par excellence, der für das Image genauso verantwortlich war wie Jagger/Richards. Sein Tod einen Monat nach dem Rauswurf war die Krönung eines persönlichen Dramas. Zynisch betrachtet konnte den Stones nichts besseres passieren. Jones war gestorben, sein Rausschmiss sekundär, er hatte noch nichts Neues angefangen, blieb also im Bewusstsein der Fans ein Stone und obendrein war zufällig zwei Tage nach seinem Ableben ein gigantisches Freikonzert im Londoner Hyde Park geplant. Die Veranstaltung vor ca. 300.000 Menschen wurde in eine Gedenkveranstaltung für den verblichenen ex-Stone umfunktioniert und somit zu einem weiteren legendären Ereignis in der bewegten Stones - Geschichte.

Die US-Tournee im Herbst'69 entwickelte sich zu einem sagenhaften Triumphzug. Die Stones waren bereits 1969 eine quasi historische Erscheinung. Sie begannen ihre Karriere noch vor Hippiekult und Flower Power, sie hatten alles überlebt und eine Rockgruppe, die gewissermaßen von der Stunde Null an on top geblieben war. Die Legendenbildung um die Stones war zur Zeit des auslaufenden Jahrzehnts bereits weit fortgeschritten.

Die Altamont - Katastrophe zum Abschluss der Tournee symbolisierte gleichzeitig das Ende aller Hippie-Träume. Altamont war geplant als Gegenstück zum Woodstock Festival. Abgesehen von eklatanten organisatorischen Mängeln, die das Desaster begünstigten, war die verbreitete Ansicht, dass alle eine Familie sind mit ausschlaggebend für das brutale Scheitern. über 300.000 Menschen ' viele bis über die Hutschnur mit schlechten Drogen vollgepumpt, strömten zusammen und sollten ausgerechnet von den Hells Angels, die man mit zur Gegenkultur zählte im Zaum gehalten werden. Mit Love And Peace hatten die Westküsten - Hells Angels allerdings nichts am Hut. Sie prügelten munter auf Zuschauer ein und verbreiteten allseits Angst und Schrecken. Die aufgepeitschte Stimmung fand ihren Höhepunkt in der Ermordung eines Zuschauers unmittelbar vor der Bühne, als die Stones bereits spielten. Alle Beruhigungsversuche durch Jagger mussten scheitern, die geplante Familienfete endete in einem Blutbad. Die Geister, die man in den 60er Jahren beschwor, hatten sich in einen ungeahnte Richtung verselbständigt.

Pünktlich zum Start in die 70er Jahre waren eine Menge Träume ausgeträumt. Aus Altamont zogen sie nur eine Konsequenz: nie mehr unprofessionell und spontan organisierte Gigs. Der Vertrag mit Decca lief aus. Veröffentlicht wurde noch das Live-Album "Get Yer Ya Ya's Out“, das die US-Tournee eindrucksvoll verewigte. Was blieb, war die Verpflichtung gegenüber Decca, noch eine letzte Single abzuliefern. Mit "Cocksucker Blues" kamen sie dem Verlangen nach. Die Nummer hatte es in sich. Sie klang wie ein Mega-Delirium nach einem Saufexzess, garniert mit einem wahrhaft schweinischen Text, der den Decca - Machern die Schuhe auszog. "Cocksucker Blues" hatte den Effekt, den man erzielen wollte, Decca verzichtete auf eine Veröffentlichung.

Das Theater mit Decca und das noch viel größere Theater mit Allen Klein, der die Rolling Stones nach allen Regeln der Kunst über den Tisch gezogen hatte, bewirkte, dass die Pläne für eine eigene Plattenfirma vorangetrieben wurden. Rolling Stones Records startete denn auch 1971. Marshall Chess, ein Abkömmling der Chess-Familie, die in den 50er/ 60er Jahren mit ihrer Plattenfirma schwarzes R&B-Material veröffentlichte und dadurch Pionierarbeit geleistet hatte, war ihr erster Präsident. Für Rolling Stones Records wurde die weltbekannte Stones-Zunge von Andy Warhol als Logo entwickelt. Die Firma sollte nicht nur bandeigenes Material herausgeben, sondern auch andere Künstler featuren, was später nicht in dem Umfang geschah wie geplant.

Die Stones verließen 1971 England, verlagerten ihre Hauptwohnsitze vorwiegend nach Südfrankreich. Das Exil förderte das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die Single "Brown Sugar" war das erste Stones-Produkt ihrer eigenen Firma. Der Song reihte sich nahtlos in ihre Nr.1-Hit -Sammlung ein. Wenig später erschien die LP "Sticky Fingers" mit dem legendären Hosen-Cover mit Reißverschluss, ebenfalls von Warhol designed. Das Zusammenrücken im Süden Frankreichs bewirkte eine nicht für möglich geglaubte Steigerung ihrer Produktivität. Ganz im Gegensatz zum Glamourbild von Jaggers Hochzeit in St. Tropez, forcierten sie musikalisch ihren Outcasthabitus mit der Doppel-LP "Exile On Main Street“, die in Richards Haus an der Cote d'Azur bei sengender Hitze eingespielt wurde. Das raue Werk erging sich in musikalischen und textlichen Bildern von Huren ' Spielern, Loosern, Säufern und Jurikies. Mit dem neuen Material begaben sie sich wieder auf USA-Tournee, die diesmal in jeder Hinsicht perfekt durchgezogen wurde. So kühl die Abwicklung war, so heiß war das, was sich hinter den Kulissen zutrug. Wieder war ein Kamarateam zur Stelle und filmte Sex-Orgien im Flugzeug und Heroin-Orgien in der Hauptrolle Richards. Der Film war starker Tobak und wanderte in Jaggers Safe.

Was daraufhin folgte, war eine bedenklich flaue Zeit, die durch "Goats Head Soup", einem vergleichsweise kraftlosen Album eingeleitet wurde. Die Europatournee 1973 zeigte zwar einen agilen Jagger, der jedoch erstmals so was wie seine eigene Karikatur abgab. Die nächste LP "It's Only Rock'n Roll" korrigierte die Tendenz zwar einigermaßen, aber "Black And Blue" bedeutete den Tiefpunkt einer schleichenden Entwicklung. Ursächlich mit dem Abflachen verknüpft war Richards Abdriften in seine Junkiewelt und Jaggers Konzentration auf rein geschäftliche Angelegenheiten. 1977 waren die Stones zwar eine Supergruppe mit allem was dazugehört, aber sie waren auch langweilig geworden. Äußere Umstände führten dazu, dass die Rolling Stones aus der um sich greifenden Lethargie wachgerüttelt wurden. Meistens waren es unüberwindlich erscheinende Probleme, die die Rolling Stones am Ende gestärkt haben. 1977 sollte ein Clubkonzert in Toronto aufgezeichnet werden, um die geplante Live - LP abzurunden. Im Hotel wurden Richards und Pallenberg von kanadischen Drogenfahndern überrumpelt. Die sichergestellten Drogenmengen reichten problemlos aus, um Richards aus dem Verkehr zu ziehen. Peinlicherweise kam hinzu, dass sich die damals 29jährige Gattin Margaret des kanadischen Premierministers Pierre Trudeau der Band an den Hals schmiss. Kolportiert wurden wilde Nächte mit Jagger, tatsächlich war es aber Ron Wood, der sich mit Margaret amüsierte. All das kam in der kanadischen Öffentlichkeit nicht besonders gut an: zuerst kommen sie mit Unmengen Drogen und dann legen sie auch noch die Frau vom Premier flach! Richards kam aus der Nummer nur raus, indem er sich einer echten Entziehungskur unterzog, seine Schuld eingestand und ein Benefizkonzert für eine Blindenorganisation gab. Richards gaukelte die Absicht vom Heroin loszukommen nicht bloß vor, er wollte wirklich, denn er erkannte, dass es zukünftig nur zwei Möglichkeiten gab: entweder weiter im Junkie-Millieu versinken oder mit der Band weitermachen. Seine Entscheidung war eindeutig, also unterzog er sich den Tortouren. Tatsächlich schaffte er es nach einigen herben Rückfällen clean zu werden. Richards wurde bei den Stones dringend gebraucht. Die britische Punkbewegung schickte sich an, alles Alte wegzuspülen. Die anfangs originären, von unten kommenden Punks wurden von den Stones als Herausforderung betrachtet, die sich ähnlicher Mittel wie sie selbst bedienten. Da Richards wieder an Bord war, gelang es mit „Some Girls“ eine passende Antwort zu finden. Die LP war eine kompakte Ansammlung von frischen, schnörkellosen Nummern, die jeden Punkschuppen zum Kochen bringen konnten. Aus dem Rahmen fiel "Miss You", eine soulige Disco-Funknummer, die wiederum Nummer 1 - Platzierungen erreichte. Die USA-Tournee 1978 zeigte auch, dass Jagger outfitmäßig wieder zur Besinnung gekommen war, seine Zirkuspferdverkleidungen der Jahre '73 bis '76 hatte er scheinbar weggeschmissen.

Auf "Some Girls" folgte 1980 mit "Emotional Rescue" eine ordentliche LP, die jedoch nicht an das Vorgängeralbum heranreichte. Schon ein Jahr später veröffentlichten sie "Tattoo You", deren größtes Kapital in der Single "Start Me Up" bestand. Ihnen war wieder ein Song von der Güte "Jumpin' Jack Flash" gelungen. Die zahlreichen produktiven Aktivitäten zwischen 1977 und 1981, ihre Bereitschaft, sich den Punks zu stellen und mit gleicher Münze zurückzuzahlen, führte dazu, dass die Rolling Stones einer neuen, noch höheren Statusebene näher kamen. Das 20 Jährige Bestehen stand an und sie gingen wieder auf Tournee. Die USA-Tournee 1981 war der Durchbruch in eine ganz neue Dimension. Sie spielten fast nur noch in Stadien und kreierten eine neue Form von Massenspektakel unter offenem Himmel. Das gleiche Schauspiel übertrugen sie 1982 nach Europa.

Nach 81/82 starteten die Stones noch einmal kurzfristig durch. Das Album "Undercover" wurde eingespielt und Ende '83 veröffentlicht. Wieder gelang es ihnen durch eine ziemlich kompromisslose Linie und Härte zu überzeugen. Jagger beeindruckte durch substanzhaltige Lyrics, die zum ersten Mal seit langem auch wieder politische Inhalte hatten. Fälschlicherweise rangiert "Undercover" allgemein hin nicht in der Rubrik "Große Stones-LPs“.

Zwischen 1984 und 1988 bestand zum ersten Mai die reale Gefahr, dass sich die Rolling Stones wegen interner Probleme auflösen. Angesichts der unglaublichen Erfolge bis 1983 erscheint das widersinnig. 1983 liefen die Verträge mit den Major Companys aus, die Rolling Stones Records vertreiben. Der neue Geschäftspartner wurde CBS. Walter Yetnikoff, der CBS-Boss packte Unsummen aus, um mit den Stones ins Geschäft zu kommen, womit er noch andere Ziele verfolgte. Yetnikoff war gewissermaßen auf Solokünstler eingeschossen und bedrängte Jagger eine eigene Karriere anzustreben. Er, Jagger, sei der geborene Superstar und könne alleine abräumen. Das Werben wäre vergeblich geblieben, wenn nicht Jagger Probleme mit den Stones gesehen hätte. Nach Jaggers Auffassung war ein Überleben an der Spitze nur möglich, wenn man sich weiterentwickelt und bereit ist moderne Elemente stilvoll einzuarbeiten. Inhalte waren zwar nicht mehr gefragt, wohl aber intelligente Popschemen. Richards sah das gänzlich anders. Die grundsätzlichen Richtungsstreits nahmen überhand. Je länger Jagger nachdachte, um so sicherer war er sich, dass die ganzen Erfolge seit Anfang der 70er Jahre fast ausschließlich ihm zu verdanken waren. Schließlich hatte er den Laden zusammengehalten und die Konzerte erst zu dem gemacht, was sie nun mal waren: etwas Besonderes. War da etwa jemand wegen Watts, Wyman, Taylor oder Wood gekommen? Wenn jemand wegen Richards kam, dann konnte das zahlenmäßig nicht sonderlich ins Gewicht fallen. Die Stones ohne Jagger? Lächerlich! Jagger ohne Stones? Vielleicht sollte es sich zeigen, dass alle nur wegen ihm kommen. Jagger wollte ab 1984 den Ego-Trip und er machte sich auf den Weg.

Der Sänger engagierte eine Reihe hochklassiger Begleitmusiker, u.a. Jeff Beck. Beck ist im Vergleich zu Richards der bessere Gitarrist, seine Technik sogar mit das Beste, was man im Rockgeschäft finden kann. Kaum jemand ist besser als er in der Lage straighten Rhythmus und Solo ausgewogener zu kombinieren. Im Frühjahr 1985 erschien Jaggers "She Is The Boss". Es war eine ausgezeichnet arrangierte Rock-Pop-Scheibe, die gut in die Zeit passte. Der Werbeaufwand seitens CBS konnte sich sehen lassen die Verkäufe der Single "Just Another Night" und der LP ebenfalls. Aber anstatt die Platte durch Liveauftritte zu promoten, schob Jagger neue Aufnahmen mit den Stones ein. In Paris traf man sich just in dem Moment, als "She Is The Boss" die Charts enterte. Die Stimmung bei den Stones - Sessions war nie so wie bei den Aufnahmen zu "Dirty Work". Zwischen Jagger und Richards stimmte nichts mehr. Jagger hielt sich zurück und Richards übernahm das Kommando alleine. "Dirty Work" war - was Wunder eine schwache LP. Abgesehen von "One Hit To The Body" bestand sie überwiegend aus überdrehten Gewaltmärschen oder unausgereiften Ideen.

Nach "Dirty Work" eskalierte der Krach zwischen Jagger/Richards so sehr, dass gegenseitige Beschimpfungen öffentlich ausgetauscht wurden. Wood versuchte monatelang zu schlichten, allerdings ohne Erfolg. Watts wartete ab, gab aber die Schuld für die Entwicklung Jagger. Wyman profilierte sich durch eine Reihe von Interviews, in denen er Jagger attestierte, dass die Band auch ohne ihn auskommt.

Nachdem die erste Solo-LP hoffnungsvoll gelaufen war, gedachte Jagger den Durchmarsch anzugehen. Wieder begab er sich ins Studio und bastelte diesmal einen Longplayer zusammen, der das Erstlingswerk noch um Längen übertraf. Titel: "Primitive Cool". Und trotzdem. Jagger machte Fehler. Das Cover war dämlich und die Single eine der schwächeren Titel. Jagger als innovativen Newcomer darzustellen, hatte nicht den erhofften Erfolg. Dass Qualität und Inspiration keineswegs die Gewähr für hohe Verkäufe sind, bewies "Primitive Cool". Jagger versuchte die Sache noch zu retten, indem er eine Solo-Tournee ankündigte, die durch die USA gehen sollte. Noch bevor Daten verkündet wurden, zog er wieder zurück. Er entschloss sich zunächst in Australien aufzutreten, um kein zu großes Risiko einzugehen. Die Gigs vor großen Kulissen waren allesamt ausverkauft, aber das Publikum sah eine gelackte Show mit einem Entertainment - Jagger, der in dieser Umgebung verloren wirkte. Dass auch noch Stones-Nummern von einer gesichtslosen Begleitband zum besten gegeben wurden, machte die Angelegenheit fast peinlich.

Jagger war ab da kuriert. Eine erfolgreiche Solokarriere hätte einen mörderischen Aufwand bedeutet, zumal man ihm eine Auflösung der Stones nicht verziehen hätte. Nur eine Auflösung der Stones hätte den Weg vielleicht freigemacht. Und: so gut manche Solonummern auch gewesen sein mögen, ohne die einzigartigen Ecken und Kanten der echten Stones wirkte die Sache leblos. Hätte Jagger den Schritt 1970 gewagt, hätte es ggf. hinhauen können, 1985 war es zu spät um die Bindung zwischen Jagger und den anderen einfach abstreifen zu können. Jagger streckte seine Fühler wieder in Richtung Stones aus. Richards ließ ihn zunächst auflaufen, denn er hatte mit den "X-Pensive Winos" ein eigenes Soloprojekt gestartet. "Talk Is Cheap" war Richards erste Soloplatte und sie erfreute sich in Kritikerkreisen größter Beliebtheit, bestach aber durch magere Verkäufe. Richards hatte anders als Jagger nicht die ernste Absicht, seinen Solopfad weiterzugehen. Die Solo - Eskapaden waren eher Richards letzte Trumpfkarte um Jagger zurückzuholen und somit die Stones zu retten. Bevor er diesen Weg einschlug, hatte er öffentlich erwogen Jagger einfach durch Roger Daltrey zu ersetzen. Dass Jagger wieder anklopfte, verschaffte Richards äußerste Genugtuung. Man verständigte sich darauf, dass man die Zusammenarbeit wiederaufnimmt und ließ die Öffentlichkeit wissen, dass es bald wieder losgehen würde.

Ab 1989 begann eine neue Zeitrechnung für die Rolling Stones. Das tiefe Zerwürfnis zwischen Jagger und Richards führte beiden vor Augen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Richards alleine ist begrenzt, ohne Esprit, Jagger alleine ist zu glatt. Beide brauchen wiederum die Band, um ihre Stärken ausspielen zu können. Erst die undefinierbare Chemie dieser Ansammlung von kantigen Individuen ermöglicht jedem einzelnen das Umsetzen und Ausleben ihrer Stärken.

Am 18. Mai 1988 fand im Londoner Savoy Hotel das erste Treffen aller Mitglieder seit zwei Jahren statt. Initiiert von Jagger, der eine flammende Rede hielt, sich zur Band bekannte und fortan Treue schwor, so wie es das ungeschriebene Gesetz der Rolling Stones schon immer verlangte. Die stillschweigende Übereinkunft besagt, dass die Band vor allem, auch vor Frauen und Kindern, die absolute Priorität genießt. Nachdem sich die Runde einige Stunden später auflöste, passte Richards, eine Flasche Wodka unter dem Arm, Jagger auf dem Flur ab und zischte: "Eine Gruppe wie uns kriegst Du nicht an jeder Ecke", haute ihm auf die Schulter und fügte hinzu: "Hier geht's um mehr, viel mehr - capice"? Jagger hatte verstanden, schon vorher.

Die Soloausflüge wurden abgehakt, man traf sich auf Barbados zu den ersten gemeinsamen Studioarbeiten seit drei Jahren. Die Trennung hatte ihr Gutes. Man fing unbelastet bei Null an. In relaxter Atmosphäre gingen die Arbeiten ungeahnt schnell von der Hand. Das Album "Steel Wheels" klang so frisch wie zuletzt "Some Girls" und das war auch nach einer äußerst schwierigen Phase entstanden. Jagger führte im altbekannten Stil von Barbados aus Gespräche wegen einer neuen Tournee, die traditionell in den USA starten sollte. Wieder einmal gelang es ihm einen Rekorddeal unter Dach und Fach zu bringen. Der kanadische Konzertpromoter Michael Cohl zog den Fisch mit einer Garantiesumme von 70 Millionen Dollar (damals ca. 200 Millionen DM) an Land. Cohl vertraute auf die ungebrochene Zugkraft der Stones und sollte mit dieser Einschätzung goldrichtig liegen. Die US-Konzerte waren binnen Stunden ausverkauft und übertrafen mit 3,5 Millionen Zuschauern die 81er Tournee bei weitem. Im Verlauf der "Steel Wheels" - US - Tournee präsentierten sich die Stones als perfekter Liveact, mit einem beeindruckenden Set, bestehend aus altem und neuem Material. Waren sie 81/82 teilweise am helllichten Tag, ohne jede Lightshow aufgetreten, so waren die '89er Gigs perfekt inszenierte audiovisuelle Spektakel. Und dennoch: dass da in erster Linie eine vitale Liveband spielt, wurde überdeutlich. 1990 setzten sie die "Steel Wheels" – Tour in Europa fort, änderten aber einige wesentliche Dinge. Europa lief unter dem Titel "Urban Jungle". Die Bühne änderte sich hin zu Türmen, die je nach Beleuchtung wie glühende Hochöfen wirkten. In Europa sahen 2,5 Millionen die Stones live. Erstmals auch im ehemaligen Ostblock. In Prag bekamen sie eine Art Staatsempfang durch Präsident Havel, einem alten Stonesfan, mit dem sich vor allem Jagger blendend versteht. Nach dem Eintritt in die 90er Jahre galt es abermals einen neuen Plattendeal abzuschließen. Virgin machte diesmal das Rennen. Wyman verließ die Band, unterschrieb aber noch den neuen Platten-Kontrakt. In gegenseitiger Abstimmung widmeten sich alle Bandmitglieder ihren Soloprojekten, wobei Jagger zum ersten Mal seit über 10 Jahren wieder vor der Kamera stand, um den Kinofilm "Free Jack" abzudrehen. Der futuristische Streifen erhielt zwiespältige Kritiken und wurde nirgends der erhoffte Kassenknüller. Jagger produzierte auch noch ein Soloalbum ("Wandering Spirit"), das wieder einmal durchaus zu überzeugen wusste. Richards tat gleiches, absolvierte auch ein paar Liveauftritte, u.a. ein Auftritt in Deutschland, der im TV übertragen wurde. Als Jagger seinen 50. Geburtstag feierte, befand er sich mit den Stones bereits wieder im Studio, wo "Voodoo Lounge" entstand. Vier Jahre nach ihrem letzten Liveauftritt begab man sich am 1. August 1994 wieder auf eine Konzertreise. Cohl war es erneut, der sich den weltweiten Event durch eine gigantische Garantiesumme sicherte. Die "Voodoo Lounge" - Tournee übertraf ein weiteres Mal alle bekannten Dimensionen, nachdem es in den USA zunächst einigermaßen schleppend begann. Im Verlauf der Tournee gastierten die Stones zum ersten Mal in Südamerika und auch in Südafrika, wo sich frenetische Jubelszenen abspielten, die an ihre Anfangsjahre erinnerten.

Auch in Europa wurde ihnen gehuldigt. Die Show war in der Tat ein Ereignis ersten Ranges, denn es gelang ihnen trotz aller Größe zu zeigen, dass sie eine beseelte Truppe sind, die bis zum letzten Rang eine fast schon magische Aura vermitteln kann.

Nach Abschluss der Tournee erschien im seriösen Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" eine Story, die den Verdacht äußerte, dass die Stones während der "Voodoo Lounge" - Tournee teilweise mit Play Back gearbeitet hätten. Wer die Konzerte gesehen hatte, konnte sich das nicht vorstellen und angesichts der unterschiedlichen Interpretationen ihres Materials während der Tournee hätte das auch wenig Sinn ergeben. Jedenfalls blieb etwas hängen. Die Stones bestritten den Vorwurf vehement, erwirkten eine Gegendarstellung, die jedoch nichts weiter sein konnte als eine Gegenbehauptung. Anscheinend recherchierte man von "Spiegel" - Seite weiter und stellte fest, dass an den eigenen Vorwürfen nichts dran war. Fast ein Jahr später rückte man unter der Überschrift "Doch live" die Sache ins richtige Licht. Der ungeheure Erfolg von "Voodoo Lounge" als LP und Tournee versetzte ihnen anscheinend den Schub, um danach gar keine Pause einzulegen. Neue Songideen wurden nicht für Soloprojekte verbraten, sondern gleich als Basis für ein neues Stones-Album verwendet.

Da auch "Bridges To Babylon" wieder neue Bestmarken setzt, bleibt abzuwarten, was danach geschieht. Eins dürfte jedoch sicher sein: Die Menschheit wird mit sehr lebendigen Rolling Stones ins nächste Jahrtausend wechseln...


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