Es war ein etwas trüber Tag im letzten Oktober. Ich war nicht gut drauf, schon seit Tagen. Irgendetwas stimmte nicht in meinem Leben. Ich war aus dem Gleichgewicht. Ich war nicht einsam, ich hatte Freunde, ich hatte eine liebevolle Familie... aber die Liebe, die fehlte.
Ich war einkaufen. Wochenmitteeinkauf. Ich wollte mich am Abend in eine Decke einwickeln und mich mit meiner Lieblingsschokolade voll stopfen. Ich stand gerade vor dem Kühlregal, als neben mir eine groß gewachsene Gestalt aus dem Boden wuchs. Ich war erschrocken und zuckte zusammen. 'Oh Entschuldigung' klang eine samtweiche Stimme an mein Ohr. Ich schaute zu ihm auf und war wie vom Donner gerührt. Er hatte tiefschwarze Augen, schwarzes Haar und so einen besonderen Zug um den Mund. Er lächelte mir zu, nahm etwas aus dem Regal und verschwand wieder. Ich war verwirrt und ging weiter durch das Geschäft. Im nächsten Gang lief ich ihm erneut in die Arme. Wir lachten beide und gingen erneut auseinander. Bis ich meinen Einkaufswagen gefüllt hatte, war er mir noch drei oder viermal begegnet, ich hatte dabei aber nicht das Gefühl er würde mich verfolgen. Es war, als wenn wir voneinander angezogen würden. An der Kasse stand er auf einmal hinter mir und erneut brachten wir nicht mehr als ein Lächeln zustande. Ich verstaute meinen Einkauf im Rucksack als er neben mich trat, sich kurz räusperte und sagte: 'Wir kommen heute abend wohl nicht ohneeinander aus.' 'Scheint so', sagte ich. 'Bevor wir uns zwei Straßen weiter wieder über den Weg laufen... würdest du mit mir einen Kaffee trinken?' Es klang schüchtern und verwirrt. Ich sah in seine Augen und fühlte ein Kribbeln im Bauch. 'Ja' sagte ich und so nahmen wir unsere Einkäufe und gingen in ein wirklich nettes Kaffee nur um festzustellen, das wir beide keinen Kaffee trinken. Bei Tee und heißer Schokolade unterhielten wir uns wunderbar. Er hieß Max, war Mathematiker, Sportler und hatte einen Hund. Die ganze Zeit knetete er seine Hände und war einfach nur süß. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war als sein Telefon klingelte und seine Nachbarin nach ihm fahndete. Der Hund wollte zu ihm. Max sah mich an, schluckte und meinte mit belegter Stimme 'Ich muss gehen.' Er war nervös und rang nach Worten. 'Gut', sagte ich. 'Ich muss auch los.' Ich riss einen Zettel aus meinem Notizbuch und schrieb ihm meine Nummer auf. Ich schob den Zettel zu ihm, sagte: 'Ruf mich an, ja?', stand auf und ging. Ich war mir sicher, dass er anrufen würde. Ich war mir sicher an diesem Abend zwischen Joghurt und Frischmilch den Mann meines Lebens getroffen zu haben.
Und ich behielt recht: Er rief an, wir verabredeten uns zum Wochenende ins Kino. Ich weiß nicht mehr, welchen Film wir sahen, aber wir haben viel gelacht an diesem Abend. Er brachte mich nach Hause und machte noch nicht einmal Anstalten in die Wohnung zukommen. Er war einfach anders als jeder Mann, mit dem ich bisher ausgegangen bin. Er versuchte nicht sich aufzudrängen. Er war vorsichtig und jede kleine Berührung begleitete ein schiefes Grinsen und ein Funkeln seiner Augen. So stand er vor mir, blickte zu mir hinunter (er war fast 1,90 groß und ich nur 1,65) und war verlegen. Ich stellte mich auf die Zehen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. 'Gute Nacht' sagte ich und verschwand in meiner Wohnung, nur um gleich auf seinem Anrufbeantworter eine Einladung zum Frühstück zu hinterlassen. Ich stellte mir vor, wie er in einer halben Stunde die Nachricht abhörte und dass er sich freuen würde. Ich kuschelte mich ins Bett und schlief sofort ein.
Max kam mit frischen Brötchen und einem Lächeln bei mir an. Wir verbrachten den ganzen Tag zusammen und am Abend im Park unter einem Baum, küsste er mich zum ersten Mal. An diesem Abend bin ich auf seiner Couch eingeschlafen. Max deckte mich zu und ging selbst in sein Bett. Gegen Morgen wachte ich auf, tapste zu ihm und machte ihm Vorwürfe, er könne mich nicht in einer fremden Wohnung irgendwo liegen lassen. Ich kroch zu ihm und schlief glücklich neben ihm ein (Ich glaube, er hat kein Auge zugetan.
Von da an waren wir fest zusammen. Wir sahen uns nicht jeden Tag, dass musste aber auch nicht sein. Nach und nach und sehr behutsam lernten wir einander kennen. Keiner von uns drängte in das Leben des anderen. Wir haben alle Zeit der Welt, haben wir gedacht. Wir liebten uns ohne Abstriche. Wir waren glücklich, trotz allen äußeren Umständen.Max hatte eine schwere Zeit: Er selbst verletzte sich beim Sport, sein Vater, zu dem er kein sehr gutes Verhältnis hatte, hatte einen Herzinfarkt, seine Großmutter starb bei einem Verkehrsunfall. Dieser große starke Mann lag in meinen Armen und weinte um sie. Er stürzte sich in die Arbeit, in den Sport. Ich war für ihn da, wenn er mich brauchte. Er sah mich aus erschöpften Augen an und sagte: 'Ich liebe dich.' Ich war glücklich diese Worte das erste mal von ihm zu hören, auch wenn ich es auch so wusste.
Im März schenkte er mir einen Ring. Er sagte: 'das soll nicht heißen, dass ich dich jetzt oder in diesem Sommer oder im nächsten heiraten will, aber es mein Versprechen an dich, dass ich immer bei dir sein will.'
Einen Monat später starb Max an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Die Lenkstange seines alten Golfs brach und er geriet bei voller Fahrt in den Gegenverkehr.
Nun sitze ich alleine hier und schaue auf seinen Ring. Er ist bei mir, aber ich weiß nicht, was ich ohne ihn machen soll.