Wie ein Schlag ins Gesicht traf mich sein Blick. Ich schluckte. Chris kam gerade aus der Dusche, man konnte noch das heiße Wasser und das Shampoo riechen, er trug nur Boxershorts und sah darin unglaublich gut aus. Ich stand in der Mitte des Flurs, Kirsten, meine allerbeste Freundin, zu meiner Linken, Chris zu meiner Rechten.'Beccy, kommst du?', fragte sie. Ich nickte, bewegte mich aber nicht vom Fleck, zu sehr klebte mein Blick an dem nackten Oberkörper und dem hübschen Gesicht, auf dem noch die Wassertropfen hingen. Chris selbst war offensichtlich ebenfalls sehr überrascht, denn er musterte mich und meinen gesamten Körper schon die ganze Zeit. Chris war für ein Jahr in Washington gewesen, wegen einem Austauschprojekt von der Hochbegabtenschule, die er besucht und war gestern wieder gekommen. Er hatte sich verändert, ja, das hat er.Ich fand Chris schon vor einem Jahr nett, aber jetzt - meine Güte.
'Beccy? Bist du das? Du hast dich ja ganz schön verändert! Ich hab dich gar nicht wieder erkannt!', sagte er laut.Ich hatte letztes Jahr viel an meinem Körper geändert. Ich nahm fast zehn Kilo ab, ließ mir einen völig anderen Look verpassen und tauschte meine hässliche Brille gegen Kontaktlinsen. Kirsten sagt, ich sehe viel besser aus als früher. Ich fühle mich auch besser.
Chris hatte offensichtlich viel trainiert und war auch beim Friseur. Er ist ziemlich gewachsen, aber ich in diesem Jahr fast gar nicht.
'Hallo?! Erde an Beccy! Kommst du jetzt oder willst du hier Wurzeln schlagen?', rief Kirsten und schob mich wie einen Kleiderständer in ihr Zimmer.
'Wow. Chris ist... hübsch geworden', sagte ich leise und seufzte.
'Na ja. Mein Bruder eben', meinte Kirsten und fuhr ihren PC hoch.
Sie öffnete ihren Blog und begann, einen Eintrag zu machen. Ich beobachtete sie kurz, sagte dann aber:'Ich muss auf die Toilette'. Eigentlich musste ich gar nicht. Ich verließ Kirsten's Zimmer und sah mich im Flur um. Auf dem Boden war dunkelblauer Teppichboden, die Wände waren hellblau gestrichen. Links von Kirsten's Zimmer war die Treppe zur unteren Etage, am anderen Ende des Flurs war Chris' Zimmer. Rechts davon war das Badezimmer, aus dem er vor ein paar Minuten gekommen war. Ich nahm all meinen Mut zusammen und klopfte an seine Zimmertür.
Chris öffnete die Tür und lächelte.
'Hey. Darf ich reinkommen?' Er nickte und ließ mich herein. In seinem Zimmer war ebenfalls dunkelblauer Teppichboden, die Wände waren weiß und mit blauem Filzstift bemalt. Es waren Kritzeleien, die man macht, wenn man lange telefoniert und nichts besseres zu tun hat.
Das Zimmer ist recht groß, größer als Kirsten's. Rechts von der Tür war seine schwarze Couch, gegenüber davon der Fernseher, den man in zwei Richtungen schwenken kann, damit man auch im Bett schauen kann. Chris hatte ein Doppelbett und links vom Fernseher stand der Schreibtisch mit seinem Laptop. In seinem Zimmer sieht es so gut wie immer chaotisch aus, aber mich stört das nicht.
Chris hatte mir viel zu erzählen. Wir saßen auf der Couch und Chris erzählte von Washington. So verging fast eine dreiviertel Stunde, bis ich plötzlich Kirsten's Stimme hörte.
'Beccy! Da bist du ja! Dachte ich es mir, du warst die ganze Zeit bei Chris! Komm, gehen wir!'.
Ich sah Chris an.
'Ich möchte aber hier bleiben. Hier bei Chris.'
'Bei Chris?'. Auf einmal wurde Kirsten ganz leise und senkte ihren Kopf ein wenig.
'Okay. Wie du willst', meinte sie und verließ das Zimmer.
'Du willst lieber bei mir bleiben, als bei Kirsten?', fragte Chris verdutzt. Ich wollte einfach bei Chris bleiben.Ich kenne Kirsten seit acht Jahren, seit wir in der ersten Klasse waren. Zuerst konnten wir uns gar nicht leiden. Ein Jahr später wurden wir beste Freundinnen. Seit ich Kirsten kenne, kenne ich auch Chris. Ich war schon immer in ihn verknallt. Ich weiß so gut wie Alles über ihn und er über mich.
Wir unterhielten uns noch lange, bis ich irgendwann richtig müde wurde. Chris lag schon halb auf der Couch, ich legte mich neben ihn und gähnte ausgiebig. Es dauerte nicht lange, da schlief ich schon ein. Die Wärme von Chris' Körper schmiegte sich um mich wie ein Umhang aus reiner Seide.
Rumms. Ich schlug die Augen auf.
Ich lag auf dem blauen Teppichboden von Chris. Neben mir war die Couch. Ich sah auf den Display meines Handys. Es war Mitternacht.
Nach Hause konnte ich nicht mehr gehen, das war klar. Ich stand langsam auf und erblickte Chris, wie er schlaftrunken auf seiner Couch lag.
'Chris, ich geh runter ins Gästezimmer, ja?! Gute Nacht!', sagte ich und er nickte bloß.
Meine Eltern sind auf einer Kreuzfahrt, deswegen schlafe ich sowieso fast jede Nacht hier. Macht ja nichts, es sind ja Sommerferien.
Ich schlich aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und ins Gästezimmer. Das Bett war bezogen und gemacht. Ich zog meine Bluse und meine Jeansshort aus und schlüpfte in Unterwäsche und schwarzem Top unter die Bettdecke. Ich war gar nicht müde, schlief aber nach ungefähr 20 Minuten ein.
Ich wachte erneut sehr unerwartet auf. Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen und erblickte Chris, wie er am Fußende des Bettes stand und mich anstarrte.
'Chris? Was machst du hier?', fragte ich leise.
'Beccy, ich...', stammelte er, drehte sich aber dann um und lief schnell aus dem Gästezimmer nach oben.Ich schlug die Bettdecke zur Seite, stand auf und ging nach oben. Ich trug nur Unterwäsche und ein schwarzes Top, aber das merkte ich gar nicht.
Ich öffnete Chris' Zimmertür.
Er saß auf der Couch und kritzelte mit einem blauen Filzstift etwas auf die Wand. Als er mich erblickte, legte er den Filzstift weg und musterte mich mit großen Augen. Er blieb zwischen Bauch und Gesicht hängen und räusperte sich. Dann sah er mir in die Augen und sagte:
'Nun setz dich doch. Macht mich ganz nervös, wenn du da so rumstehst.'
Ich nickte und setzte mich neben ihn.
'Wie lange standest du da? Und wieso?'
Er schwieg.
Die Uhr in seinem Zimmer zeigte halb Drei morgens.
Ich stand wieder auf.
'Also, ich geh jetzt wieder schlafen. Gute Nacht.'
Als ich mit einem Fuß im Flur stand, meinte er:
'Beccy, warte kurz.'
Ich drehte mich um.
Und dann küsste er mich.
Ich war so überwältigt, dass ich nach hinten auf den Teppichboden fiel. Ich zog Chris mit nach unten, aber bevor er auf mir landete, stützte er sich vom Fußboden ab. Er drehte sich auf die Seite und ließ sich neben mich fallen. Der Kuss war natürlich versaut.
Aber ich musste trotzdem Lachen, denn die ganze Geschichte war ja schon etwas komisch.
Chris half mir hoch und sagte:
'Das war ja ein ganz schöner Reinfall. Weißt du, ich konnte einfach nicht einschlafen. Die ganze Zeit musste ich an dich denken. Als du da neben mir schliefst, ich hatte richtige Gänsehaut. Als du dann runtergefallen bist, hab ich mich schnell schlafend gestellt. Als du dann runter bist, hab ich kurz gewartet und bin dir dann gefolgt. So stand ich dann zwei Stunden vor deinem Bett und hab dich angestarrt. Und ich bin gegangen, weil ich dachte, du hältst mich für verrückt. Ich habe einfach Angst, dass du meine Gefühle nicht erwiderst. Weißt du, ich fand dich schon vor Washington ganz süß. Aber jetzt will ich nur noch bei dir sein.'
Und dann küsste er mich nochmal. Er hatte seine Arme um meine Hüfte geschlungen und drückte mich an ihn. Ich vergrub meine Hände in seinen dunklen, verwuschelten Haaren.
Er hatte mich an die Wand gelehnt, somit konnte ich gar nicht umfallen. Er begann, mein restliches Gesicht zu küssen. Schließlich beendete er den Kuss und hielt die Augen noch ein paar Augenblicke geschlossen.Plötzlich hörten wir eine Tür knallen. Kirsten's Tür. Sie hatte uns gesehen.
'Willst du nicht zu ihr gehen?', fragte er.
'Die kriegt sich schon wieder ein.'
Ich ging zur Treppe und meinte:
'Nach der ganzen Aufregung hier kann ich bestimmt nicht schlafen.'
'Ähm... du kannst auch hier oben bei mir schlafen. Wenn du willst...'
Er öffnete die Tür und ich lächelte.
'Gerne.'
[Diese Geschichte ist ein Auszug aus meinem Buch 'Ewig uns.' Übrigens, diese Geschiche ist wahr und die Personen real. Chris und ich sind noch zusammen. Kirsten und ich sind noch beste Freundinnen.]
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