Alea iacta est - Teil 4

Autor: Finnicka
veröffentlicht am: 11.04.2014


Der Morgen war beschissen. Er entwickelte sich exponentiell rasant in einen grausamen Vormittag und in einen noch schlimmeren Nachmittag. Auf eine schlechte Sache folgten zwei oder sogar drei Dinge, die noch schlimmer waren. Nicht nur, dass sie in Deutsch einen Test über die vergangene Stunde schrieben, welche wohlbemerkt am Tag zuvor, also an dem Tag des Schwänzens stattgefunden hatte - Mia glaubte auf dem Gesicht der Lehrerin ein wissendes, gehässiges Lächeln gesehen zu haben, als sie ihr das linierte Blatt auf den Tisch vor ihrer Nase geknallt hatte -, es kam sogar noch dazu, dass sie in Biologie abgefragt wurde und sie sich somit mit einem ratlos verzweifelten Gestotter die bisher tadellose Bilanz ihrer Biologie-Laufbahn versaute. Anschließend wurde sie zur Rektorin zitiert, die durch irgendwen gesteckt bekommen hatte, dass Mia den gestrigen Tag am See genossen hatte, statt ihn, wie es sich gehörte, im Unterricht zu verbringen -normalerweise bekam dieses Weib wirklich gar nichts mit, außer man wurde auf hinterlistigster Weise von jemanden bei ihr verpetzt -, was ein "erneutes und sehr wohl bewusstes Hintergehen der Schulordnung" bedeutete, wie sie zu sagen pflegte. Sie würde "kein weiteres Mal die Augen zudrücken" nur weil sie eine "schwere Vergangenheit" hatte und schon gar nicht "dieses provokant arrogante Verhalten" ihrerseits weiter an ihrer Schule dulden, da es sonst "weitere Schüler aufhetzen" würden, da sie erkennen würden, dass ihr Verhalten "keine Konsequenzen nach sich zogen".
Anschließend an dieses Gespräch eilte sie zum Sportunterricht, wo sie Leichtathletik hatten - etwas, was sie sehr gut beherrschte. Doch aufgrund ihrer miesen Laune wurde sie unvorsichtig, unaufmerksam und überheblich, sodass sie sich beim Weitsprung prompt den Fuß verstauchte und auf der Krankenstation landete, wo sie vor Langeweile fast den Verstand verlor, schließlich flüchtete und von ihrem Kursleiter Mr. Tarrel dabei erwischt wurde, wie sie in die Küche schlich und einen Schokoriegel aus dem Vorratsschrank stibitzen wollte.
Es war einfach nicht ihr Tag.
Später, nachdem Mr. Tarrel sie wieder auf Krankenstation gepackt und sie letztendlich doch wieder hatte flüchten können, ging sie auf ihr Zimmer mit der Annahme, sie würde ihre Ruhe haben und entspannen können.
Falsch geraten.
Als sie ihr Zimmer betrat, wartete niemand anderes als das schwarzhaarige Mädchen Selma auf sie und grinste sie breit und herablassend an.
"Hallo Mia", sagte sie mit ihrer viel zu hohen und überheblichen Stimme. "Ich nehme an, du freust dich tierisch, mich wieder zu sehen? Also ich muss sagen", fuhr sie fort, ohne eine Antwort abzuwarten. "Also ich muss sagen, dass ich überrascht bin. Ich dachte hier würde es aussehen, als wenn ein wahnsinniger Elefant durchgetrampelt wäre. Schließlich bist du so ein furchtbar unordentlicher Mensch", sie machte eine Pause und wedelte mit ihren künstlich rot bemalten Fingernägeln durch die Luft. "Es wundert mich doch ein wenig, dass es hier vergleichsweise zu dem, was ich mir vorgestellt habe richtig aufgeräumt aussieht." Sie verstummte kurz, hielt ihre Hand ausgestreckt von ihrem Gesicht entfernt, um sie besser betrachten zu können und lachte schließlich laut auf.
Blöde Schnepfe, dachte Mia. Es war nicht zu übersehen, dass Selma die erst beste Situation genutzt hat, um sie wie eine kleine, unerzogene Göre zu behandeln. Das Zimmer sah aus wie Sau. Überall flogen Kleidungsstücke herum, das Bett war ungemacht, ein Handtuch hing über dem Stuhl, der Fön war nicht im Bad, sondern auf dem Fensterbrett, ihre Wimperntusche war quer über den Schreibtisch verstreut und zu guter Letzt stapelte sich in einer Ecke noch einen Haufen Wäsche...
Ja, sie musste zugeben, dass Ordnung nicht gerade ihre Stärke war. Doch dafür hatte sie andere Qualitäten. Wie zum Beispiel... Ja, einfach ganz viele.
"Wenn es dich stört geh doch heim zu Mami", murmelte sie, während sie sich an ihr vorbei ins Bad quetschte und demonstrativ und mit voller Kraft die Tür hinter sich zu schlug, sodass fast die Wände erzitterten.
"Was hast du gesagt?", schrie ihr Selma hinterher. Doch Mia schwieg und ignorierte sie.

Zur Feier des Tages musste Mia, als sie vor der geschlossenen Tür ihres Freundes stand und ihr niemand auf ihr Geschrei öffnete, auch noch feststellen, dass Finn ihren Blick am Morgen eindeutig nicht richtig interpretiert hatte.
"Was für ein beschissener Tag", maulte sie leise und wandte sich ab. Eigentlich war sie nicht sonderlich erpicht darauf, zurück auf ihr Zimmer zu gehen und sich Selmas Anwesenheit auszusetzen. Doch ihr fiel keine anständige Alternative ein, wie und wo sie die Nacht verbringen sollte. Schließlich war ihr Freund schon längst ins Land der Träume entwischen...
Mit mieser Laune - auf einer Skala von null bis zehn war ihre Stimmung gerade auf... Ja, eigentlich auf minus einhundert gesunken - schlurfte sie durch das düstere, stille Schulgebäude. Sie hatte nicht bemerkt, dass es schon knapp vor Mitternacht war. Es hatte doch länger gedauert als gedacht, sich ein weiteres mal von der Krankenstation zu schleichen und Mr. Tarrel kein weiteres Mal zu begegnen.






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