Son of a Preacher Man - Teil 13

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 19.05.2014


Am nächsten Morgen könnte ich jeden Quadratzentimeter meines Zimmers in Schutt und Asche hauen, während ich fluchend die Beine über die Bettkante schwinge und Noah in die tiefsten Abgründe der Hölle verwünsche. Arschloch. Wie konnte er mir diesen blöden Job besorgen? Ich hasse ihn. Ich hasse die ganze Welt. Und ich hasse mich. Es ist 06:30 Uhr. So viel dazu.

„Nanu? Träume ich noch?“. Scheiße. Gordon.
Ich schlurfe in die Küche und ziehe eine grau-dunkle Gewitterwolke hinter mir her. Gordon steht an der Kaffeemaschine, eingehüllt in einem rostroten Altherren-Morgenmantel, und sieht mich verdutzt aus munteren Augen an. „Was machst du denn um diese Zeit hier?“
Ich enthalte mich einer Antwort. Stattdessen dränge ich an ihm vorbei und schnappe mir die Kaffeekanne. Dann lasse ich mich am Tisch nieder. Ich schweige. Und ich leide.
Nebenbei schenke ich mir das dunkle Gebräu in meine alte Diddle-Maus-Tasse, die kackhässlich ist und den furchtbaren Namen „Gute-Laune-Becher“ trägt. Die Ironie des Morgens. Irgendwie hänge ich an dem ollen Teil. Chris hat sie mir ganz am Anfang unserer Beziehung geschenkt. Eher um mich aufzuziehen, weil er weiß, dass ich diesen Kitsch verabscheue und dazu noch ein unausstehlicher Morgenmuffel bin.

Gordons Kaffee ist ziemlich gut, stelle ich verdutzt nach dem ersten Schlürfen fest. Mein Laune steigt auf einer imaginären farblich kodierten Skala von tiefschwarz auf dunkelblau. Deshalb murre ich ein „Mhm.“, nachdem er mich nun schon eine gefühlte Ewigkeit von der Seite aus anschielt. Dann trinke ich schweigend weiter. Und genieße diesen vollendet veredelten Spitzenkaffee. Den Namen hat er sich eindeutig verdient.

Mein Mitbewohner setzt sich zu mir und schenkt mir ungefragt meine Tasse erneut voll. Ich danke mit einem Nicken. Dann starre ich weiter finster vor mich hin.
„Boah. Du bist der schlimmste morgendliche Stinkstiefel, der mir je begegnet ist.“, stellt er fest.
Ich fixiere ihn und versuche jede Menge Verachtung in meinen Blick zu legen. Es misslingt mir irgendwie. Er sieht so albern in seinem Outfit aus. Ich kenne ihn ja nur in seinen Heavy-Metal-Klamotten. Er wirkt so deplatziert und es scheint ihm nicht mal bewusst zu sein.
„Was?“, fragt er skeptisch, da er offenbar meine Begutachtung seiner Erscheinung wahrgenommen hat. Ich muss Grinsen, minimal und leicht zynisch.
„Schicker Morgenrock.“, zwinkere ich und proste ihm zu.
Er sieht an sich herab, verzieht kurz den Mund und schimpft mich dann: „Hexe!“ Hocherhobenen Hauptes verlässt er die Küche, dabei wirft er seine Haare in Diva-Manier über die Schultern. Ich lach mich schlapp.

Nach der dritten Tasse fühle ich mich einigermaßen dazu bereit, mich für meinen ersten Arbeitstag in Schale zu werfen. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so früh aufgestanden bin. Und das auch noch freiwillig. So halb wenigstens.
Ja, ich hätte die blöde Arbeit einfach sausen lassen können. Wollte ich ja auch. Warum eigentlich dann doch nicht? Wahrscheinlich hat sich da ein fieses Bild in meinen Hinterkopf gebohrt und taucht ganz gerne genau dann auf, wenn ich im Begriff bin, etwas Enttäuschendes zu tun.
Noah. Der macht mich echt fertig. Ich knurre vor Frust, während ich mir die Zähne putze. Die Badtür steht auf und Justus zuckt zusammen, weil er exakt in diesem Moment hineingewatschelt kommt.

„Sorry!“, haucht er. Dann macht er die Fliege. Ich muss schon wieder ein grinsen verkneifen. Meine Mitbewohner – immer für einen frühmorgendlichen Lacher gut. Warum sind die eigentlich beide so früh wach? Was machen die überhaupt? War da nicht irgendwas mit Zivildienst bei dem dürren Justus? Und Gordon? Puh...
Ich bin eine sehr schlechte WG-lerin. Obwohl, im Prinzip kann es mir ja dann doch egal sein, was Gordon macht. Hauptsache er kocht frühs weiterhin so tollen Kaffee. Da ist mir ja bisher echt was entgangen.

Punkt 07:30 Uhr trete ich zum Dienst an. Ich werde in eine alberne, unbequeme Uniform gesteckt, trage eine idiotische Mütze, dir mir die Haare total versaut und von den Gerüchen aus der Backstube wird mir ganz übel. Die ersten Kunden verlangen fast nur Waren zum Mitnehmen, so dass ich mir ziemlich überflüssig vorkomme und immer wieder vor Langeweile die Tischdeko bis zur Perfektion ausrichte. Zucker, Milch, Rührstäbchen, Blumenstrauß und potthässliche Aufsteller mit dem Getränk des Tages – akribisch sortiert, zentimetergenau in vollendeter Kunst auf Abstand gestellt. Ich werde irre.

„Ey, Neue!“, schallt es mir entgegen. So werde ich gern genannt. Genervt drehe ich mich um.
Ein blutjunges Ding mit frechem Grinsen wedelt lockend mit einer Zigarette in meine Richtung. Sie trägt eine weiße Bäckermütze, passend Hose, Hemd, Schürze und scheint in den Sachen zu versinken, so zierlich wie sie ist. Ihre Stimme klingt im Gegensatz zu ihrer Erscheinung so tief wie ein Kettenraucher kurz vorm Erstickungstod: „Nicht viel zu tun? Dann lass uns noch schnell ein qualmen!“, raunt sie mir zu.
„Ich rauche nicht.“, erwidere misstrauisch.
Sie wirkt etwas verdutzt, zuckt dann mit den Schultern und kommt ein Stück auf mich zu. „Na dann komm doch so mit. Siehst aus als könntest du frische Luft vertragen.“
„Nein, Danke.“, sage ich schnippisch. Ich will doch an meinem ersten Tag nicht abtrünnig werden. Außerdem gefällt es mir nicht, wie dieses Mädel mit mir spricht.

Sie mustert mich prüfend. Ich tue es ihr gleich. Ich komme nicht umhin mir zähneknirschend einzugestehen, dass sie echt niedlich ist, trotz ihres Bäckeroutfits und den ziemlich offensichtlichen Augenringen. Mit dem dunklen Makeup und dem Oberlippenpiercing hat sie etwas anrüchiges. Und sie wirkt verbraucht. Dennoch anziehend. Irgendwie auch gefährlich. Besonders der Schalk, der ihr aus den Augen blitzt.

„Hey sag mal, bist du nicht die Freundin von CoTekk?“, sprudelt es auf einmal aus ihr raus. Ich sehe sie entgeistert an. „Was?“, damit habe ich am wenigsten gerechnet.
„Klar!“, lacht sie. „Ich kenne dein Gesicht von Facebook. Anna Meyer? Richtig?“
Gott, wie ich die Anonymität des Internets liebe. Und noch mehr liebe ich kleine Stalker. Muss ich mir die Blöße geben und ihr hier stecken, dass ich mittlerweile die Ex bin? Ich will nicht.
Ich verziehe das Gesicht. „Das ist mein Name.“, antworte ich daher nur.
„Wow.“, lacht sie. „Hätte ja nicht erwartet hier ne kleine Berühmtheit zu treffen. Weißt du eigentlich wie viel Weiber dich beneiden? Moment, warte mal. Wohnt ihr nicht in Berlin? Und warum arbeitest du hier?“ Ihre Augen weiten sich, weil sie begreift. Ich geh mich dann innerlich mal in kleine Einzelteile zerhacken. „Oh. Sicher. Da gab es ja Gerüchte. Ihr habt euch getrennt! Sorry. Ich wollte nicht...“
„Schon gut.“, lächle ich milde und gleichzeitig abfällig. Sie soll mich einfach nur in Frieden lassen. Was für eine Göre.

In dem Moment kreuzt natürlich meine neue Vorgesetzte auf. Frau Rieser, die mich gestern noch am liebsten nicht eingestellt hätte aufgrund meiner mangelnder Qualifikation. Und sie erwischt uns natürlich beim augenscheinlichen Plaudern.
Ihr Blick spricht Bände, dabei kommt sie sofort auf halsbrecherischen Oma-Pumps in unsere Richtung gestöckelt. Ihre Haare haben womöglich seit einem guten Jahrzehnt keinen Friseur gesehen und ihr Mund wirkt so verkniffen, als hätte sie Verstopfung. Sympatisch, die Gute.

„Tisch Drei ist nicht ordentlich eingedeckt.“, maßregelt sie mich sofort. Ich frage mich, welcher der Tische diese Ziffer trägt und nach welchem Prinzip man das erkennen könnte. Dabei sehe ich mich um. Frau Rieser stürzt sich derweil mit Obergouvernanten-Ton auf meine ungeplante Mittäterin. „Und Sie, Kathrin, haben im Verkaufsraum nichts zu suchen. Husch, ab nach hinten.“

Etwas erschrocken drehe ich mich wieder um. Kathrin?
Eben jene grinst wieder so spitzbübisch, dann marschiert sie ab in die Backstube. Irritiert sehe ich ihr nach. „Na, Anna? Wollen Sie noch länger untätig hier herum stehen oder sind Sie mit dem Eindecken der Tische schon überfordert?“, werde ich aus meiner gruseligen Vorahnung gerissen.
Die Geschäftsleiterin guckt ganz nett, aber ihre Worte sind wie der giftige Stachel eines Skorpions. Da ich weder an diesem Job hänge, noch bereit bin, mich in die Unterwürfigkeit drängen zu lassen, entgegne ich weniger standesgemäß: „Die Tischdeko ist ziemlich hässlich. Würde ich mal überdenken.“

Ich hatte ja schon immer Probleme, mich vor Obrigkeiten anständig zu verhalten. Genau deshalb bin ich in Berlin ja auch einem Job nach dem anderen losgeworden. Meine große Klappe und mein ausgeprägtes Gefühl für Selbstgerechtigkeit stehen mir gerne im Weg. Entweder mag die Trulla mit der schrecklichen Frisur, die sich Geschäftsführerin schimpft, Noah so sehr, dass sie über meine schnippische Antwort hinweg sieht, oder sie ist nicht ganz so verbissen, wie ich erwartet habe. Jedenfalls reagiert sie ziemlich lässig. Sie schnaubt, schüttelt amüsiert den Kopf und deutet dann in eine Ecke. „Das ist Tisch drei. Ab an die Arbeit!“ Ich trolle mich. Und bin gleichzeitig fasziniert, dass sie mich nicht augenblicklich dem Arbeitsmarkt wieder frei gegeben hat. Manchmal muss man Menschen auch einfach nur Kontra geben.

Das Geschäft füllt sich dann doch recht schnell und ich schleppe wie eine Irre belegte Brötchen, Kaffetassen und Mohnschnecken durch die Gegend. Es macht Spaß. Die vorrangig ältere Kundschaft ist nett. Eine Omi hat mir sogar nen Fünfer Trinkgeld zugesteckt. Ich bin unerwartet angenehm ausgelastet und emsig wie ein Bienchen. Mir bleibt kaum Zeit zum nachdenken, bis Frau Rotschopf-Rieser mich in einer ruhigen Minute ranpfeift.

„Machen Sie mal 10 Minuten Pause, Anna. Sabine übernimmt kurz für Sie.“
Ich sehe mich nach Sabine um, eine füllige Mitfünzigerin mit roten Apfelbäckchen, die hinter dem Verkaufstresen steht und mich viel zu mütterlich behandelt. „Geht schon.“, winke ich ab und will zum nächsten Tisch eilen. Da hält sie mich gebieterisch auf. „Pause ist Pflicht. Kommen Sie mit.“

Sie zerrt mich ernsthaft nach hinten zu dem Aufenthaltsraum. Dort weist sie mir einen Stuhl zu.
„Ich habe Sie beobachtet, Anna.“, sagt sie und lässt sich mir gegenüber nieder.
Fragend ziehe ich eine Augenbraue in die Höhe.
„Sie sind gut. Ich bin zufrieden.“
„Danke.“, sage ich verblüfft.
„Lassen Sie sich das nicht zu Kopf steigen.“, warnt sie. Ich muss grinsen.
„Ich bleib schon auf dem Teppich.“, versichere ich.
Sie nickt zufrieden. Dann reicht sie mir die Hand. Perplex greife ich nach jener. „Ab sofort bin ich für Sie Petra. Willkommen in unserem Team. Essen Sie einen Happen, dann geht es weiter.“


Um vier ist für mich Feierabend. Nach acht Stunden und gefühlten zweihundert Semmeln.
Petra, meine neue Busenfreundin, hat mich für diese Woche für zwei volle und eine halbe Frühschicht eingeteilt. Das heißt, ich habe morgen frei, arbeite Donnerstag nochmal voll und am Freitag nur bis um eins. Das nenne ich Leben. Ich fühle mich ungewohnt befriedigt. Habe etwas geschafft. Yeah, ich bin ein Teil der arbeitenden Bevölkerung. Und ich bin nicht mehr völlig nutzlos in meinem Dasein. Merkwürdiges Gefühl. Ziemlich lebendig und so. Ich schreite stolz die Straße entlang, bis ich in meinem Hochgefühl jäh unterbrochen werde, weil ich einen Schatten wahrnehme, der sich an mich geheftet hat.

Die kleine, abgebrühte Bäckertussi. Sie läuft mir nach.
„Willst du irgendwas?“, frage ich zickig.
Sie zieht eine Schnute und wirkt amüsiert. „Wohnst du jetzt wieder hier? In Weimar?“, fragt sie ungeniert.
„Wonach sieht es denn aus?“, entgegne ich pampig.
„Keine Ahnung.“, sagt sie schulterzuckend und grinst. Ihr Blick fällt auf meinen entblößten Arm.
„Wow!“, haucht sie und schnappt sich rücksichtslos mein Handgelenk. „Was für coole Tattoos. Krass. Boah, da steht ja sogar CoTekk. Geil!“, sagt sie im besten Jugendslang.

„Ähm, ja.“, räuspere ich mich und entziehe mich ihrem Griff. Dreistes Stück.
„Man, du glaubst garnicht, wie irre ich das finde, dass ich jetzt mit dir, der Exfreundin von CoTekk zusammenarbeite. Hammer!“, strahlt sie zufrieden.
Ich verziehe den Mund. Normalerweise wurde ich nicht so bejubelt. Klar, wer aus der Szene ist, der kennt mich. Aber ich hatte selten mit kleinen Groupies zu tun. Vor allem nicht mit so aufdringlichen. Und da schlummert noch immer eine Befürchtung in meinem Hinterkopf.
Eine Kathrin, selbstbewusst, jung, hört Techno, sieht ziemlich fertig aus, exakt genau so, als hätte sie das Wochenende durchgezogen mit Alkohol und Drogen...

Ich kann nicht anders. Ich muss es wissen.
„Sag mal, wie alt bist du überhaupt?“, frage ich zögerlich.
Kathrin freut sich über die Aufmerksamkeit und strahlt mich an. Sie würde so verdammt gut aussehen, ohne diese Schatten unter den Augen und den hohlen Wangenknochen. „Gerade 20 geworden.“ Also eindeutig jünger. Noah und ich, wir sind Jahrgang 1990. Ob sie es ist?

„Ähm, kennst du zufällig einen Noah?“, frage ich daher einfach und direkt.
Sie zieht sofort keck eine Augenbraue in die Höhe. „Wenn du den weltverbessernden ober-führsorglichen Spießer von der Christensekte meinst, klar. Ist mein Ex, was du sicher weißt, sonst würdest du ja nicht fragen. Woher kennst du ihn denn?“

Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße! Noahs Junkie-Ex! Muss das sein?
Verdammt. Das gibt es doch nicht. Sie arbeitet mit mir zusammen? Soll das ein beschissener Witz sein? Und vor allem...Noah?! Weiß er davon? Was ist das denn für ne Masche?

„Äh, von der Schule. Wir waren in einer Klasse. Naja, er hat mir die Arbeit vermittelt.“, gestehe ich mit einem fiesen Hintergedanken. Und der Plan geht auf. Kathrin ist sehr redselig.
„Ha.“, lacht sie. „So war es bei mir damals auch. Ich mach in dem Schuppen ne Lehre zur Bäckerin. Bin jetzt im zweiten Lehrjahr und Noah hat mich damals zu der Ausbildung gedrängt, als sich der Konzern neben seiner blöden Beratungsstelle nieder gelassen hat.“

Ich bin krachsauer. Das kann doch nicht sein Ernst sein? Zieht mit mir die gleiche Samariter-Nummer durch, wie mit seiner durchgeknallten Ex? Und in dem vollen Bewusstsein, dass ich ihr begegnen werde? Na warte Freundchen...

„Habt ihr Kontakt?“, frage ich weiter. Mir egal, was sie davon hält.
Sie runzelt etwas die Stirn, ist aber naiv genug und antwortet brav. „Pfff. Wir ignorieren uns gekonnt. Ganz ehrlich, der hat nen Knall. Total crazy, musste mir ständig Vorschriften machen und hat mich mit seiner Fürsorge endlos genervt. Der und seine Heinis von der Kirche, die sollen mich bloß in Ruhe lassen.“, schnauft sie aufgebracht. Dann besinnt sie sich. „Oh, also das ist jetzt nichts gegen dich, ne? Du scheinst ja mit ihm befreundet zu sein.“

„Na, befreundet wäre wohl zu viel des Guten. Eher bekannt.“, ich lächle lieblich.
Sie wirkt etwas erleichtert. „Na wie dem auch sei. Ich bin froh, dass ich ihn los bin. So ein Spinner!“

Sie sieht nicht halb so überzeugt aus, wie sie klingt. Hinter ihrer saloppen Fassade schlummert etwas Trauriges. Keine Ahnung, wie ich das zu deuten habe. Dennoch kann ich verstehen, dass sich Noah einst in sie verliebt haben könnte. Ihre ganz Art strahlt so eine merkwürdige Hilflosigkeit aus und sie ist wirklich verdammt hübsch. Allerdings habe ich den Eindruck, dass sie offensichtlich nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Oder es einfach nur Naivität. Keine Ahnung.
Ich verabschiede mich mit einem gezwungenen Lächeln von ihr und sehe zu, dass ich Land gewinne. Vorerst habe ich keine Lust mich weiter mit ihr zu unterhalten.

Ich weiß ehrlich nicht, was ich jetzt davon halten soll. Warum hat Noah mich nicht vorgewarnt? Lässt der mich eiskalt in die Arme seiner Junkie-Braut laufen. Wozu? Na warte Kasperski! Das hat ein Nachspiel! Den knüpfe ich mir heute Abend vor.



Aber erstmal steht noch ein Pflichtbesuch an.
Ich wurde ganz offiziell zum Kaffee eingeladen, Oma hat Geburtstag, da komm ich nicht drum rum. Doch entgegen der natürlichen Abneigung mein Elternhaus aufzusuchen und mich deren latent- kritischen Blicken zu stellen, freue ich mich heute auf die gezwungen-fröhliche Zusammenkunft..
Dafür, dass meine Eltern so erschreckend vernünftig, gradlinig und beängstigend bibelfromm daher kommen, ist Oma Traudchen schon fast absurd die Coolness in Person und meistens auch noch leicht beschwipst, da sie so unheimlich gern ihr Sektchen trinkt.
Ich mag Oma. Und Oma mag mich. Das war schon immer so. Ich komme wohl größtenteils nach ihr, wie mein Vater immer zu sagen pflegt, wenn ich nicht mit dem Strom schwimme.

Etwas fühle ich mich mies. Ich habe mich sehr lange nicht bei ihr gemeldet. Naja, war auch ne stürmische Zeit die letzten Monate. Oma sieht es mir nach und begrüßt mich mit einem dicken Schmatzer. „Annalein! Schön dich mal wieder zu sehen!“ murmelt sie in eine feste Umarmung, die sie mir angedeihen lässt.
„Hallo Oma. Alles Gute zum 72.!“, flöte ich wohlerzogen.
„Danke, danke. Auch wenn es bereits mein 74. Geburtstag ist.“, schmunzelt sie.
„Ups.“, gebe ich mäßig verlegen zurück. Oma hat sich da nicht so. Jedenfalls lächelt sie mich sehr nachsichtig an und bedeutet mir, dass ich mich neben sie setzen soll, während sie schon das Sektglas schwingt.

Wir sitzen in der sogenannten feinen Stube. Ein sonst recht eingestaubter Raum im zu groß geratenem Einfamilienhaus, in dem ich aufwachsen durfte. Meine Mutter serviert selbstgebackenen Kuchen, den ich dankend ablehne. Ebenso den Sekt, der mir zu schnell zu Kopf steigen würde. Dafür vergreife ich mich maßlos am Kaffee. Der ist gut, doch Gordons heute Morgen war besser. Die Stimmung ist nicht ganz so eisig wie gewöhnlich, wenn ich bei meinen Eltern der Form halber eingeladen bin. Dank Oma. Die ist stets vergnügt und genießt sichtlich ihr Leben, welches sie in einer niedlichen Zweiraum-Wohnung am Stadtrand verbringt. Ihren Mann hat sie vor vielen Jahren verloren. Ein Sturz vom Dach, ganz unspektakulär und doch so tödlich. Er war Dachdecker und das nenne ich echt mieses Karma oder einfach nur tiefste, triefende Ironie des Schicksals. Ich kannte meinen Opa nicht mal, aber ich höre aus Omas Erzählungen zu deutlich, dass sie ihn sehr geliebt haben muss und sie ihn noch immer schmerzlich vermisst. Traurige Geschichte. Ich denke nicht allzu oft darüber nach.

Während ich sinnierend an meinem Kaffee schlürfe, gerate ich unerwartet ins Kreuzverhör.
Mein Vater erinnert sich daran, dass er mir ab und an mal doch ins Gewissen zu reden hat.
„Na Töchterchen, hast du dich langsam eingelebt, in deiner alten Heimat?“, fragt er recht provokativ, wobei ihm sein Teddybären-Gesicht Lügen straft.
Trotz der christlich-fundamentalistischen Grundeinstellung meiner Eltern und der damit einhergehenden Spießigkeit, sind sie doch sehr nachlässig mit mir. Ich war ja schon immer ein kleiner Dickschädel und habe früh gelernt, wie ich ihnen auf dem Kopf rumtanzen kann und habe das natürlich schamlos ausgenutzt. Sie sind meine Eskapaden gewohnt, auch wenn sie pro Forma erstmal die Geschockten spielen. Dennoch unterstützen sie mich mit einer soliden Gleichgültigkeit. Und das rechne ich ihnen hoch an.

„Geht so.“, schmolle ich zur Antwort.
Meine Mutter schenkt uns Kaffee nach, dabei sieht sie mich streng an, was ihr nicht sehr überzeugend gelingt. „Dein Vater und ich wollten eh längst mal mit dir reden. Über deine Zukunft. Langsam musst du wieder daran denken, deinen Blick nach vorne zu richten!“
Sie wissen, wie sehr ich unter der Trennung leide, schließlich habe ich die ersten Tage noch hier verbracht, nach meiner überstürzten Abreise von Berlin. Und ich habe echt keinen guten Anblick abgegeben. Wahrscheinlich war ich wie so ein Zombie. Sie haben mehrfach versucht, mit mir über alles zu reden, aber ich habe geschwiegen wie ein Grab. Dann habe ich verkündet, dass ich mir eine eigene Wohnung suchen will. Ich brauchte meine Ruhe. Und unter der Bedingung, dass ich erstmal in Weimar bleibe, haben sie mir ergeben die WG besorgt, Möbel gekauft und sich um das ganze Drumherum gekümmert. Ohne zu Murren und ohne mich noch ein einziges mal auf Chris anzusprechen. Es wäre wirklich mal an der Zeit, ihnen zu danken.

„Hab mich an der Uni beworben.“, presse ich deshalb hervor.
Überraschte Gesichter sehen mich an. Ungläubig. Leicht geschockt?
„Ernsthaft?“, fragt mein Vater.
„Ja.“, gebe ich augenrollend zurück. Meine Mutter blinzelt perplex, dann unterdrückt sie einen Freudenschrei und grinst eifrig meinen Vater an, bevor sie mich fragt: „Und wo?“
„Na wieder in Jena.“, sage ich ergebend.
Freudig klatscht sie in die Hände. „Das ist ja großartig Anna! Und wann weißt du ob es klappt?“
„Ich habe die Bewerbung gestern erst abgeschickt. Die Frist geht bis Ende der Woche und dann heißt es warten!“
„Wir drücken dir ganz fest die Daumen Annalein.“, sagt Oma und zwickt mich liebevoll in die Seite.

Nach der frohen Botschaft ist erstmal eine offene Fragerunde angesagt. Meine Eltern löchern emsig nach meinen Absichten, der Motivation und woher der geistige Umschwung kommt. Ich gebe karge Antworten. Und wie erwartet, sie versichern mir ihre volle Unterstützung und ich bilde mir ein, dass da eine neue Art von Strahlen in ihren Augen ist. Ich bin für sie also doch keine volle Enttäuschung. Na prima.

Dann lasse ich genüsslich die nächste Bombe platzen. „Ich habe jetzt übrigens auch nen Job. Sind zwar nur nen paar Stunden, aber ich hänge jetzt nicht mehr nutzlos zu Hause rum.“ Ich bin ja so vernünftig. Und die guten Eltern denken jetzt wahrscheinlich, jemand hätte mich einer Gehirnwäsche unterzogen. Oma tätschelt mir freudig die Schulter. Meine Mutter lässt vor Schreck den Kuchen von der Gabel fallen und mein Vater prustet den heißen Kaffee aus. Schöne Sauerei.

„Das ist, äh...“, ihm fehlen offensichtlich die Worte- „Das ist sehr löblich. Aber...äh... Wie kommst du denn dazu? So plötzlich?“
Okay, wenn schon, denn schon. Innerlich breitet sich ein sehr hämisches Grinsen in mir aus. Das wird ein Spaß: „Ihr kennt doch Noah, den Sohn von Pfarrer Kasperski?“, frage ich säuselnd.
Riesige Augen, nickende Köpfe. Meine Eltern sind, wie schon erwähnt, sehr gläubig und unseren Pfarrer würden sie heilig sprechen, wenn sie es könnten, ebenso seine gesamte Sippschaft.
„Naja. Ich war am Wochenende oben in Buchenwald. Konfirmandenfahrt. Ich habe Carolin ein bisschen unterstützt als Begleitperson und da habe ich Noah mal wieder getroffen. Er hat mir den Job besorgt und mich für den Gedanken Studium erwärmen können.“

Meine Eltern tauschen Blicke, die Bände sprechen. Ich bade mich etwas darin. Gleichzeitig habe ich aber auch ein schlechtes Gewissen, etwas zumindest. Immerhin habe ich die ganzen Aktionen ja nicht wirklich freiwillig durchgezogen und von meinem epischen Totalausfall bei den DuskyDays erzähle ich lieber nichts. Aber hey, irgendwie muss ich ja Vorteile aus meinen Bewandtnissen ziehen.

Nur Oma blickt mich leicht skeptisch an, schweigt allerdings.
Ich werde noch ein bisschen gefeiert, meine Eltern lobpreisen mich in den Himmel und mein Vater steckt mir zum Abschied einen 50-Euro-Schein zu. Er sieht irgendwie sehr stolz aus. So habe ich ihn lange nicht gesehen. Im Flur und aus der Sichtweite meiner Eltern schnappt mich Oma.
„Annalein?“, singsangt sie mir zu.
„Ja Omi?“, trällere ich zurück.
„Deine Eltern mögen dir das vielleicht so abkaufen. Aber mich führst du nicht hinters Licht Fräulein. Wir sind vom selben Schlag. Und Sinneswandel sehen uns eher unähnlich.“

Ertappt bleibe ich stehen und sehe sie mit zusammengekniffene Augen an. Oma fixiert mich ebenso.
„Du brauchst nichts dazu zu sagen, Engelchen.“, täschtelt sie mich. „Aber vielleicht kommst du dein Großmutter einfach mal besuchen, wenn dir danach ist?“


Auf dem Heimweg denke ich über Omas kryptische Botschaft nach. Das war sowas wie ein Angebot. Zum reden, schätze ich. Oma ist natürlich genauestens dank meiner Eltern über meine Situation informiert und weiß auch, wie verschlossen ich in dieser Hinsicht bin. Naja, nicht nur in dieser Hinsicht. Ich war ja schon immer recht eigenbrödlerisch und wortkarg bezüglich meines Innenlebens. Aber ich konnte teilweise auch ganz offene Gespräche mit Oma führen. Eben weil sie nicht ganz so verbohrt ist. Sie hatte so oft Verständnis für ihre sture Enkelin, dass ich bei manchen Erinnerungen unwillkürlich grinsen muss. Ich werde mir das wohl mal durch den Kopf gehen lassen.

So leise wie möglich schließe ich die zerkratzte Tür zu meiner WG auf und lausche dann skeptisch- zögerlich in die Wohnung. Als ich schon erleichtert aufatmen möchte steckt Gordon seine fettige Kopfbedeckung aus der Küchentür und sieht mir neugierig entgegen.
„Ich war arbeiten und ja, es war gut!“, pflaume ich los, dann eile ich in mein Zimmer, nicht ohne ihn hinter mir amüsiert schnauben zu hören.

In zwei Stunden bin ich bei Noah vorgeladen. Ein Schlachtplan muss her. Ich kann mir einfach keinen Reim auf diesen fiesen Seitenhieb mit Kathrin machen. Im Grunde stört es mich ja nicht, dass ich mit ihr zusammenarbeite. Mein Gott, wenn ich will, kann ich ihr den ganzen Tag aus dem Weg gehen und das Gör kratzt auch kaum an meinem Ego. Aber die Tatsache, dass er mich ins offene Messer hat laufen lassen, das verstört mich. Außerdem ärgert es mich maßlos, dass er mir genau die gleiche „Behandlung“ angedeihen lassen will, die er auch mit Kathrin abgezogen hat. Der Bengel scheint unter einem wirklich ungesund ausgeprägtem Helfersyndrom zu leiden. Obwohl, letztendlich bin ich diejenige, die darunter zu leiden hat. Ich brauche keine Almosen. Und ich bin auch keine Drogenabhängige, der man wieder auf die Beine helfen muss. Klar, ich bin gestürzt. Aber ich bin verdammt nochmal recht flott wieder aufgestanden. Zwar mit Wunden, die langsam zu Narben übergehen, dennoch halbwegs erhobenen Hauptes.

Noahs Verhalten zerrt irgendwie an meinem Stolz. Diese überschwängliche Art kann ganz schön grausam sein. Ich fühle mich etwas missverstanden und gleichzeitig will ich auf keinen Fall, dass mich der Pfarrersjunge zu eines seiner Projekte macht. Ich will keine Hilfe. Und würde er mich mit seiner charmanten Art nicht ständig überrumpeln, hätte ich ihm das wohl schon längst deutlich gemacht. Erstmal werde ich ihn nachher zur Rede stellen. Und das gewiss nicht mit Samthandschuhen. Der Knabe ist fällig. Ich lächle leicht hämisch.

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Kommentar:

Yay! Es geht weiter. Lang genug hats gedauert und dann auch noch ein Noah-freies Kapitel. Schande über mich ^^





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